Die Zeit verging quälend langsam.
Bloom, Flora, Tecna und Amber saßen bereits seit geraumer Zeit in Faragondas Büro, doch von der Direktorin fehlte jede Spur.
Das Büro war ein eindrucksvoller Ort und Amber war zum ersten Mal hier.
Da war der kristallene Kronleuchter, der den Raum mit seinem warmen Licht erfüllte. Hinter dem goldenen Schreibtisch war ein hohes Fenster in die Wand eingelassen, das von dicken, roten Samtvorhängen umrahmt wurde.
Dazu passend war da ein hoher, goldener, mit rotem Samt bezogener Stuhl, auf dem normalerweise die Direktorin Platz nahm. Die Wände waren in einem hellen olivgrün gehalten und die Wand rechts beherbergte ein riesiges, goldenes Bücherregal.
An der gegenüberliegenden Wand stand ein kleines rotes Sofa, auf dem die Winx Platz genommen hatten.
Amber blickte unruhig zu ihnen. Sie war neugierig, wollte ihnen tausend Fragen stellen - aber vielleicht war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Am liebsten hätte sie gewusst, ob sie eine Vermutung über ihren neuen Feind hatten... Doch ein Blick in die von Sorge gezeichneten Gesichter sagte ihr, dass es besser war, still zu warten.
Sie hatte sich die berühmtesten Feen Alfeas immer stark, mächtig und voller Selbstvertrauen vorgestellt... Perfekt, wie man sich mächtige Feen nunmal vorstellt. Sie so niedergeschlagen zu sehen, ließ sie spüren, dass niemand, nicht einmal die Winx, immer perfekt waren. Sie waren menschlich und verletzlich. Wie jeder andere auch.
Plötzlich schwang die vergoldete Flügeltür auf und Direktorin Faragonda trat ein.
"Es tut mir leid, dass ihr so lange warten musstet.", sagte sie und schloss die Tür hinter sich.
Dann begab sie sich hinter ihr Pult und schloss die Fenster, gerade so, als ob sie auch ganz sicher gehen wollte, dass sie nicht belauscht werden konnten. Nun drehte sie sich zu den Winx: " Das was ich euch nun anvertrauen möchte, muss streng geheim bleiben. Das gilt auch für dich, Amber. Ich möchte nicht, dass jemand eine Panik auslöst. Verstanden?"
"Direktorin Faragonda, warum sollte -?", begann Flora, doch Faragonda gebot ihr mit einer Handbewegung zu schweigen.
Die Direktorin erschuf ein magisches Diorama auf ihrem Pult. Es zeigte Frauen mit schwarzen Flügeln in schwarzer Kleidung.
"Wer sind die?", fragte Amber.
"... Dienerinnen einer uralten Gottheit. Sie wurden seit Anbeginn der Zeit von Arcadia, der ersten Fee, von dieser Welt verbannt.", erklärte Faragonda., "Sie sahen sich als dunkle Kleriker und nutzten die Kräfte, die die Göttin ihnen verlieh, um Seelen zu sammeln."
"Seelen?", wiederholte Bloom verblüfft.
"Ja. Warum sie das taten, wissen wir nicht. Geschweige denn, wie sie es geschafft haben, zurück zu kehren. Arcadias Magie ist mächtig. Mächtig genug, um die Wassersterne zu verwahren. Es muss einen Grund geben, wieso die Todesfeen das Gleichgewicht erneut stören."
"Moment... Sagten Sie gerade... Todesfeen?",
Faragonda atmete tief ein, als ob sie sich selbst beruhigen müsste,: "Ja. So wurden sie seit jeher genannt. Aber keine Sorge... Eure Freundinnen sind noch am Leben. Wahrscheinlich hat der Mann den ihr beschrieben habt, der Dakeria angegriffen hat, euren Freundinnen das Leben gerettet."
Stille.
"...Wer war denn ihre Göttin? Ich dachte...naja, dass es keine Götter gibt. Der große Drache hat das Universum erschaffen, richtig?", fragte Bloom.
"Der große Drache ist lediglich das Produkt der Göttin des Lebens. Zumindest nehmen wir das an. Der Schattenphoenix hingegen war eine der Kreationen der Göttin des Todes. "
Faragonda ließ das magische Diorama erlöschen und richtete sich auf.
"Soll das heißen... Dass Musa, Layla und Stella...?"
"Ich weiß es leider nicht, Flora.
Es gibt nur wenige Quellen über die Todesfeen. Und ich denke, die zuverlässigste ist es, Arcadia selbst zu befragen."
