Mein Stiefvater kommt jetzt immer öfter zu Besuch. Er bringt mir immer mehr Geschenke mit, die ich alle nicht bekomme, weil Marry sie einkassiert.
Aber das interessiert mich nicht weiter. Jedes mal. wenn er da ist, werde ich in den Raum mit der Glasscheibe gebracht.
Jedes Mal der gleiche Ablauf, ich werde hineingebracht, dann bekomme ich (Marry) mein Geschenk und dann werde ich wieder abgeführt. Ein halbes Jahr lang geht das noch mal so, dann kommen sie wieder mit einer Spritze.
Als ich die Schwester kommen sehe, denke ich erst, dass mein Vater wieder da ist, aber dann sehe ich die Spritze in ihrer Hand. Sie sieht, dass ich nah dran bin in Panik auszubrechen und sagt ganz ruhig: „Keine Angst, dass ist nur eine Impfung die ich dir geben soll.“
Ich sehe sie misstrauisch an und schüttele den Kopf. Sie runzelt darauf wütend die Stirn und sagt:
„Bitte ich muss sie dir geben! Wenn du mich nicht lässt, werden Marry und die Männer kommen und sie dir gewaltsam geben, also bitte lass sie mich dir geben!“
Ich seufze, was habe ich denn für eine Wahl.
Also setze ich mich auf mein Bett und warte darauf, dass sie mir die Spritze gibt. Aber sie kommt nicht, sie steht wie angewurzelt da und starrt mich an.
„Du wirst es mir auch nicht erzählen oder? Ich meine, vielleicht ist es deine letzte Chance, denn er wird dich wieder mit nach Hause nehmen.“
Ich schlucke schwer als sie das sagt. Das habe ich nun wirklich nicht erwartet. Alles nur das nicht.
Als ich nicht antworte kommt sie näher und hält mir die Spritze an den Arm. Mit zitternder Stimme bitte ich sie:
„Bitte, ich möchte mit Marry sprechen bevor er mich holt.“
Ich habe gedacht das ich für immer hierbleiben muss. Natürlich freue ich mich von hier weg zu kommen, aber ich will nicht zurück in dieses Haus nicht zurück zu ihm. Aber vielleicht lässt sich das ja noch verhindern, indem ich es endlich Marry sage.
Die Schwester zieht schnell die Spritze zurück und sagt:
„Ich werde ihnen die Spritze danach geben.“
„Woher kommt der Impfstoff?“
Meine Frage scheint sie zu überraschen aber sie antwortet:
„Aus dem Labor ihres Vaters, genau wie das Schlafmittel das wir ihnen gegeben haben.“
Genau wie ich vermutet habe. Wer weiß, was für ein Teufelszeug sie mir da spritzen soll.
Die Schwester geht und holt Marry während ich warte. Als sie kommen sitze ich nicht mehr auf dem Bett. Ich gehe im Zimmer auf und ab. Als sie eintreten setze ich mich wieder aufs Bett. Marry lächelt mich triumphierend an und sagt:
„Nun, haben wir uns also doch endlich entschieden zu reden?“
„Ich möchte das sie die Wahrheit kennen.“
Beide Frauen sehen mich verwundert an.
Marry scheucht die Schwester hinaus und setzt sich neben mich.
„Also was gibt es?“
„Ich habe ihnen ja bereits erzählt das ich keine Mörderin bin.“
„Aber ihr Vater und die Polizei haben handfeste Beweise gegen sie, die beweisen, dass sie ihre Mutter umgebracht haben.“ „Ja ich weiß, die Pistole.“
„Nicht nur, auch die Aussage von ihrem Vater.“
Das überraschte mich, aber dennoch war er nicht mein Vater.
