Author's Note:
Triggerwarnung: PTBS
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Kapitel 1:
Überlebensschuld
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Dunkle Wolken brauen sich über uns zusammen. Die Angst vor einem weiteren Unwetter ist groß. Das letzte Unwetter hat uns und der Welt so vieles genommen und wir wissen nicht einmal, warum das alles überhaupt passiert ist. Auf einem Mast in einem der Vorgärten weht die amerikanische Flagge im Wind. Der Anblick bedrückt mich. Von den Vereinigten Staaten von Amerika ist seit der Katastrophe nicht mehr viel übrig. Und dabei waren die Menschen so unendlich stolz auf ihr Land.
„Fuck“, beschwert Killian sich. „Die scheiß Tür geht nicht auf.“ Genervt tritt er noch einmal dagegen. „Zum nächsten Haus.“ Er stapft an mir vorbei. „Wenn wir in den nächsten Minuten nicht irgendwo reinkommen, haben wir ein Problem.“
Heute ist wieder einer dieser Tage. Killian geht es nicht gut. All diese furchtbaren Dinge belasten ihn. Die zerstörten Städte, der Gestank des Todes, die leblosen Menschen und der Druck, irgendwie weitermachen zu müssen. Ich wünschte, ich könnte ihm helfen, doch ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll, um sein Leben zu erleichtern. Es ist, als wäre Killian in einen eiskalten Schild gehüllt und mir fehlt die Fähigkeit, diesen Schild zu durchdringen.
„Ilaria, komm her!“, ruft er nach mir. Ich schüttle den Kopf. Erst da bemerke ich, dass ich die wehende Flagge wie hypnotisiert angestarrt habe.
„Ich komme schon.“ Die ersten Tropfen fallen neben mir ins Gras. Ich beeile mich, um zu Killian zu gelangen.
„Komm, rein da.“ An meinem Rucksack spüre ich, dass er mich in das Haus drückt. Die Tür fällt hinter uns ins Schloss und Killian schließt ab.
„Du hast einen Schlüssel?“, frage ich irritiert.
„Ja, eigentlich wollte ich das Fenster einschlagen, aber dann habe ich den Fake-Stein gesehen. Darin war der Schlüssel versteckt.“ Er drückt mir den Stein in die Hand, dann betritt er sofort die Küche, neben der wir stehen. Mit meinen Fingern tippe ich gegen den falschen Stein. Ich erkenne schnell, dass der Stein aus Plastik besteht. An der Unterseite des Steines ist eine kleine Klappe, hinter der wohl der Schlüssel versteckt wurde. Ich lege den Stein auf die Küchentheke, werfe nur einen kurzen Blick auf die Landschaftsfotografien, die an der Wand hängen und sehe dann zu Killian. Er ist gerade dabei, die Küchenschränke zu durchsuchen. „Gute Neuigkeiten, es gibt etwas zu essen.“
„Ich sehe mir die Zimmer an“, antworte ich ihm.
Schleichend hat sich eine seltsame Routine eingestellt. Anfangs war es mir noch unangenehm, fremde Häuser zu betreten und die Schränke der Menschen nach Nahrung, Getränken und nützlichen Gegenständen zu durchwühlen, aber es geht nicht länger um Besitz. Es geht nicht mehr darum, wem was gehörte. Es geht darum, dass Killian und ich in dieser zerbrochenen Welt weiterleben können.
Ich gehe einige Schritte durch den schmalen Gang und stehe schon an einer Tür. Es ist ein Wandschrank, in dem einige Kleidungsstücke hängen. In der Tür rechts davon finde ich ein ordentliches Schlafzimmer, sogar das Bett ist gemacht. Links von dem Wandschrank finde ich ein weiteres Schlafzimmer. Es ist etwas größer und auch das Bett würde genug Platz für Killian und mich bieten. Ich könnte mir vorstellen, die Nacht hier zu verbringen. Eines der Fenster zeigt das benachbarte Haus und einen Holzzaun, das andere Fenster lässt mich auf die Straße hinausblicken. Einige der Blumen im Garten sehen ein wenig traurig aus. Der Regen wird ihnen guttun. Der breite Wandschrank, der von einer weißen, etwas störrischen Schiebetür versteckt wird, beherbergt Kleidung. Einige Kleider und Blusen, aber auch Hosen und Pullover. Neue Kleidung könnten wir gut gebrauchen. Für mich wäre bestimmt etwas dabei, für Killian sind die Kleidungsstücke aber bestimmt zu eng.
