Das war jetzt die vierte Buchhandlung, in der ich nach einer ganz bestimmten Buchhändlerin suchte und langsam hatte ich keine Lust mehr, so zu tun, als würde ich stöbern und mich dabei verstohlen nach dem Personal umzusehen.
Damit, dass Annegret direkt im Schaufenster stehen würde, hatte ich allerdings nicht gerechnet. Diesmal steckte sie mit ihren praktischen Wanderschuhen in einem steifen Lodenrock, der so kuschelig aussah wie die kratzige harte Decke, die mein Opa im Winter immer über sein Pferd gelegt hatte.
Die obere Hälfte meiner Rivalin steckte in einem altrosa Pullover mit Zopfmuster. Der Stil dieser Frau war wirklich total … konzeptlos. Mich mochte Simon am liebsten in Seide und Cashmere, in gut sitzenden Kostümen. Jeans und T-Shirt gab es nur am Wochenende. Vielleicht war aber auch das nur eine der Konventionen, die wir nie hinterfragt hatten. Eine Zahnarztgattin muss schließlich repräsentieren.
Annegret wirkte gerade nicht besonders repräsentativ. Sie reckte sich, um eine dieser glitzernden Lamettaketten, die sich offensichtlich aus der Dekoration gelöst hatte, wieder zu befestigen. Der deprimierende Versuch, ein tristes Schaufenster freundlich zu gestalten. Ein Schaufenster, in dem Grau in Grau gestaltete Politiker-Biographien auf großen, mit grauem Filz bespannten Würfeln so langweilig in Szene gesetzt waren, dass ich davor eingeschlafen wäre, wenn nicht die Geliebte meines Mannes darin herumgeturnt wäre.
Ich schob die Hände in die Taschen meines taillierten Kamelhaarmantels und lenkte mich kurz selbst damit ab, dass ich mein Spiegelbild in der Scheibe mit Annegret verglich. Ich versuchte, ein Muster zu erkennen. Aber entweder fiel ich nicht in Simons Beuteschema oder sie. Als mir einfiel, dass Sven und John so verschieden waren wie Sonne und Mond, fing ich an, darüber zu grübeln, ob Anziehung vielleicht auch über ganz andere Dinge funktioniert.
Ich neigte den Kopf, weil Annegret sich bückte, um einen kleinen Schneemann auf der Biographie Stalins abzusetzen. Ich murmelte: »Ernsthaft?« und fragte mich, ob sie mit Absicht genau diesen Platz ausgewählt hatte. In Stalingrad war es kalt gewesen, definitiv. Und wer Stalin nicht in den Kram passte, der wurde eben nach Sibirien geschickt und konnte dann da Schneemänner bauen. Wenn er nicht gerade verhungerte oder erfror.
Annegret richtete sich auf und betrachtete ihr Werk. Da ich sie nur von hinten sah, konnte ich nicht beurteilen, ob sie zufrieden war, aber ich fragte mich deprimiert, wieso sie ihren verwelkten Blumenkranz nicht im Haar trug. Vielleicht, weil sie ihn bei dieser Schaufensterdekoration einfach nicht mehr nötig hatte. Das hier war noch epischer.
Annegret bückte sich noch einmal, hob eine Schere und eine Klebebandrolle vom Boden auf, dann zuckte sie zusammen. Sie hatte mich entdeckt. Für eine Schrecksekunde starrte sie mich an.
Ich setzte ein fragendes Lächeln auf, zog die Hand aus der Tasche und tat so, als würde ich eine Tasse Kaffee trinken.
