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Nach dem Prompt „Spiralflügelschnecke“ der Gruppe „Crikey!“
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Liebe war eine besondere Macht. Cosmo hatte das immer für albernes Geschwätz gehalten, doch das war gewesen, bevor er Wehra kennengelernt hatte. Sie war zeitgleich mit ihm nach Lamaria versetzt worden. Wer hätte gedacht, dass man ausgerechnet in einem Betonklotz im ewigen Eis den Romantiker in sich entdecken konnte?
Als Cosmo heute jedoch aus der polaren Station trat, fühlte er nichts mehr von den bitter süßen Gefühlen. Es war, als würde er in ein tiefes Loch stürzen. Selbst mehrere Schichten Jacken und Schals konnten die Kälte nicht vertreiben, die sein Herz umklammert hielt.
Er hatte sich Zeit erbeten, um über Wehras Worte nachzudenken. Nun, 'erbeten' traf es nicht genau. Er hatte nur wenige Worte herausgebracht, ehe er in den Schnee gestürmt war. Das hatte Wehra verletzt, ohne Zweifel. Es hätte sicher bessere Reaktionen gegeben. Doch Cosmo war zu verwirrt, zu erschüttert, um sich darum zu kümmern.
Interessiert es ihn noch, was Wehra dachte oder fühlte? Auch da war er sich plötzlich unsicher. Er suchte in sich nach den Gefühlen für die Mooselfe, die sein Leben auf den Kopf gestellt hatten, doch er fand nur Leere.
Es war ein Schock gewesen.
Nachdem er mit schnellen Schritten losgeeilt war, zwangen ihn der scharfe Wind und der hohe Schnee schließlich in die Knie, jedenfalls metaphorisch. Außer Atem erreichte er das kleine Iglu, in dem die Messgeräte standen. Unter den Kleidungsschichten schwitzte er.
Seine Hände zitterten, als er die durchsichtigen Röhren aus den Bohrgeräten holte, eine vertraute Arbeit, die sich nun fremd anfühlte, da seine Welt zusammenzustürzen schien.
Mechanisch verteilte er das nach oben geholte Eiswasser auf Pipetten, füllte diese in Petrischalen und begann dann die Arbeit mit Probenplättchen und Mikroskopen. Die Dokumentation der winzigen Lebewesen, die sich oft erst unter höchster Vergrößerung zeigten, beruhigte ihn langsam wieder. Er hielt die Tiere fest, die er fand, ihre Größe, weitere Informationen, wenn angebracht.
Als er auf einige Flügelschnecken traf - Limacina helicina, die Spiralflügelschnecke - brach Cosmo einfach in Tränen aus. Der Schock hatte ihn eingeholt. Er legte die Unterlagen beiseite, um sie nicht versehentlich zu zerstören, und starrte an die weiße Eiswand.
Er mochte Wehra. Sehr. Mit ihr hatte er sich seine Zukunft ausgemalt, seitdem sie ihren ersten Kuss getauscht hatten. Eine Zukunft, die jetzt auf der Kippe stand, weil seine Fantasie plötzlich an jedem Detail scheiterte.
Er hatte Kinder gewollt. Wie sollte das jetzt funktionieren?
Schließlich atmete er zittrig aus. Cosmo wischte sich die Tränen ab, welche bei der Kälte zu leicht gefrieren könnten. Er fühlte sich bereits ein wenig besser, auch wenn das die Lage nicht besser machte. Es war, als hätten die Tränen alle Panik aus ihm herausgespült.
Warum tat es nur so verdammt weh? Vor ein paar Jahren hatte er nichts von Wehra gewusst. Für einen Elfen war das ein Wimpernschlag. Dann sollte er sie doch wieder vergessen können. Wieso fühlte der Versuch sich an, als würde er sich zerreißen?