Ich lasse meinen Rucksack in dem Schlafzimmer zurück, dann entdecke ich das Badezimmer. Um besser sehen zu können, entzünde ich ein Feuerzeug. Es ist mittlerweile Routine für mich, Badezimmer genauer zu durchsuchen. Hinter dem Spiegel versteckt sich ein kleiner Schrank, in dem ich die üblichen Zahnbürsten, Rasierer und auch die orangen Dosen mit Medikamenten finde. Ich lege die orangen Dosen in das Waschbecken und blicke dann in den Schrank darunter. Neben einem Körbchen mit Reinigungsmitteln liegen einige kleine Handtücher und Schwämme. Ich freue mich, als ich zwei Rollen Toilettenpapier finde und lege sie ebenfalls in das Waschbecken, bevor ich den kleinen Schrank wieder schließe.
Das Badezimmer ist nicht besonders groß. Wahrscheinlich ist es schon beengend, wenn man zu zweit hier drinnen steht. Neben dem Waschbecken befindet sich noch eine Toilette und direkt daneben dann eine Badewanne. Die Kalkspuren an der Glaswand davor zeigen, dass sie wohl auch als Dusche benutzt wurde. Beim Verlassen des Badezimmers, stecke ich die orangen Dosen in meine Jackentasche und nehme dann auch das Toilettenpapier an mich. Killian muss sich die Medikamente ansehen. Mit einem metallischen Schnappen klappe ich das Feuerzeug wieder zu, um die kleine Flamme zu erlöschen. Das Toilettenpapier verstaue ich in meinem Rucksack, dann widme ich mich der letzten verschlossenen Tür.
Ich entdecke ein weiteres Schlafzimmer mit einem schmaleren Bett. Es ist für eine einzelne Person gedacht. In dem eher düsteren Raum ist es unordentlich. Kleidung liegt auf dem Boden. Auf dem Bett an der Wand liegen einige weitere Kleidungsstücke. Ein dunkler Vorhang versteckt den Blick auf die Straße. Ich schiebe den groben Stoff ein wenig zur Seite und sehe hinaus. Der Regen wird immer stärker. Durch den grölenden Donner vibriert die Fensterscheibe vor meinem Gesicht. Es löst Unbehagen in mir aus, doch ich verdränge das Gefühl schnell wieder. Wahrscheinlich wird uns nichts Anderes übrigbleiben, als die heutige Nacht in diesem Haus zu verbringen. Nach einem tiefsitzenden Seufzen ziehe ich den Vorhang wieder vor das Fenster und mache mich auf die Suche nach Killian. Das Haus ist in Ordnung, hier lässt es sich eine Weile aushalten. Bis das Gewitter vorbei ist, müssen wir ohnehin hierbleiben, wieso den Aufenthalt nicht um ein paar Tage verlängern? Ich suche nach Killian, um ihm meine Idee schmackhaft zu machen.
„Killian?“
Ich bekomme keine Antwort, finde meinen Liebsten aber schnell wieder. Er steht mitten im Wohnzimmer. Sein Blick ist auf ein großes Bild gerichtet, das an der Wand über der Couch hängt. Das Motiv erkenne ich sofort. Das ist die Golden Gate Bridge, das Wahrzeichen von San Francisco.
„Killian?“, frage ich vorsichtig und lege meine Hand an seinen Arm. Sanft streichle ich ihn.
„Denkst du, dass es richtig war, San Francisco zu verlassen?“, fragt er nach. „Wir hätten bleiben sollen. Was ist, wenn jemand nach uns sucht? Luna und Jean? Marc? Angus und seine Familie? Da draußen könnte noch jemand sein, der nach uns sucht und wir sind gegangen und werden uns vielleicht nie wiedersehen.“ Ich lege meine Arme um Killian und lehne meinen Kopf gegen seine Schulter. „Und wohin gehen wir überhaupt? Nach Sacramento? Und dann? Wieder eine Geisterstadt. Ich weiß nicht, was wir tun, Ilaria. Ich weiß es einfach nicht.“
„Ach, Killian. Denk das nicht, bitte.“ Ich nehme ihn an der Hand und führe ihn aus dem Wohnzimmer. Das Prasseln des Regens wird stärker. Ich werfe noch einen letzten Blick aus dem großen Fenster in den hinteren Garten, dann bringe ich Killian ins Schlafzimmer. Mit sanftem Druck auf seine Schultern, bewege ich ihn dazu, sich auf das Bett zu setzen. Er muss sich ausruhen.
