Thomas und Ulla haben alles, was ein erfolgreiches Ehepaar braucht. Einen Gärtner, einen Chauffeur, eine Köchin, eine Frau fürs Grobe und ein Dienstmädchen für die feineren Sachen. Und trotzdem waren sie nicht recht zufrieden.
„Es fehlt uns eine ordnende Hand“, stellte Thomas eines Tages beim Frühstück fest. „Was wir brauchen, ist ein Butler.“
Das mit der ordnenden Hand konnte noch als versteckte Kritik an der Durchsetzungskraft der Ehefrau verstanden werden, - und in der Tat war Ulla für ihre Launen und schnell wechselnden Ansichten bekannt - aber einen Butler brauchte jeder, der zur ersten Garnitur der Gesellschaft gehören wollte. Vor allem dann, wenn er selbst noch jung und das erarbeitete Vermögen noch jünger war.
So erntete Thomas keinen Widerspruch von seiner Frau und annoncierte noch in derselben Woche in den entsprechenden Zeitschriften. Aus einer kleinen Laune heraus fügt er hinzu, dass britische Wurzeln oder Erfahrungen nicht ungern gesehen würden.
Qualität braucht ihre Zeit, aber nach einigen Wochen fanden sich in der Eingangspost neben den Angeboten von Leuten, die sich auf alles bewerben, tatsächlich drei ernst zu nehmende Kandidaten. Der Erste war ein älterer, englischer Butler mit allerbesten Referenzen, den Ulla ablehnte, weil sie den Eindruck hatte, dass dieser Butler ihren Haushalt eigentlich für unter seinem Niveau hielt.
Der zweite Kandidat war erheblich jünger, behauptete, nach englischen Prinzipien ausgebildet worden zu sein, und gefiel der Dame des Hauses trotz schlechtem Schulenglisch über alle Maßen. Thomas hingegen bemängelte das Fehlen echter Klasse und sagte „Nein!“, worauf Ulla sich weigerte, dem letzten Bewerbungsgespräch beizuwohnen.
„Du weißt ja doch alles besser“, kommentierte sie ihre Entscheidung.
Kandidat Nummer drei war eine Frau. Margret, von Beruf Erzieherin.
„Sie sind Engländerin?“, fragte Thomas.
„Ja, ich bin in England aufgewachsen, dort ausgebildet worden und habe einige Jahre in verschiedenen Haushalten in London und Cambridge gearbeitet, bevor ich nach Deutschland ging.“
„Ihr Deutsch ist perfekt. Ich höre keinen Akzent.“
„Ich bin deutschstämmig und zweisprachig aufgewachsen.“
Thomas musterte die vor ihm stehende Frau. Sie war mittleren Alters, von mittlerer Größe und weder zu konservativ, noch zu auffällig gekleidet. Ihre weiblichen Rundungen, obwohl vorhanden, fielen unter einem Eindruck von sportlicher Zähigkeit nicht weiter auf. Das Gesicht hatte einen etwas harten Ausdruck, der aber eher auf Selbstbeherrschung und Entschlossenheit zurückging als auf eine generelle Enttäuschung vom Leben. Thomas war zufrieden.
„Nun, Frau Westmann …“
„Margret, bitte.“
„Nun, Frau Margret …“
„Fräulein, bitte. Ich bin nicht verheiratet, und habe auch nicht vor, meinen Familienstand zu wechseln, wenn das von Bedeutung sein sollte. So etwas verträgt sich nicht mit den Funktionen einer Hausdame.“
„Nun, die Anrede Fräulein gibt es bei uns nicht mehr. Ist ein einfaches Margret angenehm?“
So ganz wusste Thomas noch nicht mit seiner neuen Errungenschaft umzugehen.
„Da wir beide nicht für die deutsche Gesetzgebung verantwortlich gemacht werden können, ist Miss Margret vielleicht ein sinnvoller Kompromiss.“
Margret erlaubte sich ein sparsames Lächeln. Thomas nahm das Lächeln als Zeichen, ein wenig aus sich herausgehen zu können.