Er fuhr mit der Dokumentation der Schnecken fort. Ihre flügelartigen Gehäuse und deren schillernde Farben hatten ihn schon immer fasziniert. Die größeren Tiere waren die Weibchen, da die Schnecken im Laufe ihres Lebens ihr Geschlecht wechselten. Sie gehörten zu den wunderbarsten Tieren dieser eisigen Wildnis. Ein kleiner Schmetterlingsgarten unter dem ewigen Eis, wie zum Beweis, dass das Leben sich auch an so fernen Orten ausbreiten konnte.
Ein kleines Wunder, das ihn hergezogen hatte. Eine Neugier, die ihn mit Wehra verband.
Schließlich stand Cosmo auf. Er packte die Dokumente ein und entließ die Tiere wieder in die Tiefe unter dem Eis. Noch ein paar Tage, dann würden sie an einer anderen Stelle bohren. Mit der schweren Tasche trat er zurück zum Bunker, quer durch den hohen Schnee.
Als er eintrat, saß Wehra noch immer am Tisch. Sie sah auf, ihre Augen waren rotumrandet. Cosmo lächelte flüchtig, dann streifte er jedoch zuerst die Kleidung ab und schüttelte den Schnee daraus. Wehra hatte dem Rest der Gruppe also noch immer nichts gesagt.
Er zog einen Stuhl zu sich, als er seine Ausrüstung aufgehängt hatte, und setzte sich ihr gegenüber. Dann zeigte er ihr die Blätter.
"Wir haben wieder viele Schnecken", sagte Cosmo. "Ein gutes Zeichen, das heißt, dass die Population auch hier stabil ist."
"Cosmo ..." Wehras Stimme war leise. "Ich will jetzt wirklich nicht über Schnecken reden."
"Ich aber. Vertrau mir." Er sah sie wieder an. "Weil die Schnecken ja auch ihr Geschlecht wechseln. Du tust es nur andersherum."
Wehra sah ihn fragend an. Sie - besser er, daran würde Cosmo sich gewöhnen müssen - verstand noch nicht, worauf er hinaus wollte.
"Ich brauchte ein wenig Zeit, aber es ist ja klar, dass so was nur natürlich ist", fuhr er fort. Er konnte sehen, wie Wehra aufatmete. "Ich habe nur ... nicht damit gerechnet." Zögerlich streckte er die Hand aus, umfasste ihre Finger, die neben den Dokumenten ruhten. "Ich bin nicht schwul, das wird also ... eine Umstellung für mich. Aber ich liebe dich." Das war ihm über der Arbeit klar geworden. Wehra zu verlieren, sie wirklich zu verlieren, wäre schlimmer als alles andere.
Wehra begegnete seinem Blick. Ob sein Geliebter nun auch einen anderen Namen nehmen würde? So viele Fragen, so viele Unsicherheiten, die ihm den Blick auf die gemeinsame Zukunft versperrten.
Cosmo lächelte weiterhin. "Ich will es versuchen. Es wird vielleicht nicht leicht, also gibt mir bitte etwas Zeit. Aber ich liebe dich. Deine Persönlichkeit. Daran wird sich nichts ändern, auch nicht, wenn du ein Mann bist."
Wehra schluchzte auf, diesmal vor Erleichterung. "Danke, Cosmo."
Er hob die Hand und strich dem wundersamen Wesen ihm gegenüber eine Strähne aus dem Gesicht. Langsam erhob Cosmo sich und beugte sich zu Wehra herüber, zögerlich, tastend fanden sich ihre Lippen, und es war wie der erste Kuss.
Ein merkwürdiges Gefühl, einen Mann zu küssen. Und doch hatte sich nichts geändert. Denn Wehra zu küssen, würde sich niemals seltsam anfühlen!
Nach diesem ersten Schritt löste er sich sanft von seiner Flügelschnecke. Cosmo wusste, dass er am Anfang einer langen Reise stand, doch er würde seine große Liebe nicht einfach so aufgeben.