Five Words Challenge
Hauptstadt - Spiel - Lieblingslied - Gitarre - Mondschein
Es war tiefe Nacht geworden, stockdunkel, finster, kaum zu durchbrechen. Nirgendwo brannte ein Licht, das Hoffnung hätte spenden können. Hoffnung, die es nicht gab. Die ich nicht besitzen konnte.
Es war still geworden, leise, unberechenbar, nicht zu zersplittern. Nirgendwo zirpte eine Grille im hohen Gras oder stimmte ein Vogel sein Schlaflied an. Schlaf, den ich diesmal nicht finden konnte. Den ich nicht besaß.
Der Frost des nächtlichen Frühlings knirschte unter meinen einfachen Schuhen und drang durch die ausgetretene Sohle. Meine Zehen waren eiskalt, aber ich nahm dieses Gefühl kaum mehr wahr. Der leichte Wind, der genauso regenbringend war, wie die dunklen Wolken am Himmel, spielte mit meiner Kleidung, löste einige Flicken und trug sie hinfort. Ich wehrte mich nicht dagegen, denn meine Aufgabe war eine andere. Eine, die ich fürchtete wie eine Fliege den See.
Kurz blieb ich stehen, um Mut zu fassen, den ich jedoch nicht in mir fand. Ich wandte mich um, sah ich mit geweiteten Augen um, doch das Mondlicht tat mir nicht den Gefallen, hell genug zu scheinen. Vage erkannte ich die Umrisse einer Stadt, die sich hinter den hohen Baumwipfeln erhoben, doch mit der Nacht im Einklang spielten. Normalerweise hätte ich die hell erleuchteten Fenster erkennen können, die mir Entschlossenheit eingeflößt hätten, doch diesmal sah ich nichts als Dunkelheit. Dieses Jahr wurden an einem bestimmten Tag alle Lichter der Hauptstadt ausgeschaltet. Aus Protest. Wogegen wusste ich nicht, ich hatte andere Sorgen.
Und ausgerechnet heute war ich in den Wald gelaufen. Nicht, dass ich es freiwillig getan hätte, nein. Wir hatten eine Aufgabe zu erfüllen, eine Aufgabe, die von den Anderen gestellt werden sollte. Schon vor etlichen Monaten hatten wir damit angefangen uns ein Spiel zu erfinden, das uns die Langeweile auf unsere öden Tage hin vertrieb. Jeder hatte mitgemacht, weil wir niemanden eine Wahl gelassen hatten.
Taio, er war der einzige gewesen, der es freiwillig gemacht hatte. Weil er am Wohlhabendsten von uns allen war und den Tag nicht Zuhause verbringen wollte.
Malaika hatte mitgemacht, weil sie illegal hier war. Und wir sie damit erpressten, es den Behören, dem Bürgermeister und anderen hohen Politikern auszuplaudern. Als ob wir jemals mit solch jemanden in Kontakt treten könnten. Aber sie war leichtgläubig und kaufte uns unsere Lüge ab.
Elani und Imani waren die Jüngsten unter uns. Elani zählte gerade einmal 4 Jahre, Imani war 2 Jahre älter. Sie waren Geschwister, die Ältesten der neun in ihrer Familie. Und sie waren arm, sehr. Wir konnten sie damit für uns gewinnen, dass wir sie verhungern lassen würden. Hinterhältig.
Kyano hatte mitgemacht, weil seine Familie obdachlos war. Er hatte gebettelt, bis er einst angegriffen wurde. Seitdem traute er sich nicht mehr, dieser Tätigkeit nachzugehen. Und wir drohten ihm damit, dass wir den Burschen seinen Aufenthaltsort mitteilen würden, wenn er sich uns nicht anschloss. Als würden wir deren Adresse kennen.
Und Yaris hatten wir damit erpresst, ihm seine liebsten Gegenstände zu zerstören. Er hatte sofort zugestimmt, denn er hatte nicht viel. Aber dies hätten wir womöglich tatsächlich gemacht, denn seine Habseligkeiten bestanden aus einem, seiner Meinung nach, besonders geformten Stein, einer Miene eines Bleistiftes und einem Ohr eines längst kaputten Kuscheltiers. Nichts besonders wertvolles, für mich jedenfalls.
Ja, auch ich wurde nicht besonders nett in die Gemeinschaft aufgenommen. Ich stahl ab und zu, wenn das Schicksal und der Tod zum entscheidenden Schlag ausholten. Wenn meine Geschwister über Hunger klagen und mein Bauch so laut knurrte, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte. Dann stahl ich, sagte meiner Mutter, ich hätte heute besonders viele Münzen erhalten und damit gutes Essen gekauft. Einmal hatte sie es rausbekommen, dass ich das Essen nicht ehrlich erworben hatte und sie hatte mich geschlagen, bis ich oben und unten nicht mehr unterscheiden konnte. Sie wollte nie, dass ich stehle, aber ich konnte das nie verstehen.
Wir alle haben uns gegenseitig angestiftet, uns gedroht, nur um ein waghalsiges Spiel zu unternehmen. Eine tolle Idee. Wir haben uns Aufgaben gestellt, die uns Mut, Kraft oder Ausdauer abverlangten, hatten niemals Rücksicht auf den Auserwählten genommen. Rücksicht bringt nicht weiter, habe ich nie gelernt. Und habe ich auch niemals gebraucht.
Aber nun war ich ausgewählt worden. Man hatte mir eine Aufgabe gestellt, die alles übertreffen sollte. Sie war nichts gegen die kleinen Diebstähle am Bahnhof, die gespielten Schlägereien, um auf uns aufmerksam zu machen oder das Springen in den See im Winter, der abgeschirmt von der Masse hoch oben in den Bergen zu finden war. Diesmal hatten sie sich etwas überlegt, das meine Angst herausfordern würde mit der ich seit kleinstem Alter zu kämpfen hatte.
Ich sollte in ein Haus einbrechen. In ein Haus, das dem Zerfall nahe war, doch noch bewohnt wurde. Von einem Mann, alt soll er sein und vor allem verrückt. Man erzählte sich, er brate Kinder und esse sie anschließend auf, wobei er darauf achtete, vor allem die Zungen zu verzehren. Die sollten süß und saftig sein und ihm bestens schmecken. Mit seiner alten Gitarre, deren mehrere Seiten lose am Griff hängen, würde er ein Abschiedslied, sein Lieblingslied, spielen und dazu in den gräulichsten Tönen singen. Jeder von uns fürchtete sich vor ihm, niemand wollte zunächst in einem Kessel und anschließend im Magen dieses Ungetüms landen.
Und doch war es das, was ich befürchtete, als ich vor dem alten Gemäuer stand.