„Er ist nicht mein Vater.“
„Wie bitte?“
„Er ist nicht mein Vater!“
„Was sollte er denn dann sein?“
„Er ist mein Stiefvater.“
„Wirklich das wusste ich nicht, niemand hier.“
„Warum nicht?“
„Das ist doch nicht weiter wichtig, außerdem weichen wir vom Thema ab.“
„Nun gut, allerdings denke ich durchaus, dass es wichtig ist. Ich war zehn als es geschah...“ So geht es weiter bis ich ihr die ganze Geschichte erzählt habe. Am Ende sagt sie nur:
„Ich finde es sehr mutig von ihnen, Angel mir dies zu erzählen. Haben sie dies noch jemand anderen erzählt? Weiß noch jemand davon?“
„Nein sie sind die erste.“
„Das war ein Fehler Mädchen. Dachten sie wirklich Bob hätte sie in irgendeine beliebige Irrenanstalt gebracht? Jeder hier arbeitet indirekt für ihn, mich eingeschlossen. Und natürlich wissen einige wenige von uns bereits was passiert ist. Nun denn, sie werden keine weitere Gelegenheit dazu haben. Ihr Vater wird sie mit nach Hause nehmen.“
„Was?! Was reden sie denn da?! Sie wissen alles und machen mit!? Er ist ein MÖRDER!“
„Ich wusste das von Anfang an, wissen sie! Bob ist nämlich mein Bruder. Ich weiß, dass er ihre Mutter umgebracht hat und ich weiß auch warum.“
Ich bemerke, dass sie etwas in der Hand hält, bekomme aber keine Gelegenheit mehr zu reagieren. Sie hat mir die Spritze bereits in den Arm gerammt. Ich sehe ihr in die Augen und sie sagt spöttisch:
„Ich denke sie dürfen ihre Geschenke jetzt bekommen, Angel.“
Sie ging kurz vor die Tür und kam mit einem Haufen Geschenke zurück. Verdattert sehe ich ihr dabei zu. Ist das ihr ernst?
Als ich mich daran mache sie aufzumachen, sagt sie bevor sie geht noch:
„Viel Spaß, vielleicht komme ich sie ja mal besuchen meine kleine süße, naive Nichte.“
Danach geht sie und ich sehe ihr noch einige Zeit nach.
Nach etwa zehn Minuten habe ich mich wieder gefasst und mache mich ans auspacken. Was um alles in der Welt geht hier vor sich?
In den ganzen Päckchen sind lauter Schmuckstücke und, was mich sehr verwundert, Waffen?
Er hat mir tatsächlich Waffen geschenkt!? Was soll das? Will er etwa das ich ihn umbringe? Ist das eine Art Einladung?
Nein bestimmt nicht. Aber was sollte das dann?
Den Schmuck kann man ja leicht erklären. Aber die Waffen sind etwas ganz Anderes, ich meine, wer bekommt denn bitte:
Einen Bogen mit zehn Pfeilen,
ein Messer,
einen Degen (einen wirklich sehr scharfen) und
drei Pistolen geschenkt!?
Das ist schon nicht mehr normal. Ich meine hallo?! Ist der krank?! Und dann bringt er sie mir auch noch ins Irrenhaus!?
„Nein, er ist ein Genie.“
Ich drehe mich erschrocken um, als eine Stimme dies hinter mir sagt. Ich meine, dass da jemand redet ist ja ganz normal, aber erstens habe ich das nicht laut gesagt und zweitens kam die Stimme von hinten. Das Problem dabei ist, dass ich die ganze Zeit mit dem Gesicht zur Tür sitze und hinter mir nichts ist, als eine Wand.
Ich drehe mich so schnell ich kann um und kann mich gerade noch rechtzeitig vor einem herabsausenden Schwert in Sicherheit bringen.
Vor mir steht ein etwa sechzehn jähriges Mädchen.
Sie hat lange schwarze Haare und schreit mich wütend an:
„Warum weichst du mir aus!? Ich will dich doch nur retten! Du hast keine Chance zu überleben, wenn es zum echten Kampf kommt, die Engel werden dich jagen und dann qualvoll töten! Es geht auch schnell! Also bleib stehen!“
Ich schreie um Hilfe. Sie ist bestimmt eine Verrückte die ausgebrochen ist. Bevor sie auch nur dazu kommt etwas zu tun oder zu sagen, sind zwei Wächter da und sie ist gezwungen zu verschwinden.
