Du bist Arthrax Sundergeer.
Die ungewohnte Kleidung ist kratzig und unbequem. Du rückst den Überwurf wieder und wieder zurecht, aber irgendwie scheint immer eine Falte schief auf deinen Schultern zu liegen oder der Saum verfängt sich zwischen deinen Beinen oder der Griff deiner Kriegsaxt schrappt über eine Naht.
Elred scheint kein Problem mit dem groben Bettelmönchgewand zu haben. Entnervt ziehst du die Roben nochmals zurecht.
„Ruhe jetzt“, zischt Elred. Dabei hast du ganz leise gestöhnt!
Du hörst leises Trommeln, das jedoch mit jedem Schritt lauter wird. Dann erklingen die Geräusche von Zupfinstrumenten und schließlich hörst du Stimmengemurmel.
Ihr biegt um eine Ecke und lugt an einem der vielen verfallenen Gebäude vorbei. Feuerschein flackert über die brüchigen Wände der vielen Häuser, die den Platz vor euch umringen. In dessen Mitte erhebt sich eine Art kleine Kapelle. Vor deren Eingang knieten mehrere gefesselte Personen: Die Verschleppten der Säuberung. Die Wissenden tanzen mit wiegenden Schritten um die Kapelle, die Gefangenen und ein großes Feuer herum.
„Was haben sie vor?“, fragst du, aber Elred antwortet nicht. Ein Blick in sein Gesicht macht dir klar, dass dir die Antwort ohnehin nicht gefallen würde.
Die Szene drohenden Unheils ignorierend lässt Elred den Blick über die Umgebung schweifen und berührt dich dann sanft an der Schulter. „Da vorne.“
Du folgst seinem deutenden Zeigefinger mit dem Blick und entdeckst ein mit Edelsteinen besetztes Gebäude aus massivem Gold, das nicht wie alles andere in der Ruinenstadt verfallen ist. Ganz im Gegenteil, es sieht poliert aus, als würde es aufwendig gewartet werden.
„Was denkst du?“, flüsterst du dem Elfen zu.
„Eine Schatzkammer.“ Elred reibt sich nachdenklich das Kinn. „Der Schöpferstein könnte dort sein. Oder er ist in dieser Kapelle dort. Ansonsten sehe ich nur Ruinen.“
Du nickst. Trotzdem schleicht ihr vorsichtig um den hell erleuchteten Platz herum und sucht nach Gebäuden, die ihr vielleicht übersehen habt.
Die ganze Stadt besteht nur noch aus Ruinen, die einmal wunderschön gewesen sein müssen. Hier und da kannst du noch etwas von der früheren Pracht erahnen, wenn sich Säulen aus den Trümmern erheben oder dein Blick auf ein nun schlammiges Wasserbecken fällt. Einst müssen hier helle, geräumige Paläste gestanden haben, doch nur noch der rötlichbraune Stein ist geblieben. Innengärten sind verwildert, Dächer eingestürzt, Wände zerbröckelt.
„Warum kümmern sie sich nicht um die Stadt?“, fragst du flüsternd, während ihr nach intakten Gebäuden sucht.
„Ich vermute, dass sie nicht länger wissen, wie die Häuser errichtet worden sind“, antwortet Elred. „Die Wissenssammler sind Nomaden, sie kennen nur noch Zelte. Und auch die Wissenden scheinen sich nicht um die Gebäude zu kümmern, obwohl sie hier leben. Die einzige Erklärung, die mir einfällt, ist, dass ihr Volk über die Jahrhunderte das Geheimnis dieser Architektur vergessen hat.“
„Die Wissenssammler haben Wissen verloren?“, fragst du breit grinsend.
„Ich glaube sogar, dass sie wegen des verlorenen Wissens damit begannen, es zu sammeln“, antwortet Elred nachdenklich. „Diese Bauwerke sind alt, Arthrax. Sehr alt. Vielleicht suchen sie ihr eigenes Geheimnis, oder suchten es wenigstens einmal, bevor sie vergaßen, warum sie diese Suche betreiben.“
Du schüttelst dich. „Das ist verrückt!“
„Nicht für Jenseitsvölker“, widerspricht Elred. „Hier herrscht ständig Krieg. Vermutlich gab es einen besonders intensiven Konflikt, der eine Menge junge Männer dieses Volkes kostete. Jungen wurden zu Soldaten ausgebildet statt in der Handwerkskunst. Die alten Baumeister wurden erschlagen oder starben, als der Krieg andauerte. Und ihr Wissen starb mit ihnen. Womöglich schrieben sie es noch nieder, doch im Krieg ist es nur wahrscheinlich, dass ein Brand die Schriften erfasste und vernichtete.“
Du schüttelst mit einem Seufzen den Kopf. „Du bist ein sonderbarer Söldner, Elred.“
Der Elf lacht glockenhell und bleibt dann stehen. „Ich denke, wir haben genug gesehen. Es gibt keine Gebäude, die aussehen, als könnte sich dort ein Schatz verbergen, abgesehen von dem Goldhaus und der Kapelle.“
Du nickst. „Sehe ich genauso.“
„Dann … wo gehen wir hin? In das goldene Haus oder in die Kapelle mitten im Treiben?“
Du betrachtest beide Bauwerke und entscheidest dich …
- … für die Kapelle. Lies weiter bei Kapitel 14.
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- … für das vergoldete Gebäude. Lies weiter bei Kapitel 15.