"Aber... Soll das heißen, es gibt noch andere? Und -?", begann Bloom, doch Faragonda bedeutete ihr, zu schweigen: "Ich weiß, dass das nicht viel Information ist. Aber ich bin sicher, dass ihr im goldenen Königreich mehr erfahren werdet."
Bloom warf Amber einen Blick zu. Sie nickte unmerklich.
"Ich habe bereits mit Saladin gesprochen, aber aufgrund der Alarmbereitschaft wird er keinen der Spezialisten entbehren können. Allerdings...," Faragonda lächelte dabei, "Habe ich euch dennoch ein Schiff besorgen können. Tecna, ich denke du wirst es steuern können."
Tecna strahlte über das ganze Gesicht, "Ich krieg die Kiste schon zum Laufen."
"Das wollte ich hören. Seid vorsichtig, Mädchen. Und passt gut auf Amber auf.", mit diesen Worten verabschiedete sich die Direktorin von ihnen.
Sobald sie das Büro verlassen hatten, wandte sich Bloom an Amber: "Und? Hast du was rausgefunden?"
Amber versuchte noch immer das einzuordnen, was sie gesehen hatte. "Rektorin Faragonda ist besorgt... Sie ... will uns nicht noch mehr beunruhigen... Aber sie glaubt, dass Dakeria... Vielleicht gar keine Todesfee sein könnte... - mehr konnte ich leider nicht herausfinden. Tut mir leid."
"Schon okay. Das hast du gut gemacht.", sagte Bloom.
"Wenn es stimmt und Dakeria tatsächlich eine Todesfee ist, dann sind ihre Kräfte auf einem ganz anderen Niveau, als unsere. Meinen Daten zufolge gibt es keine bekannte Macht, die es damit aufnehmen kann.", sagte Tecna und tippte auf ihrem Laptop herum.
"Vielleicht weiß Arcadia mehr darüber. Egal wie, wir müssen den anderen helfen", erklärte Bloom.
"Brechen wir sofort auf?", fragte Flora zaghaft.
"Natürlich! Warum sollten wir noch mehr Zeit vertrödeln?"
Flora hob beschwichtigend die Hände in die Luft: "Bloom, ich möchte den anderen genauso helfen wie du. Aber wir waren schon mal im goldenen Königreich. Es ist gefährlich dort. Wenn wir unvorbereitet gehen, ko"
"Da hat sie Recht. Erinnerst du dich noch an die Zentauren? Und die Monster? Und soweit ich es recherchieren konnte, hatten wir Glück, dass dies die einzigen Wächter waren, denen wir begegnet sind- ", mischte sich Tecna ein.
"Ich weiß. Aber wir schulden es ihnen.", sagte Bloom geknickt.
"Hey wir schaffen das schon.", versuchte Flora sie aufzumuntern.
"Natürlich schafft ihr das! Ihr seid die Winx!", platzte es aus Amber heraus. Sofort hielt sie sich den Mund zu und lief rot an.
Bloom lächelte sie an: "Das stimmt. Los Mädels, retten wir Stella, Layla und Musa!"
-
Während die Winx sich auf die Reise ins goldene Königreich machten, betrat eine einzelne blasse Gestalt das Lichtfels-Kloster.
Dakeria spürte all die Seelen, die sich hinter diesen Mauern verbargen... Seelen von Tempelrittern und Paladinen... und die verlorenen Seelen der Eingesperrten.
Das Lichtfels-Kloster war eine Festung und zwischen ihr und dem Gefängnistrakt befanden sich nur noch mehrere hundert Sicherheitszauber. Ein Kinderspiel.
Während sie sich ihren Weg ins Innere bahnte, ging sie noch einmal ihre Informationen durch. Die drei Hexen, die man hier verwahrte, würden vielleicht gute Champions der Todesgöttin abgeben. Vorausgesetzt sie kooperierten. Falls nicht, hatte sie ihre Mittel und Wege, um an Informationen über diese sogenannten Winx zu kommen.
Die Wand vor ihr öffnete sich endlich und Dakeria trat hindurch. Auf der anderen Seite sah sie sich abschätzig um.
Sie war in einer Art fröhlichen Blumenwiese gelandet. Schmetterlinge in allen Farben flatterten umher und große Blumen verströmten ihren Duft. Die Sonne strahlte und eine warme Sommerbrise streichelte ihr Gesicht.
Alles wirkte ruhig. Friedvoll.
Dieses Gehabe kotzte sie an.
