Hope stand am Fenster ihrer Hotelsuite in der zweiundfünfzigsten Etage des Four Seasons in Manhattan und starrte auf das spät nachmittägliche New York hinunter. Wobei, sehen übertrieben war. Sie war vielmehr in Gedanken versunken und versuchte den leichten Schmerz weg zu atmen, der sie jedes Mal überfiel wenn sie in New York war.
In weniger als zwei Stunden würde sie eine Limousine abholen und zu dem jährlichen Wohltätigkeitsball fahren, den sie jedes Jahr für die Belle-Walter-Stiftung veranstaltete. Früher hatten Belle und Walter, ihr Großonkel und ihre Großtante diese Bälle veranstaltet, um den Erlös einer Naturschutz- oder einer Tierschutzorganisation zugutekommen zu lassen. Nach ihrem Tod hatte Bryan, deren Neffe und Erbe des Darsteen-Imperiums die Stiftung gegründet und die Tradition seiner Tante fortgesetzt, auch wenn der Ausschlag für diese Stiftung Lisa gewesen war, Hopes Mutter und Bryans Frau.
Doch vor einigen Jahren, genauer gesagt vor sieben Jahren, hatte ihr Vater sie plötzlich zur Vorsitzenden dieser Stiftung gemacht, obwohl sie es gar nicht wollte. Sie hatte genug mit ihrer kleinen Non-Profit-Stiftung Lil’ Heaven zutun. Doch ihr Dad meinte, sie wäre genau die richtige Person dafür. Seufzend hatte Hope sich geschlagen gegeben und ihre kleine Organisation der Stiftung hinzugefügt, weil sie sonst kaum Zeit gehabt hätte, sich um beides zu kümmern. So saß sie jetzt quasi einer großen Stiftung vor, die sich auf der einen Seite um Natur- und Tierschutz kümmerte und auf der anderen Seite um Familien und Kindern, oder Jugendlichen, aus finanziell schwachen Schichten zu helfen, damit sie zum College konnten oder bessere Jobs bekamen und so wieder eine Perspektive im Leben.
Sie blinzelte mehrmals, um zu verhindern, dass die Tränen ihr über das Gesicht liefen, die ihr in den Augen brannten. Wie jedes Mal, wenn sie gezwungenermaßen hier in New York war, fühlte sie die Trauer und den Schmerz in sich, den sie in Los Angeles, wo sie normalerweise lebte, schaffte zu verdrängen. Auch wenn sie fast täglich an diese eine Woche damals hier in New York erinnert wurde, wenn sie in das Gesicht ihres Sohnes blickte. Diese eine Woche mit diesem wundervollen Mann, in den sie sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Eine Woche war sie glücklich gewesen…
Obwohl sie als junge Erwachsene mit ihrer Zwillingsschwester April von Party zu Party gezogen war und sie den Ruf hatten, Partygirls zu sein, die mit jedem ins Bett gingen, war sie noch Jungfrau gewesen, als sie Cole begegnet war.
Partys waren ihr Leben gewesen, bis sie nach einer Party morgens zurück ins Hotel wollte und einen kleinen Jungen gesehen hatte, der mit dreckiger und zerrissener Kleidung in einer Mülltonne gewühlt hatte, um etwas essbares zu finden. Der Anblick war ein Schock gewesen und hatte ihr tief ins Herz geschnitten. Von da an hatte sie sich mehr und mehr vom Partyleben zurückgezogen und schließlich ihre kleine Non-Profit-Organisation gegründet, die armen Kindern und Jugendlichen oder Familien helfen sollte, die alles verloren hatten, oder denen es einfach nicht gutging im Leben. Die Arbeit war befriedigend und es erfüllte sie mit Stolz, wenn sie sah, wie es Menschen besser ging. Sei es, weil sie endlich vernünftige Arbeit hatten oder einfach nur regelmäßige Mahlzeiten bekamen.
Dann irgendwann hatte sie Derek kennengelernt. Einen netten Mann der erfolgreich einige Firmen besaß und der sie umwarb und umschmeichelte. Hartnäckig hatte er sie umworben, bis sie mit ihm Essen ging. Aus einem Essen wurden zwei, dann drei und irgendwann hatten sie plötzlich eine Beziehung. Trotzdem hatte sie nie mit ihm geschlafen. Sie konnte nicht einmal sagen, warum. Er war nett, charmant, großzügig. Sie hatte sich wohl mit – und bei ihm – gefühlt. Er verstand ihr Zögern, fand es sogar entzückend und machte ihr einen Heiratsantrag.
Sie dachte, sie wären glücklich und alles wäre perfekt, bis sie einen Tag vor dem Ball erfahren musste, dass er sie betrog und das nicht nur einmal. Sondern andauernd und mit immer anderen Frauen. Sie stellte ihn zur Rede und seine Antwort war nur gewesen, er wäre schließlich auch nur ein Mann und bräuchte Sex. Die Frauen würden ihm aber nichts bedeuten, denn lieben würde er sie, Hope. Und wenn sie bis zur Hochzeit warten wolle, müsse er sich eben woanders Erleichterung verschaffen.
Fassungslos hatte sie ihm den Ring vor die Füße geworfen und ihn aus ihrer Suite hinausgeworfen. Doch das schlimmste war, das er am nächsten Tag mit einer anderen auf dem Ball auftauchte und sie somit doppelt demütigte. Sie hatte den Ball nur mit Mühe und Not überstanden und war bei der ersten Möglichkeit, die sich ihr bot, verschwunden, ohne dass es großes Aufheben darum geben würde.
In jener Nacht hatte sie nicht schlafen können und hatte beschlossen, noch irgendwo in einen Club zu fahren, um sich abzureagieren und ihren Frust wegzutanzen.
