Musa wurde durch eine wunderschöne Melodie geweckt.
Ihr Kopf tat weh und als sie sich fragte, wie sie hierher gekommen war, fiel ihr alles wieder ein.
Alfea. Der Angriff.
Sie musste unbedingt zurück!
Schnell kam sie wieder auf die Beine und sah sich um. Sie stand auf einer Lichtung. Durch die Bäume hinweg konnte sie die Umrisse eines kleinen Dorfes erkennen.
"...das ist... Melody.", sagte sie überrascht. Offenbar hatte Faragonda sie hierher gebracht.
Musa knirschte mit den Zähnen. Ihre Freundinnen waren in Gefahr. Aber ihr blieb keine andere Wahl. Sie war aus einem Grund hier.
"...dann geh ich mal diese Wächterin suchen...", murmelte sie und sah sich um.
"...hm... Wenn ich eine Wächterin wäre... Wo würde ich mich verstecken?", fragte sie sich.
Wahrscheinlich an einem Ort, den nur wenige Menschen zu Gesicht bekamen. Oder einen Ort, der von den Einheimischen gemieden wurde. Gab es so einen Ort überhaupt in Melody?
Musa beschloss, die Einwohner des Dorfes zu fragen.
Doch als sie näher trat, sah sie, wie Menschen in ihre Richtung rannten - kreischend und in Eile.
"Hey was ist denn hier los?!", fragte Musa, doch die Menschen beachteten sie nicht. Jemand stieß sie um und erst als sie sich auf rappelte erkannte sie eine Gestalt in der Luft. Es war eine junge Frau mit grünen Augen und blutroten Haaren. Sie trug eine seltsame Rüstung mit einem gehörnten Helm und ihre engelsartigen Flügel waren schwarz.
"Wo ist sie?! Sagt-mir-wo-sie-IST!", rief die Fremde und schleuderte bei jedem Wort einen Feuerball auf den Boden.
"Hey, beruhige dich!", brach es aus Musa heraus und gerade in dem Moment, in dem sie sich verwandeln wollte, kam die Fremde neugierig näher.
Musa bemerkte mit Unbehagen, dass sie eine bestialisch aussehende Axt bei sich trug.
Die Fremde musterte sie: "...du... DU!"
Ihre grünen Augen leuchteten vor Freude: "Du hast diese Aura! Du hast Lady Dakeria gesehen, stimmt's?"
Musa war ein wenig perplex.
Andererseits wirkte dieses Mädchen nicht mehr ganz so bedrohlich.
"Wer bist du?", antwortete Musa mit einer Gegenfrage.
"Ich heiße Sharai. Also? Du hast sie gesehen, stimmt's?"
"...stimmt. Sie hat mich und meine Freundinnen angegriffen."
Sharai fiel das Lächeln aus dem Gesicht: "Lady Dakeria würde niemals jemanden ohne Grund angreifen!"
Musa schüttelte den Kopf: "Sicher, dass wir von derselben Person sprechen?"
Sharai wurde ruhig.
"...da... Kann etwas nicht stimmen... Ich muss sie sehen! Bring mich zu ihr!", sagte sie plötzlich.
"...ähm... Tut mir leid, ich hab hier noch was zu erledigen...", sagte Musa.
Sharai verschränkte die Arme: "Hmpf!... na gut. Ich helfe dir bei was-auch-immer und DANN bringst du mich zu ihr!"
Musa überlegte. Es war definitiv gefährlich, wenn Sharai hier blieb. Allerdings gefiel es ihr auch nicht besonders, sie dabei zu haben... Schließlich sollte das doch eine geheime Mission sein.
Andererseits, wenn Musa sie hier lassen würde, würde Sharai vermutlich ganz Melody in Brand stecken.
Außerdem schien sie einiges über ihren neuen Feind zu wissen.
"In Ordnung. Aber du hörst auf, alles abzufackeln."
Sharai seufzte, nickte aber.
Sie verwandelte sich zurück. Nun trug sie eine zerschlissene Ledermontur, die mit vielen Leinenfetzen und dicken Hanfschnüren befestigt war.
Ihr blutrotes Haar war schulterlang und auf einer Seite geflochten.
"Also? Wen suchst du?", fragte sie.
"Öhm...das geht dich nichts an.", sagte Musa unsicher.
Sie hatte das Gefühl, mit einer tickenden Zeitbombe unterwegs zu sein. Hoffentlich würde sich die Wächterin irgendwie blicken lassen.
"Hmpf! ....Schön.", machte Sharai und verschränkte die tätowierten, gebräunten Arme.
"Wie wär's, wenn du mir in der Zwischenzeit von Dakeria erzählst? Wir hatten ziemlich unterschiedliche Erfahrungen, was sie angeht.", schlug Musa vor.
