Schon seit geraumer Zeit flog die kleine Lichtelfe durch das weite Land, mittlerweile ließen die Bäume ihre Blätter fallen und bereiteten sich auf den nahenden Winter vor, der dem Herbst folgte und in manchen Teilen des Landes weitaus stärker zu spüren war.
Lovisa hatte ihre wohlbehütete Heimat verlassen, kaum dass sie erwachsen geworden war. Das Leben in einem kleinen Dorf mitten im Nirgendwo war wirklich nicht das Richtige für die Lichtelfe gewesen. Das rote lockige Haar peitschte im Wind um ihr Gesicht. Lovisa war schon immer eine der schnellsten Lichtelfen ihres Dorfes gewesen und genoss das Gefühl der Freiheit, welches sie ergriff, wenn sie flog. Aus diesem Grund sah sie es als ihre Pflicht an, sich eine Arbeit als Botin zu suchen. Bereits seit ein paar Wochen flog sie nun quer durch das Reich, um Nachrichten an Familienmitglieder oder Freunde zu übermitteln. Einmal hatte sie sogar einen Auftrag vom Königshaus bekommen. Sie musste dafür zwar nur vom Palast zum Institut für Verteidigung fliegen, aber dennoch war es bei Weitem der aufregendste Auftrag gewesen. Alleine den Palast von innen zu sehen, war für sie eine Ehre gewesen. Dieser Auftrag war gerade einmal ein paar Tage her gewesen und auch dort sah sie bereits, wie sich die Königsfamilie auf das jährliche Fest des Herbstes einstellte. Jedes Jahr am Ende des Monats September veranstaltete die Königsfamilie eine große Feier, um die neue Jahreszeit gebührend zu ehren. Ende September war meist noch schönes Wetter und die Kälte kroch noch nicht in die Körper. Sie konnte dort noch nicht die Dunkelheit in den Herzen der verschiedenen Wesen sähen, die auf den Empfang kamen. Lovisa wünschte sich nichts mehr, als einmal auf einen Empfang der Königsfamilie eingeladen zu werden. Die Einladungen wurden immer an die Adressen per Boten verschickt und genau da stellte sich Lovisa bereits das erste Problem in den Weg. Momentan hatte sie nämlich genau eine Sache nicht: Ein Zuhause. Lichtelfen lebten in Städten in Lampions oder in Wäldern in Hütten aus Blättern. Boten arbeiteten immer in der Stadt, die meisten zogen sich abends in ihre Hütte in den Wald zurück, aber Lovisa mochte den Wald noch nie. Er war ihr viel zu dunkel, da konnte auch das sanfte Licht, welches ihre Flügel verströmten nicht helfen. Nein, sie brauchte einen Lampion, denn insgeheim wusste die junge Lichtelfe, dass ihr das Botendasein nicht reichte. Es füllte sie nicht aus.
„Ach Lichterkugel, ich möchte endlich ein richtiges Zuhause haben!“, stöhnte die kleine Elfe aus und ließ sich neben ihre beste Freundin Marisa nieder. Diese hatte bereits einen Lampion gefunden, dieser war rotbraun, die perfekten Farben für den Herbst. Sobald beide Lichtelfen in dem Lampion waren, verströmte dieser ein orangerotes Licht, welches die Wärme der Hausherrin nach außen trug.
„Weißt du, vielleicht solltest du deine Ansprüche herunterschrauben? Es möchte keiner eine Lichtelfe, die Hauselfe spielt und gleichzeitig auch noch Botin ist. Sie haben Angst, dass du dann den Haushalt nicht mehr schaffst. Du musst dich für eine Sache entscheiden.“ Marisa lächelte Lovisa weise an und wieder einmal bemerkte Lovisa, dass Marisa sehr viel weiser und erwachsener wirkte als sie selbst.
„Ja, aber ich liebe doch das Fliegen. Niemals könnte ich den lieben langen Tag im Lampion sitzen, oder das Haus saubermachen. Ich brauche meine Freiheit! Außerdem habe ich noch immer keinen Lampion gesehen, der mir gefällt…“, murrte die junge Lichtelfe und stützte ihren Kopf in ihre Hände.
„Ich werde nie ein Zuhause finden und deshalb nie auf einen Ball eingeladen werden“, murmelte sie in ihre Hände hinein, sodass Marisa sie nur schwer verstehen konnte.
„Meine Herrin sagte mir einmal, dass hinter dem Institut nun jemand dieses alte Haus bezogen habe. Vielleicht hast du ja dort Glück und findest jemanden, der eine Botin auch als Hauselfe einstellt?“ Als Lovisa zu einer Erwiderung ansetzen wollte, erhob Marisa die Hand und redete weiter: „Und wenn er dir das anbietet, dann wirst du das Angebot annehmen und nicht auf die Farbe des Lampions achten, klar?“ Lovisa überlegte und nickte schließlich. Sie umarmte ihre beste Freundin und huschte aus dem Lampion, sodass dieser nur noch ein rotbraunes Licht verströmte, wie es auch seine Farbe war.
