Du bist Arthrax Sundergeer.
„Lass uns gehen“, sagst du zu Elred. „Scheiß auf den Schöpferstein. Das hier ist 'ne Nummer zu groß für uns!“
Der Elf erwidert deinen Blick, dann seufzt er und nickt.
Fünf Minuten später sitzt ihr im Sattel und reitet im vollen Galopp durch die Straßen. Ihr habt nicht mehr gesprochen, vielmehr folgt ihr beide wortlos eurem Ziel, in dem festen Wissen, dass der jeweils andere genau das gleiche Ziel hat.
Eine Staubwolke steigt hinter euch auf, als ihr durch eines der Burgtore prescht und euch dem offenen Land anvertraut. Du fühlst dich wie schwebend, wie im Traum. Plötzlich läuft dein ganzes Leben wie von selbst ab, als wärst du in einen strömenden Fluss gestürzt, der dich nun mit sich zerrt.
Hinter euch ertönten Hörner. Eure Pferde werden von selbst schneller. Orks schreien, schon prasseln links und rechts von dir Armbrustbolzen auf den Boden.
Das hat euch gerade noch gefehlt: Die Orks haben euch bemerkt! Nachdem ihr der Armee bereits einmal entkommen seid, machst du dir eigentlich keine Sorgen, doch noch seid ihr nicht außer Reichweite der Geschosse. Plötzlich hörst du Elred laut schreien. Als du den Blick hebst, sackt der Elf im Sattel zur Seite, ein Bolzen ragt zwischen seinen Rippen hervor und Blut fließt in Strömen über den Sattel und die Flanke des Falben.
„Elred!“, rufst du.
Irgendwie hält sich der Elf im Sattel, bis du dein Kaltblut neben ihn gelenkt hast und nach seiner Schulter greifst. Elred wirft dir einen Blick zu, der dich erschreckt: Sein Mund ist zu einer Grimasse verzerrt, seine Haut so bleich, wie du ihn noch nie gesehen hast. Noch im Galopp schaffst du es, Elred zu dir zu ziehen. Der Elf ist nicht schwer und zudem lässt er sich nicht einfach hängen (wie es jeder vernünftige Mensch tun würde), sondern klettert auch aus eigener Kraft zu dir. Du greifst die Zügel des Falben, der verletzte Elf liegt vor dir quer überm Sattel, und dann treibst du die Pferde weiter, bis Orkstadt hinter euch in der aufziehenden Nacht verschwindet.
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Sobald du sicher bist, dass man euch nicht verfolgt, hältst du an und bettest Elred auf den Boden. Der Elf hat geschlafen oder war ohnmächtig, doch seine Augen gehen flatternd auf, als du ihn auf den Boden legst und dich dann über den Bolzen beugst. Die Stärke dieser Spitzohren ist beneidenswert.
„Die Spitze ist nicht tief eingedrungen“, stellst du fest. „Könnte trotzdem die Lunge erwischt haben. Ich weiß nicht, ob ich den Bolzen rausziehen soll.“
„Er hat die Lunge erwischt“, ächzt Elred mühsam. „Die Wunde wird durch den Pfeil geschlossen gehalten. Auf keinen Fall rausziehen!“
„Schon gut.“ Du hebst beide Hände. „Sag mir, was ich tun soll. Ich bin kein Heiler!“
„Du kannst nicht viel tun“, sagt Elred und bemüht sich, sich in eine sitzende Position zu bringen. Du hilfst ihm zögerlich, sich aufzurichten. „Ich muss zu meinem Volk im Dornenwald, am besten noch heute.“
Du lachst trocken. „Unmöglich!“
„Ich weiß“, sagt Elred, verzieht den Mund und hustet. Als er sich den Mund abwischt, ist seine Hand rot.
Du stehst auf. „Bleib hier und ruh dich aus. Ich hole Holz.“
„Holz? Im Orkland?“, fragt Elred, doch er lässt sich wieder auf die Seite sinken und hat schon im nächsten Moment die Augen geschlossen. Du springst in den Sattel des Kaltbluts und treibst dein Reittier zum Galopp. Es gibt im Orkland kein Holz, denn hier wächst nichts – doch es gibt die Holzstiele gewisser Orkwaffen, das Holz ihrer Armbrüste und Bolzen. Deine Erfahrung mit Menschen im Krieg ist, dass sie sich in erster Linie langweilen und dass Armeen auf der Reise eine Menge Ballast abwerfen. Sie sind wie ein riesiges Tier, das durchs Land zieht, die Kornspeicher der Bauern verschlingt und statt Kot kaputte Wagen und Waffen zurücklässt. Nun, und den echten Kot der Soldaten.
Du brauchst nicht lange, bis du in der Schneise der Orkarmee einen Wagen mit gebrochener Achse und eine ansehnliche Sammlung zerbrochener Lanzen findest. Du arbeitest schnell an dem Wagen – so schnell, dass du dir mehrmals den Daumen quetscht – und kannst die Achse tatsächlich reparieren. Vor Jahren hattest du gemeinsam mit Brenna im Hafen gearbeitet. Die Reparaturen, die du damals erniedrigend fandest, haben sich ausgezahlt. Du kannst mit dem reparierten Wagen zu Elred zurückkehren, der unverändert auf dem Boden liegt. Sein Falbe steht neben dem Elfen und schnaubt, als du endlich wieder da bist.
