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Kapitel 13:
Hoffnungsschimmer
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Die Stimmen der Elbinnen holen mich aus meinem Schlaf. Müde blinzle ich, um meine Sicht zu klären, dann reibe ich mir über ein Auge. Ich erkenne nicht nur die Stimme der Heilerin, sondern auch Endras Stimme wieder. Sie scheinen sich in der kleinen Küche der Hütte zu unterhalten. Erst verstehe ich nicht ganz, worüber sie sprechen, doch die Worte werden immer klarer, je länger ich mich darauf konzentriere. Ein Blick in Killians Gesicht holt mich sofort zurück in die Realität, er sieht krank und blass aus. Zu meinem Bedauern kann ich spüren, dass es ihm auch heute nicht besser geht. Besorgt streiche ich über seine Wange und durch seinen Bart. Ihn so zu sehen, bricht mir das Herz. Wenn es doch nur irgendetwas gäbe, was ich für ihn tun kann.
„Der Mensch scheint noch gar nicht auf dem Weg der Besserung zu sein. Er ist blasser als ein Pilzling. Ist er anders, als die Menschen aus unserer Welt? Vielleicht ist es nur die Kleidung, aber ein bisschen anders sieht er ja doch aus, oder irre ich mich?“
„Ich bin nicht sicher, woran es liegt“, antwortet die Heilerin. „Vielleicht brauchen die Menschen aus der anderen Welt eine höhere Dosis, um gleiche Resultate zu erzielen. Es könnte allerdings auch an der Meerjungfrau liegen. In den Büchern steht nicht besonders viel über ihre Verbindung und ich bin sicher, dass sie ebenfalls krank ist. Man kann es an ihren Augen erkennen.“
„Ach, das kann man sehen? Wie sieht das denn aus? Gestern Abend ist mir gar nichts aufgefallen. Sie wirkte eigentlich recht normal, außer dass sie müde ausgesehen hat. Aber wer irgendwo im Wald auf dem Boden schläft, sieht nun mal müde aus. Hab' mir nicht so viel dabei gedacht.“
Meine Augen? Ich setze mich leise auf, um dem Gespräch besser lauschen zu können. Ich sehe auf meine Finger, dann Richtung Feuerstelle. Sie hat Recht. Irgendetwas stimmt nicht mit meinen Augen. In der Hoffnung, dass ich gleich wieder besser sehen kann, reibe ich mir die Augen erneut, doch meine Sicht bleibt getrübt. Dass es Killian nicht gutgeht, beeinflusst mich immer stärker. Die Müdigkeit und die Kälte sind eine Sache, aber dass nun auch mein Augenlicht beeinflusst wird, ist kein gutes Zeichen. Ich schlucke, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden, doch der Erfolg bleibt mir verwehrt.
„Ja“, höre ich die Heilerin sprechen, ehe sie erklärt: „Ihre Augen wurden letzte Nacht immer trüber. Du kannst es mit den vernebelten Augen eines Blinden vergleichen.“
„Oh“, erklingt Endras Stimme überrascht. „Das tut ihr doch nicht weh oder? Sie ist so ein nettes Mädchen. Ist ja schon schlimm genug, dass es ihrem Menschenfreund nicht gut geht, da muss man wirklich keine zusätzlichen Beschwerden haben.“
„Ich weiß es nicht. Ich konnte die Veränderungen zwar beobachten, aber wie sehr sie dadurch beeinflusst wird, konnte ich nicht beurteilen. Wenn sie wach ist, werde ich sie untersuchen“, verspricht die Heilerin.
Obwohl ich es zu schätzen weiß, dass die Heilerin sich auch um mich kümmern möchte, befürchte ich, dass sie damit nur ihre kostbare Zeit verschwendet. Ich bin nicht diejenige die krank ist. Killian braucht ihre Hilfe viel dringender als ich. Vorsichtig streiche ich durch Killians Haar, dann steige ich aus dem Bett. Mein Liebster bekommt einen sanften Kuss von mir. Schon nach den ersten Schritten ruht der Blick der Heilerin auf mir. Auch Endra dreht sich in meine Richtung. „Ilaria, du bist ja wach.“ Sie hebt ihre Hand und deutet eine winkende Geste an, lässt ihre Hand jedoch recht schnell wieder sinken.
