Die nächsten Tage verliefen in angenehmer Gleichförmigkeit, so erholte Harry sich gut. Außerdem freuten sich die Brüder sehr auf den Besuch im Zoo. Diese Vorfreude motivierte sie sehr, sich anzustrengen und hart zu arbeiten. Harry erlebte mehr und mehr Erfolge im Unterricht. Draco stand ihm dabei in nichts nach. Letztlich wuchs dadurch die Nähe der beiden Jungs. Wenn sie sich auch nicht ähnlich sahen, konnte man sie ohne weiteres für zweieiige Zwillingen halten.
Am Samstagmorgen bereiteten sich alle Familienmitglieder auf ihren Ausflug. An und für sich hasste man in der Familie Muggel, dennoch verfügten alle über ein entsprechendes Repertoire passender Kleidung. Narcissas Frühlingskleid entsprach dem eleganten Stil der fünfziger Jahre, so dass sie durchaus Ähnlichkeiten mit der jungen Audrey Hepburn hatte. Draco und Harry trugen schwarze Designerjeans und grüne Oberhemden, diesen Stil sollten sie später beibehalten. Lucius wirkte wie ein gewöhnlicher Geschäftsmann, auf dem Weg in den nächsten Termin. Damit waren sie ziemlich ungewöhnlich für einen Zoobesuch ausstaffiert, aber immer noch weitaus besser, als die meisten Zauberer, die in der Muggelwelt unterwegs waren. Sie reisten mit Flohpulver zunächst in die Winkelgasse und verließen die Zauberwelt durch die Wand beim Tropfenden Kessel. Viele Leute starrten sie überrascht an und fragten sich, ob es wirklich Harry Potter war, der dort mit den Malfoy durch die Mauer schritt. Allerdings wurde sie von niemandem belästigt.
Ein Taxi brachte sich zügig zum Zoo. Gemütlich bummelten sie an den Gehegen mit den unterschiedlichen Tieren entlang. Narcissa erzählte Jungs eine Menge Wissenswertes über Elefanten, Affen und Gnus. Allerdings interessierte sich insbesondere Draco am Meisten für ein hinreißendes, freilebendes Eichhörnchen, das kopfüber von Baum zu Baum jagte. Eigentlich wäre er am liebsten bei dem possierlichen Tier geblieben. Er bedauerte sehr, dass es auf Malfoy Manor keine Eichhörnchen gab. Sie beobachteten das Tier eine Weile und Narcissa verwandelte unauffällig eine leere Bucheckernschale in einige Walnüsse. Draco gelang es damit und mit sehr viel Geduld, das scheue Tier fast bis zur Handnähe zu locken. Harrys Interesse an Eichhörnchen war eher gering. Es zog ihn ins Tropenhaus, dennoch wartete er geduldig bis Draco sein Spiel beendet hatte. Lucius beobachtete seine Söhne genau. Harry gab für Draco tatsächlich einen perfekten Gefährten ab, vor allem weil er sich leicht führen ließ. Irgendwann verlor Draco sein Interesse an dem Eichhörnchen.
Endlich konnte Harry zum Schlangenhaus, in dem er sich sofort wohl fühlte. Besonders eine mächtige Boa hatte es ihm angetan. Ihre Haut glänzte wunderschön im Kunstlicht. Aus keinem logischen Grund heraus sprach er sie an: „Sie sind sehr hübsch.“, sagte er freundlich. „Danke, Sir. Sie sind sehr gut gekleidet. Kommen Sie aus London?“, setzte die Schlange die Konversation fort. „Er spricht Parsel.“, hauchte Narcissa fassungslos in Lucius Ohr. „Allerdings…“, wisperte Lucius genauso überrascht. „Unglaublich. Er spricht tatsächlich Parsel.“, wiederholte sich seine Gattin ungläubig. Der wahre Erbe Slytherins, dachte Lucius. Sie störten Harry nicht, sondern setzten sich auf eine Bank und überließen ihn seinem Gespräch.
Harry unterhielt sich sehr angeregt mit der Schlange. „Es gibt nur sehr wenige so gut erzogene Jungen wie Sie.“ Der Junge lächelte freundlich: „Ich habe noch nie eine so höfliche Schlange wie Sie getroffen, Sir. Die meisten sind etwas verschlossener, wie die letzte Kreuzotter mit der ich mich unterhalten habe.“ Die Boa züngelte leicht überheblich: „Kreuzottern sind fürchterlich gewöhnlich. Finden Sie nicht auch?“ Was das genau bedeuten sollte, war Harry nicht klar. „Mr. Ottersfield hatte einen gälischen Dialekt, war aber wie gesagt sehr verschlossen. Außerdem ist die Zeichnung auf Ihrem Rücken viel schöner. Haben Sie Familie?“, betrieb er die Unterhaltung weiter. Er hatte es noch nie ungewöhnlich gefunden, sich mit Schlangen zu unterhalten. Allerdings hatte er es noch nie jemandem gegenüber erwähnt, weil er bei den Malfoys keinen Anlaß dazu gehabt hatte. Den Dursleys gegenüber erwähnte er sowieso nichts. „Nun ja. Ich weiß es nicht genau. Wir Schlangen sind nicht besonders familiär, müssen Sie wissen. Wie ist eigentlich Ihr Name? Mein Name ist Nemesis Deatheater.“ Diese Unterhaltung war wirklich angenehm. „Hallo Mr. Deatheater. Ich bin Harry Potter. Dort drüben wartet meine Familie. Wir alle mögen Schlangen sehr gern.“ Nachdem sie sich ausgesprochen hatten, kehrte Harry zu seinen Eltern zurück.
Lucius begann seine Nachfragen vorsichtig. „Habt Ihr Euch gut unterhalten?“ Er legte seinen Arm um Harrys Schultern und ging mit ihm langsam an den anderen Schlangen vorbei. „Schau mal, Lucius. Ist sie nicht wunderschön. Eine Erdviper.“, wies der Junge auf ein beeindruckendes Exemplar. „Entschuldige bitte. Du hattest gefragt, ob wir uns gut unterhalten haben. Oh ja. Mr. Deatheater war sehr freundlich und höflich.“ Der Name der Boa überraschte Malfoy noch weit mehr, als die Tatsache, dass Harry Parsel sprach. „Höfliche Schlangen sind etwas sehr erfreuliches. Seit wann sprichst Du mit ihnen, Harry?“, fragte er weiter, während sie dabei zusahen, wie die Viper eine Maus verschluckte. Lucius fand, das der Todeskampf der Maus durchaus lehrreich für Harry und Draco sein konnte. Das Sterben einer schwachen Kreatur ertragen zu können, ohne ihr zu helfen, passte ausgezeichnet in seine Erziehungskonzepte. „Seitdem ich fünf bin, glaube ich.“, sagte Harry ohne seinen Blick von dem dramatischen Schauspiel zu wenden. Die Maus tat ihm leid, bis Lucius sagte: „Die Maus dazu bestimmt, der Schlange zum Opfer zu fallen. Es ist ihr natürlicher Platz. Wer zu schwach ist, muss sich dem beugen, der stärker ist.“ Draco hatte dererlei Lektionen schon oft gehört und tief verinnerlicht, auch wenn er sehr froh war, dass es sich um eine Maus handelte – nicht etwa um ein Eichhörnchen.