Sie sah sich gehetzt um, dann tippte sie mit dem Finger in die Luft. Ich drehte mich um. Auf der anderen Straßenseite war eins dieser Steh-Cafés mit ein paar Tischen. Ich sah wieder ins Schaufenster und nickte. Als würde sie einen Gebärdensprache-Kurs für Anfänger geben, zeigte Annegret betont langsam auf eine unsichtbare Armbanduhr und spreizte dann die Hand. Ich nickte. Aha. Kaffee in fünf Minuten.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und schlenderte zu dem Café. Ich ließ mir Zeit, um die fünf Minuten zu überbrücken, aber ich hatte mich kaum an einen der Tisch gestellt und die laminierte Karte zur Hand genommen, als Annegret auch schon hereinstürmte. Sie hatte ihre praktische Allwetterjacke übergeworfen und nickte der Servicekraft hinter dem Tresen zu. »Machst du uns zwei Kaffee?«
Die mollige Dame mit dem aparten Plastikhäubchen nickte gelassen und machte sich an die Arbeit. Offenbar kannte man sich hier. Annegret sah sich noch einmal gehetzt um, dann platzte sie heraus: »Eigentlich gibt es nichts mehr zu bereden. Ich hab ihn rausgeworfen.«
Ich nickte langsam. »Aber hoffentlich nicht meinetwegen. Ich hab das nicht von ihm verlangt.«
Annegret musterte mich kurz mit einem Blick aus ihren verwaschenen Augen. »Nein, nicht deinetwegen. Ich habe einfach keine Kraft für dieses Hin und Her. Um ehrlich zu sein«, sie lächelte fast entschuldigend, »ich bin erleichtert, weil es endlich vorbei ist.«
Ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch und trat wie in Trance einen Schritt zurück, weil Frau Plastikhäubchen zwei Tassen Kaffee auf dem kleinen Tisch abstellte. Annegret dankte ihr mit einem fahrigen Nicken und kippte sich jede Menge Zucker aus dem Streuer in die Tasse.
Da ich nicht davon ausging, dass unser Servierfräulein ihre engste Vertraute war, wartete ich, bis wir den Tisch wieder für uns hatten. Ich sah Annegret an und war selbst überrascht über das echte Gefühl in meiner Stimme. »Und wie geht es dir?«
Sie hob die Tasse, nippte aber nicht an dem viel zu heißen Kaffee. Vielleicht brauchte sie nur irgendetwas, was sie sich wie ein Visier vors Gesicht klappen konnte. Aber plötzlich stellte sie die Tasse ab und grinste. »Simon sagt, dass du da mit irgendwelchen Hippies rummachst? Stehst du auf Beziehungsanarchie und so?«
Ich blinzelte sie verwirrt an. »Ich, äh, nein! Ich hab nur Freunde, die in einer polyamoren Triade leben. Und ich finde die Art, wie sie miteinander umgehen, ziemlich hilfreich. Sie sehen Probleme wie unseres einfach aus einem anderen Blickwinkel.«
Annegret nickte langsam, dann probierte sie endlich ihren Kaffee. Aber sie verbrannte sich die Lippe und stellte ihn sofort wieder ab. »Weißt du, das Konzept an sich finde ich auch ganz cool.«
Ich glaube, ich starrte diese verhuschte Buchhändlerin an, als hätte sie mittels Telekinese einen Keks in ihren Kaffee getunkt. Ich blinzelte, aber Annegret wickelte einen dieser trockenen »Beilagen-Kekse« aus seiner unnötigen kleinen Verpackung. Mit den Fingern.
Sie schüttelte gereizt den Kopf. »Ich war auch mal eine Weile in der Szene unterwegs, hab viel darüber gelesen. Offene Beziehungen und so, Polyamorie, Beziehungsanarchie, die haben richtige Fachbegriffe, wusstest du das? Wenn du da den Jargon nicht kennst, dann weckst du völlig falsche Erwartungen! Aber wenn du ihn kennst, erst recht!«
Ich musste lachen. Seltsamerweise entspannte ich mich und vergaß völlig, mit wem ich da gerade redete. »Du meinst, so was wie ›geschlossenes Polykül‹?«
Annegret rollte mit den Augen, dann beugte sie sich über den Tisch und wisperte: »Ich bin echt nicht so der Beziehungstyp, weißt du? Und ich hab das alles gelesen und dachte, hey, das klingt gut, das probier ich mal aus! Aber wenn du sagst, hallo, ich bin die Annegret und ich bin polyamor, dann triffst du nur noch Schimpansen, die dich tindern wollen, ehrlich! Ich hatte Typen am Start, das war ein Elend, das kannst du dir nicht vorstellen!«
Ich lachte laut heraus. Hatte ich vor ein paar Minuten noch Mitleid gehabt mit dem armen naiven Dummchen, das auf meinen Mann reingefallen war?
