„Cam wird ihn umbringen! Du weißt das ganz genau so gut wie ich. Wenn er das erfährt...“
„Jetzt beruhig dich doch mal! Er hat bloß nach deiner Nummer gefragt und dir keinen Heiratsantrag gemacht!“
Cora seufzte. Vor einigen Minuten kam sie völlig aufgelöst in unsere Wohnung und erzählte mir mit hochrotem Kopf, dass Luke sie nach ihrer Nummer fragte. Ich war ein wenig verwundert darüber, dass sie sich Gedanken um Cam machte. Normalerweise war immer sie diejenige, die meinte Cam wäre doch nicht ihr Vater und könne ihr nichts vorschreiben. Es wurmte sie ziemlich, dass Luke ein Freund ihres großen Bruders war, warum wusste ich nicht. Wahrscheinlich hatte sie Angst vor seiner Reaktion, falls er es herausfinden sollte.
Cam war nicht bösartig oder so, aber er achtete auf uns. Bei mir war es nicht so schlimm, denn er wusste, dass ich mich gut selbst verteidigen konnte. Bei Cora aber war er sich da genau so unsicher wie ich, denn so schlau sie auch war, sie war die Art von Frau die oftmals nur durch die rosarote Brille sah. Auch wenn sie es nie zugeben würde, aber sie wünschte sich nichts sehnlicher als eine ernstzunehmende Beziehung. Jemanden den sie in vollen Zügen lieben konnte, jemanden der sie bedingungslos liebte.
Luke war sehr ruhig, zumindest wirkte er auf mich so. Der Grund dafür konnte aber auch der sein, dass er zu beschäftigt war meine beste Freundin zu beobachten. Für mich wäre das nichts gewesen, dieses schüchterne hin und her Starren war genau so interessant wie der TV-Kanal auf dem es nur Kamin-Knistern zu sehen gab. Dennoch war ich auch nach so kurzer Zeit davon überzeugt, dass er ein netter Kerl war. Wenigstens fragte er sie nach ihrer Nummer, wie er das schaffte blieb mir ein Rätsel. Ich ging davon aus, dass er ihr kleine Briefchen schrieb, denn mehr traute ich ihm nicht wirklich zu. Okay, das war gemein.
Langsam aber doch konnte ich Cora beruhigen. Keine Ahnung was ihr Problem war. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen sie hätte weiterhin Panik geschoben, denn nun begann sie von Luke zu schwärmen. Ich verstand sie in keinem Punkt, außer dass er ziemlich gut aussah, das stimmte. Er wirkte auf mich nicht charmant oder lustig, gut ich kannte ihn auch erst seit kaum zwei Wochen, aber Cora eben so. Sie wirkte so ausgelassen und fröhlich als sie von ihm erzählte und anscheinend schien er wirklich Interesse an ihr zu haben. Wenn er ihr wehtun würde, dann bekäme er ein gewaltiges Problem mit mir und vor allem mit Cam. Ich konnte nur hoffen, dass ihm das bewusst war.
Am frühen Abend rief Cam uns an und fragte ob wir in eine Sportbar mitkommen wollten. Es lief wohl irgendein wichtiges Spiel, ich wusste nicht einmal welche Sportart es war. Deswegen wollte ich eigentlich auch nicht mit, aber Cora lag mir im Nacken. Natürlich wollte sie hin, Luke würde auch dort sein. Ihr zu Liebe ließ ich mich überreden und ging mich umziehen. Ich musste meine heißgeliebte Jogginghose gegen eine Jeans tauschen, den dicken Pulli ließ ich aber an, war doch nur eine Sportbar. Cora übertrieb ein wenig, sie zog eine Seidenbluse an und meinte sie hätte nichts anderes gefunden. War ja klar.
Im Auto machte ich mir schnell einen unordentlichen Dutt. Als ich den Motor meines Wagen startete sah ich für einen Moment auf den Beifahrersitz zu Cora. Ich muss sagen ich fühlte mich wie ein Obdachloser neben ihr. Die Haare fein geglättet, schick angezogen und sie trug sogar Lippenstift.
„Was?“, keifte sie mich an.
Ich schmunzelte nur und schüttelte den Kopf. Nichts Schätzchen, nichts.
Als wir in der Bar ankommen wäre ich fast vor Lachen gestorben. Cam sah zu seiner Schwester und schenkte mir einen ’Ihr-verdammter-Ernst’-Blick. Sie hingegen seufzte nur und nahm gekonnt unauffällig neben Luke Platz. Cam konnte echt keine Augen im Kopf haben, wenn er nicht mitbekam, dass zwischen den beiden was lief. Blondie und Tommy waren natürlich auch mit von der Partie.
„Alter, das kann doch nicht dein Ernst sein. Käsesauce ist die einzige Magie auf dieser Welt...“
„Ich passe. Um nichts würde ich das hier... gegen deinen Chemie-Scheiß eintauschen!“
Blondie und Tommy führten gerade eine besonders spannende Diskussion ob Nachos besser mit Käsesauce oder Guacamole schmeckten.