„Mir geht es gut“, antworte ich auf die unausgesprochene Frage, dann deute ich zu Killian. „Aber Killian geht es immer noch nicht besser. Bitte, du musst ihm helfen. Ich kann spüren, dass es ihm schlechter geht. Du hast gesagt, dass er bald wieder gesund sein wird, aber es wird schlimmer, anstatt besser. Ich mache mir Sorgen um ihn.“
Die Heilerin nickt. „Setz dich, Meermädchen.“ Mit ihrer Hand gestikuliert sie in Richtung des gemauerten Kamins. „Ich kümmere mich um deinen Freund und dann möchte ich mir dich noch einmal genauer ansehen.“
Da mir die Kraft und die Ausdauer fehlt, ihr zu widersprechen, tue ich, was sie von mir verlangt. Es ist wahrscheinlich besser, wenn ich nicht im Weg stehe, während sie sich Killians Wunden noch einmal genauer ansieht. Wie verzaubert blicke ich auf das prasselnde Feuer. Da ich immer noch diese unaufhörliche Kälte spüre, ziehe ich mir die bereitgelegte Wolldecke über meine Schultern. Meine Gedanken kreisen. Killian geht es nicht besser und die Heilerin ist sich nicht sicher, woran es liegen könnte. Die Hoffnung, die ich gestern noch hatte, scheint immer kleiner und kleiner zu werden. Wenn die Medizin keine Wirkung zeigt, dann wird Killian sterben und wenn Killian stirbt, werde auch ich diese Welt verlassen. Diese Gewissheit wiegt schwerer als der höchste Berg. Ich schlucke hart. Ich bin noch lange nicht bereit, diese Welt zu verlassen. Nicht heute und auch nicht morgen. Ich will nicht sterben. Nicht so und auch nicht, ohne mein Leben vollkommen ausgekostet zu haben.
Ich sehe auf, als ich Endra neben mir bemerke. Sie setzt sich neben mich und legt ihre Hand an meinen Rücken. Ihre Berührungen sind sanft. „Und dir geht es wirklich gut? Du siehst sehr krank aus, Ilaria. Hast du Schmerzen?“ Die Sorge, die Endra in ihren Augen trägt, ist auch deutlich in ihrer Stimme zu hören.
Ich zucke leicht mit den Schultern. „Es liegt an ihm.“ Um mich davon abzuhalten, die schwerwiegenden Gefühle zuzulassen, presse ich meine Lippen zusammen.
„Hm? An deinem Menschenfreund?“
Nun nicke ich. „Ja, wir sind miteinander verbunden. Wenn es einem nicht gutgeht, dann wird auch der andere beeinflusst.“ Ich lege meine Hand an meine Stirn. Mich zu konzentrieren ist noch schwieriger, als es gestern war. „Ich kann spüren, dass seine Zeit abläuft.“
„Nein, sag' so etwas doch nicht“, tröstet Endra mich schnell. „Dein Menschenfreund wird wieder gesund. Er braucht nur etwas mehr Medizin. Miya hat den Verband gewechselt. Sie sagt, dass seine Wunden schon deutlich besser aussehen. Vielleicht braucht er auch nur etwas länger, um gesund zu werden. Miya hat noch keine Erfahrung mit den anderen Menschen, aber wir werden herausfinden, was wir tun können, um ihn wieder gesund zu machen. Mach dir keine Sorgen, Ilaria.“ Ich weiß, dass ihre Worte nett gemeint sind, doch es ist schwer, an etwas Positives zu denken, wenn das Denken von eiskalten Gefühlen bestimmt wird. „Du solltest etwas essen. Wenn du etwas in den Magen bekommst, dann wirst du dich viel besser fühlen. Dein Körper braucht das, damit er sich wieder richtig erholen kann. Was hältst du davon, wenn du mit zu mir kommst? Eine kleine Abwechslung und etwas Ablenkung werden dir bestimmt guttun. Meine Tierfreunde helfen dir gerne, dich schön warm zu halten. Es gibt nichts Kuscheligeres als ein großer, warmer Bär vor einem prasselnden Feuer.“
„Es tut mir leid, ich kann nicht. Ich würde deiner Einladung gerne nachkommen, aber ich muss bei Killian bleiben“, lehne ich Endras Angebot ab. „Er braucht mich. Und falls, nein, wenn er aufwacht, dann sollte ich hier sein. Ich möchte nicht, dass er das Gefühl hat, dass ich ihn alleine gelassen habe, selbst wenn es nur für einen kurzen Moment ist.“
„Ja, das verstehe ich.“ Endra nimmt ihre Hand von meinem Rücken. „Gut, dann bringe ich dir etwas zu essen“, antwortet sie nach einem Moment Stille, ehe sie aufsteht. „Oh, ich habe eine Idee. Du und dein Mensch seid verbunden, richtig?“ Ich sehe zu ihr auf und nicke. „Vielleicht solltest du auch die Medizin zu dir nehmen. Wenn er dich krank macht, kannst du ihn doch gesund machen. Das scheint mir eine gute Lösung zu sein.“
Ich schüttle den Kopf. „So funktioniert das leider nicht.“
„Nicht? Schade.“ Enttäuscht lässt Endra die Schultern hängen. „Wäre auch zu schön und zu einfach gewesen, hm?“ Sie rümpft die Nase. „Miya wird eine Lösung finden, versprochen.“ Ich nicke. Zu gerne würde ich ihren optimistischen Worten Glauben schenken, doch die Kälte, die sich in meinem gesamten Körper breit macht, lässt keinen Optimismus zu. „Ich bin gleich wieder zurück. Lass dich nicht entmutigen, Ilaria.“ Sie tätschelt meine Schulter, dann nimmt sie Abstand von mir und verlässt schwungvoll die Hütte der Heilerin.