Annegret biss in ihren knochentrockenen Keks. »Weißt du, diese Typen, die haben nichts kapiert, gar nichts! Die denken, Polyamorie und das ganze Gedöns, das ist Neudeutsch für ›Swingerclub ohne Eintritt‹. Eine Frau, die poly ist, geht ja mit jedem ins Bett, einfach, weil sie kann. Und dann hast du da bei deinen Dates irgendwelche Zwerge vor dir sitzen, die sich sofort ein Toupet kaufen würden, wenn sie wüssten, dass du ihnen auf die Glatze gucken kann, wenn sie mit dem Kopf nicken und die kugelrunde Wampen haben, aber Beinchen wie Streichhölzer! Und wahrscheinlich sogar Haare auf den Schultern, damit du auch ja nicht vergisst, dass die vom Affen abstammen! Und diese Typen kommen gar nicht auf die Idee, dass du vielleicht einfach keinen Bock auf sie haben könntest, du hast ja online ein Häkchen bei ›polyamor‹ gesetzt, also Freiwild! Von female choice haben die noch nie gehört! Noch nie!«
Ich kicherte und hüstelte gleichzeitig. Ich hatte auch noch nie von female choice gehört, aber mit so einem Redeschwall hatte ich definitiv nicht gerechnet.
Annegret wedelte lebhaft mit den Händen. »Ich meine, hallo? In der Tierwelt finden alle die Weibchenwahl völlig normal! Da regt sich keiner drüber auf, dass die Männchen sich ein extra buntes Gefieder wachsen lassen müssen, um die Weibchen zu beeindrucken! Oder eine imposante Mähne oder irgendwas! Da müssen die Männchen besser singen als alle anderen oder hübsche Nester bauen, um zu beweisen, dass sie es drauf haben! Oder sie müssen alle anderen Männchen plattmachen, um zu beweisen, wie geschickt und clever und stark sie sind! Aber bei der Spezies Mensch rennen wir Frauen zum Friseur und gucken Schmink-Tutorials und halten Diät, ja, schönen Dank auch! Aber female choice ist das unbekannte Menschenrecht, wir haben in dieser patriarchalen Scheißwelt nur völlig vergessen, dass wir Frauen es sind, die wählen! Schließlich haben wir auch das Risiko und die ganze Arbeit! Oder gibt es irgendwo einen Kerl, auf den man sich bei der Aufzucht der Jungen verlassen kann? Nein! Ich sag dir was! In der Theorie ist Polyamorie zutiefst feministisch! Lasst uns endlich aufräumen mit dem ganzen doppelmoralischen Schmus darüber, dass er ein Recht auf seine Liebschaften hat, während sie die Kinder hütet! Aber in der Praxis findest du keine polyamoren Männer! Du findest nur notgeile Idioten, die jedes neue Konzept mit dem Patriarchat 2.0 verwechseln, als hätten sie für ihren ganzen toxischen Männermüll noch ein Update bekommen!«
Erschlagen von diesem Exkurs bewegte ich nur die Augen hin und her. Hatte Simon deswegen die Hypothek für das Haus aufgenommen? Weil er mir beweisen sollte, dass er das beste Nest bauen konnte? Und war das dieselbe Annegret, die völlig verheult auf meiner Fußmatte gestanden hatte?