Sharais Augen schienen plötzlich in einem fanatischen Licht zu leuchten: "Oh Lady Dakeria ist fantastisch! Die größte Kriegsherrin, die ganz Val'garath je gesehen hat! Naja und auch die erste."
"Val'garath?"
"Val'garath. Der westlichste Kontinent meiner Welt. Nun ja, eigentlich eher ein Stadtstaat. Reich der Krieger und Schildmaiden!", sagte Sharai.
"...und du und Dakeria stammen von dort?"
"Lady Dakeria? Oh nein - sie stammt von... einem anderen Ort.", Sharai lächelte geheimnisvoll.
Das Lächeln wich aus ihrem Gesicht und sie fuhr mit ernster Stimme fort:
"Sie ist eines Tages einfach so aufgetaucht. Du musst wissen... Val'garath, insbesondere unsere Hauptstadt, Talruin, war seit jeher... Etwas ... Ähm... rückschrittlich... Was die Gesetze angeht. Beispielsweise war es einer Frau nicht erlaubt, ohne männliche Begleitung das Haus zu verlassen. Es war uns untersagt in den Krieg zu ziehen, uns überhaupt draußen blicken zu lassen. ", Sharai trat mit ihrem Stiefel nach einem Stein.
Sie holte tief Luft und fuhr fort: "Schlimmer war es für diejenigen, die als unvollkommen wahr genommen wurden. Menschen die in der Mine zum Beispiel ein Bein verloren hatten. Oder ... Menschen die... Menschen desselben Geschlechts... anziehend fanden... Doch am schlimmsten traf es die Magier. Magie in jeder Form war auf Talruin verboten. Bei allen anderen ... Verfehlungen... Hätte man noch die Chance im Freudenhaus zu ... 'dienen'... Doch als Magier wurde man gefoltert und weg gesperrt. Erst seit Lady Dakeria aufgetaucht ist, hat sich all das geändert."
Musa hatte ihr interessiert zugehört.
"Und wie hat sie das geschafft?", wollte sie wissen.
"Naja. Du musst wissen, sie war nur dort, um einen alten Freund zu besuchen - der wie der Zufall will, niemand anderes als Prinz Xerxes selbst war! Also hat sie die Soldaten überwältigt und ist zum Palast geschlichen. Sobald sie bei Prinz Xerxes war, war sie in Sicherheit, da sie unter seinem Schutz stand.
Sie sah sich in Talruin um... Und besuchte auch die Gefängnisse. Dort traf ich zum ersten Mal auf sie."
"Also bist du eine Magierin?"
Sharai überging diese Frage mit einem nervösen Augenzucken.
Stattdessen fuhr sie fort: "Zunächst habe ich sie verachtet. Sie war frei, ich nicht. Aber Lady Dakeria war niemand, der einen der schon am Boden liegt, mit Füßen tritt. Sie versprach uns, dass wir alle hier rauskommen würden.
Später erfuhr ich, dass sie bei dem ersten Versuch aus der Stadt verbannt wurde. Aber sie schaffte es zurück zu kommen und wurde zu Talruins Heilerin. Sie schien Prinz Xerxes ziemlich wichtig zu sein... Sie schaffte es ihn, und sogar König Arvid, zu überreden, die alten Gesetze zu ändern. Sie hat ihr Wort gehalten... Doch damals traute ich ihr immer noch nicht.
Xerxes vertraute ihr. Aber das änderte sich nach Xerxes' Verlobung mit einer anderen Frau. Xerxes schien... seltsam geworden zu sein. Er folterte Dakeria, nachdem sie sich gegen die Verlobung ausgesprochen hatte und ließ sie weg sperren. Aber sie entkam."
Sharai schluckte. Dunkle Erinnerungen kamen hoch, "...es zog ein Krieg auf. Ein Krieg, den Xerxes' Verlobte angezettelt hatte. Alle Männer wurden an die Front geschickt... viele verloren ihr Leben. Auch mein Vater und meine Brüder."
"Das tut mir leid.", sagte Musa mitfühlend.
Sharai schüttelte den Kopf und versuchte sich zusammen zu reißen, "Xerxes Verlobte wurde gefangen genommen. Das schien ihn wach zu rütteln und er selbst brach auf und suchte nach Lady Dakeria.
Aber als sie zurück kehrten... Hatte der Feind das Land fast gänzlich übernommen. Lady Dakeria war es, die den Plan schmiedete. Sie waren um das zehntausendfache in der Unterzahl. Dakeria konzentrierte sich darauf, ihre Magie zu nutzen und zunächst die am wenigsten bewachten Personen zu befreien - die Unvollkommenen und Kranken. Anschließend die Magier und die, die ... naja. Die früheren Gefangenen eben!
Zunächst wollte sich ihnen niemand anschließen, auch ich nicht. Xerxes hat uns verraten! Uns wegesperrt, für das, was wir sind!