„Ich weiß nicht, was wir tun sollen“, wiederholt Killian seine Zweifel. Vorsichtig lasse ich mich auf seine Oberschenkel sinken. Er nimmt mich sofort fest in den Arm und drückt mich an sich. „Das ist doch alles beschissen.“
Traurig streiche ich durch Killians Haar. Seine Umarmung wird sogar noch ein wenig fester. „Was wäre, wenn wir nicht mehr daran denken, wohin wir gehen oder was wir tun, sondern uns auf etwas Anderes konzentrieren?“
Killians Griff wird lockerer. Er sieht mich an. „Was meinst du?“
Ganz vorsichtig wische ich mit dem Ärmel meines Hoodies über seine Augen. „Wenn es überall gleich ist, dann ist es nicht wichtig, wohin wir gehen. Lass uns die Welt entdecken. Vielleicht treffen wir irgendwo und irgendwann nette Menschen. Vielleicht brauchen wir keinen großen Plan, sondern leben von einem Tag zum nächsten.“ Killian zieht seine Nase hoch. Er senkt seinen Blick, also küsse ich seine Schläfe. „Ich weiß, dass es schwer ist. Es ist chaotisch und es macht große Angst, aber wir konzentrieren uns auf uns. Wir konzentrieren uns darauf, dass wir sicher sind, dass wir etwas zu essen haben und dass wir zusammen sind.“ Mein Liebster nickt zaghaft. „Ruh dich aus, Killian. Du brauchst Schlaf. Ich suche in der Küche nach Töpfen und sammle Regenwasser. Die Badewanne sieht in Ordnung aus. Wir könnten ein paar Tage hierbleiben, uns ausruhen, uns Waschen, uns neue Kleidung suchen.“
Killian nickt, doch dann seufzt er. „Du gehst bei dem Regen nicht nach draußen. Ich erledige das mit den Töpfen.“
„Bevor ich das erlaube, musst du mir einen Kuss schenken.“
Killian löst sich ein wenig von mir und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Ich bekomme einen sanften Kuss. Erst bin ich zufrieden, doch als ich in seine blauen Augen blicke, erkenne ich eine unangenehme Leere. Es macht mir Angst, meinen Liebsten so zu sehen. Die Katastrophe hat nicht nur San Francisco zerstört. Auch in Killian ist einiges beschädigt worden. Er hat sich verändert.
„Erlaubnis erteilt“, versuche ich Killian mit einem Scherz aufzuheitern.
„Danke“, gibt er für seine Verhältnisse leise von sich.
„Für die Erlaubnis?“
„Auch“, antwortet er, ehe er einen Mundwinkel hochzieht. „Keine Ahnung, was ich ohne dich tun würde. Oder ob ich überhaupt etwas tun würde.“ Sein Griff an meiner Taille wird fester. „Manchmal macht es mich verrückt, dass du die Dinge so positiv sehen kannst, aber es ist wahrscheinlich besser sich an etwas Positives zu klammern.“
„Ich wüsste nicht, wie ich die Dinge sonst sehen soll“, antworte ich ihm ehrlich. „Aufzugeben ist keine Option für mich. Sonst hätte ich schon lange aufgegeben.“
Wieder nickt Killian. Er beugt sich zu mir und wir küssen uns sanft. „Du hast schon recht, aber es ist schwer, positiv zu denken, wenn alles so beschissen läuft.“
Ich sehe mich um. „Heute läuft es doch gut. Wir haben etwas zu essen und ein sicheres Dach über dem Kopf.“ Vorsichtig lächle ich meinen Liebsten an. „Wir sind trocken und du kannst heute in einem bequemen Bett schlafen.“ Einige Sekunden lang tauschen wir Blicke aus, dann zieht auch er einen Mundwinkel hoch.
