Du bist Elred Aramys Nuvian.
Arthrax geht dir mit seinem Gejammer schon seit Tagen auf die Nerven. Man könnte meinen, dass den menschlichen Krieger der Mut verlässt, so oft liegt er dir in den Ohren damit, dass ihr zur Taverne zurückreiten und auf Brenna, Allyster und Aji warten solltet. Je länger eure Reise andauert, desto mehr scheint sich dein Begleiter in ein junges Kind zu verwandeln, das nach seiner Mutter quengelt.
Deshalb vermutest du auch einen anderen Grund hinter seinem Jammern. Zum ersten Mal ist er länger als einige Stunden oder Tage von Brenna getrennt, zum ersten Mal befinden sich mehr als nur einige hundert Schritt zwischen den Geschwistern. Obwohl er es nicht ausspricht, ist für dich offensichtlich, dass Arthrax damit nicht umgehen kann. Es überrascht dich, dass diese Trennung ihm so stark zusetzt … für Menschen ist es offenbar doch eine längere Zeitspanne, insbesondere, wenn man die gefährlichen Umstände in Betracht zieht.
Du atmest lautlos auf, als Arthrax endlich still ist. Ihr habt, trotz seines unablässigen Protestes, die Ruinen erreicht. Sie erheben sich vor euch aus der trockenen, rotbraunen Ebene, eine recht farblose, verwinkelte Stadt mit durchlöcherten Türmen, an denen durchscheinende, zerfetzte Flaggen hängen.
Trotz des augenscheinlichen Verfalls ist die Stadt belebt. Schon aus der Ferne kannst du Stimmengewirr und die Schreie von Tieren hören, vermengt mit einer fremdländischen Musik, deren Misstöne dir eine Gänsehaut bescheren. In den vielen winzigen, braunen Holzhütten wimmelt es vor Bewegung wie in einem Ameisenhaufen, während du auf den hohen Mauern der inneren Stadt kleine Wachen ausmachen kannst. Von den Türmen werden immer neue Flaggen entrollt.
„Es scheint ein Fest zu geben“, sagst du.
„Woran willst du das erkennen?“, fragt Arthrax grummelig.
Ernüchtert erinnerst du dich daran, dass Menschen schlechtere Augen haben, und beschreibst ihm deine Beobachtungen.
„Vielleicht schmücken sie ihre Stadt auch nur sehr gerne?“, schlägt Arthrax daraufhin vor.
Du rollst mit den Augen und richtest den Blick wieder nach vorne. Mehrere Karren wie jener, der euch begegnet ist, strömen auf verschiedenen, kaum sichtbaren Wegen zur Stadt, begleitet von den hochgewachsenen, abweisenden Wissenssammlern.
Auf dich macht es dein Eindruck von Nomaden, die sich in der Stadt versammeln. Es steht eindeutig ein großes Fest bevor.
Plötzlich hörst du ein Rumpeln hinter euch. Fast gleichzeitig ruft Arthrax deinen Namen. Der Mensch hat die Gefahr hinter euch bereits bemerkt.
Auf der flachen Ebene ist ein Karren aufgetaucht, der von einem dürren, schwarzhäutigen Tier gezogen wird. Es scheint eine Art Ochse zu sein, doch er gleicht mehr einer von der Sonne verbrannten Leiche, mit ledriger Haut, unter der sich die Knochen abzeichnen. An den Seiten spannt sich die Haut zwischen den Beinen, während die Bauchdecke eingefallen ist. Das bemitleidenswerte Tier erinnert an einen Tisch mit Tischtuch.
Das Land um euch herum ist flach. Die Neuankömmlinge haben euch längst bemerkt, obwohl sie noch eine Weile brauchen werden, bis sie euch erreichen.
„Was sollen wir tun?“, fragt Arthrax und greift an den Sattel seines Pferdes.
Du hast den gespannten Bogen schon eine geraume Weile über dem Rücken hängen, seit du am Morgen eine Schlange für das Frühstück erlegt hast. Du streichst gedankenverloren über die Federung eines Pfeils. Fünf der Wissenssammler begleiten den Wagen auf seltsamen, hochgewachsenen und schlanken Tieren, die euren entkräfteten Reittieren sicherlich haushoch überlegen sind. Eine Flucht kommt nicht infrage, zumal du von den gefährlichen Giften der Ruinenbewohner gehört hast.
„Wenn wir fliehen, verraten wir uns“, sagst du Arthrax.
„Ich will doch nicht fliehen!“, faucht der Krieger dich an.
„Ruhig!“, herrscht du ihn an. „Lass dir deine Angst nicht anmerken. Wenn wir sie besiegen wollen, brauchen wir das Überraschungsmoment. Sie müssen denken, dass wir ihnen nichts antun wollen. Es sind fünf, sobald sie den geringsten Verdacht schöpfen, sind wir tot.“
Arthrax schnaubt genervt. „Also warten wir einfach, bis sie uns erreicht haben?“
„Ihre bevorzugten Waffen sind Blasrohre mit Giftpfeilen“, erinnerst du dich. Auf der Reise hattet ihr bereits die Möglichkeit, einige Ruinenbewohner bei der Jagd zu beobachten. Von diesen Beobachtungen hast du auch gelernt, welche Lebewesen in diesem Land essbar waren. Und welche Pflanzen man besser meidet: Alle.
Mit einem flauen Gefühl im Magen erwartest du die Ankunft der fünf Reiter und des Karrens, den sie bewachen. Du hörst das leise Klirren, wenn Arthrax einen Dolch in der Scheide bewegt. Der Kämpfer lockert seine Waffe unauffällig, um auf den Kampf vorbereitet zu sein.
Die beiden Pferde schnauben zur Begrüßung, als die rätselhaften Wesen der Wüste euch erreichen.
„Wer seid ihr?“, fragt einer der papierhäutigen Wissenssammler und die Kolonne hält vor euch an.
Vor einigen Tagen habt ihr die Wissenssammler schnell überzeugen können, dass ihr ein Dunkelelf und ein Pirat auf Wanderschaft seid. Ob die Hoffnung besteht, dass euch diese Geschichte erneut rettet?
„Sprecht!“, zischt ein anderer Wissender lauter, als wäre er unsicher, ob ihr sie gehört habt. „Wer seid ihr?“
Du antwortest:
- „Euer Tod!“ Lies weiter bei Kapitel 2.
[https://belletristica.com/de/books/20830/chapter/28113]
- „Einfache Reisende.“ Lies weiter bei Kapitel 3.