Nachdem ich einmal tief durchgeatmet habe, stehe ich auf und trete an Killians Bett heran. Die Decke, die ich um meine Schultern gelegt habe, ziehe ich näher an meinen Hals. Ich beobachte die Heilerin dabei, wie sie mit einem feuchten Tuch über Killians Gesicht streicht. Je länger ich ihn ansehe, desto mehr Bauchschmerzen bereitet es mir. Dass ich meinen liebsten jemals so sehen würde, wäre mir nie in den Sinn gekommen.
„Ich habe ihm seine Medizin gegeben und seine Wunden noch einmal gereinigt. Mehr kann ich im Moment nicht für ihn tun.“
„Habt ihr vielleicht irgendeine Magie, die ihm helfen könnte? Ich weiß, es ist viel verlangt, aber es muss doch eine Möglichkeit geben, ihm zu helfen. Irgendetwas, das man vielleicht nicht alltäglich nutzt? Irgendein geheimes Wissen?“
Miyas Blick wirkt hart, als sie mich ansieht. Sie sieht mir in die Augen, dann schüttelt sie den Kopf. „Tut mir leid, ich kann nicht mehr für ihn tun. Einer eurer Heiler könnte etwas mit Magie bewirken, doch damit können wir nicht dienen.“
„Dann kann ich nichts tun, außer hier zu sitzen und zu warten?“
„Ich fürchte, dass das die einzige Möglichkeit ist, die wir im Moment haben. Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ich werde für euch beten, Meermädchen.“
„Und wenn er es nicht schafft?“
„Daran solltest du nicht denken.“
Ich beiße mir auf die Unterlippe, dann drücke ich meine Worte leise hervor: „Das ist aber das Einzige, woran ich denken kann.“
Ich kann der Heilerin deutlich ansehen, dass sie nicht weiß, was sie darauf antworten soll. Sie legt ihre Hand an meinen Rücken und führt mich zurück zum Kamin, in dem immer noch ein wärmendes Feuer brennt. Nachdem ich mich gesetzt habe, warte ich auf die Heilerin. Mit einem leuchtenden, kleinen Kristall und einem Vergrößerungsglas tritt sie an mich heran. Erst sollen meine Augen dem Licht folgen, dann nimmt sie sich ausgiebig Zeit, meine Augen durch das Vergrößerungsglas zu betrachten.
„Ich dokumentiere den Verlauf deiner Krankheit in einem meiner Bücher. Wir haben nicht besonders viele Aufzeichnungen zu den Maera, besonders wenn es um Krankheiten oder die Eigenheiten eures Körpers angeht. Vielleicht kann die Aufzeichnung irgendwann nützlich werden.“ Sie nimmt etwas Abstand, dann legt sie ihre Hand an mein Kinn, um meinen Kopf Richtung Feuer zu drehen, ehe sie wieder mein Auge betrachtet. „Hast du vielleicht Schmerzen oder andere Beschwerden?“
„An meinen Augen?“, antworte ich mit einer Frage, worauf sie nickt. „Mein Blick ist etwas verschwommen. An der Seite recht deutlich und es ist schwer, Dinge in der Ferne zu erkennen. Gestern hatte ich damit noch keine Probleme.“
Die Heilerin macht sich Notizen. Das Buch an dem kleinen Tisch neben der gepolsterten Sitzbank ist mir noch gar nicht aufgefallen. „Ich würde gerne einen Test mit dir machen, wenn es dir nichts ausmacht. So kann ich die Fortschritte deiner Erkrankung festhalten und wir haben ein besseres Auge darauf, wie schnell sie voranschreitet.“ Ich lege den Kopf etwas schief. „Entschuldige das Wortspiel, das war nicht beabsichtigt. Es ist das erste Mal, dass ich eine Maera als Patientin habe, diese Aufzeichnungen sind etwas Besonderes für mich.“
Erst möchte ich den Test ablehnen, doch die ehrliche Sorge und Neugierde in dem Blick der Heilerin sorgt dafür, dass ich es mir anders überlege. Bereitwillig lasse ich die Sehtests über mich ergehen, dabei bemerke ich allerdings selbst, wie stark mein Blick tatsächlich beeinträchtigt ist, seit ich heute Morgen aufgewacht bin. Diese Erkenntnis trägt nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei.