„Wenn Sie in verschiedenen englischen Familien gearbeitet haben, dann kennen sie sich ja wohl auch mit der englischen Erziehung aus.“
Ein wenig geglückter Scherz. Thomas merkte es mitten im Satz, und sein Lächeln wirkte daher gequält und künstlich. Aber Miss Margret verzog keine Miene und tat so, als wäre englische Erziehung das Normalste in der Welt.
„Ich hatte in meiner vorletzten Stellung das Privileg, mich um die Erziehung der Kinder kümmern zu dürfen. Kinder müssen spielen dürfen und ihre Kreativität entfalten, wenn sie in der Gesellschaft einmal bestehen wollen. Sie müssen aber gleichzeitig auch Disziplin lernen, und das fällt ihnen oft schwer. Eine Erzieherin braucht Einfühlungsvermögen, Verständnis und vor allem Strenge.“
„Mit Strenge meinen Sie den Rohrstock?“, fragte Thomas mit steigendem Interesse.
„Oh nein“, antwortete Margret. „Die Kinder waren junge Damen. Da wäre der Rohrstock nicht angebracht. Ich habe mir Weidenruten geschnitten. In verschiedenen Stärken. Dem jeweiligen Vergehen angemessen, aber immer biegsam. Weidenruten, wenn sie von einer kundigen Hand geschwungen werden, verletzen nie die Haut. Das wäre bei jungen Damen unentschuldbar.“
„Ich war selber einige Jahre auf einem englischen Internat. Dort war man nicht so rücksichtsvoll“, erinnerte sich Thomas.
„Natürlich nicht. Sie waren junge Männer, die ihre Grenzen ausloteten. Die lassen sich nicht durch Weidenruten leiten. Obwohl, es ist nie wirklich ausprobiert worden, soweit ich weiß. „Hat der Rohrstock denn bei Ihnen gewirkt? Oder mussten Sie zum Ende Ihrer Schulzeit hin immer noch bestraft werden?“
„Es hielt sich in Grenzen“, antwortete Thomas. Aus der Erinnerung heraus würde ich sagen, es war am Ende eher etwas mehr.“
„Nun, solche Überlegungen spielen hier wohl keine Rolle. Es gibt keine Kinder in Ihrem Haushalt, wie ich Sie verstanden habe.“
„Nein, unser Haushalt besteht nur aus meiner Frau und mir und den anderen Dienstboten. Die Herausforderung bei uns liegt daher weniger in der Erziehung als wohl darin, das ständige Durcheinander ein wenig zu zügeln.“
„Disziplin und Konsequenz. Mehr braucht es nicht dafür. Und die bedingungslose Unterstützung des Hausherrn. Die zu bekommen ist manchmal schwieriger als alles andere, denn der Hausherr ist oft ein Teil des Problems und muss daher auch ein Teil der Lösung sein.“
„Ich sehe, wir werden uns schon einig“, sagte Thomas.
„Über mein Gehalt können wir später reden, aber ich brauche hier im Haus ein eigenes Zimmer und einen freien Tag in der Woche, an dem ich meinen eigenen Dingen nachgehen kann. Ich werde mir zusätzlich eine kleine Wohnung mit guter Verkehrsanbindung suchen. Außerdem muss ich dem Personal gegenüber weisungsbefugt sein. Alles andere funktioniert nicht. Was mich zum letzten Punkt führt.“
„Bitte, sprechen Sie ganz offen.“
„Wie wird mein Verhältnis zu der gnädigen Frau sein. Das muss als Erstes geklärt werden, wenn auch nicht unbedingt heute.“
„Dagegen ist nichts einzuwenden“, sagte Thomas und streckte Margret seine Hand entgegen. „Auf eine gute Zusammenarbeit.“