„Ja“, gibt Killian weniger überzeugt von sich. Ich merke sofort, dass er sich windet. „Stimmt schon.“ Nachdem er einmal tief durchgeatmet hat, spricht er weiter: „Na los, steh auf, wir müssen Wasser sammeln, wenn wir uns waschen möchten. Und ich muss mich unbedingt waschen. Keine Ahnung, wie du mich aushältst.“
Ich kichere. Bevor ich daran denke, aufzustehen, streiche ich über Killians Wange. Ich lege meine Hand an sein Kinn, richte seinen Blick auf mich und küsse dann sanft seine Lippen. „Nicht aufgeben, ja?“
„Nein, nein, mach dir darüber keine Sorgen. Es wird sicher bald wieder besser. Irgendwie.“
Als ich aufstehe, tut Killian es mir gleich. Zusammen gehen wir in die Küche, in der schon einige Nahrungsmittel auf der Theke stehen. Heute können wir uns problemlos den Bauch vollschlagen. Killian klimpert mit einigen Töpfen und geht damit nach draußen. Ich beschließe, mich noch ein wenig in dem Haus umzusehen. Das Bild der Golden Gate Bridge fängt auch meinen Blick. Ich werfe einen kurzen Blick über meine Schulter. Killian stellt gerade die Töpfe auf, um das Regenwasser zu fangen. Es ist schwer zu erklären, was mich dazu treibt, doch ich gehe auf das Bild zu und nehme es von der Wand. Erst überlege ich, es zu zerstören, doch da andere Menschen dafür vielleicht irgendwann Verwendung haben könnten, lasse ich es hinter der Couch verschwinden. Der Holzrahmen des Bildes klappert, als ich es fallen lasse. Auf diese Weise müssen wir es zumindest nicht mehr sehen. Wir brauchen kein Bild, das schmerzhafte Erinnerungen wiedererweckt. An der Wand links von mir hängt ein Spiegel, in den ich einen flüchtigen Blick werfe. Nicht nur Killian sieht müde aus. Mir geht es nicht anders. Das neue Leben, was ich mir unbedingt mit Killian aufbauen wollte, ist zerbrochen wie Glas, das zu Boden gefallen ist. Es ist anstrengend die winzigen Scherben zusammenzusammeln und damit etwas Neues zu erschaffen.
„Was hast du mit dem Bild gemacht?“, fragt Killian mich.
„Es abgenommen. Ich will es nicht sehen“, antworte ich ihm.
„Kann ich gut verstehen. Hat mich eiskalt erwischt.“ Mein Liebster reibt sich den Nacken. „Der Regen wird grade stärker.“ Er nickt zu den großen Fenstern. „Eigentlich schon seltsam, wie friedlich der Regen fällt.“
Ich trete an Killian heran und streiche über seinen Arm. „Kannst du mir hiermit vielleicht helfen?“ Aus meinen Jackentaschen ziehe ich die orangen Dosen mit den Medikamenten. „Ich weiß nicht, was das ist.“
Killian nimmt die Tabletten an sich und betrachtet die Etiketten. „Schmerztabletten. Die hier kann ich nicht nehmen, aber die hier sind okay.“ Er nimmt eine der Dosen an sich und verstaut sie in seinem Rucksack, den er auf der Küchentheke abgestellt hat.
„Darf ich fragen, was der Unterschied zwischen den Tabletten ist?“
„Die in deiner Hand sind sehr stark und sie machen ziemlich schnell abhängig und das will ich mit meiner Vorgeschichte nicht riskieren. Ich kann nicht noch mehr Scheiße gebrauchen.“
„Dann stelle ich sie zurück in den Schrank.“ Ich bringe die Tabletten zurück in den Spiegelschrank des Badezimmers und widme mich dann dem Wandschrank im Flur. Auf der Suche nach etwas Nützlichem durchsuche ich die Taschen der Mäntel und Jacken. Bis auf Kaugummi und eine Sonnenbrille finde ich allerdings nichts Interessantes.
„Hast du schon Hunger?“, fragt Killian mich. Seine Stimme ist ein wenig lauter.
„Nein, noch nicht“, antworte ich, während ich die Schranktür wieder schließe.
„Gut, dann kann ich mich noch ausruhen. Komm her zu mir, du solltest dir auch eine Pause gönnen.“
„Ja, da hast du recht.“
Ich gehe zurück ins Wohnzimmer. Den Kaugummi und die Sonnenbrille lege ich auf die Küchentheke, dann setze ich mich zu Killian auf die Couch. Es tut gut, sich hinzusetzen. Wir waren den ganzen Tag unterwegs. Killian macht es sich bequem, legt seine Füße auf dem Couchtisch ab und sieht aus dem großen Fenster nach draußen. „Im Garten wächst ein Zitronenbaum. Wir könnten ein paar davon mitnehmen, wenn wir das Haus verlassen. Man kann sie zwar nicht so essen, weil sie verdammt sauer sind, aber wir könnten den Saft in unser Wasser drücken. Das schmeckt ziemlich gut und das Vitamin C ist gesund.“
„Das klingt nach einer guten Idee.“ Ich lehne mich an Killians Schulter. Er legt sofort seinen Arm um mich und streichelt mich.
