"Dann mach doch Schluss", hatte er gesagt. Die Fernbedienung in seiner Hand hatte nicht einmal gewackelt, die fünf Dosen Bier auf dem Couchtisch seine Gleichgültigkeit symbolisiert.
Ja, versuch's ruhig. Du traust dich ja doch nicht.
Unsicherheit. Verlorene Heimat. Persönliches Scheitern.
Er wusste, wovor sie sich fürchtete. Eine heile Familie war immer ihr Wunsch gewesen, eine vorbildliche Ehe oberste Priorität. Auf der Suche nach einem Hafen hatte er sie vor Anker gehen lassen, den Blick allzeit zum Festland gerichtet und doch so unendlich weit davon entfernt. Sie hatte dabei zugesehen, wie seine Handelsflotte in See gestochen war, hatte Verständnis gezeigt, sein Stützpunkt im Schelf sein zu müssen und niemals die weite Welt zu sehen. So hatte sie sich immer betrachtet, als seinen Fels in der Brandung.
Doch die Stürme hatten überhand genommen.
Seine Armada war zerschellt im Unwetter des Alltags, die Rettungsboote trieben arbeitslos und stumm in den Weiten des Ozeans umher. Er war zurückgepaddelt und hatte seinen Zufluchtsort erklommen, sich darin verschanzt und die weiße Fahne gehisst.
Elegie, Chips aus der Tüte. Selbstmitleid.
Wut.
Sie hatte sie ertragen, seine Gewitter. Hatte Blitzen und Funken getrotzt und die Planken festgenagelt, das Salzwasser über die Reling geschüttet, aber nur im Heimlichen.
Er hatte es nie bemerkt, das Knurren ihres ausgehungerten Herzens, das Knarren ihrer zermürbten Knochen. Zu oft war sie auf Knien über Deck gekrochen, hatte ihre Träume von den Masten poliert und sie mit seinem Willen lackiert. Ihre Segel waren nie gesetzt worden, um ihm nicht die Hoffnung zu nehmen, dass seine Wünsche wieder an Fahrt aufnehmen könnten. Doch sie hatten von Anfang an ein Leck gehabt.
Und nun sagte er, sie solle doch gehen. Weil er zu wissen glaubte, dass sie nicht konnte.
Sie war mittellos ohne ihn, hatte keine Freunde, keine Verwandten, nicht einmal eine Chatbekanntschaft. Sie war über die Jahre verarmt auf ihrem Wrack, eingeschränkt in ihren Möglichkeiten und verkümmert in ihrer Leidenschaft. Er glaubte, sie könne kein eigenständiges Leben führen, nicht ohne ihn, nicht ohne ihren Anker.
Doch er täuschte sich. Lag falsch. War einer Irrung erlegen.
Sie sollte nicht ausbrechen können aus seinem Kerker, die Sonne über dem Meer niemals scheinen sehen? Wofür hielt er sich, den Goldschatz in der Südsee?
Es gab immer eine andere Route, 4 Himmelsrichtungen auf dem Kompass, die sie an den Horizont führen konnten.
Das sagte sie sich heute, am Tag, an dem sie über Bord gehen würde. Lächelte, während sich die Strahlen in ihren Wimpern verfingen.
Und sprang.