Annegret schnaubte resigniert und trank einen großen Schluck Kaffee. »Das mit deinem Mann, das tut mir wirklich wahnsinnig leid. Das wollte ich dir schon sagen, als wir auf deinem Sofa saßen, aber, Mann, bei euch war so Strom in den Tapeten, ich hab kein Wort raus gebracht, schon gar nicht vor Simon! Ich weiß nicht, ob es dir hilft, aber ich kann versuchen, dir zu erklären, wie mir das passieren konnte. Mit einem verheirateten Mann!«
Annegret rollte wieder wild mit den Augen. Ich musste schon wieder lachen, fast gegen meinen Willen. Unser »Problemgespräch« kam mir einfach überhaupt nicht standesgemäß vor. Hätten wir nicht beide heulen müssen? In diesem Moment hatte ich tatsächlich das Gefühl, Simon auf eine ganz subtile Art zu hintergehen. Ich hatte sogar das Gefühl, mich selbst zu hintergehen! Aber mein Gefühl war zu komplex, zu verwirrend, um das jetzt zu sortieren.
Annegret verschränkte die Arme auf dem Stehtischchen und starrte auf das kleine Plastikblumengesteck. »Als ich Simon getroffen habe, war ich fertig mit Männern, ehrlich. Ich war monatelang nicht mehr ausgegangen, wozu auch? Ich hab nur noch Serien geguckt und meinen Kater gestreichelt, das hat mir gereicht. Mehr hab ich schon gar nicht mehr erwartet und mehr wollte ich auch nicht mehr. Und dann kam er. Kauft Jane Austen und erzählt mir, das wollte er immer schon mal lesen! Ich dachte, er wäre schwul! Aber er war witzig und irgendwie ungezwungen, vor allem hat er nicht als selbstverständlich vorausgesetzt, dass ich ihn unwiderstehlich finde, er war sogar richtig süß und schüchtern! Und dann sind wir das ganz locker angegangen, ich wollte eigentlich erst gar nichts von ihm, aber ich fand ihn echt nett. Aber irgendwie ist es ja dann doch passiert. Und im Bett hab ich mich dann sogar irgendwie richtig in ihn verknallt.«
Ich zuckte kurz, aber Annegret ließ mir keine Atempause. Sie holte wieder tief Luft. »Aber irgendwie wurde die Sache langsam komisch. Ich fing an, mich zu fragen, was da los ist. Weil er nie über Nacht bleiben wollte und immer so schnell wieder gehen wollte. Ich hab mich schon gefragt, ob er laktoseintolerant ist und bei mir einfach nicht auf die Toilette will. Und dann immer dieses Gewese wegen der Katzenhaare! Er hatte immer so panische Angst, dass er Katzenhaare auf den Klamotten hat! Er hat gesagt, er wäre allergisch, aber wenn er meinen Kater auf dem Schoß hatte, hat er nicht einmal genießt! Aber auf die Idee, dass er verheiratet sein könnte, wäre ich im Leben nicht gekommen!«
Ich merkte, dass ich eine gefühlte halbe Stunde in meiner Tasse gerührt hatte und legte den Löffel ab. »Und wie hast du es erfahren? Hat er gebeichtet?«
»Pah!« Annegret schnaubte verächtlich. »Ich hab diese Nachricht gekriegt! Liebes, du brauchst nicht zu kochen, ich bring was vom Italiener mit! Und ich so: Hallo? Wer ist Liebes? Welcher Italiener? Ich hab einen Chinesen und einen Döner-Mann in der Straße, ich brauch keinen Italiener! Ich hasse fettige Pizza! Na ja, und dann hab ich kapiert, dass dieser liebe, naive Schnuffel mich betrügt. Da sind mir echt die Knie weggesackt. Da war Polen offen! Oder Holland, ich kann mir das nie merken. Jedenfalls sind ab da ganz komische Dinge mit mir passiert. Ich hatte ja gar keine Beziehung gewollt, aber als ich verstanden hab, dass er mich betrogen hat, dass ich mich unter völlig falschen Voraussetzungen auf ihn eingelassen hab, das hat mich komplett orientierungslos gemacht. Ich war komplett überfordert, ich wusste nur, dass es wahnsinnig weh tat! Ich war so unglaublich verletzt, ich hab völlig das Gleichgewicht verloren. Ich wollte nur noch, dass es aufhört, so wehzutun! Und dann hab ich angefangen, diesen ganzen Mist zu machen.«