„Zu Fisch ist Zitrone auch sehr lecker.“
„Dann sollte ich demnächst einen Fisch an Land ziehen.“
Killian nickt leicht. „Ja.“ Er lässt einen tiefen Seufzer los. „Die Blitze wirken normal.“
„Ein Glück.“
Als die bruchstückhaften Erinnerungen an die grünen Blitze in meinem Kopf auftauchen, lehne ich mich an Killians Schulter. Mein linkes Bein zuckt. Ich schlucke. Denk schnell an etwas Anderes, Ilaria.
Still sitzen wir auf der Couch. Ich streichle über Killians Brust. Das Prasseln des Regens ist ziemlich laut. Ich beobachte die Tropfen dabei, wie sie in den aufgestellten Töpfen verschwinden. Sollte der Regen alle Töpfe füllen, könnten wir sogar ein Bad nehmen. Wenn wir das Wasser vorher mit Feuer erhitzen, ist es auch für Killian warm genug.
„Willst du dir mit mir noch die Garage ansehen? Wäre praktisch, wenn wir noch Grillkohle finden“, unterbricht Killian die Stille mit einem Vorschlag.
„Wir wollten uns ausruhen“, erinnere ich ihn, worauf er leicht nickt.
„Es ist schwer, stillzusitzen. Keine Ahnung, was mit mir los ist.“
„Du solltest dich entspannen“, meine ich und streiche durch sein Haar. Ich küsse Killians Wange, dann seinen Hals, doch Killian drückt mich von sich.
„Ich bin nicht in Stimmung“, erklärt er knapp und sieht wieder aus dem Fenster. Die Ablehnung treibt einen eiskalten Schauer in meinen Brustkorb. Ich senke meinen Blick, da spüre ich Killians Hand an meiner Schulter. Er zieht mich wieder an seine Seite. „Es liegt nicht an dir, es ist nur alles so beschissen im Moment. Da kann ich das einfach nicht.“
„Es ist nicht so leicht, dich wieder aufzuheitern.“
„Leider nicht, nein“, stimmt Killian mir geschlagen zu. „Es wird wieder besser. Irgendwann.“ Sanft küsst Killian meine Schläfe. Auch wenn seine Worte nicht überzeugend klingen, muss ich ihm glauben. Einen anderen Gedanken kann ich nicht zulassen.
༄ ♫ ༄
Es dauert einige Stunden, doch der Regen liefert uns genug Wasser, damit wir ein Bad nehmen können. Durch die Hilfe des Grills ist es sogar angenehm warm. Mit geschlossenen Augen liegt Killian in der Wanne. Der Schaum ist leider nicht so schön aufgegangen, wie es durch den Wasserhahn möglich wäre, doch Killian wirkt zufrieden. Ich sitze auf der geschlossenen Toilette und beobachte meinen Liebsten. Besonders viel Platz ist in dem Badezimmer nicht. Ich würde mir wahrscheinlich die Flosse verrenken, wenn ich versuchen würde, aus der Badewanne zu klettern. Eine Kerze erhellt den Raum. Wären die Umstände ein wenig anders, könnte es sogar romantisch sein.
„Wie fühlst du dich?“, frage ich leise nach. Da Killian keine Antwort gibt, gehe ich davon aus, dass er eingeschlafen ist.
Als ich gerade dabei bin, aufzustehen, meldet er sich doch zu Wort: „Beinahe wieder menschlich.“
Ich lasse mich zurück auf das Handtuch, das ich auf den Toilettendeckel gelegt habe, sinken. „Das ist gut, nicht wahr?“
Killian öffnet seine Augen und sieht mich an. „Ja. Die Wanne könnte größer sein, aber ich will mich nicht beschweren.“
„Du siehst auch schon viel besser aus.“
„Willst du Platz tauschen? Das Wasser wird langsam ziemlich kühl.“
„Ich weiß nicht, ob ich es wieder aus der Wanne schaffe, wenn das hier alles so verwinkelt ist.“ Ich tippe auf die Glaswand neben mir, um zu verdeutlichen, was ich damit meine.
Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Wir lassen uns etwas einfallen, falls du feststeckst.“
„Na das klingt ja sehr beruhigend“, antworte ich amüsiert. Die Vorstellung, in der Wanne festzusitzen, ist jedoch nicht so amüsant.
