Der Anwalt mit dem nichtssagenden Namen Walter hatte einen Igor zu sich in seine Kanzlei bestellt und wartete seit über drei Stunden auf dessen erscheinen. Das war eine Zeit, in der er immer wieder hoffnungsvoll in seinen Wartebereich sah, und hoffte, sie mit der sehr schönen jungen Frau, die dort saß, verbringen zu können. Aber er konnte es nicht und das wegen dem Eintrag in DEM Buch. Er hatte es immer mal wieder bei seinem Vater gesehen, das in dem alten Tresor mit dem lächerlichen Schloss lag und das von seinem Vater immer mit besonderer Sorgfalt hervorgeholt worden war. Es war das geheime Erbe der Kanzlei.
Sein Vater hätte ihm den Inhalt des Buches auch bestimmt noch in den nächsten Jahren erklärt, jetzt wo er sein Studium fertig hatte, wenn ihn nicht ein Raser auf dem Zebrastreifen überfahren hätte. Den Raser hatte es dann zwei Tage später selber erwischt. Er war blutleer in seiner Wohnung gefunden worden. Das Schicksal schlug manchmal sehr merkwürdige Wege ein.
Ein neuerlicher Blick in das Wartezimmer offenbarte den nächsten Ärger: die Gartenzwergin, die sich angeregt mit der Schönheit unterhielt. Die Frau, die er weiter sitzenlassen musste, weil in dem Buch stand, wenn er DEN Igor von seinen Aufgaben abhält und DER Graf kommt, er dringend Weihwasser und ein Kreuz bräuchte. Er seufzte.
Erst hatte er nicht geglaubt, was in dem Buch stand. Es war gefüllt mit hunderten speziellen Anweisungen und besonderen juristischen Spitzfindigkeiten, mit denen man ein nicht real existierendes Klientel aus der Schusslinie der Öffentlichkeit heraushalten konnte. Zum Beispiel was man einem Richter erklären musste, warum Mitglieder der Familie Lupus nicht zu Vollmond in einen Gerichtssaal konnte. Es hatte etwas mit religiösen Glaubenssätzen einer vollkommen unbekannten Sekte aus den Karpaten zu tun, die es aber trotzdem zu voll anerkannten deutschen Religion gebracht hatte. Er hatte das belächelt, bis sie ihn zu einer Taufe einluden und das Neugeborene sich vor Angst vor dem Wasser in etwas pelziges verwandelte und sich in seiner Hand festbiss. Danach wurde er Pate von diesem Ding.
Wieder blätterte er durch die Seiten des Buches. Dieser Igor war von allem, was es an Sprengkraft zwischen den Seiten gab, noch das Normalste. Er sollte mit diesem die Erbfolge des Anwesen des Grafen und vor allem, die rechtliche Übergabe an den jungen Igor regeln. Scheinbar war ein Igor gestorben und ein anderen war an seine Stelle getreten. Rechtsanwalt Walter stellte sich diesen Igor vor wie man sich den Igor dieser spezielle Grafen vorstellt: nach vorne gebeugt, mit Warzen und Pickeln und komplett unansehnlich. Genau dieser war noch nicht zu ihm gekommen.
Es war kurz vor 18 Uhr und die vierte Stunde war vergangen, als es vor seinem Schreibtisch ploppte. Auch das hatte in dem Buch gestanden und er hatte kein Weihwasser.
"Warum sitzt mein Igor in Ihrem Wartezimmer, statt mir meinen Abendtrunk zu servieren?", wollte der Graf wissen und sah den sehr verschüchterten jungen Anwalt mit roten, aber trotzdem irgend wie blutleeren Augen an. Der hatte das Buch wie ein Schild vor sich aufgetürmt.
"Sir, entschuldigen Sie, Sir, aber er ist nicht gekommen."
"Aber sie sitzt doch neben Frau Wittchen Kleinwuchs. Ich habe sie selber beim Vorbeifliegen gesehen." Der Graf zeigte Richtung der sich auf magische Art öffnenden Tür. Von draußen sahen die schöne blonde Frau und dieser abgebrochene, alte Zahnstocher mit der provokanten roten Zipfelmütze in Zimmer. Der Graf seufzte: "Mit ihrem Vater hatte ich diesbezüglich nie ein Problem."
Der Anwalt mit dem gleichen Namen wie sein Vater beeilte sich, den Grafen zu beruhigen.
"Werden sie nicht mehr, Herr. Ich werde mir ab jetzt Mühe geben."