Es ist wie fliegen. Das sterben meine ich. Wie ein letzter, langer Flug. Ich kann sie sehen, meine Freunde. Ich sehe meinen Vater, zumindest sah er so auf den Bildern aus. Er ruft etwas. Dann kommt meine Mutter. Auch sie ruft etwas. Aber ich kann nichts hören außer dem Wind in den Bäumen und das rascheln der Blätter.
Wie geschmeidig sie durch die Bäume gleitet.
Vom Wind getragen.
Ein Engel, genau wie ich.
Ich will weiter fliegen, doch meine Mutter hält mich fest.
Sie sagt etwas, was mich nicht erreichen kann.
Etwas hält mich zurück, etwas stimmt nicht.
Ich muss sofort zurück!
Meine Mutter lächelt und nickt.
Sie küsst mich auf die Stirn und dann auf die Augen.
Ich wache auf.
Das erste was ich sehe, ist wie mein Vater an mir vorbei geht.
Er geht zu der Schwester. „Wird sie wieder? Was ist mir ihr los?“
Die Schwester sieht erschrocken in meine Richtung: „Ich glaube, dass sie vergiftet wurde. Zumindest ist das die einzige Idee, wie ich mir ihren Zustand erklären kann. Wahrscheinlich war ihr Freund mit dem Schwert das.“
Mein Stiefvater mustert mich und sagt dann nach einen tiefen seufzen. „Geben sie ihr ein Gegenmittel und sorgen sie dafür, dass sie überlebt. So sollte das ganze nicht ablaufen.“
Unsicher sehe ich mich im Raum um, zumindest soweit es mir möglich ist. Jede Bewegung schmerzt furchtbar.
Als mein Blick Richtung Tür wandert bekomme ich einen Schreck.
Max lehnt lässig an der Wand und beobachtet meinen Vater und die Schwester.
Wie lange war ich bewusstlos?!
Aber wenn er hier ist, wo ist dann Nolan?
Hoffentlich ist er nicht tot. Ich versuche mich aufzurichten, aber mein Körper gehorcht mir nicht.
Max mustert mich skeptisch. „Wolltest du sie nicht eh tot sehen? Das kann ich schnell erledigen.“ Seine Hand glüht wieder rot auf, aber mein Stiefvater hält ihn auf.
„Nicht so.“
Max wirkt sichtlich enttäuscht, als er sich neben mich setzt.
Aber als wäre das nicht genug flüstert er mir ins Ohr:
„Weißt du, dein geliebter Freund Nolan liegt jetzt gerade auf der Lichtung und verblutet jämmerlich.
Ich dachte eigentlich du würdest ihn noch retten.
Aber ich hatte wohl recht als ich sagte, dass du ihn nicht genug leiden könntest. Und weißt du was? Marco ist der nächste. Er ist zwar mein Freund, aber er kann auch ein richtiger Arsch sein.“
Ich kann spüren, wie die Wut in mir aufkocht. Nicht noch einmal werde ich zulassen, dass mir ein geliebter Mensch genommen wird! Ich beiße meine Zähne fest zusammen und konzentriere mich. Ich mag vielleicht nicht die Kraft haben mich zu bewegen, aber ich war ja nicht alleine. Vielleicht kann mir die Stimme ein weiteres Mal helfen.
Max mustert mich grinsend. „Was brütest du gerade aus, mhm? Glaubst du wirklich, dass du noch was ändern kannst? Schau dich doch an! Du bist gerade am sterben.“
Mein Stiefvater stellt sich neben ihn und legt ihm eine Hand auf die Schulter.
„Das reicht. Ich hatte dir nicht gestattet Nolan zu verwunden. Franzi, bitte begleite Max in sein Zimmer. Und pass auf, dass er nicht noch mehr Dummheiten macht.“
Wie aus dem Nichts taucht Franzi auf und packt Max am Arm. Erst scheint er nicht gehen zu wollen, aber ein kurzer Blick von meinem Stiefvater reicht aus um ihn zu überzeugen.