„Wir können das Wasser ja ablassen und dich dann trocknen, während du in der Wanne sitzt. Du wirst also nicht für immer festsitzen.“ Killian steht auf, also tue ich es ihm gleich. Ich nehme das Handtuch, auf dem ich gerade gesessen bin und reiche es ihm, sobald er die Wanne verlassen hat. „Danke.“ Wir quetschen uns aneinander vorbei, sodass ich nun neben der Wanne stehe. „Das Wasser sollte okay sein. Die übelriechendsten Körperstellen habe ich vorher schon gewaschen.“
Ich schüttle den Kopf. „Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht, aber danke für das Bild in meinem Kopf.“
„Du lebst mit einem Wilden zusammen, gewöhn dich daran.“
Ich kichere, dann beuge ich mich zu Killian und gebe ihm einen Kuss. Er öffnet den Spiegelschrank und stöbert in den Tinkturen. „Na sieh mal einer an. Bartöl. Der heutige Tag ist tatsächlich gar nicht mal so scheiße.“
„Das Haus ist eine Goldmine“, antworte ich ihm. „Naja, fast. Die Frau, die hier gewohnt hat, hatte wohl einen kleineren Hintern als ich. All ihre Hosen sind mir zu eng.“
„Dein Hintern ist vollkommen in Ordnung, Ilaria“, tröstet Killian mich, während ich mich ausziehe. Er schließt den Spiegelschrank und sieht zu mir. „Alles an dir ist mehr als in Ordnung.“
„Es war ja auch keine Beschwerde“, antworte ich ihm und steige dann schon in die Wanne. „Nur eine Feststellung. Mir würde nie in den Sinn kommen, mich über mich zu beschweren.“ Meine Beine schließen sich zusammen, Schuppen breiten sich auf meiner Haut aus und schon ragt meine Flosse aus der kleinen Badewanne. Ich betrachte meine nun längeren Fingernägel und sehe dann wieder zu Killian auf. „Naja, ein bisschen eng ist es ja schon.“ Ich rutsche mit dem Hintern hin und her. „Ich glaube ich liege auf einer Perle.“ Killian bindet sich das Handtuch um seine Hüfte. Er geht in die Knie und hilft mir dabei, meine Haare über meine Schultern zu legen. „Vielen Dank, Killian.“
„Nichts zu danken, Prinzessin.“ Er beugt sich über den Rand und küsst meine Stirn. „Ich zieh mir eben was Sauberes an.“
„Kommst du dann wieder?“, frage ich nach, worauf Killian leicht nickt. „Bringst du mir vielleicht etwas zu essen? Ich hätte nichts gegen die Tüte Chips einzuwenden.“
„Chips in der Badewanne? Ist das nicht ein bisschen unpraktisch?“
„Nein, nein, solange meine Hand trocken bleibt, wird schon nichts passieren.“
Killian scheint zu überlegen. „Wie wäre es damit: Ich bringe dir eine Schüssel mit Chips als kleinen Snack und nach dem Essen teilen wir uns die restliche Tüte im Bett.“
Ich lege den Kopf schief und überlege, dann nicke ich. „Klingt gut.“
„Dann bringe ich dir deinen Snack und kümmere mich dann um das Essen.“
„Iss aber nicht alles alleine auf.“
„Tz“, gibt Killian empört von sich. „So wild bin ich nun auch wieder nicht.“ Er grinst mich an. „Obwohl das gerade die perfekte Möglichkeit wäre, dir deine Portion wegzuessen, immerhin steckst du in der Wanne fest.“
„Ich stecke gar nicht fest“, antworte ich schnell. „Meine Flosse ist nur ein bisschen zu lang.“ Killian sieht zu meiner Flosse, die durch die Glaswand doch ein wenig eingequetscht aussieht.
„Wie eine Sardine in der Dose“, meint er schmunzelnd.
Mit meinem nassen Finger stupse ich seine Wange an. „Na vielen Dank, da fühle ich mich so richtig gewürdigt.“ Killian fängt meine Hand und küsst meinen Handrücken.
„Ich mag Sardinen“, meint er, dann küsst er meine Stirn und richtet sich auf. „Ich lasse die Tür offen.“
„Danke. Es ist doch ein wenig unheimlich, so alleine im Dunkeln.“
„Würdest du dich mit einer zweiten Kerze wohler fühlen?“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, danke. Wir sollten sparsam mit ihnen umgehen.“
„Ja, da hast du Recht.“ Beim Hinausgehen, spricht er mich noch einmal an: „Ruf nach mir, wenn du irgendetwas brauchst.“
„Mache ich.“
Killian schenkt mir noch ein sanftes Lächeln, bevor er aus meinem Blickfeld verschwindet. Ich atme tief durch, rutsche etwas tiefer ins Wasser und schließe meine Augen.