In dieser Nacht hatte sie Cole getroffen … und sich auf den ersten Blick verliebt.
Sie hatten sich unterhalten, etwas getrunken und sie hatte die Bewunderung und das Begehren in seinem Blick gesehen. Als er sie küsste, war es um sie endgültig geschehen.
Was folgte war eine Woche voller Leidenschaft. Sie hatte sich ihm hingegeben, ohne Bedenken, ohne Bedauern. Das, was sie gefühlt hatte, wenn er sie nur ansah, hatte sie bei Derek nie gefühlt.
Ein Blick aus Coles schönen dunkelblauen Augen, die von dichten, tiefschwarzen Wimpern umrandet waren, hatten dafür gesorgt, dass ihr immer heißer geworden war. Eine Berührung von ihm, war es auch nur zufällig, hatte sie dahinschmelzen lassen. Und als er sie das erste Mal geküsst hatte, war sie rettungslos verloren gewesen. Sein Körper, so hart, so männlich und so stark hatte so perfekt an ihren gepasst. So, als gehöre sie genau dorthin, in seine Arme.
Sie war der glücklichste Mensch auf der Erde gewesen, als er ihr am Ende der gemeinsamen Woche gestand, dass er sich in sie verliebt hatte. Denn sie hatte sich ebenfalls in ihn verliebt und liebte ihn aus tiefstem Herzen.
Doch dann war der Anruf gekommen, dass er zurück in seinen Stützpunkt müsse, obwohl er eigentlich Urlaub hätte. Er hatte ihr versprochen, sich zu melden, so schnell er konnte. Er wollte sie wiedersehen.
Doch dazu war es nie gekommen.
Hope schniefte leise und wischte sich mit dem Handrücken über ihr Gesicht. Einen Tag später hatte er angerufen und ihr mitgeteilt, dass er auf einen Einsatz müsse, nicht wisse, wie lange er weg sein und gefragt, ob sie auf ihn warten würde.
Sie hatte es ihm versprochen.
Doch er kam niemals zurück.
Leise schluchzte sie auf und spürte den Druck in ihrer Brust, während sie die Erinnerungen einfach nicht losließen.
Sie hatte gewartet, … und dann nach einigen Wochen festgestellt, dass sie schwanger war. Es war ein Schock gewesen. Tagelang hatte sie überlegt, was sie tun sollte, bis sie sich entschlossen hatte, dass Baby zu behalten. Gleichzeitig dachte sie aber auch daran, dass Cole ein Recht habe, zu erfahren das er Vater werden würde.
Also schrieb sie einen Brief an ihn und schickte ihn nach Fort Moore in Georgia, wo er als Army Ranger stationiert war. Doch wenige Tage später kam er ungeöffnet zurück. Erst war sie geschockt, tief verletzt und dachte, er habe sie belogen. Doch ihre Freundin gab nicht auf und kontaktierte hinter ihrem Rücken einen alten Schulfreund, dessen Vater Admiral in der Army war.
Hope schniefte erneut, als sie an den Abend dachte, an dem ihre Freundin sie besuchen gekommen war und seltsam bedrückt ausgesehen hatte. Sie war bereits im vierten Monat schwanger und hatte sich damit abgefunden, dass Cole vielleicht ein Lügner gewesen war.
Doch dann hatte Patricia ihr einen Brief gereicht. Sie hatte ihn und Patricia fragend angesehen, bevor ihr plötzlich der Stempel der Army in einer Ecke aufgefallen war. Mit zitternden Fingern hatte sie ihn geöffnet und die wenigen Zeilen gelesen, bevor sie zusammengebrochen war.
Cole hatte nicht gelogen, er war wirklich ein Army Ranger gewesen … doch das schlimmste war, dass in dem Brief in nüchternen Zeilen stand, dass er bei einem Einsatz ums Leben gekommen war.
Auch der beileidsbekundende Satz, hatte an der nackten, kalten Tatsache nichts ändern können.
Cole war tot. Sie hatte nur eine Woche mit ihm gehabt und er würde niemals zurückkommen. Er würde niemals erfahren, dass er Vater werden würde.
Sie würde niemals wieder in diese strahlenden dunkelblauen Augen blicken, die sie so zärtlich und doch voller Verlangen angesehen hatten.
Hope holte tief Luft und strich sich erneut mit zittrigen Fingern über ihre Augen. Aber zumindest hatte sie Corey, ihren kleinen wundervollen Sohn, den sie abgöttisch liebte und der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Auch wenn ihr an manchen Tagen bei seinem Anblick die Tränen in die Augen schossen.
Das leise Summen des Telefons riss sie aus ihren Erinnerungen und Gedanken und kurz holte sie tief Luft, ehe sie abnahm. „Ja bitte?“
„Miss Darsteen, Ihr Wagen ist vorgefahren.“
Fassungslos sah Hope auf ihre Armbanduhr und konnte nur mit Mühe einen Fluch unterdrücken. Sie war nicht einmal ansatzweise fertig. Gerade waren es doch noch fast zwei Stunden gewesen, bis der Wagen kommen sollte. „Bitten sie ihn zu warten. Ich brauche noch ein paar Minuten.“
„Natürlich.“
Hektisch legte Hope den Hörer zurück. Sie war zwar vorhin duschen gewesen, doch sie musste sich noch ankleiden, ihre Haare machen und garantiert war das kunstvolle, aber dennoch dezente Make-up völlig verschmiert, sodass sie es ebenfalls erneuern musste.
Fluchend stürmte sie ins Bad, während sie sich zwang, jeden Gedanken an Cole aus ihrem Kopf zu vertreiben. Es war jetzt fast vier Jahre her, sie sollte doch so langsam damit klarkommen, dass sie ihn niemals wiedersehen würde. Dass Corey seinen Vater niemals kennenlernen würde.