„Schon gut“, brummst du das Pferd an. „Ich wusste doch, dass du auf ihn aufpasst.“
Du weckst Elred, der noch blasser geworden ist.
„Steh auf“, sagst du und hilfst dem Elfen, in den Wagen zu klettern. Dann wirfst du ihm deinen Mantel zu. „Mach es dir bequem, wenn das irgendwie geht.“
„Was hast du vor?“, fragt Elred.
„Ich bringe dich zum Dornenwald“, sagst du und machst dich vorne am Wagen zu schaffen, wo du die beiden Pferde ins Joch spannst. Der Falbe tänzelt und wirft protestierend den Kopf hoch. Eine Schande – das schlanke Elfenpferd ist kein Zugtier, doch dein Kaltblut wird sowieso eine Menge des Gewichts alleine tragen. Du schwingst dich auf einen provisorischen Kutschbock. Immerhin ist dieser Karren dafür gebaut, von Orks und nicht von Pferden gezogen zu werden.
Du schnalzt mit den Zügeln, die du über zwei Kleiderstreifen verlängern musstest. Hinter dir hörst du Elred leise wimmern, als sich der Karren in Bewegung setzt.
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Grimmig guckst du nach vorne, zwischen den Ohren der beiden Pferde hindurch. Eine gefährliche Reise beginnt, während der Elreds Falbe und dein Kaltblut lernen müssen, im Gleichschritt zu gehen. Normalerweise sucht man sich als Zugpferde zwei Tiere aus, die sich von Anfang an gut verstehen. Manchmal hast du das Gefühl, dass allein deine Willenskraft den gebrechlichen Karren am Laufen hält. Dann fällt dir ein, dass deine Willenskraft herzlich wenig nützt, sollte die Achse erneut brechen.
Am Rand des Orklands kannst du eure Vorräte einsammeln, so musst du dir wenigstens keine Gedanken um Essen und Trinken machen. Elred verschläft die meisten Tage, je länger eure Reise dauert, desto schlechter steht es um ihn. Die Wunde entzündet sich, Elred bekommt hohes Fieber. Du vermeidest es während der Fahrten, den Blick nach hinten zu wenden, doch du kannst nicht verhindern, dass du ängstlich auf das nächste Lebenszeichen hoffst.
In quälend langsamen Tempo umrundet ihr den Salzsee vor dem Orkland und durchquert den Vilrexsumpf. Schließlich steigt das Gelände an und ihr erklimmt die grünen Klippen vor Sonnengrund, von dort aus sind es nur wenige Meilen bis in den Dornenwald.
Schon an der Grenze wirst du von Elfenwachposten bemerkt, die für menschliche Augen unsichtbar sind. Sie fangen dich ab. Ehe du etwas sagen kannst, wird Elred deiner Obhut entrissen. Mit dem Karren, den Pferden und den Vorräten lagerst du am Waldrand und machst dir Sorgen – um Elred, um Brenna, um Allyster und Aji, um das Schicksal von Kalynor.
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Und drei Tage später steht Elred plötzlich vor dir, mit einem verschmitzten Lächeln, als wäre nichts gewesen. „Arthrax.“
„Elred! Geht es dir … gut?“
„Bestens. Die Heiler meines Volkes sind die besten der ganzen bekannten Welt“, sagt der Elf, bescheiden wie immer.
„Ich bin froh, dass sie es sind“, sagst du ehrlich.
„Und ich bin froh, dass du mich aus Orkland rausgebrach hast“, sagt Elred. „Du hattest Recht, das war eine Nummer zu groß für uns. Wir hätten nie im Leben überlebt, nicht mit einer Armee im Nacken.“
„Endlich hört mir mal jemand zu“, brummst du.
Elred schnaubt: „Das wird keine Gewohnheit.“ Dann tritt er neben dich. „Was ist mit Brenna?“
„Ich weiß nichts von ihr“, gibst du zu. „Vielleicht sollten wir zu dieser Taverne und dort warten.“
Elred wirft einen Blick in den Himmel. „Es steht immer die nächste Reise an, wie?“
„Söldnerleben“, meinst du achselzuckend. „Wo wir davon reden, wir sollten unterwegs nach Arbeit Ausschau halten. Immerhin haben wir soeben einen guten Lohn in den Wind geschlagen.“
Elred legt den Kopf schief. „Wie ein mir bekannter Mensch sagen würde: Scheiße passiert.“
Du nickst. Dann geht ihr zu den Pferden.
„Das war ein Abenteuer, was?“, fragt Elred.
„Das war es“, stimmst du ihm zu.
Dies ist kein Canon-Ende, deswegen gibt es hierzu keine Fortsetzung.
Um das Canon-Ende für Arthrax' Teil der Geschichte zu erreichen, musst du dich vor den Orks verstecken.
Vielen Dank für's Lesen und viel Spaß beim Weiterspielen!