Bevor sie hinausrennt, wirft sie mir noch einen traurigen Blick zu und flüstert:
„Du wirst es bereuen glaube mir, ich tue es auch.“
Mit diesen Worten ist sie verschwunden und lässt mich mit zwei wütenden Wächtern zurück. Wären sie eine Minute früher gekommen, hätten sie sie noch gesehen. Aber so, sehen sie mich alleine in einem leeren Raum stehen. Die beiden schreien mich wütend zusammen und gehen dann wieder.
Zum Glück haben sie sich nicht die Geschenke angesehen, dann hätten sie mich bestimmt verprügelt oder sie hätten mich doch hiergelassen, wobei das eigentlich gar nicht so schlecht gewesen wäre.
Als ich meine Geschenke zusammen packe frage ich mich die ganze Zeit wer das gewesen ist, wen meinte sie mit den Engeln und wo ist sie hergekommen? Ich meine sie kam aus dem nichts und verschwand auch im nichts.
Wer ist diese Person!?
Das würde sich sicherlich noch klären lassen, denn anscheinend hatte sie irgendwas mit meinem Stiefvater zu tun und den würde ich ja bald treffen.
Sobald er mich mitnahm. Als ich nur daran denke läuft mir schon ein Schauder den Rücken hinunter. Warum habe ich es der Schwester nicht erzählt. Marry hat Recht, ich würde keine weitere Chance dazu bekommen.
Ich habe einen großen Fehler gemacht.
Marry brachte mir noch einige Taschen, in denen ich die Waffen und den Schmuck verstaute, bevor ich endlich hinausdurfte.
Marry riet mir nicht zu schnell hinaus zu gehen, denn die Sonne würde mich zu sehr blenden. Aber ich höre nicht auf sie, als ich hinaustrete umgibt mich klare frische Luft. Es ist ein wunderbarer sonniger Tag. Zum ersten Mal seit Jahren sehe ich das Irrenhaus von außen.
Es sieht gar nicht wie ein Irrenhaus aus. Es sieht irgendwie wie eine alte Burg oder ein Schloss aus. Definitiv nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.
Aber sollte mich die Sonne nicht eigentlich blenden? Ich sehe mich genauer um und bemerke, dass ich alles erkennen kann.
Marry hat sich wohl geirrt. Als ich mich umsehe und nach meinem Stiefvater Ausschau halte, entdecke ich nur einen brandneuen Wagen. Eine Art Luxuslimousine. Aber nicht mein Stiefvater steigt aus dem Wagen, sondern ein mir unbekannter Mann.
Marry, die noch immer in der Tür steht zieht mich hinter sich und ruft:
„Was willst du hier?!“
Der Mann zeigt auf mich und sagt:
„Ich soll sie abholen und zu ihm bringen. Ich bin für die Zeit ihrer Ausbildung ihr Beschützer!“
„Das ist unmöglich“, höre ich sie flüstern.
Was interessiert sie nur so an ihn, ich meine er sieht ganz gut aus, aber er hat so eine aggressive Ausstrahlung. Jetzt wo ich ihn näher betrachte, scheint es mir als wäre er erst so alt wie ich aber das ist unmöglich, oder?
Er trägt ganz merkwürdige Klamotten und hat eine Art lila Tuch um seinen Hals, seine Schultern, seinen Mund und seine Nase gewickelt.
Dazu trägt er noch eine Krone und eine Art Ketten- Amulett.
All das zusammen lässt ihn aussehen wie eine Art ausländischer Priester mit Führerschein.
Bevor mir klar wird was ich tue trete ich hinter Marry hervor und frage:
„Wie heißt du?“
„Du?“
„Ja du, Problem damit?“
Marry zischt wütend: „Zeig ein wenig Respekt Angel!“
„Angel?“
„Eigentlich Magrit.“
Ah ja, also heiße ich doch so.
Er runzelt die Stirn und fragt: „Warum?“
Bevor sie antworten kann, sage ich frech:
„Du hast meine Frage nicht beantwortet!“
Ohne Vorwarnung richtet er seinen Blick zum ersten Mal auf mich und ich spüre wie ich rot anlaufe. Mit seiner gebräunten Haut, seinen blauen Augen und den silbernen Haaren sieht er doch recht gut aus.