Sie wusste, dass dies ein Spezialgefängnis war. Das Ziel der Wärter ist es, die Insassen zu besseren Menschen zu machen, anhand von positiven Beispielen. Allerdings wirkte es auf sie eher wie eine Gehirnwäsche.
Sie blickte von dem strahlend blauen Himmel zu den Schmetterlingen und duftenden Blumen am Boden.
Eine Stimme erklang aus einem Lautsprecher: "Guten Morgen! Und nun kommt Bruder Titirus mit dem Wetterbericht. - Danke Bruder Kakuphonix. Es wird auch die nächsten Tage bei einer sanften Brise heiter und trocken sein. - Danke, Bruder Titirus. Und nun zurück zu unserem Musikprogramm!" Es folgte eine Abfolge von beruhigenden, fröhlichen Klängen und in der Ferne erschien das Hologramm eines gutaussehenden Prinzen auf seinem Ross.
Dieser Anblick schien in Dakeria etwas auszulösen, denn sie schoss einen Strahl aus schwarzen Flammen nach der Projektion.
"Das ist eine neue Art von Folter, selbst für mich...", murmelte Dakeria und strich sich genervt eine schwarze Haarsträhne aus dem blassen Gesicht.
Sie erschuf eine schwarze Flamme in ihrer Hand, bereit den Lautsprecher zu zerschmettern -"...Andererseits...", sie schloss die Faust und brachte die Flamme zum erlöschen, "Habe ich bisher JEDE Folter ertragen..."
Ihre Gedanken schweiften ab... An ihre Gefängniszelle. Die rostigen Ketten, die sich in ihr Fleisch gruben... Die Ratten, die auf ihren Tod lauerten... Manchmal schon zu ungeduldig in ihre zarte Haut bissen... die Einsamkeit die sie wahnsinnig machte... ein grausames Lachen in der Ferne...
Ein kühles Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
Sie lief weiter. Die Seelen der drei Hexen waren nicht mehr weit entfernt...
-
In der Zwischenzeit hatten die Winx in dem Dimensionsschiff der roten Fontäne Platz genommen. Es war ein flaches Raumschiff, das Bloom immer ein wenig an einen Rochen erinnerte.
Tecna setzte sich ans Steuer und wies Flora an, ihre Copilotin zu sein. Amber setzte sich mit Bloom nach hinten. Sie schien bedrückt und nervös.
"Was ist los, Amber?", fragte Bloom.
Amber schrak zusammen - offenbar war sie in Gedanken versunken gewesen - dann sagte sie: "... Also... Ich... Ich weiß nicht ob es so gut ist, dass ich mitkomme... Ich meine... Ich habe die Stufe schon dreimal wiederholt und nicht einmal mein Charmix..."
Bloom erinnerte sich. Das Charmix war die erste Verwandlungsform, die eine Fee erlernen kann. Es steigert temporär die Kraft einer Fee und man kann es sich nur verdienen, indem man seine größte Schwäche besiegt.
Sie legte eine Hand auf Ambers Schulter: "Das wird schon. Bei mir war es auch nicht leicht damals..."
"Bei dir? Du gehörst zu den Winx! Den großen Heldinnen der magischen Dimension.", murmelte Amber niedergeschlagen.
"Das stimmt. Aber bis ich Stella kennen gelernt hatte, wusste ich nicht einmal, dass ich eine Fee bin! Gleich bei meiner ersten Stunde in Alfea hatte Professor Wizgiz uns eine einfache Aufgabe gegeben und ich hab es einfach nicht hingekriegt."
"Die erste Aufgabe... Meinst du das Haare färben mit dem magischen Spiegel?", fragte Amber und ein Anflug eines Lächelns breitete sich auf ihrem Gesicht aus, "Meine Haare haben sich bei dem Versuch in Stacheln verwandelt."
"Genau das!", lachte Bloom, "Immerhin ist bei dir überhaupt was passiert!"
"Und hast du auch Kochunterricht bei Sfoglia gehabt?", fragte Amber .
"Wenn ich mich richtig erinnere, war Bloom immer die erste, die sich vor dem Kochunterricht gedrückt hat!", erklang Tecnas Stimme aus dem Cockpit und Bloom und Amber stimmten in das Lachen mit ein.
Bloom verstand Ambers Unsicherheit. Sie kannte das Gefühl und erzählte ihr noch mehr von ihrer Schulzeit. Das schien die junge Fee ein wenig zu beruhigen und ließ die Zeit wie im Flug vergehen.
Bloom war gerade dabei, Amber von ihrem Abenteuer im Wildland zu erzählen, als das Schiff an Höhe verlor und Tecnas Stimme das Ende ihrer Reise bekannt gab.