mi-na3:
Notgedrungen werde ich dadurch Zeuge eines interessanten Wortwechsels. Rupert schlendert zu Kevin hinüber, blickt sich dann äußerst auffällig unauffällig um und raunt: "Hast du mir das Zeug besorgt?"
Kevin blickt ihn einige Sekunden aus zusammengekniffenen Augen an, bevor er ein "Jep" zwischen den Zähnen hervorpresst.
Rupert nickt zufrieden.
Damit ist das Gespräch auch erschöpft. Die beiden drehen sich ihre Zigaretten und qualmen schweigend nebeneinander vor sich hin.
Nachdem sie ihre Lungen ausreichend geteert haben, streicht sich Kevin seine braune Dauerwelle aus dem Gesicht, nickt zur Gaststätte hinüber.
"´n Bier?", Rupert blickt den Fernfahrer fragend an.
"Jep!"
Äußerst wortgewandt, die beiden.
Mit schmerzenden Rippen postiere ich mich sprungbereit an der Hecke neben dem Eingang, um diesmal ins Innere zu gelangen. Ich will endlich der verdammten Tiermörderin ins Angesicht blicken.
"Rest machma später."
Ich bin verblüfft. Das waren dann schon drei zusammenhängende, wenn auch genuschelte Worte von unserem Wolfgang-Petry-Fan. Er bessert sich.
Anmerkung: Ja ihr lieben Grammatik-Nerds, natürlich habt ihr recht. Genau genommen handelt es sich hier sogar um vier Worte. Aber DAS erklärt ihr dann bitte besser dem lieben Kevin. Jep? Euer Kuno.
Und dann bin ich drin. Einfach so.
Schaler Bierdunst und alter Zigarettenqualm ergänzen die verstaubte Karnevalsdeko, Plastikblumen, Postkarten, ausgeblichenen Photos und die notwendige Spirituosensammlung. Alles gut sichtbar platziert und dann wieder im Dämmerlicht verborgen.
An einem Tisch in der hinteren Ecke erblicke ich die Täterin.
Heulend.
Vor ihr befinden etliche leere Schnapsgläser und Berge aus zerknüllten Taschentüchern, soweit ich das von unten erkennen kann. Die Frau scheint nervlich ziemlich am Ende.
So hatte ich mir das irgendwie nicht vorgestellt.
Ihr Handy klingelt. Mit verheulten Augen angelt sie unsicher nach dem Ding, drückt darauf herum, bis sie sich schluchzend meldet.
Sie lauscht einen Augenblick, dann steigt ihr die Röte ins Gesicht.
Mit überschlagener Stimme keift sie los.
"Was wollen sie denn noch, das hab ich ihnen eben doch schon alles genau erzählt!"
"Nein Frau Dünne, der Tierarzt hat den Hund vorhin mitgenommen!"
"Samen, S-A-M-E-N. Wie lange kennen wir uns jetzt?"
"Nein! SABINE Samen!"
"Das hab ich ihnen wirklich eben alles schon haarklein erzählt."
"Dann müssen sie halt mal aufpassen und mir zuhören!"
"Was soll das denn jetzt bitte heißen? Ich fahre nie zu schnell!"
"Ach, das muss ich mir von ihnen jetzt nicht bieten lassen!"
Dann legt sie einfach auf.
Und beginnt wieder hemmungslos zu schluchzen.
Das muss ich nun erstmal verdauen. Es war ein Unfall? Der Tierarzt hat Susi mitgenommen? Ich setze mich hin. Mir wird das alles langsam echt zu viel.
Der Wirt, Stani, kommt herüber und bringt der Frau noch eine Cola. In diesem Moment stürzt ein junger Mann in den Gastraum. Er sieht sich suchend um, während er seinen Fahrradhelm vom Kopf nestelt. Als er die heulende Briefträgerin erblickt, stürzt er zu ihr und reißt sie in die Arme.
Ich bin verblüfft. Das ist doch DJ Danny, unser Senioren-Party Held. Der ist also der Freund unserer rasenden Briefträgerin? Die Welt ist wirklich klein.
Tröstend hält er die Frau in den Armen, streicht ihr immer wieder beruhigend über den Rücken. Seine leisen, einfühlsamen Worte zeigen bereits Wirkung, langsam versiegen die Tränen.
"Ich wollte dich abholen kommen..."
"Mit dem Fahrrad?", die Frau schaltet recht schnell von Trauer in barschen Tadel um. Uff!
Der junge Mann blickt mit gesenktem Blick auf den Tisch, nimmt vermutlich zum ersten mal die leere Schnapsgläsersammlung wahr.
"Dann sollten wir vielleicht besser ein Taxi nehmen?", meint er zaghaft.
Sie nickt.
"Können wir vielleicht erst etwas essen?", womöglich ist er doch nicht nur einfühlsam sondern devot?
Sie nickt wieder, hebt eine Hand und schnippt. "Bedienung!"
Der Wirt unterbricht sein leises Gespräch mit Kevin und Rupert. "Hä?"
"Wir möchten jetzt etwas zu essen bestellen."
Ungläubige Blicke von drei Augenpaaren am Tresen. Stani überlegt kurz, dann fragt er zögernd: "Schnitzel, Pommes?"
Die Briefträgerin nickt begeistert. Ihr Freund überlegt kurz, dann breitet sich ein seliges Lächeln im schmalen Gesicht aus. "Ich hätte jetzt gerne einen großen Speck-Pfannkuchen, bitte."
Der Wirt zieht demonstrativ eine fleckige Kochmütze unter der Theke hervor, bevor er missmutig durch eine Schwingtür verschwindet.
Ich beschließe, unverzüglich den Tierarzt zu besuchen.