Du bist Brenna Sundergeer.
Überrumpelt davon, auf Nachricht von Aji und Allyster zu treffen, kannst du nicht klar denken.
„Meine Gefährten sind hier? Bringt mich auf der Stelle zu ihnen!“, rufst du.
„Also ja.“ Der silberhaarige Elf nickt wenig überrascht und wendet sich dann an deine Bewacher. Er sagt etwas auf Dunkelelbisch und macht eine herrische Geste. Du wirst an den Armen gepackt und abgeführt.
Du verfluchst dich in Gedanken. Es wäre vielleicht besser gewesen, dich als verirrte Wanderin auszugeben. Wenn die Dunkelelfen nun schon ahnen, dass ihr gekommen seid, um den Schöpferstein zu stehlen? Möglicherweise hättest du alleine die Chance gehabt, dich dem magischen Stein unbemerkt zu nähern.
Die Dunkelelfen führen dich in den Baumstamm hinein, dann eine schmale, gewundene Treppe hinab in einen größeren Raum, offenbar eine Wachkammer. Ein Tunnel führt zu den Zellen, die erstaunlich gewöhnlich aussehen: Gitter mit verschlossenen Türen wurden in das steinerne Holz gesetzt, dahinter kauern ein paar traurige Gestalten auf dem kalten Boden. Es stinkt nach Scheiße und Elend.
In einer der hintersten Zellen, die nochmals durch eine Tür abgetrennt sind, erkennst du eine dunkelhäutige, kahlköpfige Gestalt.
„Allyster!“
Der Magier hebt den Kopf und schenkt dir ein müdes Lächeln. „Brenna? Haben sie dich also auch erwischt.“
Hinter Allyster kommt Aji zum Vorschein. Der Junge hat die dunkelblauen Augen weit aufgerissen und klammert sich an einen Arm des Zauberers.
Die Zelle wird aufgeschlossen und man schubst dich grob hinein. Während ein Elf zuschließt, wirft dir der andere ein paar Wörter entgegen, die du nicht verstehst.
„Was sagt er?“, fragst du Allyster, der das Gesicht verzieht und behauptet: „Ich kann den Dialekt der Dunkelelfen nicht sprechen.“
Also sind es, wie du vermutet hast, keine besonders netten Worte. Du spuckst dem Elfen vor die Stiefel und setzt dich dann neben Allyster an die Wand der Zelle.
„Schöne Scheiße“, sagst du, nachdem die Elfen gegangen sind.
„Nicht ganz“, meint der Zauberer in gedämpftem Tonfall und nickt kaum wahrnehmbar nach hinten. Du wendest den Blick und bemerkst, dass das Holz direkt hinter Allyster von zahlreichen Kratzspuren gezeichnet ist. Aji zwinkert dir zu und zeigt einen Löffel, den er im Schoß verborgen hält.
Du schüttelst bewundernd den Kopf. „Aufgeben ist für euch nicht drin, was?“
„Ich vernehme Spott“, teilt Allyster dir mit. „Lass mich dich darauf hinweisen, dass sich direkt hinter dieser Wand ein Hohlraum befindet – ein Kanal, der uns nach draußen führen sollte.“
„Woher weißt du das?“, fragst du leise.
Allyster wirft dir einen hochnäsigen Blick zu. „Ich bin Magier. Das Wissen ist mein Spezialgebiet.“
Du verdrehst die Augen. „Wenn die Magie wirklich so toll wäre, könntest du uns einfach hier heraushexen!“
Allyster lässt sich von deinem bissigen Einwurf nicht beeindrucken. Vielmehr schüttelt er seufzend den Kopf, um zum Ausdruck zu bringen, wie hoffnungslos ungebildet du bist. Dein Verlangen, den kahlen Kopf des Zauberers gegen die versteinerte Borke zu schlagen, wächst stetig.
„Fang an“, sagt Allyster zu Aji, bevor du deine Fantasien in die Tat umsetzen kannst. Auf Kommando beginnt Aji, herzzerreißend zu schluchzen. Du siehst einen Moment verwundert zu, wie sich das Kind von dem alten Magier trösten lässt – bist du bemerkst, dass Aji gleichzeitig mit dem Löffel über die Felswand kratzt. Sein Weinen übertönt die Geräusche und Allysters breite Ärmel verdecken die Bewegung des Jungen. Du wärst beeindruckt, wenn du dir nicht gerade eben vorgenommen hättest, den Zauberer zu hassen.
