Hazel gluckste. Dieser blondschöpfige Idiot, den ihr Besitzer seit kurzem ständig in seine Wohnung ließ, schob bereits die dritte Gurkenscheibe an diesem Nachmittag durch ihre Käfigstäbe.
Was erwartete er? Dass sie ihm aus der Hand fraß, bloß weil sie ein Kaninchen war?
Sie richtete den Blick betreten auf ihren Besitzer, den Schwarzschädel. Er machte keine Anstalten, ihr zur Hilfe zu eilen, nahm nicht einmal Notiz von ihr. Stattdessen durchpflügte sein Blick seit Minuten diesen blonden Hohlkopf wie ein Traktor das Rapsblütenfeld.
»Bist du schon satt?«, fragte der Blondschopf. Hazel musterte ihn desinteressiert. Zum Glück verstand sie kein menschisch.
»Lass gut sein«, antwortete ihm der Schwarzschädel und senkte den Blick auf seine Fußspitzen. »Wir sollten lieber an deiner Komposition weiterarbeiten ...«
»Aber ich hab noch Möhren dabei. Und Radieschen.«
Der Blondschopf drehte sich strahlend zum Schwarzschädel um. Hazel bemerkte, dass sich seine Gesichtsfarbe intensivierte. Ob ihm warm wurde, wenn Blondschopf mit ihm sprach? Nicht, dass es sie etwas anging, aber er verhielt sich seltsam ... seltsamer, seit der Kerl andauernd den Hausfrieden störte. Kurz bevor er klingelte, fuhr sich der Schwarzschädel vor dem Spiegel durchs zerzauste Haar, lief sinnlos im Flur auf und ab und textete sie mit Fragen zu, die sie nicht verstand. Einmal hatte er sogar anstatt seiner gewöhnlichen Kleidungsfarbe ein graues Shirt übergestreift. Für seine Verhältnisse war das farbenfroh.
Der blonde Idiot stupste ihr abermals mit der Gurkenscheibe gegen die Nase.
»Komm schon, Hazel. Ein Happen für mich.«
»Sie hat keinen Hunger, Leo«, sagte der Schwarzschädel und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Seine Finger begannen immer zu zittern, wenn er den Blondschopf ansprach. Als stiege seine Herzfrequenz an, wenn er Kontakt zu ihm aufnahm. Eigenartig. Hazels Puls steigerte sich nur einmal im Monat, wenn sie paarungsbereit war.
»Vielleicht nimmt sie’s, wenn du sie fütterst?«, fragte der Blondschopf, woraufhin sich Schwarzschädel zögerlich neben ihn hockte. Als sich ihre Knie berührten, wurde Schwarzschädel auffallend rot um die Wangen. Während er vergeblich versuchte, Hazel die Gurke einzuhelfen, ging ihr ein Licht auf. Womöglich verhielt sich Schwarzschädel tatsächlich so unnatürlich, weil er in Blondschopf eine Art Fortpflanzungspartner sah. Zwar konnte Hazel sein Interesse in keiner Weise nachvollziehen, aber Schwarzschädel war ohnehin nie ganz klar im Köpfchen gewesen.
Sie beschloss, ihm zur Feier des Tages einen Gefallen zu tun und scharrte auf dem Boden herum, woraufhin Schwarzschädel unschlüssig seine Hand zurückzog.
»Okay, sie will nicht. Können wir jetzt ...«
»Warte mal, ich hab ’ne Idee!«, sagte Blondschopf und lächelte. Hazel kannte diesen Gesichtsausdruck. Den setzte er stets auf, wenn ihm ein infernal dummer Einfall gekommen war. »Wollen wir es mal zusammen versuchen?«
»Was?«
Blondschopf grinste beseelt, ergriff Schwarzschädels Hand und schob sie gemeinsam mit seiner durch die geöffnete Käfigtür. Hazel schnappte ihnen die Gurke aus den Fingern und beobachtete genüsslich, wie Schwarzschädels Gesichtszüge entglitten; seinen gesteigerten Herzschlag hörte sie selbst aus 50 cm Entfernung.
»Siehst du?«, sagte Blondschopf glücklich. »Zusammen kriegen wir auch das wählerischste Kaninchen fett.«
Schwarzschädel erwiderte seinen warmen Blick und hielt ihn ungewöhnlich lange aufrecht. Wenn Hazel kein Nagetier wäre, würde sie die Situation als romantisch bezeichnen.
War sie aber nicht.
So, dachte sie.
Jetzt paart euch.
❤❤❤
Tut mir leid, »Farbenfroh« schrie einfach nach Kasimir und Leo ...
Also wenn ihr wissen wollt, ob sie sich wirklich irgendwann mal paaren ... 😊!
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