Ich beachte sie nur am Rande und rufe in Gedanken immer wieder die Stimme. Es dauert nicht lange bis sie antwortet.
„Na das hat ja nicht lange gedauert. Du scheinst es ja wirklich drauf angelegt zu haben uns zu töten.“
Wie als würde mein Stiefvater etwas merken beugt er sich zu mir runter. „Angel, was ist los? Was hast du vor? Das mit Nolan tut mir leid, aber es ist zu spät. Du kannst ihm nicht mehr helfen. Du kannst dich ja nicht einmal bewegen.“
Ich sehe ihm tief in die Augen und bitte die Stimme mich zu Nolan zu bringen.
Es dauert einen kurzen Moment bis mir die Stimme antwortet.
„In Ordnung. Aber beschwere dich nicht, wenn das nach hinten losgeht.“
Genau in dem Moment versucht mein Stiefvater mich zu packen, aber es ist schon zu spät.
Ich spüre, wie ich mich verwandle.
So schnell es geht fliegen wir in Richtung der Lichtung.
Als ich lande suche ich wo ich nur kann, finde Nolan aber nicht.
Ich rufe und rufe, aber er antwortet mir nicht, langsam mache ich mir wirklich sorgen.
Auf einmal höre ich ein Geräusch, ein leises Stöhnen.
Ich fliege so schnell ich kann in die Richtung aus der das Geräusch gekommen ist und finde Nolan schwer verwundet an einem See liegen.
Wenn die Situation nicht so schrecklich wäre, könnte die Gegend wirklich schön sein.
Ich laufe sofort zu Nolan und drehe ihn zu mir um.
Er hat ein riesiges Loch in der Brust, aber die Wunde heilt schon, was mir ein bisschen Hoffnung gibt.
Aber die Wunde ist schlimm, sehr schlimm, wenn das so weiter geht, wird Nolan sterben. Und ich kann nichts dagegen machen.
Ich fange an zu weinen.
Ich bemerke gar nicht wie Max hinter mich tritt. Anscheinend tut er doch nicht alles, was mein Stiefvater ihm sagt.
Er will mich von Nolan wegzerren, aber ich wehre mich verbissen mit all meiner Kraft.
Als Max bemerkt das sein Rumgezerre an mir nichts bringt, schleudert er mir von hinten einen Feuerball gegen den Rücken.
„Lass ihn endlich los! Der ist doch eh nicht mehr zu retten!“
Ich knirsche mit den Zähnen. In meiner verwandelten Form ist der Schmerz erträglicher als vorher, aber mit jedem Schlag wird es schlimmer und mir wird wieder schwindelig.
Meine Hand liegt auf Nolans Brust und ich kann fühlen wie sein Herzschlag immer langsamer wird.
Er hat nicht mehr viel Zeit.
Genau wie ich.
Verdammte Scheiße! Warum?! Immer muss etwas schreckliches passieren! Nolan du verdammter Arsch! Steh gefälligst auf! Du darfst nicht sterben! Beweg endlich deinen Arsch und steh auf!
Ich werde immer hysterischer und die Tränen fließen mir in strömen übers Gesicht. Ich kenne Nolan vielleicht noch nicht lange, aber er ist der einzige hier, der mir glaubt. Der über mich Bescheid weiß und mich trotzdem beschützt hat.
Max tritt mich gegen den Rücken und ich falle auf Nolan rauf.
Endlich gibt er ein Geräusch von sich, wenn auch nur ein ganz leises Stöhnen.
Ich will mich schon zu Max umdrehen und ihn anschreien er soll uns in ruhe lassen, da schreit er:
„Halt die klappe du scheiß Kuh! Er wird sterben, na und?! Er ist nur ein Arsch von vielen, also reg dich endlich ab!“
Endlich finde ich meine Stimme wieder und brülle ihm entgegen:
„Niemals, ich werde nicht zulassen das er stirbt und der einzige Arsch den ich gerade sehen kann, bist du!“
Max kneift die Augen zusammen und murmelt:
„Das wirst du bereuen du Schlampe! Wenn es sein muss helfe ich eben noch mal nach! Dann stirbt er wenigstens schnell!“
Ich schlage ihn mitten ihn sein Gesicht.