°°°
Eure Flucht geht quälend langsam vonstatten. Es gibt keine Fenster im Kerker und so verlierst du jedes Zeitgefühl. Einige Stunden müssen vergangen sein, vielleicht ein Tag. Aji hat die Wand tatsächlich durchbrochen und einen etwa faustgroßen Durchgang zu … Etwas … freigelegt. Gerne würdest du dich auf den Bauch legen und nachsehen, ob es sich wirklich um einen Kanal in die Freiheit handelt, doch du fürchtest, dass die Elfen dich in dieser verräterischen Pose überrumpeln könnten.
Mit einem bedrohlichen Knirschen und wie befürchtet ohne jede Vorwarnung öffnet sich die Tür zum Zellenraum. Herein treten drei Dunkelelfen, darunter der silberhaarige Elf, der die Gemeinsprache spricht. Sie halten vor eurer Zelle an. Du wirfst einen beunruhigten Blick zu Allyster, doch dessen Miene ist wie zu Stein erstarrt. Ajis Schluchzen wird etwas zittriger. Du kannst nicht erkennen, ob er weiterarbeitet oder den Löffel versteckt. Das Herz pocht dir bis zum Hals.
Die Zellentür wird aufgeschlossen und der silberhaarige Elf tritt, flankiert von zwei bewaffneten Wachen, herein.
„Wir möchten erfahren, wer ihr seid und was ihr hier zu suchen habt“, eröffnet der Elf das Gespräch. „Diese Wahl habt ihr: Wollt ihr es auf dem harten oder dem leichten Wege tun?“
Der Elf hat einen zischelnden, unmelodischen Akzent, den du nicht genau einschätzen kannst. Er betont die Worte falsch und spricht die Konsonanten viel zu hart aus.
„Wir sind Reisende“, sagt Allyster.
„Und ihr habt euch verlaufen?“, fragt der Elf höhnisch. „Natürlich. Dann sind diese beiden anderen deine Familie?“
„Sie ist meine Enkelin.“ Allyster deutet auf dich. „Meine Schwester wurde vergewaltigt, von so einem weißen Bastard. Und den Kleinen hier haben wir aufgelesen.“
Der Elf bricht in Gelächter aus. Die beiden rothaarigen Wachen ebenfalls, woraus du schließt, dass sie eure Sprache ebenfalls sprechen.
„Ein Waisenknabe, aufgenommen voller Großherzigkeit?“, fragt der Silberhaarige und ist mit zwei Schritten bei Aji. Der Elf zerrt den Jungen auf die Füße und aus Allysters Armen. Sowohl Allyster als auch du springen auf, doch da blitzt ein Messer in der Hand des Elfen auf. Aji zittert im Griff des Weißhaarigen, der ihm die Klinge an die Kehle hält. Mit aufgerissenen Augen starrt der Junge zu euch herüber.
„Lass ihn los!“, schimpft Allyster ausgesprochen heftig und will einen Schritt nach vorne machen. Du hältst ihn am Ärmel fest, denn der Silberhaarige erhöht den Druck der Klinge. Aji schluckt, ein Tropfen Blut tritt aus dem hellen Hals aus.
„Und nun – die Wahrheit“, verlangt der hellhaarige Elf. Ihr regt euch beide nicht. Die Wachen treten vor, kommen eurem Durchbruch in der Wand gefährlich nah. Ajis Augen sind vor Angst weit aufgerissen.
„Los!“, zischt Allyster dir zu, so leise, dass du es einen Moment lang für eine Täuschung hältst. Dann springst du nach vorne, auf den hellhaarigen Elfen zu. Im gleichen Moment gibt es einen Knall und eine Explosion hellen Lichts. Du bist geblendet, deine ausgestreckten Arme treffen allerdings auf Widerstand. Du reißt an etwas, dass du schließlich als den Arm des Elfen erkennst. Du schaffst es, das Messer zu packen.
Langsam gewöhnen sich deine Augen wieder an die Dunkelheit, du siehst, dass Aji sich im Griff des Elfen windet. Der Junge tritt ihm vors Schienbein und beißt ihn dann in die Hand. Schreiend schleudert der Elf Aji von sich. Du fängst den Jungen auf und musst dich im nächsten Moment ducken, denn eine der Wachen schwingt ihren Säbel nach deinem Kopf. So trifft der Stahl den hellhaarigen Elfen ins Gesicht und dringt in Wange, Nase und Stirn. Er schreit laut auf. Du packst die Hände der Wache und verpasst ihr eine Kopfnuss, die den Dunkelelfen zum Taumeln bringt. Die andere Wache wird von einem zweiten Lichtblitz getroffen.
