Ich saß in meinem Zimmer und wollte mit niemandem sprechen. Falk hatte es geschafft! Ich hatte eine Entscheidung getroffen! Heute Nacht würde ich abhauen. Ich wollte zurück zu Mom. Mir rannen schon wieder Tränen über die Wangen. Ich ging zu meiner Kiste hinüber, wo ich meine Uhr und meine Klamotten der Menschenwelt aufbewahrte. Ich öffnete die Truhe und nahm die Uhr heraus. Ich betrachtete das Ziffernblatt, auf dem Mom und ich abgebildet waren. Ich würde sie zurückfinden! Koste es, was es wolle. Ich ließ die Uhr in meiner Rocktasche verschwinden. Ich hatte mich zuvor umgezogen, da das lange Kleid definitiv nicht das beste Outfit war, wenn man abhauen wollte! Die Klamotten ließ ich aber in der Kiste. Damit würde ich nur auffallen. Und außerdem erinnerten sie mich an meinen Geburtstag, der mein komplettes Leben zerstört hatte. Ich ging zu der Fensterbank und setzte mich. Ich starrte hinaus und wartete darauf, dass die Sonne unterging. Vielleicht sah ich Mom schon heute wieder. Und Fabi und Vali. Die zwei vermisste ich auch sehr! Mir rannen schon wieder Tränen über die Wangen, als ich an meine Freundinnen dachte. Falk hatte mir mein ganzes Leben genommen! Aber das würde ich mir nicht länger gefallen lassen. Ich saß eine Weile lang einfach so da. Langsam ging die Sonne unter. Plötzlich ging die Türe auf. Elio streckte den Kopf herein.
„Hey, lass den Kopf nicht so hängen, Prinzessin! Das wird wieder. Versprochen! Morgen machen wir etwas Tolles gemeinsam, damit du auf schönere Gedanken kommst. Ich möchte nicht, dass du weiterhin so ein Trauerkloß bist!", meinte Elio aufmunternd. Ich schluckte und versuchte Elio ein Lächeln zu schenken. Ich wollte nicht, dass unsere letzte Begegnung mit Tränen endete.
„Schlaf gut, Prinzessin“, sagte Elio sanft.
Ich nickte.
„Danke, Elio“, murmelte ich und versuchte die Tränen zurück zu halten.
„Gern", sagte er und schloss die Tür wieder. Neue Tränen schossen mir in die Augen. Kurz zögerte ich, ob ich wirklich abhauen sollte, doch dann hörte ich wieder Falks Worte und der ganze Zweifel war verflogen. Ich ging zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Auf dem Flur war niemand zu sehen. Leise schloss ich die Türe wieder. Dann rannte ich los. Ich nahm den Weg, den mir Elio beschrieben hatte. Kurze Zeit später stand ich in der pompösen Eingangshalle. Ich versteckte mich hinter den langen Gardinen, da ich gerade die Wachen am Tor entdeckt hatte.
„Warum bist du noch nicht bei Saskia oben?", hörte ich eine altbekannte Stimme sagen. Elio!
„Ich habe mir nur noch etwas zu trinken geholt“, hörte ich eine andere Stimme sagen.
„Das hättest du vor deiner Schicht machen sollen! Geh sofort zu ihr! Gib mir sofort Bescheid, wenn irgendetwas Auffälliges vorgefallen ist. Ich bin im Stockwerk unter dir", meinte Elio zu dem anderen Elfen.