༄ ♫ ༄
Ich erwache, als Killian mich an sich drückt. Mein Kopf ist noch nicht ganz aufnahmefähig, doch ich höre, dass Killian seine Nase hochzieht. Ich schiebe die weiche Decke aus meinem Gesicht und lausche meiner dunklen Umgebung.
„Ach, fuck“, murmelt er leise, doch ich kann ihn klar und deutlich hören. Killian vergräbt sein Gesicht in meinem Haar, dabei drückt er mich fester an sich.
„Hast du schon wieder schlecht geträumt?“, frage ich leise nach.
Ich werde gestreichelt. „Es ist alles gut.“
Besorgt drehe ich mich in Killians Richtung. Das grüne Schimmern am Himmel ist heute nicht hell genug, um Licht zu spenden, also taste ich mich vorsichtig an Killians Gesicht heran. Ich streiche über seine Brust, seinen Hals, fühle seinen Bart unter meinen Fingern und spüre schließlich seine feuchte Wange. „Es fühlt sich aber nicht so an, als wäre alles gut.“
„Nur ein beschissener Traum.“ Killian wischt über seine Wangen, dann zieht er mich wieder an sich und drückt mir einen Kuss ins Haar. „Du bist hier, also ist alles gut.“
Ich schmiege mich an den warmen Körper meines Liebsten. Derselbe Albtraum. Killian wird immer wieder von denselben Bildern heimgesucht. Er träumt davon, mich zu verlieren. Dass ich in San Francisco beinahe unter Trümmern vergraben wurde, lässt ihn nicht mehr los. Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um ihm zu helfen. Wenn es doch nur etwas geben könnte, dass ihm hilft, das alles zu vergessen.
„Wir sind in Sicherheit“, erinnere ich ihn leise, dabei streiche ich über seine Brust. „Was kann ich tun, Killian? Ich will dir so gerne helfen, aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll.“
Mein Liebster spielt mit meinen Haaren. Sein Brustkorb hebt und senkt sich unter meinen Fingern. Sein Herz schlägt aufgeregt, doch ich habe das Gefühl, dass die Schläge immer ruhiger werden, je länger ich ihn streichle. Killian schweigt. Ich bin nicht sicher, ob er darüber nachdenkt, was ich tun kann, um ihm zu helfen, ob er mit seinen Worten ringt oder ob er einfach nur nicht weiß, was er sagen soll. Ich lasse es auf sich beruhen und schließe meine Augen. Was es auch ist, heute Nacht werde ich wohl nichts mehr tun können, um dieses Problem zu lösen. Ich werde immer müder und müder. Klare Gedanken zu fassen wird schwerer.
„Wenn ich es wüsste, könnte ich es dir sagen.“ Ich öffne erschrocken die Augen, dann atme ich durch. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken“, entschuldigt Killian sich flüsternd. „Schlaf weiter.“
„Wenn du reden willst, dann bleibe ich wach. Ich kann auch später schlafen.“
Killian krault meinen Nacken, dann küsst er meine Stirn. Sein Bart kratzt ein wenig. „Nein, schon gut. Ich wüsste gar nicht, was ich sagen soll.“
„Du weißt, dass ich dir zuhöre, sobald du mir sagen kannst, was in dir vorgeht.“
„Danke, dass du für mich da bist, auch wenn ich es dir nicht leicht mache.“
„Du kannst nichts dafür“, tröste ich ihn. „Alle, die überlebt haben, müssen mit ihren Verlusten zurechtkommen.“ Ich atme tief durch und küsse Killians Brust. „Was auch passiert, wir haben immer noch einander und uns wird es gutgehen.“
„Wie kannst du dir so sicher sein?“, fragt Killian nach. „Das alles ist ein unüberschaubares Desaster.“
Ich zucke mit den Schultern, dann löse ich mich ein wenig von ihm, um ihn ansehen zu können. Ich kann Killian in der Dunkelheit zwar nur schemenhaft erkennen, trotzdem sehe ich in sein Gesicht. „Deine Welt bietet viele Möglichkeiten, Nahrung zu finden. Für Reisen haben wir ein Zelt und unsere Schlafsäcke und außerdem haben wir uns. Das ist doch das Wichtigste.“ Ich reibe mir mein müdes Auge, dann lächle ich leicht. „All die schlimmen Dinge da draußen zählen am Ende des Tages nicht mehr, wenn wir nebeneinander liegen.“