Annegret lächelte mich fast flehend an. Gespannt flüsterte ich »Welchen Mist denn?«
Sie zog die Schultern hoch und holte so verkrampft Luft, dass Sven sie auf die Wiese gescheucht hätte. »Ich bin vor Eifersucht durchgedreht! Ich hab ihm Szenen gemacht! Ich hab ihm gedroht, dir alles zu sagen! Ich hab geklammert, ich wollte ihn unbedingt für mich haben! Ich dachte die ganze Zeit, wenn ich ihn endlich ganz für mich habe, dann hört dieser verdammte Schmerz auf, dann muss ich nicht mehr eifersüchtig sein!«
Wir sahen uns für einen Moment einfach nur an. Annegret hob die Hände, als wollte sie einen Gedanken fassen. »Das war fast wie eine klassische Konditionierung mit negativen Verstärkern, verstehst du, was ich meine? Ehrlich, ich bin durchgedreht, ich hatte immer diesen Schmerz! Wenn er nicht auf meine Nachrichten geantwortet hat und ich wusste, dass er bei dir ist, das hat mich vollkommen irre gemacht! Mein Selbstwertgefühl ist mit der Achterbahn in den Keller gefahren.«
Ich merkte, dass ich diese überkochende Frau voller Mitgefühl angestarrt hatte und bemühte mich um einen nichtssagenden Gesichtsausdruck. »Und was hat er gemacht?«
Annegret hob fast abwehrend die Hände. »Oh, gegen deinen Mann kann ich nichts sagen, absolut nichts! Er hat sich riesige Mühe gegeben, für mich da zu sein und mich zu trösten, wirklich! Er war wahnsinnig lieb und hat selbst ganz furchtbar unter der Situation gelitten. Aber das hat alles irgendwie nur noch schwieriger gemacht! Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass er eben nun mal ein Arsch ist, der Affären hat, bis es ihm wieder langweilig wird und er zu Mutti nach Hause kriecht, dann wäre es mir viel leichter gefallen, ihm einfach einen Tritt zu geben. Aber so hab ich immer diese Appetithäppchen bekommen, weißt du? Ich weiß ja, dass er es nicht noch schlimmer machen wollte, aber er kam immer vorbeigerast, hat mich in den Arm genommen, mir seine Liebe beteuert und er war so ein wahnsinnig lieber Schnuffel, und dann musste er wieder weg. Und ich saß da wieder mit dem Schmerz, wieder und wieder. Ich konnte mir richtig dabei zusehen, als hätte ich ein zweites Ich, das alles ganz nüchtern betrachtet. Es gibt da sehr interessante Forschungsergebnisse über Beziehungssucht, wusstest du das? Ich war süchtig! Süchtig nach diesen Appetithappen, aber ich war nie satt! Ich hatte immer Panik, dass irgendwann der Nachschub ausbleibt, weil das so tröpfchenweise kam, da war keine Stabilität, keine Sicherheit. Es war die Hölle! Und da hab ich langsam kapiert, wieso so viele Frauen das mit sich machen lassen, als heimliche Geliebte. Erst werden sie angefüttert und dann platzt die Bombe! Ätsch, du kannst mich gar nicht haben! Und dann passiert dieser Mechanismus mit dir, du hast keine Chance, nicht darauf einzusteigen!« Annegret klopfte sich auf die Brust wie ein Gorilla. »Aber du musst hier gucken, verstehst du? Mit dem Kerl als Mensch hat das gar nicht so viel zu tun, du musst bei dir selbst gucken, was da los ist! Nicht ihn ändern, sondern dich!«
Ich blickte überfordert in meinen wässrigen Kaffee. Leise stellte ich fest: »Ja, das merke ich auch langsam. Ich muss mich erst mal um mich kümmern.«