Nach dem Test bietet mir die Heilerin wortlos den Stuhl neben Killians Bett an. Ich nehme diese Einladung an und setze mich. Traurig greife ich nach Killians Hand und streichle sie. Mein Blick fällt auf das Armband an seinem Handgelenk. Es ist das Armband, das ich für ihn gefertigt habe, um mich bei ihm zu bedanken und ihm zu verdeutlichen, wie sehr er mir am Herzen liegt. Vorsichtig streiche ich über die Perlen, die ich in liebevoller Handarbeit einzeln für ihn geschnitzt habe. Dass all unsere schönen Momente nun nur noch eine Erinnerung sein sollen, schmerzt. Ich hatte so große Hoffnung, als ich das grüne Licht entdeckt habe. Wir hatten Pläne. Killian und ich wollten uns irgendwo niederlassen. Irgendwo am Wasser, vielleicht in einem Dorf. Unsere Zukunft verschwimmt immer weiter vor meinen Augen. Schluchzend wische ich mir über die Wangen, dabei lasse ich Killians Hand allerdings nicht los. Unsere Geschichte kann noch nicht vorbei sein, das kann nicht sein. Ich weigere mich, das zu glauben.
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Da ich keinen besonders großen Hunger habe, stochere ich bloß in meiner Schüssel herum. Endra hat mir süßen Getreidebrei gebracht. Der Brei ist angenehm warm und liebevoll angerichtet. Sie hat ihn mit Nüssen und Nini-Beeren verziert. Man kann deutlich sehen, wie viel Mühe sie sich für mich gemacht hat. Der Brei sieht sehr hübsch aus und eigentlich schmeckt er mir, doch ich fühle mich nicht danach, etwas zu essen. Nach einem Seufzen stelle ich die Schüssel an den kleinen Tisch neben Killians Bett. So wie ich meinen Liebsten kenne, würde er den Brei bestimmt sofort kosten. Er würde nach so vielen Dingen fragen und alles um sich herum interessiert betrachten. Wenn er doch nur wach wäre, um all das hier zu sehen. Der Nerd in ihm würde es lieben, hier zu sein und er würde es lieben, dass die Heilerin sich um ihn kümmert. All das wäre ein Abenteuer für ihn, doch für mich ist es ein wirrer, kalter und vor allem beängstigender Traum. Um mich aufzuwärmen, klettere ich wieder zu Killian ins Bett. Deprimiert bette ich meinen Kopf an seiner Schulter. Ich vermisse es, von ihm in den Arm genommen und gedrückt zu werden.