Lovisa flog schnell über die Dächer der Stadt und grüßte hier und da ihre restlichen Freundinnen. Als Botin lernte man schnell die Freundschaften zu schätzen, denn manchmal war die anberaumte Zeit für die Wege schlichtweg zu kurz, sodass sich die Lichtelfe zu einer ihrer Freundinnen wünschte, um so dem Ziel näher zu kommen.
Lovisa blieb vor dem alten Haus stehen und traute ihren Augen kaum. Es zog dort tatsächlich jemand ein. Ein junger Mann hob Kiste um Kiste ins Haus hinein und schien sie nicht zu bemerken. Da es draußen bereits dunkel war, hatte er kaum Licht und stöhnte schmerzerfüllt auf, als er mit der Schulter gegen den Türrahmen lief. Lovisa schlug sie kurz ihre kleinen Hände vor den Mund, bevor sie hinuntersauste und vor dem jungen Mann stehenblieb. Dieser starrte sie verdutzt an.
„Soll ich dir etwas Licht ins Dunkel bringen?“, fragte die Lichtelfe und lächelte zaghaft. Der junge Mann fuhr sich durch sein dunkles Haar und nickte dankbar.
„Das wäre wunderbar, danke. Ich hatte eigentlich nicht geplant, so spät hier einzutreffen, aber unterwegs hatte ich ein paar Probleme auf der Strecke. Aber musst du nicht woanders helfen? Oder in einem Lampion sitzen und den Weg leuchten?“ Lovisa schüttelte lächelnd den Kopf.
„Ich bin eine Botin, deshalb muss ich momentan nirgends sein.“ Sie schloss kurz die Augen und ließ schließlich eine kleine Lichtkugel in ihren Händen entstehen, die sie über den jungen Mann in die Luft hängte. Sie verteilte sie überall im Haus, sodass nunmehr ein Dämmerlicht entstand.
„Da drinnen müsste aber auch mal Staub gewischt werden!“, beschwerte sie sich, als sie leicht hustend wieder nach draußen flatterte.
„Ja, das dachte ich mir schon. Nur habe ich noch keine Hauselfe gefunden und morgen beginnt bereits mein Training im Institut, sodass ich dafür keine Zeit finden werde.“ Der junge Mann seufzte und Lovisa horchte auf. Ihr Herz machte einen kleinen freudigen Sprung, als sie die Worte des Mannes vernahm. Dies war ihre Chance!
„Ich könnte dir dabei helfen.“ Sie ließ das Angebot im Herbstwind stehen und der junge Mann sah sie erstaunt an.
„Aber du bist doch schon eine Botin. Ich möchte nicht, dass du den Rest deiner Arbeit vernachlässigst.“ Doch Lovisa schüttelte bei seinen Worten nur den Kopf.
„Nein, das ist schon in Ordnung. Ehrlich gesagt, wollte ich schon immer eine Hauselfe mit meinem eigenen Lampion sein, aber ich liebe auch das Fliegen. Deshalb bin ich Botin geworden, aber mein Wunsch ein eigenes Zuhause zu haben, ist nie verschwunden. Wenn du also möchtest, dann würde ich gern deine Hauselfe sein. Ich würde natürlich nicht immer da sein, weil ich auch meine Arbeit als Botin behalten möchte. Abends würde ich natürlich immer da sein, sodass es auch von hier leuchtet und ich würde dann auch die Zeit finden das Haus in Schuss zu halten.“ Der junge Mann lachte leise auf.
„Weißt du, das klingt nach einer wunderbaren Idee. Aber wir hätten da ein kleines Problem.“ Gespannt wartete die kleine Lichtelfe die Auskunft ab. „Ich habe keinen Lampion dabei!“ Lovisa lachte erleichtert und drehte kleine Runden um den jungen Mann, um ihre Freude auszudrücken.
„Ich finde jetzt ist dann auch die Zeit gekommen, dass wir uns vorstellen. Ich bin Jesse.“ Er hielt ihr seinen Zeigefinger hin und Lovisa nahm diesen mit ihren kleinen Händen in die Hand und schüttelte leicht dran, als sie meinte:
„Ich bin Lovisa und danke dir vielmals!“
Lovisa verbrachte die Nacht damit das Haus leise zu putzen, nachdem Jesse sich hingelegt hatte. Sie wollte ihre Arbeit gut machen und strengte sich deshalb besonders an. Als der Morgen graute, ließ sie sich schließlich auf eine der Kisten nieder und gähnte. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Nicht nur hatte sie das Haus geputzt, sondern auch schon ein paar Kleinigkeiten – die sie tragen konnte – ausgepackt und so bereits eine wohlige Atmosphäre in das kahle Haus gebracht. Als Jesse die Treppe hinunterkam, staunte er nicht schlecht und lächelte, als er die Lichtelfe erschöpft auf einer seiner Kisten sitzen sah. Müde grinste sie ihn an.
