„Ein bisschen,“, gab Draco zögerlich zu. „Wollen wir wieder ins Bett gehen?“, fragte Harry vernünftig, sah dann aber dieses Schmollmündchen, mit dem der Andere ihre Eltern oft um die Finger wickelte. „Kannst du mir nicht eine Decke holen?“, fragte Draco auch direkt. „Wir dürfen die Bettdecken nicht durch den Schlafsaal schlurren,“ wandte Harry widerwillig ein. Es war eine dieser unzähligen Regeln in Slytherin, die für Ordnung sorgen sollten. Dennoch stand er auf und schaute in seinem Schrank nach irgendetwas warmen. Keiner seiner 12 verschiedenen Umhänge schien für drinnen geeignet. Sie hatten zwar feinste Qualität, aber um sie über einem Pyjama zu tragen, wärmten sie dann doch zu sehr. Er sah noch einmal genau nach und entdeckte ein silbrig schimmerndes Textilstück, das er bisher noch nie bemerkt hatte. Harry zog das federleichte Stück Stoff aus dem Kleidungsstapel.
Einige Sachen fielen heraus. Er kümmerte sich nicht weiter darum, seit dem er Dobby das Mineralstückchen geschickt hatte, wurden Draco und er von den Hogwartshauselfen weitaus mehr verwöhnt. Die kleinen Zaubergehilfen räumten und putzten ihnen ständig nach. Auch bekamen sie oft kleine Süßigkeiten auf ihre Kissen gelegt.
Der Stoff fühlte sich kühl und seidig an – irgendwie exklusiv. „Draco, willst du die Decke haben?“, fragte er den anderen leise. Da purzelte ein Buch aus dem Schrank, das Harry noch nie gesehen hatte. Es hatte offenbar unter Harrys Kleidung gelegen und war durch das Zerren heraus gefallen. Er hob es auf und warf zunächst nur einen kurzen Blick darauf. „Ja gerne,“ sagte Draco zwischen zwei kleinen Feenniesern. Harry warf ihm den Stoff zu ohne hinzusehen.
Draco legte sich den Stoff über die Schultern und quietschte leise vor Überraschung. Kaum hatte er sich eingekuschelt, verschwanden seine Beine plötzlich. Er wusste sofort, worum es sich handelte. Schließlich hatte er sein ganzes Leben unter der Elite der Zaubergemeinschaft verbracht „Woher hast du einen Tarnumhang? Die sind unglaublich selten und teuer.“ Pragmatisch antwortete Harry: „Aus meinem Kleiderschrank…“ Noch immer hielt er das in Leder gebundene Buch in Händen. Im Moment spielte es jedoch keine Rolle. Sie probierten den Umhang auf jede erdenkliche Art aus und Draco vergaß sogar seinen blöden Schnupfen. Sie spielten mit dem magischen Artefakt und beschlossen, niemandem davon zu erzählen. Die Erwachsenen würden den Umhang sicher in Verwahrung nehmen, weil er so selten und teuer war.
Weit nach Mitternacht schlüpften sie beide in ihre Betten und der blonde Malfoy schlief mit einem letzten kleinen „haptschi“ ein. Harry spürte wegen der Aufregung die Müdigkeit nicht. Woher kam dieser Umhang nur? Er zog die Vorhänge seines Himmelbettes wieder zu und entfachte mit „Lumos“ ein kleines Licht. Noch immer hatte er dieses Buch bei sich. Irgendwie musste es mit dem Umhang zu tun haben, da war er sich sicher. Er schlug es auf und begriff erst jetzt, dass es sich um ein Fotoalbum handelte. Ihm winkte eine kleine Familie zu. Die Frau erkannte er sofort. Es war Lily Potter, seine Mutter. Dann musste er der Junge sein, den sie auf dem Arm hielt und der Mann mit der Brille und den struppigen Haar sein leiblicher Vater - James Potter. Harrys Gefühle verwirrten ihn zutiefst. Noch nie hatte er ein Bild von James Potter gesehen. Er empfand tiefe Sympathie für diesen lächelnden und freundlichen Mann. Dabei wusste er doch genau, dass James Potter ein Angeber und Versager war. Dieser Mann mit dem kecken Grinsen trug die volle Verantwortung für das Zerbrechen seiner – Harrys Familie. Trotzdem mochte Harry das warme Leuchten der Augen, die ihn offen anzusehen schienen.
Lily Potter, seine leibliche Mutter, musste völlig anders gewesen sein, als Narzissa. Beide Schönheiten mit klugem Kopf nannte er bei sich Mum. Narzissas kühle Schönheit, ihr messerscharfer Verstand sowie ihre anmutigen Manieren nahmen andere für sie ein, aber sie blieb immer etwas auf Distanz. Ihre Welt drehte sich einzig um ihre Familie und ihre Kunst. Severus hatte ihm öfter mal von Lily erzählt. Sie musste sehr beliebt gewesen sein, hatte wohl viele Freunde und war sehr sanft zu anderen. Scheinbar hatte Harry sein manchmal ungestümes und herzliches Wesen von ihr.
Er blätterte weiter durch das Album und fand ein interessantes Bild. Ein frecher junger Mann mit schulterlangem Haar saß auf einem riesigen Motorrad und hielt den neugeborenen Harry über den Lenker. Daneben stand mit zarter Hand geschrieben: „Sirius und Harry – die geborenen Easyrider“ Sirius Black – dieser Typ mit Muggelklamotten musste wohl sein Pate sein. Vielleicht lohnte es sich doch ihn kennenzulernen? Es wäre toll einen eigenen Paten zu haben. Andererseits hatte Severus doch eine klare Meinung zu diesem Black. Harrys Augen fielen zu und endlich schlief er ein.