„Beeil dich, Prinzessin!"
„Du nervst!“
„Das weiß ich. Allerdings ändert das aber trotzdem nichts an der Tatsache, dass du zu spät zu deiner Unterrichtsstunde kommst!" Elio nervte gewaltig! Warum musste er eigentlich immer so ansträngend sein? Ich rannte eh schon hinter ihm her.
„Da sind wir auch schon“, meinte Elio und blieb abrupt stehen. Nun wäre ich auch noch beinahe in ihn hineingeknallt. So ein Blödmann. Und warum hatte er nun so gestresst?
„Warum mussten wir uns denn jetzt so beeilen? Wir sind sogar zu früh hier", fragte ich ihn.
„Die nächste Stunde bekommst du einen anderen Leibwächter, da ich zu einer wichtigen Besprechung gerufen wurde. Irgendetwas geht im Wald vor, was nicht so sein sollte. Aber keine Angst. Ich werde dich beschützen Prinzessin", meinte er mit einem Zwinkern. Naja, irgendwie beunruhigte mich das schon ein wenig. Nicht das, dass Elio auf mich aufpasste, sondern dass etwas Merkwürdiges im Wald vor sich ging.
„Elio, du kannst gehen. Ich bin hier, um die Prinzessin zu bewachen", sagte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen hochgewachsenen, blonden Elfen mit Sommersprossen. Er trug dasselbe wie die zwei Elfen, die mich und Mom damals gefangen genommen hatten.
Dann sah ich zu Elio hinüber. Er schien überhaupt nicht erfreut über die Ankunft des Elfen.
„Hallo Liam“, begrüßte er ihn kalt. Was hatte der denn?
„Die Prinzessin bekommt den besten Schutz. Beschütze sie mit deinem Leben, wenn nötig. Ich bin ein Stockwerk tiefer. Wenn irgendetwas Auffälliges passiert, möchte ich darüber sofort in Kenntnis gesetzt werden. Saskia ist meine Schutzbefohlene. Ich übergebe dir nun für eine Stunde meine Pflichten." Wow! Ich hatte Elio noch nie so ernst gesehen. Was war denn mit dem los? Sonst war er doch auch immer zu Scherzen aufgelegt. Und eine Stunde konnte ich nun auch ein Stockwerk getrennt von ihm überleben. Vielleicht hatte es sogar etwas Gutes. So konnte er sich nicht über mich lustig machen.
„Ich werde Saskia, wenn nötig, mit meinem Leben beschützen“, antwortete Liam Elio. Dann wandte sich Elio an mich.
„In einer Stunde bin ich wieder hier, Prinzessin."
Ich nickte. Dann wandte sich Elio zum Gehen ab. Ich sah ihm an, dass er nur sehr ungern ging. Der tat so, als wäre das ein Abschied für lange Zeit. Aber es war nur eine Stunde. Naja. Auch egal. Nun hatte ich eine Stunde Kräuter-, Baum- und Blumenkunde. Ich betrat den Raum. Liam war mir dicht auf den Fersen. Dieses Zimmer sah etwas merkwürdig aus. An den großen Fenstern hingen schwere rote samt Gardinen. Die Wände waren mit dunklem Holz verkleidet. Zwischen den Fenstern stand ein moosgrünes heruntergekommenes Sofa, auf dem orange-braune Kissen lagen. An der Wand rechts von mir stand eine große dunkelgrüne Tafel. Davor stand ein überfüllter Schreibtisch. Außerdem war davor noch ein anderes Pult. Dieses Zimmer erinnerte mich irgendwie an den Wald.
„Guten Tag, guten Tag! Halli hallöchen. Grüß dich! Ach, bei den heiligen Punkten des Marienkäfers, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", sagte ein kleiner dicker älterer Elf. Dieser war mir zuvor gar nicht aufgefallen. Nun kam er zu mir herüber. Er hatte eine Halbmond-Brille auf der Nase und in die Spitze seines langen grauen Bartes hatte er sich einen Zopf hineingemacht.
„Guten Tag, ich bin Saskia“, stellte ich mich vor, obwohl ich ahnte, dass er schon wusste, wie ich hieß.
„Hallo Saskia. Ich bin Hans, aber nenn mich bitte Hansi. Das machen hier alle so", er lächelte mich freundlich an.
„Ein schönes Kleid trägst du da!“, meinte er plötzlich.
„Ja, das hat Rosie gemacht“, sagte ich.
