Das erste Kind
Es war der Silvesterabend. In der Kompanie herrschte einigermaßen Aufregung. Die "Buschtrommeln" verhießen nichts Gutes. Wir hatten hier im norddeutschen Flachland eine der größten Schneekatastrophen aller Zeiten.
Meterhohe Schneeverwehungen machten Verkehr nahezu unmöglich. Die Autobahnen waren komplett zu. Nichts ging mehr. Nur der Polizei, Feuerwehr, Rettungswagen und uns, der Bundeswehr war es erlaubt, noch zu fahren.
An allen Fahrzeugen waren die Schneeketten bereits aufgezogen, alles war voll getankt..... Dann kam der Marschbefehl: Verpflegung und Decken aufnehmen und zur Autobahn. Wir sollten uns um die eingeschneiten Menschen in den Autos kümmern.
Kurz darauf ging es schon los. Etwa 45 Minuten später erreichten wir die Autobahn. Unser Truppführer teilte uns in kleine Gruppen ein und schickte uns mit Tee und Decken "bewaffnet" los. Die Jungs von den Pionieren waren mit leichtem Gerät unterwegs. Klappspaten wurden reihenweise verteilt.
Ich wurde einem Abschnitt zugeteilt, in dem sich etwa 10 Fahrzeuge befanden und gab dort an die eingeschneiten und frierenden Menschen Tee und Decken weiter. Mehrere PKW's und ein Camper waren dabei. In einem der PKW's war eine hochschwangere Frau, die zu allem Unglück auch noch in den Wehen lag und in Kürze ihr Kind zur Welt bringen sollte. Alles war in heller Aufregung.
Über Funk ließen wir über die einzelnen Gruppen bei den Leuten nachfragen, ob vielleicht ein Arzt dabei wäre. Leider Fehlanzeige. Doch kurz darauf meldete sich ein Zahnarzt und bot seine Hilfe an. Wir verlegten die Frau kurzerhand unter Protest des Inhabers in den Camper und der Zahnarzt kümmerte sich um sie. Wir brauchten noch weitere Decken, heißes Wasser und Tücher für die Frau.
Den Gaskocher, der sich in einem Klappfach des Campers befand, wollte der Inhaber nicht herausrücken. Er protestierte immer noch. Kurzerhand nahm ein Kamerad von mir ein Brecheisen und brach das Fach auf. Ich stand ungünstig daneben und als er beim ersten Mal abrutschte, traf er genau meine Uhr am Handgelenk. Die war hin - schade, mein Opa hatte sie mir zu meinem 6. Geburtstag geschenkt.
Aber wir hatten den Kocher und konnten heißes Wasser machen! Sichtlich nervös kam der Zahnarzt heraus, um zu fragen, wie weit wir wären. In diesem Moment schrie die schwangere Frau laut auf. Der Arzt hastete zurück. Das Baby hatte soeben seinen kleinen Kopf blicken lassen....
Dann ging alles recht schnell. Die Kleine war wohl neugierig auf den vielen Schnee. Keine 10 Minuten später sahen wir sie. In Tücher und eine Bundeswehrdecke eingewickelt. Drauf stand: "Eigentum der Bundesrepublik Deutschland" - irgendwie witzig..
Der Arzt fragte mich nach der Uhrzeit, weil er wissen wollte, wann das Kind zur Welt gekommen war. ich schaute auf meine Uhr - sie war kurz vor dem Schrei kaputt gegangen. Sie zeigte 0.05 Uhr.
Es war vielleicht das erste Kind in diesem Jahr - und wir waren dabei.....
Tolkien