„Na, was sagst du jetzt?“, fragte Elio, als ich, wie so oft, wieder einmal hinter ihm her trottete, da er mich zu meiner nächsten Unterrichtsstunde brachte.
„Dank mir kannst du tanzen.“ Er hatte ein sehr selbstgefälliges Grinsen im Gesicht. Aber, obwohl ich es wirklich sehr ungerne zugebe, hatte er dieses Mal recht. Das würde ich ihm aber natürlich nicht sagen, da er mich sonst bis an mein Lebensende damit nerven würde.
„Jaja, rede du nur", sagte ich stöhnend.
„Ach jetzt komm schon und lach ein bisschen!“, sagte er. Mir war aber definitiv nicht nach lachen zumute. Deshalb sah ich ihn nur weiterhin böse an.
„Meine Güte, welche Laus ist dir denn schon wieder über die Leber gelaufen?“ Warum wollte er eigentlich immer alles wissen?
„Naja, wie würdest du dich fühlen, wenn du von irgendwelchen Elfen entführt werden würdest, die dich zu ihrem König bringen, wo sich dann herausstellt, dass dieser dein Vater ist und der darauf besteht, dass du einfach so dein Leben hinter dir lässt, nur weil du irgend so ein blödes Geweih auf dem Kopf hast? Dann trennt er dich noch von deiner Mutter, die sich dein Lebelang um dich gekümmert hat, ohne dass du überhaupt gefragt wurdest, ob du das möchtest. Außerdem bekommst du dann noch einen extrem nervigen Leibwächter, der die ganze Zeit alles wissen möchte…", weiter konnte ich nicht sprechen, weil ich sonst in Tränen ausgebrochen wäre. Ich wandte mich von Elio ab und versuchte den Kloß, der sich gerade in meinem Hals bildete, hinunter zu schlucken. Elio sah mich mitleidig an, wusste aber anscheinend nicht wirklich, ob oder was er sagen sollte. Nach kurzer Stille murmelte er dann:
„Das tut mir leid. Ich, nja, ich habe das noch nie aus diesem Winkel gesehen. Wenn du etwas brauchst, kannst du dich immer an mich wenden, ich hoffe du weißt das." Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so etwas aus seinem Mund hören würde. Plötzlich kitzelte mich wieder etwas in der Magengegend, wie damals, als ich Elio das erste Mal gesehen hatte. Zaghaft lächelnd murmelte ich: „Danke!" Dann setzten wir uns wieder in Bewegung.
„Halte den Bogen etwas höher, Saskia, dann kannst du besser Zielen!“, rief mir Jannes zu. Jannes war mein Lehrer in Bogenschießen und Klettern. Ich ließ den Pfeil los, den ich gerade gespannt hatte. Er sauste durch die Luft und bohrte sich drei Millimeter außerhalb der Mitte der Zielscheibe ins Holz.
„Perfekt!“, rief Jannes mir zu, nachdem er den Pfeil begutachtet hatte. Stolz grinste ich Elio an, der nur staunend auf die Zielscheibe starrte.
„Du bist besser als Elio bei seiner ersten Stunde war. Und Elio ist unser bester Bogenschütze", lobte mich Jannes und mein Grinsen wurde noch selbstgefälliger. Der konnte sich seine Sprüche für andere Elfen aufsparen. Mich würde er damit kein bisschen beeindrucken. Schnell nahm ich den nächsten Pfeil in die Hand und spannte. Ich atmete tief durch und fokussierte mein nächstes Ziel. Noch ein bisschen mehr Spannung und dann flog der Pfeil auch schon durch die Luft und bohrte sich ins Holz. Jannes ging zur Zielscheibe.
„Du hast ins Schwarze getroffen, Saskia. Ich habe noch nie eine Elfe gesehen, die so gut schießen kann", sagte Jannes und man hörte das Erstaunen in seiner Stimme.
„Danke“, meinte ich und meine Wangen wurden heiß. Elio bestaunte noch immer den Pfeil, den ich abgeschossen hatte. Endlich hatte ich ihm das Maul gestopft. So schnell musste er keine blöden Sprüche mehr über mich abgeben. Trotzdem bestand Jannes noch darauf, dass ich weiter übte. Er meinte, dass ich mich trotzdem nicht auf die faule Haut legen könne. Deshalb traf ich ein Ziel nach dem anderen direkt ins Schwarze. Nach vielen Bogenschüssen später verlangte Jannes von mir, dass ich einen sehr hohen, wunderschönen Baum hinauf kletterte. Dafür waren wir in eine Art Hofgarten hinausgegangen. Obwohl Hofgarten nicht der richtige Ausdruck war, da wir ja in einem Wald waren und es hier auch nicht unbedingt nach Garten aussah, da alles kreuz und quer wuchs. Aber trotzdem sah es hier draußen wunderschön aus. Überall blühten riesige Blumen. Weiße, rosa und rote Wildrosen hatte ich erspäht. Glockenblumen waren auch überall verteilt. Aber das Schönste war definitiv der Pavillon, den ich aus weiter ferne erspäht hatte. Er war aus strahlend weißem Gestein gemacht worden und um ihn herum flogen leuchtende Punkte, was vermutlich Glühwürmchen waren. Außerdem wuchsen die schönsten Blumen um den Pavillon. Plötzlich sah ich meine Mum und Falk vor meinem inneren Auge, wie sie gemeinsam in diesem wunderschönen Pavillon saßen. Ich schüttelte den Kopf, um dieses Bild ganz schnell wieder loszuwerden.