„Ja, Elio“ Dann verschwanden die beiden. Nun musste ich mich beeilen! Aber wie sollte ich an den Wachen vorbei kommen? Da fiel mein Blick auf das Fenster. So leise wie möglich öffnete ich es und kletterte hinaus. Glücklicherweise war das Fenster nur ein paar Meter über dem Boden. So konnte ich einfach hinunterspringen. Ich sah mich um. Ich erinnerte mich daran, dass wir damals durch das Dorf geritten waren, also musste ich auch auf diesem Weg das Dorf wieder verlassen. Ich rannte los. Mein Herz schlug wild! Ich rannte durch das ruhige Dorf. Nach einigen Minuten hatte ich es durchquert. Ich blieb nochmals stehen und drehte mich um. Ich sah das Schloss. Ich dachte an Elio, an Rosie, Frau Blütenkopf, Jannes, Hansi und an alle anderen Elfen, die ich hier kennengelernt hatte und neue Tränen schossen mir in die Augen. Aber ich blinzelte sie weg. Ich wollte zurück zu Mom! Mit diesem Gedanken wandte ich mich vom Schloss ab und rannte blindlinks in den Wald. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich genau gehen musste. Aber ich lief trotzdem weiter. Ich stolperte immer wieder, weil es mittlerweile dunkel geworden war. Im Schloss hatten sie mittlerweile sicher mein Fehlen bemerkt. Dort musste nun die Hölle los sein. Elio rastete sicher komplett aus. Aber ich rannte trotzdem weiter. Ich bildete mir ein, meinen Namen gehört zu haben. Aber ich blieb nicht stehen. Nein, im Gegenteil. Ich rannte nur noch schneller. Neben mir raschelte es. Da musste wohl ein Tier im Gebüsch sein. Kannte ich diesen Busch nicht? Waren wir damals nicht auch hier vorbeigekommen? Wahrscheinlich nicht. Das war sicher nur Einbildung. Aber nichtsdestotrotz rannte ich weiter. Die Bäume rauschten an mir vorbei. Irgendwann hatte ich keine Ahnung mehr, wie lang ich nun schon rannte oder wo ich war. Ich blieb stehen. Ich sah mich um. Dieser Teil des Waldes ähnelte dem, von dem ich damals gekommen war, sehr! Dann vernahm ich wieder ein Geräusch. Doch irgendetwas an diesem Geräusch ließ mich in Panik ausbrechen. Mein Herz raste wie wild. Wer war da? Ich drehte mich im Kreis, konnte aber niemanden sehen.
„Wen haben wir denn da?“, hörte ich eine höhnische Stimme sagen. Blanke Panik brach in mir aus. Wer war das? Ich zitterte am ganzen Körper. Noch immer konnte ich niemanden erkennen.
„Aw, hat die kleine Elfe Angst?“, höhnte die unbekannte Stimme und brach in schallendes Gelächter aus.
„Wer bist du?“, schrie ich und hoffte, dass meine Stimme nicht allzu sehr zitterte.
„Wer ich bin, fragt sie. Ha, das weißt du nicht. Haben dir das deine Eltern nicht beigebracht?", spottete der fremde weiter. Plötzlich trat ein großer silberner Wolf aus dem Schatten. Entsetzt starrte ich auf die langen Fangzähne des Raubtieres. Dann erblickte ich den Reiter des Wolfes. Es war ein Elf. Doch er trug nicht dasselbe wie die Elfen bei uns. Dieser hier trug eine silberne Brustplatte mit einem Wappen. Das Wappen konnte ich nicht genau erkennen. Ich wich ein paar Schritte zurück.
„Versuchst du etwa zu entkommen, kleine Elfe?“, sagte der unbekannte Elf verächtlich und musterte mich von oben bis unten. Sein Blick blieb an meinem noch nicht ausgewachsenen Geweih hängen. Ein böses Grinsen machte sich auf dem Gesicht des Elfen breit.
„Eine Prinzessin ganz alleine. Ha, das ist ja fast zu schön, um wahr zu sein! Du wirst ein schönes Mitbringsel für meinen König!", spottete er. Sein Wolf kam langsam auf mich zu. Ein Schauer nach dem anderen jagte mir über den Rücken. Mir brach der Schweiß aus. Eigentlich sollte ich mich umdrehen und so schnell wie möglich von hier verschwinden, aber ich konnte nicht. Da vernahm ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Zu meinem Schreck tauchten noch mehr dieser komischen Elfen auf. Manche ritten auf Wölfen, andere auf Füchsen und so manch einer auf Dachsen. Ich war umzingelt! Nun gab es kein Entkommen mehr. Voller Panik dachte ich an den Unterricht, doch ich hatte weder Pfeil noch Bogen bei mir und das Klettern würde mir hier auch nichts bringen. Ich war verloren! Da kam der Wolf des Elfen immer näher. Ich wich weiter zurück. Doch plötzlich spürte ich die raue Rinde eines Baumes. Ich saß in der Falle! Mein Herz raste! Nun würden mich diese Kerle entführen und wer weiß was mit mir anstellen. Ich zitterte am ganzen Körper. Warum war ich nur weggelaufen? Plötzlich ertönte ein Heulen. Ich sah ein Schatten und dann wurde der Wolf durch die Luft geschleudert.
„Wenn ihr der Prinzessin dieses Waldes etwas antut, seid ihr fällig!“, rief eine mir nur allzu bekannte Stimme.
„Elio!“, rief ich erleichtert. Ich war noch nie so froh, ihn zu sehen. Ajuga hatte den Wolf durch die Luft geschleudert. Elio drehte sich zu mir um. Ich sah ihm an, dass er sich große Sorgen um mich gemacht hatte.
