Wir fuhren schon die ganze Nacht. Wohin, wusste niemand zu sagen. Mein Bruder hatte seit Stunden Bauchschmerzen und jammerte ununterbrochen, aber wir hielten nicht an. Mir selbst war schwindelig, das Geschaukel des Fahrzeugs brachte mich durcheinander und die Hitze verblendete meine Erinnerungen. An die Tage auf den Wiesen. Das Wolkenzählen zur Mittagsstunde. Unsere Wettrennen und die Pfützensprünge im Regen.
So lange war das noch gar nicht her, drei Monate vielleicht. Inzwischen fühlte ich mich jedoch so träge, dass ein Sprint übers Feld völlig unvorstellbar war.
Sicher, ich hatte zuviel gegessen in letzter Zeit. Obwohl mir nach jeder Mahlzeit schlecht gewesen war, hatte ich immer weiter gegessen. Mein Bruder auch. Und was war das Ende vom Lied? Er war neben mir zusammengesunken, wimmerte und wand sich auf seinem engen Platz, rang nach Luft und zitterte am ganzen Körper. Dabei war es eine laue Sommernacht dort draußen.
Vielen anderen ging es ähnlich. Sie schwitzten kalt und stanken, manche konnten nichts mehr bei sich behalten und standen in den Resten ihrer letzten Fütterung. Fliegen schwirrten um unsere Köpfe, das Zischeln ihrer kleinen Flügel betäubte den Lärm jenseits der Wände des Fahrzeugs.
Auf der Weide war es niemals laut gewesen. Wir hatten in Ruhe vor uns hingeträumt, mein Bruder und ich. Wo wir irgendwann sein würden, wenn die Menschen uns abholten. Auf einer anderen Wiese vielleicht, einer grüneren. Mit anderen unserer Art. Glücklicheren.
Möglicherweise würde unser Leben schöner sein, wenn wir ankamen. Das stellte ich mir vor, während ich langsam atmete und versuchte, meinen schweren Körper auf den Beinen zu halten. Ich würde stark sein und ausharren, bis man uns aus dem Fahrzeug ließ. Ich würde meinem Bruder aufhelfen und mit ihm gemeinsam unsere neue Welt erkunden, auch wenn er im Moment nicht atmete. Es würde alles gut werden, besser als diese Fahrt. Schließlich war da draußen unser Sommer. So traumhaft und verspielt, dass die bloße Vorstellung mich lange wachhielt.
Wenn auch nicht lange genug, um mitzubekommen, wie wir unser Ziel erreichten.
Aber womöglich war es gar nicht so schlimm, in einem Traum einzuschlafen. Und nicht wieder aufzuwachen, wenn er zum Albtraum wurde.