„Sophia?“
„Tut mir leid, Blondie. Ich bekenne mich dazu süchtig nach Avocados zu sein“, antwortete ich ihm mit einem entschuldigenden Lächeln und einem Schulterzucken. Blondie schnaufte nur enttäuscht während Tommy mir die Hand hin streckte um einzuschlagen. Das tat ich dann auch.
„Tolle Frau“, sagte Tommy übertrieben hoch und zwinkerte mir zu.
Der Typ war echt... keine Ahnung. Mir fehlten die Worte, aber er konnte ziemlich witzig sein.
Die Bar wurde immer voller und anscheinend begann auch das Spiel. Es handelte sich übrigens um Football. Team Rot gegen Team Blau oder war es grün?
Keine Ahnung.
Ich fühlte mich hier unglaublich Fehl am Platz, denn auch wenn ich mich konzentrierte erkannte ich keine einzige Strategie in diesem Spiel. Immer wenn ein Spieler begann loszulaufen, grölten ein paar Jungs die an der Bar saßen. Umso lauter sie schrien, umso angestrengter versuchte ich zu kapieren was die auf diesem riesigen Feld taten.
Einmal sprang Blondie so begeistert auf, dass er fast seine geliebte Käsesauce umschüttete. Man glaubt es kaum, aber der Typ hat sich dann bei ihr entschuldigt. Bei seiner Käsesauce!
Ein wenig später ließ er sie langsam von seinen Nachos in seinen Mund laufen, danach schloss er die Augen und stöhnte in Tommy’s Richtung. Das war so widerlich, dass ich meinen Blick abwenden musste und so sah ich, dass Tommy ihn mindestens genau so angeekelte betrachtete wie ich gerade eben. Als er merkte, dass ich zu ihm sah wirbelte er seinen Kopf in meine Richtung und lächelte mich warm an. Abgesehen davon, dass er wirklich heiß war, fiel mir auf, er konnte auch ziemlich niedlich aussehen.
Seine Augen strahlten in diesem wunderschönen Bernsteinton, welchen ich vorher noch nie bei einem anderen Menschen sah. Sie wirkten so warm und gefühlvoll. Er hielt dem Blickkontakt stand und für eine kurze Zeit verlor ich mich in seinen tollen Augen, bevor er mich wieder aus meinen Gedanken riss.
„Holen wir noch was zu trinken?“
Ich nickte und so machten wir uns auf den Weg zu der Bar, worüber mindestens 10 Flat-Screens hingen. Auf jedem einzelnen lief eine andere Sportart und ich fragte mich wie viele Leute wohl wegen der Übertragung der Golf-Partie direkt über mir kamen. Wahrscheinlich niemand.
Tommy fragte mich was ich trinken wollte und so bestellte er einen Orangensaft für mich und einen für sich. Wir nahmen gerade auf den Barhockern vor uns Platz als er leise zu lachen begann.
„Was ist denn?“
„Luke scheint aufgetaut zu sein. Heute sprechen sie sogar miteinander...“
Ich drehte mich um und tatsächlich. Cora hielt zwar den Kopf gesenkt, doch es schien so als würde sie über etwas lachen was Luke sagte. Cam saß direkt neben seiner Schwester und bekam nichts mit, weil er so vertieft in das Football-Match war. Toller Beschützer.
„Mal was Neues oder? Wahrscheinlich könnte er sie sogar abknutschen und Cam würde es im Moment nicht bemerken“, antwortete ich ebenfalls lachend.
„Ich denke nicht, dass die beiden schon so weit sind. Nummern auszutauschen ging zumindest schon mal.“
Tommy sah grinsend zu den beiden. Ich war überrascht, dass er davon wusste.
„Ach, das weißt du? Und du hast es Cam noch gar nicht erzählt?“
„Klar, weiß ich das. Und warum sollte ich es ihm erzählen? Das ist nicht meine Sache. Außerdem werde ich ihm wahrscheinlich auch nichts sagen, wenn ich dich nach deiner frage...“, entgegnete er mir frech und grinste dabei.
Wenn ich dich nach deiner frage? Ach Tommy, netter Versuch.
„Du bist kein loyaler Freund, weißt du das?“
„Ist das so? Also wollen wir eine Nummer schieben? Ich meine du mir deine rüberschieben...“
Ich verschluckte mich an meinem Orangensaft, da ich sofort losprustete. Wenn er nicht so ein charmantes Lächeln hätte, hätte ich ihm jetzt eine geschmiert.
„Du bist so...“
„Liebevoll? Romantisch? Leidenschaftlich?“, bot er an.
„Idiotisch“, entgegnete ich frech.
Seine Augen funkelten als er mir immer näher kam und mich boshaft anlächelte. Ich musste fest schlucken, denn irgendwie bekam ich einen Kloß im Hals. Normalerweise brachte mich niemand aus dem Konzept, aber seine Augen schafften das irgendwie. Er stoppte wenige Zentimeter vor meinem Gesicht, so nahe dass ich seinen süßen Atem riechen konnte.