„Saskia?"
Huch, war ich schon wieder unaufmerksam gewesen?
„Tut mir leid“, sagte ich entschuldigend, „aber es ist so wunderschön hier. Da habe ich mich wohl in meinen Gedanken verloren." Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Elio wieder einmal anfing zu grinsen. Aber ich ignorierte ihn.
„Kein Problem. Wir sind für diesen Park bekannt. Er wurde als schönster Kraftplatz dieses Waldes bestimmt. Aber nun wieder Konzentration. Beim Klettern ist es vor allem wichtig, dass du den Bäumen vertraust, dass sie dich nicht fallen lassen. Wenn dieses Vertrauen da ist, wirst du keine Schwierigkeiten mit dem Klettern haben", sagte Jannes. Warte, was? Die Bäume sollten mich nicht fallen lassen? Was? Ich hatte mich doch sicher verhört! Wie sollte ein Baum dafür sorgen, dass ich nicht von ihm herunter fiel? Man musste mir ansehen, wie verwirrt ich war.
„Die Bäume würden uns nie fallen lassen. Oder würdest du zulassen, dass deine Freunde irgendwo hinunterstürzen?"
Ich schüttelte nur den Kopf. Die Vorstellung, dass mich ein Baum festhalten könnte, war sehr absurd. Jannes schien meine Skepsis zu sehen.
„Elio, könntest du es Saskia zeigen?“, fragte Jannes an Elio gewandt.
„Für unsere griesgrämige Prinzessin stürze ich mich gerne in die Tiefe“, sagte er schelmisch und zwinkerte mir zu. Dafür erntete er böse Blicke von mir. Elio kletterte in Windeseile den Baum hinauf. Als er ein gutes Stück oben war, stürzte er sich rücklings in die Tiefe. Mir entfuhr ein gellender Schrei. War er nun komplett verrückt geworden? Plötzlich schnellte ein Ast vor und in der nächsten Sekunde saß Elio unversehrt, aber mit seinem typisch frechen Grinsen auf einem Ast des Baumes.
„Hattest du etwa gerade Angst um mich, Prinzeschen?“, fragte er frech.
„Ja ja, sonst noch was?", giftete ich zurück. Aber trotzdem raste mein Herz noch wie wild in meiner Brust. Zugegebenermaßen hatte ich wirklich kurz Angst um ihn.
„So, nun bist du dran, Saskia“, meinte Jannes und deutete zu dem Baum, „aber lass es langsam angehen."
Ich nickte und lief auf den Baum zu. Mein Blick wanderte nochmals zu dem wunderschönen Pavillon. Plötzlich tauchte wieder das Bild von Falk und Mom vor meinem inneren Auge auf. Nein, das waren gar nicht Falk und Mom, sondern... Nein! Ich schüttelte den Kopf, um das Bild zu vertreiben. Ich musterte die Rinde des Baumes. Ich musste mich jetzt auf das Klettern fokussieren! Langsam begann ich den Aufstieg. Nach kurzer Zeit wurde ich immer schneller und meine nackten Füße fanden schnell neuen Halt. Bald war ich auf der gleichen Höhe wie Elio.
„Saskia!"
„Ah!“ Ich schrie. Mir entglitten die Rinde und ich verlor den Halt. Dann fiel ich. Ich raste in die Tiefe. Mein Herz schlug zum Zerspringen. Doch plötzlich bremste mich etwas. Ich hing kopfüber an einem Ast. Der Baum hatte mich tatsächlich aufgefangen!
„Gut Saskia! Du hast dem Baum vertraut. Siehst du, die Bäume würden dich nie fallen lassen", meinte Jannes von unten. Keuchend setzte ich mich auf. Über mir saß Elio breit grinsend auf einem Ast. Ich sah ihm an, dass er es sehr lustig gefunden hatte, wie ich mich erschrocken hatte. Das würde auf jeden Fall ein Nachspiel haben!