Die Atmosphäre im Tränkelabor zeichnete sich durch hohe Motivation und gute Kenntnisse der Schüler aus. Gerade Hermine zeigte ein für Severus überraschend gutes Vorwissen. Sie hatte das Lehrbuch tatsächlich komplett gelesen, bevor sie nach Hogwarts kam. Das Thema der Stunde lautete Bestienfutter. Sie stellten eine breiartige Substanz her, mit der man nicht nur Drachen sondern auch Riesenspinnen oder Trolle ablenken konnte. „Wenn Sie diese Paste auf einen Köder streichen, werden die Bestien versuchen sie abzulecken. Auf diese Weise kann man die Aufmerksamkeit der Tiere von sich fortlenken und gewinnt Zeit.“ Die Paste stank erbärmlich nach Verwesung, Blut, Waldbeeren, Jauche und Veilchen. Der Gestank der Veilchen war erstaunlicherweise am schlimmsten, weil er so penetrant roch. Draco grinste ein bisschen und sagte in die halbprivate Arbeitssituation hinein: „Es riecht ein bißchen wie Mrs. Crabbes Parfüm.“ Severus rügte ihn für diese Aussage nur halbherzig, vor allem weil es zutraf.
Während Ron entnervt vor sich hin putzte, kam ihm die Zeit endlos lange vor. Schließlich war er fertig und durfte gehen. Die Uhr schlug eben halb neun. Schleunigst machte er sich auf den Weg zum Gryffindorturm, um wenigsten noch ein bißchen Freizeit zu haben. Kopfschüttelnd erzählte er seinen beiden Zwillingsbrüdern Fred und George von diesem merkwürdigen Zusatzunterricht. „Ich versteh´ gar nicht, was diese Hermine bei uns will.“, meinte Fred ein wenig überrascht. „So jemand gehört doch nach Hufflepuff oder Ravenclaw.“ „Diese beiden Slytherins nerven total. Sie benehmen sich, als ob ihnen Hogwarts gehört.“, fügte Ron hinzu. Fred und George grinsten sich an - wie immer, wenn sie etwas ausheckten. Wenn Hermine keine echte Gryffindor war, konnte man ihr das auch deutlich zeigen.
„Professor, darf ich Sie noch etwas anderes fragen?“, fing Harry nach dem Unterricht beim Einpacken an. „Nur sehr kurz, Mr. Potter. Um 10:00 müssen Sie in Ihrem Haus sein.“ Diese Förmlichkeit zwischen ihnen fiel Severus, Draco und Harry nicht leicht. Allerdings wäre alles andere noch schwieriger geworden. „Selbstverständlich, Sir. Wenn ich eine Ratte verzaubern möchte - ich will nur die Farbe ändern - wie gehe ich dann vor?“ Seine Überraschung zeigte der Lehrer nicht. Sie hatten weitaus schwierigere Zauber problemlos gewirkt. „Beschreiben Sie mir bitte genau, wie Sie vorgehen würden, Mr. Potter.“, verlangte er. Detailliert beschrieb Harry seinen Lösungsweg. „Der beschriebene Ansatz ist solide und sollte funktionieren.“ Die Verzauberung, die Harry gewählt hatte, war zwar schlicht, aber absolut in Ordnung. „Sie können natürlich auch den Weg aus der Prüfungsaufgabe Verwandlung wählen. Der Zauber ist etwas komplizierter, aber wesentlich eleganter. Sie hatten das Thema doch sehr gut durchdrungen, Mr. Potter. Jetzt ab in Ihre Häuser.“ Draco gähnte verdächtig. „Gute Nacht, Severus.“, rutschte es ihm beim Gehen heraus. Severus erlaubte sich nicht, Draco über den Kopf zu streichen. Dennoch bedauerte er es.
Sie schlüpften durch die Tür und liefen auf den Korridor hinaus. „Es hat super viel Spaß mit Euch gemacht.“, sagte Hermine leise, bevor sie Richtung Gryffindorturm abbog. „Ich fand´s auch klasse.“, stellte Draco fest. Sie verabschiedeten sich und freuten sich auf die nächste gemeinsame Stunde. Gryffindor und Slytherin hatten morgen gleich die erste Stunde zusammen – Verteidigung gegen die Dunklen Künste.
Im Slytheringemeinschaftsraum erwarteten die Jungs Blaise und Marcus, die gegen Vincent und Gregory bereits die sechste Viererpartie Schach gewonnen hatten. Draco und Marcus hatten beide Lust auf eine gewöhnliche Zauberschachrunde. Harry setzte sich daneben und nahm sich ein Glas mit Kürbissaft. „Ich mach Dich fertig!“, frotzelte Marcus freundlich mit Draco. Der grinste nur und stellte die Figuren auf.
Ein eisiges Gefühl kroch Harry über den Rücken. „Ich mach Dich fertig!“, hallte die Stimme seines Onkels Vernon durch ihn hindurch. Der Mann schlug dabei auf ihn ein und zerriss sein T-Shirt. „Du Mißgeburt! Du verdammter Freak!“ Er spürte Vernons keuchenden Atem wieder in seinem Gesicht, den fetten Körper über sich. Ekel. Angst. Hass. Diese bösen alten Gefühle beherrschten Harry einen langen Augenblick.
Er schüttelte die widerliche Erinnerung an den Ligusterweg ab, die sich mir nichts, dir nichts in den Kopf gestohlen hatte. Er war nicht mehr wehrlos. Seine Familie beschützte ihn. Seine Eltern waren mächtige und einflußreiche Zauberer. Harry war ein echter Zauberer. Die Magie gab ihm ein Gefühl von Macht. Niemand würde ihn jemals wieder so behandeln. Er trank gierig Kürbissaft, um den Geschmack von Vernon Dursley aus Mund zu bekommen. „Widerlicher Muggel.“, dachte er, oder sprach er es aus?
Plötzlich erschien es ihm wichtig, sich direkt noch einmal um diese Rattengeschichte zu kümmern. Er wollte unbedingt zaubern. Die Magie in sich spüren – jenes eigenwillige Gefühl, dass kein Muggel je verstehen würde. Heute Abend wollte er die Verzauberung bei Hedwig ausprobieren, wenn sie es sich gefallen ließ. Morgen würde er es diesem Weasley beweisen, dass er ein starker Zauberer war. Er würde es sich selbst beweisen. „Harry, alles klar bei Dir?“, fragte Blaise etwas besorgt. Ihm war aufgefallen, dass Harry still war und in die Ferne sah. „Ja. Ich bin nur müde. Draco, ich gehe schon mal in den Schlafsaal.“ Sie wünschten sich allseits eine gute Nacht. Leider war Hedwig noch nicht zurückgekehrt, so dass die Zauberübung warten musste.