„Wenn es doch nur so einfach wäre.“ Killian lässt seine Hand an meiner Taille ruhen. „Du und dein verdammter Optimismus. Manchmal frage ich mich, ob du die Realität vollkommen verweigerst.“ Ich presse meine Lippen aufeinander. „Ich weiß, dass du nicht dumm bist, aber du scheinst manchmal überhaupt nicht zu verstehen, wie tief die Scheiße ist, in der wir stecken.“
„Was soll ich deiner Meinung nach tun? Den ganzen Tag weinen? Ich habe meine Welt bereits verloren, falls du dich erinnerst. Ich weiß nicht, was mit meiner Familie, meinen Freunden und allen anderen Wesen aus meiner Welt passiert ist.“
„Ilaria, so habe ich das nicht gemeint.“
„Ich weiß, aber ich weiß ganz genau, was um mich herum passiert ist. Ich habe gesehen, wie sich dieser Mann vor unseren Augen aufgelöst hat. Ich erinnere mich daran, blutend auf dem Boden gelegen zu haben.“ Ich halte inne und klammere mich an Killians Shirt. „Es ist nur einfacher, diese Szenen aus meinem Kopf zu verbannen und mich auf das zu konzentrieren, was wir haben.“ Ich senke meinen Kopf und schmiege mich wieder an Killian. „Ich muss das tun, um nicht verrückt zu werden. Ich kann nicht anders.“
Killian drückt mich fest an sich und reibt über meinen Rücken. „Schon gut, tut mir leid, dass ich das gesagt habe. Ich bin müde und vollkommen fertig von den verdammten Albträumen.“ Er räuspert sich. „Kaum schließe ich die Augen, wartet schon der nächste Albtraum auf mich.“ Nun brummt Killian verstimmt.
„Vielleicht wäre es ganz gut, wenn du auch an etwas Positives denkst?“
„Ich fürchte, dass wir uns im Kreis drehen, Prinzessin.“
Ich seufze. „Versuch einfach, zu schlafen. Wenn du dich ausgeruht hast, dann ist alles auch viel weniger furchtbar.“
„Wenn du damit nur recht hättest.“
Ich halte mich wach, bis ich Killians Schnarchen wahrnehme. Obwohl ich selbst recht müde bin und es mir schwerfällt, die Augen offen zu halten, möchte ich sichergehen, dass es ihm gutgeht und kein weiterer böser Traum ihm den Schlaf raubt. Liebevoll streiche ich durch sein Haar. Obwohl es wahrscheinlich nicht zu ihm durchdringen wird, flüstere ich: „Du wirst einen wundervollen Traum haben und morgen ausgeruht aufwachen. Die Welt wird sich ganz anders anfühlen, wenn du erst richtig ausgeschlafen bist. Ich liebe dich, Killian.“
In der Dunkelheit fixiere ich sein Gesicht. Es mag vielleicht Einbildung sein, aber ich bin mir fast sicher, dass Killian ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen trägt. Vielleicht hat der wundervolle Traum gerade begonnen. Mein Liebster dreht sich auf den Rücken, sein leises Schnarchen wird ein wenig lauter, doch ich nutze die Gelegenheit, mich an seine Schulter zu kuscheln. Ich ziehe die Decke ein wenig höher, sodass ihm nicht kalt wird. Mit sanften Streicheleinheiten liebkose ich seine Brust und schließe nun selbst meine Augen. Es wird Zeit, dass ich mich an meinen eigenen Rat halte und mich ausruhe. Ein schöner Traum würde auch mir guttun.
Gerade als ich dabei bin, einzuschlafen, höre ich etwas. Ich öffne meine müden Augen und blicke zu dem großen Fenster Richtung Straße. Die Wolken haben sich wohl gelichtet, denn im grünen Schimmer kann ich etwas auf dem äußeren Fensterbrett erkennen. Die Bewegungen zuzuordnen ist erst nicht ganz einfach, aber dann kann ich Flügel erkennen. Ein großer Vogel tippt mit seinem Schnabel gegen das Fenster. Ich blinzle, um einen klareren Blick darauf werfen zu können, doch ich habe mich zu lange wachgehalten. Alle Versuche, mich gegen die aufdringliche Müdigkeit zu wehren, schlagen fehl. Ich werfe noch einen letzten Blick auf das Fenster, dann schließen sich meine Augen.