Heiß wie ein Schmiedefeuer fegte Gill-Ras Licht durch den Körper des jungen Mannes, der sich krümmte und fühlte, als würden ihm alle Knochen gebrochen werden. Das Leuchten setzte sich auf Höhe des Herzens fest, das so hart zu schlagen schien, dass Derric glaubte, es sehen zu können. Flehend wandte er den Kopf zu den Meereskreaturen, die nur zusahen und den Eindruck machten, selbst nicht zu verstehen, was dort gerade geschah. Gill-Ras Gesicht, obgleich garstig und von einem Vorhang aus algengrünen Haaren fast verhüllt, hatte einen mitleidigen Ausdruck in den Augen, doch wirkte auch selbst ein wenig käsig.
»Seine Beinkleider«, raunte eine der Kreaturen ihrem Anführer in ihrer Sprache zu, der nickte und ohne großes Zögern Derrics zerschlissene Hosen zerschnitt. Der Junge war viel zu gebeutelt von den Schmerzen, um dagegen zu protestieren. Er schrie auf, als seine Finger sich verkrümmten und zu knacken begannen. Etwas ähnliches geschah mit seinen Beinen und panisch musste er dabei zusehen, wie diese sich veränderten, verlängerten und schließlich wie von Geisterhand zusammenwuchsen, im Zeitraffer.
»Was geschieht hier?!«, keuchte Derric, doch die Meereswesen antworteten ihm nicht. Das hatte Zeit, bis es vorbei war. Erneut knackten die Knochen laut und dann war es vorüber. Der Schmerz ebbte ab. Doch erneut brandete Panik in dem Jungen auf, er riss die Augen auf und öffnete den Mund, doch nichts geschah. Er konnte nicht atmen!
Gill-Ra scheuchte seine Kameraden von dem Wrack weg, griff Derric am Kragen seines Hemdes und zog ihn in die eiskalten Fluten. Mühelos zogen die starken Arme des Meermannes ihn unter Wasser.
»Mach’ die Augen auf und sieh’ mich an!«, forderte er den Jungen auf, packte seine Schultern und schüttelte ihn. Derric tat wie geheißen und starrte Gill-Ra mit panischem Gesicht an. Instinktiv hob der junge Mann den Kopf und wollte auftauchen, doch das Meerwesen hielt ihn fest und packte grob sein Kinn.
»Atme!«
Doch Derric riss sich los und versuchte, an die Oberfläche zu kommen, was ihm beinahe gelungen wäre, wenn Gill-Ra ihn nicht festgehalten und ihm die Klinge seines Haifischmessers in den Fischschwanz gerammt hätte. Der Junge schrie auf und schlug dem Anderen die Flosse ins Gesicht, bevor er realisierte, dass er kein Wasser in die Lungen bekam, sondern so mühelos atmen konnte als wäre er an der Luft. Derric stockte und sah sich um, sah an sich hinab und hielt sich die Hände vors Gesicht. Seine Finger waren länger als zuvor und seine Nägel, obgleich keine Krallen, wie die anderen Meerwesen sie hatten, spitzer geworden. Die lange Haifischflosse, die einst einmal seine Beine gewesen waren, schmerzte leicht wegen der oberflächlichen Stichwunde, die Gill-Ra ihm zugefügt hatte, aber hielt ihn mühelos aufrecht und schimmerte im eisblauen Wasser silbern.
»Was hast du mit mir gemacht?!«, rief er der Meereskreatur zu, die ihr Messer wieder weggesteckt hatte.
»Du bist einer von uns. So musst du wenigstens nicht verhungern und sterben wie die anderen Zweibeiner«, antwortete Gill-Ra lediglich, schwamm auf Derric zu und riss ihm wortlos sein zerfleddertes Hemd und den Rest seiner Hosen herunter. Nur der Gürtel blieb um die Hüften des Jungen zurück, der irritiert die Fetzen seiner Kleidung vor sich hertreiben sah.
»Was tust du denn?«
»Diese Kleider brauchst du hier unten nicht. Das Hemd behindert deine Kiemen. Und Beinkleider braucht es nur, wenn man Beine hat.«
Derric tastete seinen Hals ab und spürte am Ansatz seiner Schultern tatsächlich die feinen Hautlappen, die es ihm ermöglichten, unter Wasser zu atmen.