... Lady Dakeria hingegen versuchte, uns zu verstehen.
Das war ...das erste Mal, dass uns jemand zugehört hat.
Sie wollte, dass wir kämpfen, für das was uns noch wichtig war. Unsere Freunde. Unsere Familien. Sie sagte, 'Valgarath fällt erst, wenn der letzte Schild zersplittert ist'. Wir waren noch nicht geschlagen. Es gab noch Hoffnung.
Dakerias Strategie war simpel. Sie nutzte unsere jeweiligen Stärken. Viele der unvollkommenen kannten die alten Minenschächte und zeigten uns einen Weg, ungesehen in die Stadt zu gelangen. Unter ihnen war ein Mechaniker aus Zhaun, der ihnen Waffen anfertigte, die speziell auf die angepasst waren.
Die Magier halfen den ... - denAndersliebenden dabei, Fallen zu stellen. Der Plan war, die Versorgungsschiffe des Feindes zu versenken. Ihre Versorgung zu Kappen, um sie zu zwingen, die Stadt zu verlassen, sobald ihnen die Vorräte ausgingen.
Und jeder von uns lernte von Lady Dakeria wie man einen Verwundeten versorgt. Ihr war wichtig, dass wir uns nicht nur um unsere eigenen Leute scheren.
Am Ende waren wir alle nur Menschen. Sie erinnerte uns stets daran. Doch ich hörte nicht.
Ich war es, die sich nicht an den Plan gehalten hat.
Gemeinsam mit meiner Freundin Vayu bin ich raus geschlichen - wir wollten eines ihrer Lager mitsamt den Soldaten in die Luft sprengen - und wurden von einem Herr umzingelt. Vayu starb in meinen Armen..."
Sharai blieb einen Moment still.
"...ich war umzingelt und allein. Plötzlich... Tauchte ein Schatten am Horizont auf. Lady Dakeria kam zu mir. Sie warf mir meine Axt zu, aber ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Dann zog sie ihr Schwert.
Sie kämpfte allein gegen diese Übermacht... Nach drei Gegnern ... begannen ihre Augen in einem dämonischen Licht zu glühen. Sie richtete ihre Hand auf sie... Und entriss ihnen ihre Seelen.
... sie sprach nicht, während sie mich zurück zu unserem Lager schleppte. Aber ich konnte ihre Wut und ihre Enttäuschung spüren. Und dennoch hatte sie mich gerettet.
Ohne sie wäre ich nicht mehr am Leben."
Musa hatte ihr ruhig zugehört.
"Das klingt so ganz anders, als das was ich von ihr gesehen habe.", sagte sie verblüfft.
"...mit Dakeria in unserer Mitte gewannen wir unsere Heimat zurück. Xerxes' Verlobte - die ihn mithilfe eines Trankes gefügig gemacht hatte - wurde eigenhändig von ihm getötet. Xerxes selbst ernannte sie zur Kriegsfürstin. Und mir wurde die Ehre zu Teil, als eine ihrer Val'kyren zu dienen. Ihre auserwählten Kriegerinnen."
"Aber warum ist deine Lady Dakeria dann hier?" , fragte Musa.
"Ich bin mir nicht sicher. Prinz Xerxes war am Ende dem Wahnsinn verfallen. Er sperrte Lady Dakeria ein, aus Angst, dass sie ihn verlassen könnte. Aber sie entkam und floh. Seitdem suche ich nach ihr."
Musa überlegte: "Also die Dakeria die ich kennengelernt habe, hat mich und meine Freundinnen grundlos angegriffen, bis sie von so nem komischen Typen gejagt wurde."
Sharai schwieg. Sie ballte die Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen: "...das ...kann nicht sein..."
Musa legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter, "...Kopf hoch. Wir werden herausfinden, was mit deiner Lady Dakeria passiert ist... In Ordnung?"
Sharai nickte.
Plötzlich hörte Musa eine Stimme in ihrem Kopf.
'Gut gemacht, Musa... Ich hatte zwar eigentlich eine andere Prüfung für dich, doch du hast bewiesen, dass du du deine Vorurteile über Bord werfen und anderen zuhören kannst, selbst wenn du nicht mit ihnen einer Meinung bist... Ich verleihe dir die Kraft des Portix... Nutze sie weise... Und behalte diese Val'kyre im Auge...'
Musa nickte kaum merklich und spürte einen Bogen in ihrer Hand.
"Komm Sharai. Wir gehen nach Alfea. Meine Freundinnen können dir vielleicht noch mehr über Dakerias Angriff erzählen.", sagte sie.
Sharai wurde misstrauisch: "Ich dachte, du müsstest hier jemanden finden..."
"Och...das ist nicht sooooo wichtig! Komm schon!"