Das musste jetzt einfach mal sein.
Ich bin so wütend!
Ich bin wütend auf meinen Vater, wütend auf Max, wütend auf Nolan und ich bin wütend auf mich, weil ich Nolan nicht helfen kann.
Ich bin nutzlos! Einfach nur nutzlos!
Aber vielleicht hätte ich Max doch nicht schlagen sollen, denn als er mich wieder ansieht, leuchten seine Augen rot und Feuer umgibt ihn.
Er sammelt all das Feuer zwischen seinen Händen zu einem riesigen Feuerball.
Aus Vorsorge laufe ich schnell wieder zu Nolan, nehme ihn in die Arme und halte ihn so gut fest wie ich kann.
Ich fliege mit ihm so schnell ich kann weg, über den See. Am besten in ein Krankenhaus. Die Stimme hilft mir die Kontrolle zu behalten.
Aber so weit ich auch fliege, weit und breit ist kein Ende des Sees in Sicht und auch nach fünf Minuten nicht.
Langsam werde ich müde und als ist das nicht schon genug, ist Max uns gefolgt und fliegt jetzt genau über uns.
Er hat den Feuerball immer noch zwischen seinen Händen.
„Ich hoffe ihr seht deine Schlampen Mutter in der Hölle wieder!“
Das bringt mich fast zum platzen.
Am liebsten würde ich jetzt alle meine übriggebliebene Kraft darauf verwenden ihn zu töten!
Aber dann würde Nolan ins Wasser stürzen und ertrinken.
Das kann ich einfach nicht zulassen!
Die Stimme mischt sich ein und lenkt meine Aufmerksamkeit etwas in die Ferne.
„Hör zu“
Ist das ein Bootsmotor den ich da höre?
Ja und das Boot bewegt sich auf uns zu, es kommt näher.
Perfekt, dann kann ich Nolan darauf ablegen, wenn uns die Zeit noch bleibt.
Der Feuerball hat jetzt schon mindestens einen Durchmesser von einem Meter und ich denke noch größer kann er nicht werden.
Das Boot hat uns schon fast erreicht und ich lege noch einmal alles daran Max abzuschütteln und schnell das Boot zu erreichen.
Bisher klappt es ganz gut. Da Max sich sehr konzentrieren muss, kann er nicht mehr so schnell fliegen und es ist ein leichtes ihn abzuhängen.
Aber als ich auf dem Boot lande, bin ich als erstes zu geschockt um mich zu bewegen.
Am Steuer steht Marco und lächelt mich schräg an.
„Schon lag nicht mehr gesehen Polo! Du solltest dich beeilen, Max lässt nie lange auf sich warten!“
Natürlich fängt es genau in diesem Moment an zu Regnen.
Marco kommt zu mir und nimmt mir Nolan ab. Er mustert mich kurz und schaut mich dann besorgt an.
„Ich bringe ihn runter, dann kann er sich ausruhen und ich kann ihn medizinisch versorgen. Aber irgendwas musst du wegen Max unternehmen. Mein Boot ist nicht gerade feuerfest. Unterschätze ihn bitte nicht. Ich kenne ihn seit unserer Kindheit. Er neigt zu Gewalttaten und er wird vor nichts zurückschrecken. Also bitte stirb nicht. Dann verrate ich dir auch ein Geheimnis.“
Sein Lächeln ist wirklich süß, auch wenn seine Augen überhaupt nicht lächeln. Er sieht eher so aus, als würde er gleich weinen.
„Wir müssen los. Lange kann ich dich nicht mehr bei Bewusstsein halten.“ Die Stimme hat recht, ich muss mich beeilen.
Ich nicke nur und fliege dann los.
Aber egal wo ich auch suche, ich finde Max nicht mehr.