„Das.war.nicht.nett“, sagte er so langsam und mit tiefer Stimme, dass ich fast Gänsehaut bekam.
Okay, Abbruch! Irgendwas beunruhigte mich hier und plötzlich fühlte ich mich komisch. Irgendwie... verlegen? Oh Gott, Tommy muss weg. Niemand brachte mich dazu schüchtern zu sein. Weg mit ihm.
Ich verdrehte die Augen und lehnte mich ein Stück zurück um ihm nicht mehr so nahe zu sein. Schwerer Fehler, wie sich heraus stellte, schwerer Fehler. Genau in diesem Moment sprangen zwei junge Männer neben mir auf, schrien und fielen sich dabei in die Arme. An sich wäre das ja kein Problem. Einer der Trotteln vergaß aber, dass er seinen Bierkrug noch in der Hand festhielt und so kippte er mir das ganze Zeug über den Kopf.
Ich hatte die Augen geschlossen und spürte wie Bier mir über mein Gesicht rann. Ich war klitschnass, mein Pulli war nun in Alkohol getränkt und sogar von den Fingerspitzen tropfte mir das Gesöff hinab. Verklebte Haarsträhnen lagen an meiner Schläfe und meine Wangen liefen rot an. Nicht vor Scham, nein. Das Bier war eiskalt und perlte noch immer an mir herab. Anstatt wütend auszurasten sah ich zu Tommy, welcher sich die Hand vor den Mund hielt um nicht zu lachen. Plötzlich begann ich selbst zu lachen, während der Trottel neben mir sich hundertmal entschuldigte.
„Du hast eine ganz schöne Bierfahne!“
Ich schlug Tommy für diesen Kommentar auf die Brust und riet ihm besser die Klappe zu halten. Gemeinsam gingen wir wieder zu unserem Tisch zurück. Der Abend war wohl für mich gelaufen, nicht weil ich eine Spielverderbin war, sondern weil ich echt übelst stank.
Cam sah mich entsetzt an, Blondie kicherte und Cora und Luke bekamen nichts mit, da sie in ihrer eigenen Welt waren.
Ich verabschiedete mich und fragte Cam ob er seine Schwester später nachhausen bringen könnte, er willigte zwar ein doch mein Vorschlag wurde sofort unterbunden.
„Ich bring dich schon nachhause. Kein Ding, Cora soll dein Auto nehmen“, bot Tommy höflich an.
Es klang ziemlich... ich weiß nicht, es klang einfach ZU freundlich. Irgendetwas führte er im Schilde und so sah ich ihn nur verwirrt an. Nachdem ich versuchte ihm zu erklären, dass es kein Problem für mich wäre selbst zu fahren, wollte er nichts mehr hören. Er bestand darauf mich zu fahren und zog mich hinter sich zum Ausgang. Gerade noch konnte ich meinen Freunden zum Abschied winken, nur Blondie erwiderte es abwesend, die anderen waren zu beschäftigt mit anderen Dingen. Friendship-Goals würde ich mal sagen!
„Dir ist bewusst, dass du dein Auto danach bestimmt reinigen musst. Deine Ledersitze werden fürchterlich nach Bier stinken.“
Er öffnete mir die Beifahrertür um mich einsteigen zu lassen. Danach lief er um die Motorhaube und ich könnte schwören ihn, dass er so etwas wie ’das ist es mir wert’ murmelte. Unbeeindruckt davon sah ich mich in seinem Wagen um. Es roch sehr männlich, nach seinem Aftershave. Ich musste zugeben er roch ziemlich gut, es war etwas Frisches, aber doch etwas Starkes. Der Wagen an sich war ziemlich schick und modern, ich liebte Range Rover, vor allem weil es wahrscheinlich die einzige Automarke war, die ich kannte. Umso weniger verstand ich warum er mich in meinen stinkenden Klamotten heimbringen wollte.
Als er sich am Fahrersitz setze, drehte er seine Kappe mit dem Schirm nachhinten und lächelte mir zu.
„Irgendwelche Musikwünsche, Madame?“
Jetzt hätte ich ihm zirka 200 Songs aus dem Stehgreif sagen können, welche ich alle gleichzeitig hören wollte. Doch eigentlich interessierte ich mich für seinen Geschmack. Ich überlegte welcher Musiktyp er so war. Vielleicht R’n’B oder Hiphop? Etwas rockiges konnte ich mir auch vorstellen.
„Mach mal deine Playlist an“
Er sah mich an als würde er nachdenken ob das wirklich eine so gute Idee wäre, doch schlussendlich drückte er auf einen Knopf und die Musik begann. Ich war ziemlich überrascht, denn es waren hauptsächlich Cover-Songs. Alles ziemlich langsame gefühlvolle Versionen und alle klangen sie wunderschön. Ich summte bei einigen Songs mit, welche ich wieder erkannte. Während draußen die Gegend schnell an uns vorbei verschwand, dachte ich darüber nach ob Tommy nicht doch vielleicht ein kleiner Softie war.