"Und DAS -- ist jetzt -- dein lebens -- bedrohliches -- Problem?" Ich weise mit der Nase auf den rostroten, pelzigen Fleck hoch oben, der uns von einem Ast der Kastanie mit seinen schwarzen Knopfaugen kritisch betrachtet.
Mühsam ringe ich nach Luft. Herren in meinem Alter tendieren zum Langstreckenwandern. Kurze Sprints sind nicht mehr so gut für unsere Herzen. Oder noch besser, Gehirnjogging. Das soll ja auch fit halten.
Da trifft mich eine Kastanie genau über dem Ohr. "Räudiger, verfluchter Kläffer!"
Die Kastanie springt über den Hof, stoppt kullernd neben Bolles Hundehütte.
"DAS ist mein Problem", meint der uralte Berner Sennenhund mit seinem warmen Altmänner-Bass. "Die kleine Baumratte sitzt jetzt seit Stunden dort oben. Sie geht mir einfach total auf die Nerven, lässt mich nicht schlafen, und zum pinkeln am Baum komm ich auch nicht mehr." Er grollt.
Das Eichhörnchen springt aufgeregt auf den Ästen umher, überschüttet uns mit unflätigen Beleidigungen.
"Sorry", Susi schaut mich an, "ich wusste nicht, worum es geht. Er meinte nur Lebensbedrohlich, also hab ich dich schnell geholt."
Ich seufze, "Es ist nur ein verdammtes Eichhörnchen und..."
Weiter komme ich nicht. Napoleon stelzt auf den Hof und quietscht gleich los: "Ich hab von Pascha gehört, hier gibt´s ´n Problem. Aber jetzt bin ich ja da. Also?" Sein neues, beigefarbenes Strass-Halsband funkelt in der Sonne.
Oh nein, will sich denn hier das halbe Dorf versammeln? Eine weitere Kastanie kommt geflogen, trifft den Chihuahua zielsicher am Hinterkopf. Der kleine Kerl schlägt hart mit dem Kinn auf dem Boden auf. Das heimtückische Wurfgeschoss war vermutlich größer als sein Kopf.
Sofort springt er wieder in die Höhe, blickt sich wutschäumend um.
"WER WAR DAS? ICH MACH EUCH ALLE KALT! DRECKSSCHWEINE!"
Verdammt! Genau darum hatte Ariovist die Germanen damals nicht zum großen Sieg geführt. Jedenfalls, wenn man den Schilderungen Gaius Iulius Caesars glauben schenkt.
Die Augen treten Nappi fast aus den Höhlen, als er wutschäumend das freche Eichhörnchen fxiert.
"Du Winzling! DU VERFLUCHTE RATTE! ICH ZERFETZ DICH! HUUUAAAARGH!"
Der Rest seiner Äußerungen geht in unartikulierten Lauten unter. Er stürzt geifernd und fiepend (oder soll das ein Bellen darstellen?) auf den Baum zu und beginnt, auf Bodenhöhe am Stamm zu kratzen.
Ich blicke vom Chihuahua zum Eichhörnchen in den Ästen. Bis auf die Farbe sehen sich die beiden sogar recht ähnlich. Vermutlich glaubt Nappi daher, er könnte ebenfalls mühelos den Baum hinauflaufen. Ein kurzer Stück gelingt es ihm zwischenzeitlich sogar, bis er wieder rückwärts umklatscht. Doch der Fehlschlag wird von ihm ignoriert. Immer weiter kratzt er an der Kastanie.
Lachend betrachtet ihn das Eichhörnchen von oben. Es zielt, wirft und trifft den Chihuahua erneut, genau zwischen die Augen.
Bullseye!
Napoleon bricht augenblicklich zusammen und rührt sich nicht mehr.
"Und jetzt verpisst euch alle! Das hier ist ab jetzt MEIN Baum!" Triumphierend blickt es auf alle herab.
Bolle seufzt, blickt mich an: "Hast du eine Idee, wie ich diese Baumratte wieder loswerde?"
Von oben kommt ein weiteres Geschoss angeflogen. Susi springt hoch und fängt die Kastanie aus der Luft. "Na, wie war das?" Sie grinst.
Das Eichhörnchen im Baum rast: "SOFORT! Und packt das stinkende Stück Dreck da unten bloß mit ein!"
Da erklingt an der gegenüberliegenden Hofecke ein Hornsignal. Alle Köpfe wenden sich ruckartig um und blicken verblüfft zum Kakadu Pascha. Dieser segelt heran, landet flügelschlagend auf Bolles Hütte. Der verdammte Vogel imitiert das Hornsignal eines Kavallerie-Angriffs.
Selbst das Eichhörnchen im Baum hält verblüfft in seinen ruhelosen Bewegungen inne.
Gemächlich schlendert Kater Klümpchen nach dem Verklingen der Melodie auf den Hof. Direkt vor uns lässt er sich nieder, streicht einmal mit der Pfote über seinen Kopf.
"First Sergeant Klümpchen übernimmt dann ab hier, Jungs."
In diesem Moment erwacht der Chihuahua Napoleon aus seiner Ohnmacht. Er blickt sich verwirrt um, schüttelt sich kurz, dann eröffnet er uns grimmig: "Der Gegner dort oben arbeitet heimtückisch und nutzt illegale Kriegswaffen. Er muss den Baum manipuliert haben!"
Fragend blicken wir ihn alle an.
"Der Stamm", erklärt uns Nappi mit ernster Mine, "es muss ihn eingefettet haben. Oder wie erklärt ihr mir bitte, das ICH die gegnerische Festung dort nicht erstürmen konnte?"
Verhaltes Hüsteln der anwesenden Hunde, ein prustendes Lachen vom fetten Perserkater.
Empört blickt Napoleon in die Runde: "Oder wollt ihr mir sagen, Bäume sind neuerdings glatt und rutschig? Sonst komm ich doch mühelos auf Bäume."