Ich nehme mir langsam den Brief, er ist rau und schwer.
Der Umschlag scheint fast zu platzen und die dunkelgrüne Tinte ist präzise in einer alten Schreibweise verfasst worden.
Als ob der Verfasser mit einer Feder geschrieben hätte.
Holly stöhnt und richtet sich auf. Ich verstecke den Brief schnell hinter meinen Rücken. Sie steht auf, streicht sich die Uniform glatt und geht in den Flur, um sich die Schuhe anzuziehen. Danach dreht gibt sie mir noch einen Kuss auf die Wange.
Holly zieht sich noch schnell eine normale Jacke drüber und ist fast aus der Tür raus, als sie sich umdreht und sagt: "Heute Abend reden wir über den Brief hinter deinen Rücken, Aria, ja?
Ich hab' dich lieb!"
Verdattert sehe ich die zuschlagende Tür an, höre den Motor des Autos heulen und stehe da immer noch, obwohl Holly schon längst weg ist.
Der alte Gong, der in der Küche hängt, beginnt zur halben Stunde zu schlagen.
Es ist 7:30 Uhr, an einem Samstag morgen.
Ich stöhne auf und gehe in die Küche. Den Brief lege ich neben meinen Platz am Frühstückstisch.
Müde lasse ich mich auf den Stuhl fallen und trinke einen Schluck von meiner noch heißen Schokolade.
Der vollmundige Geschmack legt sich auf meine Zunge und ich lehne mich entspannt auf den Stuhl zurück.
Immer mehr trinke ich und mein Bauch füllt sich mit heißem Glück und Entspannung.
Glückselig schaue ich mich im Raum um und das Glück verschwindet und Unbehaglichkeit macht sich breit.
Der geheimnisvolle Brief liegt fast direkt vor mir.
Als ob es sagen will: "Mach mich auf!"
Vehement schüttele ich meinen Kopf, denn ich will unbedingt den Brief aufmachen, doch ich habe irgendwie eine gewisse Scheu vor dem Brief.
Als stände da eine Weltverändernde Nachricht drin und ich will mein jetziges Leben behalten, noch so eine Veränderung würde ich nicht aushalten.
Deshalb stehe ich jetzt auf und gehe die alte Eichentreppe hoch, die bei jeden Schritt knarzt. Der Läufer ist abgelaufen und die ehemals weinrote Farbe verblichen.
Das Geländer ist wackelig und die Farbe blättert teils schon ab.
Mein Zimmer sieht fast genauso aus.
Das Bett ist groß und sollte eigentlich weich sein, aber die Matratze ist schon etwas durchgelegen.
In den Ecken wölben sich die Enden der Pistaziengrünen Tapete und die mintgrüne Farbe meines Fensterrahmens blättert wie bei meinem Schreibtisch, schon leicht ab.
Ich schließe die Tür und öffne meinen Schrank und ziehe ein T-shirt und eine kurze Hose an. Ich öffne das Fenster und lehne nach draußen. Es riecht nach Sommer und der Wind kitzelt mich an der Nase.
Die Sonne strahlt mich an und es ist keine Wolke am Himmel zu sehen.
Es erinnert mich so an den Tag, als ich sie verließ.
Die Wolken zogen über mich hinweg, Grillen zirpten und Vögel zwitscherten.
Es war ein wunderbarer Tag gewesen und ein lauer Sommerwind strich über die Wiese und über die Wildgerste, die sich im Wind bog.
Ein Schmetterling mit blauen Tupfern flatterte über mich hinweg und eine Fliege setzte sich auf meine Nase.
Belustigt schnaubte ich und die Fliege flo davon, davon Richtung Sonne.
Ich hörte ein knirschen und plötzlich legte sich ein Schatten über mich.
Es war mein jüngerer Bruder Howard, der mit seinen haselnussbraunen Haaren, wie der Lone Boy aus Grandmother Kates Lieblingsserie aussah.
"Grandmother sagt, dass du zum Tee kommen sollst.", meinte Howard und sah mich grinsend an. Seine Zahnlücke lies ihn verwegener wirken und seine Hose war zu kurz, da Howard sie abgeschnitten hatte, als Mum und Grandmother Kate beim einkaufen waren. Somit schlackerte sie nun um seine Waden.
"Jaja, ich komme.", sagte ich und schloß meine Augen. Es war einfach zu schön auf dem Gras zu liegen.
"Grandmother sagt auch, wenn du nicht kommst, steckt sie dich in ein von Mum erwähltes Kleid, wenn wir zu Tante Clarissa fahren." Ich konnte sein Grinsen förmlich riechen und doch musste ich leider nachgeben, Mums Kleidergeschmack war.... gewöhnungsbedürftig, um es sachte auszudrücken...
Ich schrecke auf und stoße mir den Kopf am Fensterrahmen.
Die Gedanken daran habe ich eigentlich verdrängt, ich will mich nicht erinnern.
"Nein, das will ich nicht!", sage ich wütend und reibe mir die schmerzende Stelle am Kopf.
Mein Bett wackelt plötzlich. Die metallenen Bettpfosten quietschen und mein Wecker fällt vom Rand des Bettes. Dann ist alles wieder still.
Zögerlich komme ich dem Bett näher und hebe langsam den Wecker auf. Die Batterie ist hinten rausgesprungen und ich will sie wieder reinsetzen, doch ich sehr auf das Ziffernblatt des Weckers.
18:03 Uhr