„Du hättest doch nicht die Nacht durcharbeiten müssen!“, stellte er fest und sah sich einer heftig nickenden Lichtelfe gegenüber.
„Natürlich. Oder willst du etwa eine Staublunge bekommen?“ Jesse schüttelte belustigt den Kopf und beobachtete die Bäume in seinem Garten, deren Blätter sich rotbraun verfärbten und dann auf den Boden fielen.
„Na gut, ich finde dann hast du es dir wenigstens verdient, dass wir schnellstmöglich einen Lampion finden, oder?“ Lovisa klatschte begeistert in ihre Hände und ließ ihr glockenhelles Lachen vernehmen. Jesse schnappte sich einen Apfel, den er auf den Weg essen würde und gemeinsam machten sich die beiden auf den Weg in die Stadt.
Sie kamen an unzähligen Geschäften vorbei, aber keiner der dortigen Lampions sagte ihnen zu. Dabei sahen sie sie in allen Farben, die der Herbst zu bieten hatte: ein dunkles Rot, ein sattes Orange, welches mit gelben Spritzern versehen war, ein rostbraun, wie es die Blätter nun zierte, ein helles Gelb, welches in ein Orange überging. Jesse schüttelte beinahe genauso oft den Kopf wie Lovisa und meinte nach dem dritten Geschäft:
„Ich möchte doch keinen Lampion, den jeder hat. Meiner soll etwas Besonderes sein!“ Lovisa stimmte ihm lächelnd zu.
„Welche Farbe hättest du denn gern, Lovisa?“, fragte Jesse, als sie sich auf einer Parkbank eine Pause gönnten. Lovisa überlegte nicht lange, sondern sagte wie aus der Pistole geschossen:
„Türkis!“ Sie sah Jesse überlegen und dann schließlich nicken.
„Ja, die Farbe gefällt mir. Sie ist nicht alltäglich und macht durchaus etwas her. Da ich unten sowieso ein maritimes Thema machen wollte, ist türkis sogar perfekt geeignet. Nur bezweifle ich, dass wir diese Farbe bei dieser Jahreszeit finden.“
„Weißt du, wir könnten den Lampion selbst machen…“, schlug Lovisa vor und Jesse sah sie erstaunt an. Bevor er etwas gegen diesen Vorschlag einwenden konnte, flog Lovisa bereits davon und winkte Jesse hinter sich her in ihren Lieblingsschreibwarenladen. Sie brauchte nicht lange, bis sie das türkisfarbene Papier gefunden hatte, welches perfekt für den Lampion geeignet wäre. Jesse lächelte, als er ihr zustimmte und dann mit ihr Draht kaufte.
Zuhause angekommen, setzten sich beide an den Küchentisch, den Jesse schnell zusammengezimmert hatte. Mittlerweile ging draußen die Sonne unter und Jesse holte ein paar Kerzen hervor, aber Lovisa hatte bereits ihre kleinen Lichtkugeln über den Tisch verteilt. Dieser war nun in ein sanftes Licht getaucht. Jesse holte den Kürbisauflauf aus dem Ofen und sofort verteilte sich der herbstliche Geruch von Kürbis mit den Gewürzen im Haus. Die ganze Nacht bastelten die beiden an dem Lampion, denn er sollte perfekt sein und es graute bereits wieder, als sie schließlich den Lampion an den Giebel des Hauses aufhängten. Sofort huschte Lovisa hinein und ein angenehmes türkises Licht strömte auf das Grundstück. Sie fegte Jesse durch die Haare und ließ sich müde auf seinem Kopf nieder. Das war nun schon die zweite Nacht, in der sie nicht geschlafen hatte und sie spürte, dass sie dies dringend nachholen musste. Doch zuerst musste noch das Laub im Garten zusammengefegt werden. Jesse holte sich eine Harke aus dem Schuppen, welche er vom Vorbesitzer des Hauses übernommen hatte und machte sich daran, dass Laub auf einen Haufen zu fegen. Dass Lovisa dabei auf seinem Kopf döste, vergaß er selbst irgendwann. Es fiel ihm erst wieder auf, als er sich nach vorne beugte und die kleine Lichtelfe in besagten Laubhaufen fiel. Sein lautes Lachen schallte durch den Garten und die junge Lichtelfe funkelte ihn zunächst böse an, bevor sie mit einstimmte. Sie hatte so ein Glück gehabt, dass sie Jesse kennengelernt hatte. Sie zwinkerte dem jungen Mann noch kurz zu, bevor sie sich in ihren türkisfarbenen Lampion begab und den Schlaf nachholte, den sie so nötig hatte. Jetzt musste nur noch die Einladung für einen Ball der Königsfamilie kommen, dachte sie, bevor sie einschlief.