Allyster packt dich am Arm. „Raus hier, schnell!“
Wortlos folgst du dem Magier auf den Gang. Ihr rennt an den Zellen vorbei und durch die Wachkammer, die zum Glück verlassen ist. Der Magier führt euch zielsicher aus dem steinernen Baum heraus und auf den Platz.
„Wohin?“, fragt er dann.
„Da!“ Du deutest auf die Öffnung, in die die Elfen zuvor dein Pferd geführt hatten. Ihr stürmt hinein und trefft auf eine Lagerkammer und einen Stall.
In schmalen Zwingern, die wohl für die großen Wölfe gedacht sind, stehen eure Pferde und das Maultier. In einer offenen Kammer daneben entdeckst du eure Sättel, das Gepäck und, zu deiner großen Freude, die Säbel deines Vaters!
Du greifst dir die Zwillingsklingen und einen Beutel mit Brot. Allyster rafft seine Tränke und Flaschen zusammen, Aji packt wahllos einige Trinkschläuche. Ihr werft die Vorräte auf das Maultier und zäumt den Schimmel und die Tinkerstute eiligst.
Du springst in den Sattel, nachdem du den Gurt nur ungenügend festgezogen hast. Der Sattel rutscht, doch du treibst deine Stute mit einem lauten Schrei an. Die Pferde und das Maultier laufen in gestrecktem Galopp aus dem Stall heraus und über den Platz. Dunkelelfen sehen euch überrascht hinterher. Ein Schrei ertönt und mehrere Wachen eilen zum Bogentor. Auf dem Platz steht eine ganze Kompanie Reiter auf Wölfen, die offenbar kurz davor waren, eure Verfolgung in den Wäldern aufzunehmen.
Nur hat keiner damit gerechnet, dass ihr noch im Stall sein könntet.
Du schwingst die Säbel in zwei tödlichen Rädern zu den Seiten deiner schnaubenden Stute. Allysters Schimmel springt hinterher, dann folgt das Maultier. Die Reitertruppe löst sich auf und ihr fliegt durch das Tor, ehe die Wachen euch den Weg abschneiden können. Bergab folgt ihr den gewundenen Straßen durch die immer noch verlassene Stadt im steinernen Berg. Mehrere Pfeile fliegen euch hinterher, du hörst Aji laut schreien. Bevor die Wachen auch nur auf ihre Wölfe springen konnten, habt ihr den großen Baumstumpf verlassen und euch in das Unterholz des düsteren Waldes geschlagen.
Nach einer Weile haltet ihr die Pferde und korrigiert Sattel und Trense. Aji wurde am Arm getroffen, das Blut tränkt das Hemd des Jungen. Allyster bindet die Wunde mit einem Stoffstreifen ab. Er lässt euch nicht zu Atem kommen. „Weiter!“
°°°
Ihr reitet, bis sich endlich die Nacht über das Land senkt. Ihr wechselt so gut wie keine Worte, die Beklemmung ist noch zu greifbar. Werdet ihr verfolgt? Seid ihr in Sicherheit?
Schließlich seid ihr zum Halten gezwungen. Es ist zu dunkel, um auch nur die Hand vor Augen zu sehen und eure Pferde stolpern vor Erschöpfung. Allyster überprüft Ajis Wunde, doch der Pfeil hat den Jungen nur gestreift – die Blutung hat schon gestoppt, aber eine fiese Narbe wird bleiben.
„Das war so nicht geplant“, murmelt Allyster und lacht trocken.
Du musst grinsen. Die Erleichterung über die geglückte Flucht ist endlich spürbar. „Hat doch wunderbar funktioniert!“
Aji weint ein bisschen, wischt sich dann allerdings die Tränen ab und behauptet, er hätte überhaupt keine Angst gehabt.
Ohne auch nur ein Feuer zu entzünden, legt ihr euch unter einen Strauch und fallt sofort in einen tiefen Schlaf. Dein letzter Gedanke gilt Arthrax – du hoffst, dass sein Abenteuer besser verläuft. Die Angst, dass du ihn möglicherweise nie wieder siehst, greift mit eisigen Klauen nach deinem Herz.
Du hättest ihm noch einmal sagen müssen, wie viel er dir bedeutet!
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hierzu keine Fortsetzung.
Um das Canon-Ende für Brennas Teil der Geschichte zu erreichen, musst du dich im Zorn von Arthrax trennen.
Vielen Dank für's Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!