Annegret schnaubte aufgebracht. Sie hatte sich richtig in Rage geredet. »Als du dann nach Weihnachten bei deiner Mutter warst, da fing er plötzlich an davon zu reden, dass du dich wohl scheiden lassen wirst und was ich davon halten würde, wenn wir uns einfach ein Wohnmobil organisieren und zusammen abhauen, nur er und ich.«
Ich wurde kreidebleich. »Oh, mein Gott! War das sein Ernst?«
Annegret warf mir einen Blick zu, der diskret fragte: »Wie blöd bist du eigentlich?«
Sie griff sich den Keks von meiner Untertasse und fauchte: »Natürlich nicht! Zwei Tage später hat er mir ja erzählt, dass er sich mit seiner Frau versöhnt hat und dass Schluss ist!«
Ich schlug die Hände vors Gesicht. »Oh, Gott, das muss die Hölle für dich gewesen sein.«
Annegret nickte und schob sich meinen Keks in den Mund. »Sorry, ich habe heute noch nichts gegessen! Im ersten Moment dachte ich das auch, das tut so weh, das halte ich nicht aus. Und dann bist du da vor eurer Tür aufgetaucht und hast mich mitgenommen in dieses scheußliche Architektenhaus aus Marmor!«
Ich lachte verschämt. »Ich gebe zu, heute würde ich mich auch eher für ein altes kleines Landhaus entscheiden. Aber als wir gebaut haben, fanden wir den Stil chic.«
Annegret schüttelte erschöpft den Kopf. »Dass ich da so verpeilt gesessen habe, das tut mir echt leid. Ich muss dir vorgekommen sein wie eine hypnotisierte Legehenne. Und irgendwie war ich das auch, hypnotisiert. Aber in dem Moment, wo ich Simon in seinem natürlichen Lebensraum gesehen habe, in dieser Protzkaserne, in seiner Hochglanzküche mit dieser Kaffeemaschine für verhinderte Baristas, für die ich ein ganzes Monatsgehalt hinblättern müsste!« Annegret stöhnte und fuhr sich über die Augen. »In dem Moment hab ich mich gefragt: Wer ist der Typ überhaupt? Ich bin nach Hause gefahren und als ich angekommen war, war ich fertig mit der Geschichte. Ich war endlich fertig damit! Mit totaler Ruhe, weißt du, was ich meine? Da wusste ich, dass er mir nie wirklich um ihn gegangen war, ich kannte ihn ja kaum! Es war mir die ganze Zeit nur darum gegangen, dass die verdammte Eifersucht endlich aufhört!«
Ich nickte ganz langsam. »Und dann hast du dich verrannt. In die falsche Richtung.«
Annegret murmelte betreten: »Es tut mir wahnsinnig leid. Ich hätte sofort Schluss machen müssen, als ich kapiert hab, dass er verheiratet ist. Ich wollte nie eine dieser Frauen sein, die sich in eine Ehe drängen.«
Für eine Weile saßen wir einfach stumm da und tranken unsere Tassen aus. Annegret kramte Kleingeld aus der Jacke und legte es auf den Tisch. »Ich lad dich ein, ich bin wohl dran.«
Sie nickte der Plastikhaubenfrau zu und drehte sich zur Tür, dann sah sie sich aber noch einmal zu mir um. »Tut mir wirklich leid, dass deine Mutter so krank ist. Aber eine Chemo ist nicht die einzige Möglichkeit, weißt du? Wir haben ganz gute Bücher über alternative Medizin im Sortiment.«
Ich stützte den Kopf in die Hände und sah sie ausdruckslos an. Als wäre meine Zunge gelähmt, sagte ich mühsam: »Danke, aber meiner Mutter geht es gut. Simon hat dich einfach nur verarscht.«
Annegret starrte für einen Moment geistesabwesend auf die trockenen Brötchen in der Auslage. Dann murmelte sie: »Was für ein Arschloch!« und verließ das Café.
Ich sah ihr nachdenklich hinterher. Irgendwie fand ich ihren skurrilen Klamottenstil plötzlich doch logisch. Sperrig, unbequem und kein bisschen kuschelig. Er passte zu ihr.