Albus Dumbledore machte sich nach seinem Besuch bei den Dursleys heftige Selbstvorwürfe. So viele Jahre hatte er sich nicht um Harrys Wohlergehen gekümmert. Mit für ihn untypischer Naivität hatte er erwartet, dass es Harry bei seinen Verwandten schon irgendwie gut ginge. Jetzt erfuhr er, dass die Dursleys einen kleinen Jungen ohne größer zu zögern, in die Hände eines berüchtigten schwarzen Zauberers gegeben hatten. Das Gespräch war sehr unergiebig und verwirrend gewesen. Petunia erzählte, dass Malfoy den Jungen einfach direkt adoptiert hatte. Er hatte wohl 50.000 Britische Pfund dafür bezahlt. Für die Malfoys sicher nicht sehr viel, aber dennoch. Vernon sagte, er hätte ihm das Kind auch so gegeben. Nach diesem Gespräch glaubte ihm Dumbledore. Warum nur hatte er nie nach dem Kind gesehen? Dieser Schrank unter Treppe – entsetzlich. Er hatte Harry Potter verraten, dachte Dumbledore und auch ein Zitronendrops überdeckte den bitteren Geschmack dieser Erkenntnis nicht.
Magische Adoptionen gingen viel schneller und einfacher, als die von Muggeln. Es bedurfte nur des freiwillig gegebenen Blutes, der letzten lebenden Verwandten und eines Mitgliedes der neuen Familie. Warum hatte Malfoy den Jungen nicht einfach so mitgenommen? Anders gesagt, sehr wahrscheinlich konnte man die Adoption nicht mehr rückgängig machen. Sie war nach Zaubergesetzen nicht anfechtbar. Erst wenn Harry eines Tages volljährig wäre, konnte er unter bestimmten Umständen die Adoption rückgängig machen. Die Umstände waren klar formuliert, die Malfoys müssten sich der Verwandtschaft als unwürdig erwiesen haben oder er müsste ein Mitglied der Familie ehelichen wollen.
Warum Lucius jedoch Potter adoptiert hatte, blieb Dumbledore unklar. Wollte er Potter töten, hätte ein einfacher Avada Kedavra oder eine Muggelwaffe das Problem sicher gelöst. Einen plötzlichen Ausbruch von Menschen – und Nächstenliebe konnte man bei Lucius auch ausschließen. So oder so Albus hatte bereits drei Tage damit gewartet, die Hogwartsbriefe an Draco und Harry zu schicken. Es gab keinen Anlass, der es gerechtfertigt hätte, sie nicht nach Hogwarts zu holen. Beide hatten ausgesprochen hohes, magisches Potenzial. Außerdem war Lucius Malfoy schon seit Jahren unglücklicherweise Schulrat. Schweren Herzens schickte Albus beide Briefe ab. Auf jeden Fall würde Harry Potter in Hogwarts ausgebildet werden, dass waren sie dem Jungen schuldig.
Harry liebte es das weite Gelände von Malfoy Manor vor dem Abendessen zu erkunden. Draco zeigte ihm alle seine Lieblingsplätze. Die Schaukel in der großen Buche konnte man zu zweit benutzen. Nach einem langen Tag des Stillsitzens schaukelten beide ziemlich wild. „Das ist wie Fliegen“, jauchzte Harry. Dieses Mal widersprach Draco ihm mit leuchtenden Augen. „Stimmt nicht. Fliegen macht noch viel mehr Spaß.“ Er sprang im Flug von der Schaukel. Der andere Junge quietschte vor Schreck und sprang direkt hinterher. Auf ihren beiden hellen Hosen zeichneten an den Knien nun deutliche Grasflecke ab. Harry rollte sich über den Rasen und atmete den Duft des Frühlings ein. Sein Bruder grinste ein wenig überheblich: „Sag bloß, Du bist noch nie geflogen?“ Harry knuffte ihn leicht und liebevoll die Seite: „Du Angeber. Erzähl mir nicht, Du könntest fliegen.“ Auf einmal wurde Draco ernst. „Na klar, das kannst Du nicht wissen. Wir Zauberer können auf Besen fliegen. Ich fliege ziemlich gerne. Los, lass uns meinen Besen holen und wir drehen eine Runde.“
Sie rannten mit jener Atemlosigkeit und Aufregung zum Manor zurück, die nur Kindern zu Eigen ist. Ein bisschen schmutzig und völlig außer Atmen liefen sie Narcissa in die Arme. Draco schnappte nach Luft und sah in ihr besorgtes Gesicht: „Alles klar Mum. Mir geht es gut. Dürfen wir fliegen?“ Die leise Besorgnis wich nicht aus ihrem Gesicht, dennoch erlaubte sie unter einer Bedingung: „Du passt aber auf, dass Du Dich nicht überanstrengst und denkt bitte an das Abendessen.“ Dobby brachte ihnen die Ausrüstung nach draußen, währenddessen erklärte Draco: „Mum, macht sich immer Sorgen, weil ich früher sehr oft krank war.“, antwortete er auf Harrys ungestellte Frage. „Du warst krank? Geht es Dir denn jetzt wieder gut?“ Draco beruhigte ihn: „Ja. Früher musste ich oft den ganzen Sommer drinnenbleiben. Seit letztem Jahr geht es mir wieder richtig gut. Heiler Summer hat mir geholfen. Er war sehr lieb zu mir.“
Harry empfand aufrichtiges Mitleid für Draco: „Da warst Du bestimmt oft traurig.“ Draco nahm Dobby den Besen ab: „Danke, Sir.“, sagte Harry. Sein Bruder staunte über dieses ungewöhnliche Verhalten: „Warum sagst Du denn Danke zu einem Hauselfen?“ Verwirrung übernahm Harrys Gesicht: „Man sagt doch immer Bitte und Danke. Das ist ein Zeichen von guter Erziehung.“ Draco entschied sich das schwierige Thema gutes Benehmen zu umgehen. Vielleicht hatte Harry recht. Immerhin war sein neuer Bruder ziemlich schlau und nett war er sowieso. Er griff das vorherige Thema wieder auf: „Dir kann der Heiler bestimmt auch helfen.“, ermutigte er Harry mit Hinblick auf den kommenden Freitag. „Ich hab´ ein bisschen Angst davor.“, gab Harry zu. „Du musst keine Angst haben. Wenn Du im Bett bleiben musst, können wir zusammen Schach spielen oder so. Jetzt aber los fliegen wir.“