„Spring auf!“, sagte er und reichte mir seine Hand. Ich nahm sie und er zog mich auf Ajuga. Mittlerweile war eine Schlacht ausgebrochen. Überall sah ich Elfen kämpfen. Immer wieder wurde jemand durch die Luft geschleudert und ich konnte nicht sagen, ob es unsere oder die anderen Elfen waren.
„Halte dich gut fest", sagte Elio zu mir. Ich schlang die Arme um ihn. Entsetzt sah ich, wie die Elfen kämpften. Da spannte Elio auch seinen Bogen und ein Pfeil sauste durch die Luft. Ich schloss die Augen. Ich wollte nicht mit ansehen, wie die Elfen sich bekämpften. Überall hörte man Gebrüll und Geschrei.
„Elio, bring Saskia von hier weg!“ Warte, was? Ich riss die Augen auf. Vor mir sah ich Falk. Er hatte mich auch gesucht? Nach dem was ich getan hatte, war er trotzdem gekommen, um mich zu suchen? Und nun stand er hier und beschützte mich?
„Es tut mir leid!“, murmelte ich.
„Mir auch, Saskia! Wir unterhalten uns zuhause weiter. Dann werde ich dir all deine Fragen beantworten. Versprochen!", sagte er.
„Danke, Dad!“ Als ich das sagte, wurden seine Gesichtszüge weicher und er lächelte sogar.
„Bitte bring Saskia in Sicherheit, Elio“, sagte er dann.
„Natürlich!“, meinte Elio und lenkte Ajuga Richtung Elfenschloss. Da alle in den Kampf verwickelt waren, konnten wir leicht entkommen. Ajuga sprintete durch den Wald.
„Es tut mir leid, Elio. Ich hätte nicht weglaufen sollen! Ich weiß, dass ich euch alle damit in Schwierigkeiten gebracht habe. Ich verstehe, wenn du sauer auf mich bist", murmelte ich kleinlaut.
„Ich bin nicht sauer auf dich. Aber ich hatte Angst, Saskia. Ich hatte Angst dich zu verlieren. Bitte versprich mir, nicht mehr wegzulaufen! Diese Typen, die dich angegriffen haben, sind die Malus, die Anhänger von König Iratus. Sie hätten dich mit zu ihm genommen und ich möchte nicht wissen, was er dort mit dir angestellt hätte. Genau deswegen hatte ich heute auch diese Sitzung. Es ging darum, dass Malus gesichtet wurden. Du kannst mir nicht glauben, was ich für einen Schock bekommen habe, als du nicht mehr in deinem Zimmer warst!"
„Es tut mir leid!“, murmelte ich. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder und die Panik ließ nach. Nun spürte ich erst, wie erschöpft ich war. Vorsichtig lehnte ich mich an Elio. Bei ihm fühlte ich mich sicher. Er hatte mich beschützt! Bald erreichten wir das Elfendorf. Doch Ajuga stoppte erst, als wir das Eingangstor erreicht hatten. In der Eingangshalle wurden wir von einer besorgten Rosie empfangen.
„Schätzchen! Bitte tu mir das nie wieder an! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Ich dachte, dass ich dich nie wieder sehen würde!" Rosie verstummte und eine Träne kullerte ihre Wange hinunter.
„Es tut mir so leid, Rosie“, sagte ich und eilte zu der lieben Elfe hinüber. Vorsichtig nahm ich sie in den Arm.
„Ich wollte nur zurück zu meiner Mom. Es tut mir leid, dass ich dir Angst gemacht habe!", murmelte ich.
„Ach Schätzchen, ich verstehe doch, dass du deine Mutter vermisst. An deiner Stelle würde es mir auch so gehen", meinte die rundliche Elfe und schniefte. Dann löste sie sich aus der Umarmung und griff in ihre Rocktasche. Sie zog ein paar keksartige Köstlichkeiten heraus und drückte mir eines davon in die Hand. Dann ging sie zu Elio hinüber und reichte auch ihm eines.
„Danke, dass du unsere Prinzessin wohlbehalten zurückgebracht hast!“
„Das ist meine Aufgabe“, meinte er schwach grinsend. Dann öffnete sich die große Türe. Die ganzen Elfen von der Schlacht betraten die Eingangshalle.
„Wir brauchen sofort einen Arzt!“, riefen sie wild durcheinander. Was!
„Schnell!“, schrien ein paar andere.
„Unser König ist verletzt!“
Diese Information traf mich mit voller Wucht.