Stichwort: Durch die Blume (2020-11-24)
Sie bewegte sich anmutig und elegant. Jeder Schritt war federleicht und trotz dem unebenen Boden schien sie nicht einmal das Problem zu haben zu stolpern. Der junge Mann, der hinter ihr her ging, betrachtete ihre Schuhe. Sie waren dünne, schmal geschnittene Stoffschuhe. Doch nicht solche, wie die armen Leute im Dorf sie trugen. Ihre hatten eine feste Ledersohle und einen kleinen Absatz. Den hellen Stoff, aus dem die Schuhe gefertigt waren, würde sich kein Arbeiter aus dem Dorf jemals leisten können. Er war kunstvoll mit buntem Garn bestickt, dessen Farben leuchteten wie die Blumen in diesem Garten. Auch waren es kleine, fein und bis ins kleinste Detail nachgearbeite Blumen, welche auf den Schuh gestickt worden waren.
Sein Blick wanderte höher zu dem mit Spitze gesäumtem Kleid, welches aus ebenso hellem Stoff gearbeitetet worden war, wie die Schuhe. Die Spitze war fast weiß und so fein gearbeitet wie es nur Meisterschneider konnten. Unter der Spitze, welche bis zu ihrer Taille hoch reichte, war der Stoff des Kleides ebenso bestickt wie ihre Schuhe. Obwohl das Kleid keinen ausgefallen Schnitt besaß und kein aufgebauschtes Ballkleid war, empfand er seine Begleitung als die schönste Frau der Welt. Sie brauchte keine ausladenen Röcke um ihre schmale Taille zu betonen oder bunte, aus kräftigen Farben gewebte Stoffe um zu zeigen, dass sie aus gehobenen Hause kam. Es war ihre Eleganz, die jedem zeigte, wen er vor sich hatte.
Sein Blick wanderte höher zu der schmalen Taille und ihren unbedeckten Schultern. Ihre Haut war so weiß wie Alabaster und zart wie ein Pfirsich. Ihre braunen Locken spielten in einem wunderschönen Kontrast über ihre Schultern. Noch einmal fiel sein Blick auf das Kleid. Es war kein Kleid zum Schnüren, sondern feine Metallhäkchen hielten den Stoff zusammen. Der Schneider dieses Kleides war nicht nur ein Meister seines Fachs, sondern auch an den mordenen Erfindungen interessiert. Es gab nur wenige, die beides vereinten.
Sie blieb stehen und er ebenso, er betrachtete sie, wie sie sich zu den Rosen herabbeugte. Sie nahm vorsichtig eine Blüte in die Hand und dem jungen Mann fiel auf, dass sie keine Handschuhe trug. Vorsichtig strich sie über den sich gerade öffnenden Blütenkopf. Die Rose hatte die Farbe von der untergehenden Sonne, wie lodernes Feuer, wie die süßsauren Früchte, die er einmal kosten durfte, als er bei seiner Tante im Süden zu Besuch war. Orangen, so hießen sie.
"Ist es nicht schade, dass eine so schöne Blume Dornen braucht zu ihrem Schutzt?", fragte die junge Frau und berührte nun vorsichtig die Dornen.
"So sind es gerade schöne Dinge, die besonderen Schutz brauchen", antwortete der junge Mann und warf einen Blick über die Schulter. Dort standen zwei Wachen mit Speeren und Schwerter, beides spitzer als jeder Dorn der Rose.
"Dabei sollte man meinen, dass gerade die Schöhnheit keinen Schutz benötige, um sie in ihrer vollen Pracht betrachten zu können. Denn eine Rose entfaltet ihre wahre Schöhnheit erst, wenn sie vollends aufblüht", spricht die junge Frau mit einer Stimme, die so viel Weisheit in sich trägt, wie keine Stimme in diesem Alter in sich tragen sollte. "Aber sagt, woher wusstet ihr, dass ich es war, die ihr getroffen habt?"
"Durch die Blumen, Mylady, niemand sieht die Blumen so an wie Sie es tun, niemand erkennt ihre Schönheit besser als Ihr es könntet!"