Er sagt:
„Steig ein sonst bekommen wir ärger von deinem Vater!“
Normalerweise lasse ich mir nichts befehlen, aber so wie er es sagt kann ich nicht anders als zu gehorchen. Außerdem kann ich es kaum erwarten, endlich von diesem Ort fort zu kommen.
Als ich meine Taschen in den Kofferraum laden will, kommt er um mir zu helfen.
Aber das will ich nicht. Er würde bestimmt sofort merken das dort lauter Waffen drin sind. Wer weiß, was Bob damit geplant hat. Ich mache ihm mit einem eiskalten Blick klar, dass ich seine Hilfe nicht will aber er lacht nur. Bevor ich es auch nur bemerke nimmt er mir die Taschen aus der Hand und staunt über das Gewicht.
Zu meinem Glück bemerkt er nichts oder er sagt es einfach nicht.
Als die beiden Taschen verstaut sind, hält er mir noch die Tür auf. Ich steige ein. Bevor wir losfahren sagt er noch etwas zu Marry, was sie erbleichen lässt und steigt dann neben mir auf der Fahrerseite ein.
Der Wagen springt sofort an und wir rollen aus dem Vorhof des Irrenhauses, hinaus durch ein großes Tor. Hinaus in die Freiheit.
Dachte ich zumindest.
Als wir schon etwa eine Stunde gefahren sind sagt er:
„Ihr Vater verlangt von mir, dass ich ihnen die Regeln in seinem Haus erkläre und dafür sorge trage, dass sie sich danach richten. Also: 1.Sie gehen niemals unter keinen Umständen in sein Labor.
2.Sie tun nichts was ihnen nicht erlaubt wurde.
3.Sie lassen die anderen in Ruhe und reden nicht mit ihnen.
Und 4.Sie tun was ich oder ihr Vater ihnen sagt. Noch Fragen?“
„Ja! Wer sind die Anderen. Wie heißt du und wer bist du?
Und wo ist Bob?“
Meine Fragen über die komische Frau und die Waffen lasse ich wohl besser aus. Wenn ich das schon jemanden erzählen muss, dann würde Bob mir Rede und Antwort stehen müssen.
Er seufzt und sagt: „Mein Name geht sie nichts an, und die anderen sind ihre Adoptivgeschwister. Ihr Vater ist im Moment für sie nicht erreichbar, er ist an einer streng geheimen Forschung beteiligt und hat keine Zeit für sie, Magrit. Aber es wird nicht mehr lange dauern bis sie ihn wiedersehen.“
„Bitte nennen sie mich Angel, ich heiße nicht mehr Magrit. Ich bin Angel. Einfach nur Angel.“
„Wenn sie ab sofort aber nur noch auf diesen Namen hören, werden sie aber Probleme in der Schule bekommen, das ist ihnen doch klar oder?“
„Schule?“
„Natürlich, sie werden mit mir auf eine Schule gehen.“ Konnte es war sein? Aber Bob würde niemals das Risiko eingehen. Nein, da muss mehr dahinter stehen.
„Bist du auch einer meiner Adoptivbrüder?“
„Nein, genauso wenig wie meine Schwester Nala.“
„Du hast mir deinen Namen noch nicht verraten!“
Er sieht mich verwirrt an und fragt:
„Warum ist ihnen das denn so wichtig?“
„Weil es mich interessiert und basta.“
„Das ist kein sehr überzeugendes Argument.“
„Na und?“
„Nolan.“
„Wie?“
„Mein Name ist Nolan.“
„Oh.“
„Oh?“
„Ja, oh.“
„Hm.“
Mehr sagen wir nicht, meine meisten Fragen sind beantwortet und so schlecht scheint es erst mal nicht zu werden, da er nicht da ist.
Nur das mit der Schule stört mich ein wenig. Aber das ist vorerst egal. Magrit ist in dem Irrenhaus gestorben.
Ich bin Angel!