„Oh ja, Rosies Handwerk. Eine wunderbare Elfe, findest du nicht auch? So freundlich und fleißig. Ich statte ihr oft am Abend noch einen kurzen Besuch ab. Die Liebe hat dann immer schon meinen Lieblingstee gekocht. Naja, zumindest ist es mein Lieblingstee seit ich täglich bei ihr vorbeischaue", quasselte Hansi vor sich hin. Täuschte ich mich oder war da jemand verliebt?
„Nun gut. Fangen wir doch gleich mit dem Unterricht an. Setz dich doch bitte dort hin", meinte Hansi und deutete auf das Pult vor dem Schreibtisch. Natürlich setze ich mich sofort. In der nächsten Stunde erklärte er mir den Aufbau einer Pflanze. Es war, im Gegensatz zu dem Biologieunterricht zu Hause, sehr interessant! Die Stunde verging wie im Flug.
„Nächstes Mal wiederholen wir alles nochmal. Dann sehen wir, ob du dir alles gemerkt hast", meinte Hansi, als er mich zur Türe begleitete.
„Ja, bis dann“, meinte ich.
Vor der Tür wartete Elio schon auf mich.
„Und? Bereit etwas mehr von unserem wunderschönen Schloss zu sehen?", sagte er keck. Er war wieder ganz der Alte. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Aber egal. Ich war bereit dazu, dieses Schloss zu entdecken.
„Auf was warten wir noch? Auf geht’s", sagte ich abenteuerlustig. Elio führte mich durch viele Gänge und Hallen. Plötzlich betraten wir eine Halle, dessen Boden aus poliertem Marmor bestand und wunderschöne Kronleuchter von der Decke hingen.
„Diese Halle kenne ich! Das ist doch die Eingangshalle, oder?", fragte ich an Elio gewandt. Dieser nickte.
„Und durch diese Türe dort drüben gelangst du in dein Zimmer. Du musst dann nur noch eine Wendeltreppe hoch, den Gang entlang und noch zwei Stockwerke höher steigen und dann bist du vor deinem Zimmer", erklärte mir Elio. Das war perfekt! Nun kannte ich den Weg von meinem Zimmer aus dem Schloss heraus!
„Kannst du mir noch mehr vom Schloss zeigen?“, fragte ich übermütig.
„Dein Wunsch sei mir Befehl", meinte Elio nur grinsend und lief los. Natürlich folgte ich ihm sofort. Elio zeigte mir eine der vielen Küchen des Schlosses. Dort durfte ich einen Koch kennenlernen und so etwas Ähnliches wie Kekse probieren. Dann führte mich Elio weiter. Er zeigte mir sogar sein Zimmer.
„Soll ich dir noch jemanden vorstellen?“, fragte er schelmisch.
„Wen denn? Deine Freundin?", fragte ich frech zurück.
„So könnte man es auch nennen“, meinte Elio nur. Was? Er hatte eine… Freundin. Das verpasste mir einen Stich.
„Na komm schon! Sie ist draußen", sagte er und rannte los. Nun wollte ich gar nicht mehr mit. Aber Elio war schon losgerannt. Also blieb mir nichts anderes übrig, als ihm hinterher zu rennen. Nach kurzer Zeit hatten wir dann den Hofgarten erreicht, in dem ich das Klettern gelernt hatte. Ich sah mich um, aber weit und breit war keine Elfe zu sehen. Plötzlich stieß Elio ein lautes Heulen aus. Was war denn in ihn gefahren? Wollte er etwa so seine Freundin rufen?
„Was um alles in der Welt?“, fing ich an, doch verstummte sofort, als plötzlich ein lautes Rascheln auf uns zukam.
„Darf ich dir Ajuga vorstellen, Prinzessin?“ Und in diesem Moment sprang eine wunderschöne Füchsin aus dem Gebüsch. Hatte Elio also doch keine Freundin?
„Ajuga, das ist Saskia, unsere Schutzbefohlene“, verkündete Elio an die Füchsin gewandt. Sie schien mich genau zu mustern.
„Unsere Schutzbefohlene?", fragte ich verwirrt.
„Ja. Ajuga ist meine Füchsin. Das heißt, dass sie dich auch beschützt, wenn wir einmal gemeinsam im Wald unterwegs sind", erklärte mir Elio grinsend.
„Dann hast du gar keine Freundin?“ Das war mir einfach so herausgerutscht. Ach herrje! Elio sah mich schon ganz komisch an. Dann fing er an zu lachen.
„Nein, habe ich nicht. Warum interessiert dich das?", wollte er nun wissen. Aber das ging ihn nicht im Geringsten an.
„Wie wäre es, wenn wir wieder hineingehen?“, meinte ich daher nur.
„Wenn du willst. Bis dann Ajuga. Also Prinzessin, mir nach!", rief er und rannte los. Wie immer!