Als ich schon fast über den ganzen See geflogen bin, gebe ich auf und fliege zurück zum Boot. Der Regen drückt von oben gegen meine Flügel und drückt mich immer wieder runter, aber als ich schreie höre, fliege ich so schnell ich kann.
Ich ahne schon wer geschrieen hat.
Als ich noch etwa zwanzig Meter vom Boot entfernt bin, sehe ich schon die Rauchschwaden. Und Max.
Er fliegt über dem Boot hin und her und schmeißt immer mehr Feuerbälle auf das Boot.
Es hat schon längst Feuer gefangen und brennt lichterloh.
Aber wo sind Marco und Nolan?!
Als ich wieder jemanden schreien höre bin ich schon näher bei dem Schiff und versuche herauszufinden, wo die Beiden sind.
Mir wird mit Schrecken bewusst, das die Beiden noch unten in dem Boot sind.
Ich kämpfe mir einen Weg durch die Flammen bis zu Tür die nach unten führt.
Es gibt keine Möglichkeit sie zu öffnen, Max hat das Schloss an dem Rahmen fest geschmolzen.
Gerade als ich die Tür aufbrechen will, kommt Max und jagt mich mit einem Hagel aus Feuerbällen fort.
Ich höre jetzt auch Nolans schwaches schreien.
Die Zeit wird knapp.
Ich versuche immer wieder zur Tür zu kommen, aber Max funkt mir immer wieder dazwischen.
Er trifft mich ein Paar mal und ich habe nicht mehr die Kraft verwandelt zu bleiben.
Ich verwandle mich zurück und falle.
Max fliegt mir nach und schlägt mir noch ein paar mal ins Gesicht.
Kurz bevor wir ins Wasser eintauchen lässt er von mir ab und ruf:
„Ich hoffe deine beiden Freunde sterben einen langsamen und qualvollen Tod!“
Dann höre ich nichts mehr.
Ich bin unter Wasser und aus meiner Nase strömt Blut.
Ich sinke immer tiefer, ich habe nicht die Kraft nach oben an die Oberfläche zu schwimmen.
Mein Bewusstsein schwindet wieder, aber irgendwas hält mich wach.
Ein Licht, nein, es ist ein kleiner Fuchs.
Er erinnert mich an jemanden, aber an wen?
Ja, es ist Blue.
Aber wie zum Teufel hat er es geschafft sich in einen Fuchs zu verwandeln?!
Und was will er hier?!
„Was wohl, ich halte dich vom sterben ab. Du bist aus einem bestimmten Grund hier Angel. Du darfst nicht sterben! Du musst kämpfen okay?
Finde deine Stärke und bekämpfe den Tod! Wir können dir leider nicht zur Hilfe kommen, aber wenn du es schaffst die beiden aus dem Boot zu bekommen und sicher an Land zu schaffen, werden wir dir ein Geschenk machen. Reiß dich zusammen!“
Und dann ist er weg. Mir schwirrt der Kopf und ich kann nicht anders als meine Augen zu schließen.
Aber ich höre wieder die lockende Stimme.
„Lass mich übernehmen Angel, ich werde unseren Hass benutzen um Max zu töten und Marco und Nolan zu retten.
Bitte Angel, lass mich die Kontrolle übernehmen!“
Ich habe ja keine andere Wahl.
Also lasse ich sie übernehmen.
Ich spüre wie mein kompletter Hass und meine ganze Wut gebündelt werden und in mir emporsteigen.
Ich habe wieder Kraft und ich verwandel mich wieder.
Aber etwas ist dieses mal anders.
Es ist falsch, ich bin zu viel von negativen Gefühlen umgeben, sie umschlingen mich und halten mich gefangen. Es ist schrecklich, aber ich kann mich nicht dagegen wehren, weil die Stimme die Kontrolle hat.
Es ist das erste Mal, dass ich mich sehe, wenn die Stimme die Kontrolle hat. Ich spiegle mich auf der Wasseroberfläche. Ich sehe nicht mehr so aus wie vorher, am schlimmsten sind die Augen.
Aber das einzige was gerade zählt sind Nolan und Marco.