»Wie hast du das gemacht? Mich zu einem ... diesem Ding ... gemacht?«
Gill-Ra zog grimmig eine Augenbraue hoch und seine schlammgrünen Augen, die Derric nie vergessen hatte, musterten ihn scharf. »Wir sind keine Dinger! Wir sind Eisschwimmer. Zeig’ etwas Respekt, sonst nehme ich es dir wieder weg!«
»Was nimmst du mir weg?«
Der Junge bemerkte die anderen Eisschwimmer, die in einer Kreisformation um sie herum trieben und die Konversation stumm belauschten. Ihre Gesichter waren noch immer nicht einen Hauch weicher geworden, auch wenn sie Derric inzwischen weniger unheimlich vorkamen. Lag das daran, dass Gill-Ra ihn verzaubert hatte? Empfand er sie jetzt nicht mehr als so furchteinflößend, weil er jetzt wie sie war?
»Den Seelensplitter!«, knurrte der Meermann und hob seine Hand. Er deutete auf die Schnittwunde und seine Gefährten zischten bedrohlich. Offenbar bedeutete es für diese Kreaturen eine Menge, wenn man sie nicht ordentlich wertschätzte.
Derrics Finger strichen über seine Brust, durch die das Licht gewandert war. Inzwischen war es erloschen, doch er fühlte, dass es da war. Etwas, das nicht ihm gehörte, doch sich in ihm einen kleinen Platz gesucht hatte und ihn Dinge wissen ließ, wie er unmöglich wissen konnte. Zum Beispiel verstand er die raue Sprache der Eisschwimmer nicht nur, sondern er schien sie auch zu sprechen, ohne dass es ihm bewusst war.
»Was geschieht, wenn du ihn mir nimmst?«, fragte er leise.
Gill-Ra funkelte ihn an. Ein wirklich umgänglicher Charakter schien er in Derrics Augen nicht zu sein, doch das konnte sich ja vielleicht noch ändern.
»Wenn du ihn mir freiwillig zurückgibst, nichts. Du wirst wieder ein Mensch.«
»Und ... wenn nicht?«
»Wird der Splitter mit Gewalt entrissen, zerbricht die Seele des Besitzers und der Träger stirbt!«, antwortete ein anderer Eisschwimmer an Gill-Ras Stelle. »Du hast ein Geschenk erhalten, Zweibeiner. Achte es oder du bist des Todes.« Die Kreaturen hatten alle ihre Speere in seine Richtung erhoben, eine klare Drohung, dass sie ihn duldeten, weil ihr Anführer es tat, doch nicht zögern würden, sich des Fremdlings in ihrer Mitte zu entledigen.
Derric zuckte leicht und nickte. Trotz seiner Verwirrung darüber, was geschehen war, wusste er, dass es unklug sein würde, diesen grimmigen Wesen zu widersprechen. Noch hatten sie ihn nicht umgebracht und alles war besser, als elendig in der Eiseskälte zu verdursten.
»Vielen Dank«, murmelte er deswegen und neigte den Kopf in Gill-Ras Richtung. »Erneut rettest du mich aus einer Notlage.«
»Offenbar ist es eine Eigenart von dir, in welche zu geraten«, knurrte der Eisschwimmer, ließ sich von einem seiner Männer seinen Speer wiedergeben und deutete auf den Meeresboden. »Los, suchen wir in den Trümmern nach Verwertbarem! Du«, richtete er sich an Derric, »stell’ nichts Blödes an. Üb’ schwimmen oder so.«
Und während die Meereswesen über die Reste der Athena hinwegglitten, tat der junge Mann genau das. Er testete seinen neuen Körper, irritiert und verwirrt und etwas überfordert. Gill-Ra sah ihm nach, als er zu einem Sprint ansetzte, der ihn an die Wasseroberfläche beförderte und einen Sprung machen ließ wie ein Delfin. Die Spielerei des Menschen konnte den mürrischen Ausdruck nicht aus seinem Gesicht wischen.
»Weißt du, was du getan hast? Oder wohin das führen soll? Oder was du jetzt mit ihm machst?«
Gill-Ra wusste es nicht.