Endra wirft einen flüchtigen Blick in meine Schüssel, dann setzt sie sich auf den Stuhl, auf dem ich gerade noch saß. Sie lehnt sich zurück und zieht ein Bein auf ihren Schenkel. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen sieht sie zu mir. „Kann ich vielleicht irgendetwas tun, damit es dir besser geht?“
„Nein, ich schätze nicht.“ Vorsichtig streichle ich Killians Brust. „Außer du hast geheime Heilkräfte, die du mir bis jetzt verschwiegen hast. Es wäre ein guter Moment, sie jetzt zu nutzen.“
„Wenn ich welche hätte, hätte ich sie längst benutzt, um deinem Freund zu helfen.“ Endra lehnt sich in Killians Richtung. Sie betrachtet ihn für einen Moment, dann setzt sie sich wieder aufrecht hin. „Willst du mir von ihm erzählen? Was ist er so für ein Mensch? Wie habt ihr einander gefunden? Es gibt so vieles, was mich neugierig macht. Ihr habt doch bestimmt viel zu erzählen. Auch von der anderen Welt.“
„Nein“, antworte ich leise. „Entschuldige, ich will nicht unhöflich sein. Ich fürchte allerdings, dass ich anfange zu weinen, wenn ich zu viel über all das nachdenke. Am liebsten würde ich meinen Kopf ausschalten und an gar nichts mehr denken.“
Die Elbin nickt verständnisvoll. „Gut, dann warte ich, bis er wieder aufwacht und sich selbst vorstellen kann.“ Endra lächelt zuversichtlich. „Lange kann es nicht mehr dauern. Die Medizin wirkt bestimmt in den nächsten Stunden. Seine Wunden sehen immerhin schon besser aus, das muss etwas Gutes bedeuten.“
„Ich bin mir da leider nicht so sicher. Es fühlt sich eher so an, als würde die Verbindung zu ihm immer schwächer werden.“
„Hm.“ Endra streicht durch ihr dunkles Haar. „Das muss sich furchtbar anfühlen.“
„Es ist kalt und irgendwie einsam, als hätte man mich alleine in der Dunkelheit zurückgelassen“, antworte ich nach einigen Sekunden. „Mein gesamter Körper schmerzt. Ich kann meine Finger kaum noch richtig bewegen.“
Trotz meines getrübten Augenlichts ist ihre Sorge weiterhin deutlich in ihrem Blick zu sehen. Sie rümpft die Nase, dann antwortet sie mir: „Ich weiß, du willst deinen Freund nicht alleine lassen, aber vielleicht hilft es dir, wenn du schwimmst? Das Wasser hat doch eine magische Wirkung auf euch, soweit ich das in Erinnerung habe. Das heilt doch auch eure Wunden, oder? Wasser macht euch gesund und hält euch jung, richtig?“
„Nein, nicht direkt. Unsere Körper regenerieren sich sehr schnell, allerdings nur, wenn es sich um Schnitte oder andere Fleischwunden handelt.“ Ich streiche mit meiner Hand über meine Augenbraue. „Der Flüsternde Ozean könnte vielleicht helfen, Magie könnte helfen, ein gewöhnlicher Fluss wird wohl nicht viel ausrichten können.“ Ich seufze. „Ich wünschte, ich hätte eine Lösung, irgendeine Idee, an die ich noch nicht gedacht habe.“ Mein Blick richtet sich auf Killians blasses Gesicht. „Irgendetwas, das ihm helfen kann.“
„Und was ist mit dir? Du siehst wirklich nicht gesund aus, Ilaria, und das mit der Kälte klingt auch nicht besonders angenehm. Dir muss es doch auch besser gehen. Wenn es dir schlecht geht, dann wirkt sich das ja auch auf ihn aus und dann geht es ihm schlecht und dir geht es noch schlechter. Das schaukelt sich doch bestimmt gegenseitig hoch, wenn ich das richtig verstanden habe.“
„Er ist derjenige, der krank ist. Das Gift dieser dämlichen Pflanze ist das Problem. Es macht Killian krank. Erst wenn es ihm besser geht, kann auch ich mich erholen.“ Ich werfe einen Blick in Killians Gesicht, dann sehe ich wieder zu Endra hinüber.
Sie verschränkt die Arme. „Ich will dich nicht beleidigen, aber eure Verbindung wirkt auf mich eher wie ein Fluch, als ein Segen. Deine Augen sehen furchteinflößend aus. Und dass es dir immer schwerer fällt, dich zu bewegen klingt mindestens genauso unheimlich. Wortwörtlich wie ein schrecklicher Fluch. Das kann doch nicht normal für euch sein, oder?“
„Von außen betrachtet wirkt es vielleicht wie ein Fluch“, antworte ich leise, dann schließe ich meine Augen, in der Hoffnung, dass Endra sich in meiner Gegenwart wieder wohlerfühlt. „Aber das ist sie nicht. Die Liebe und die Wärme, die unsere Verbindung mit sich bringt, ist das erfüllendste Gefühl, was man sich vorstellen kann. Wenn du deinem Seelenverwandten nah bist, breitet sich dieses warme, wundervolle Gefühl in deinem Brustkorb aus. Es fühlt sich an, als wäre man Zuhause, als wäre jeder Moment magisch, als würde dein Leben von großem Glück begleitet werden, wohin du auch gehst. Wenn ich Killian nah bin und wir uns ansehen, spüre ich die tiefe Liebe, die er für mich empfindet und es gibt nichts, das schöner ist, als dieses Gefühl.“ Ich stoppe für einen Moment, ehe ich fortfahre: „Eigentlich werden meine Worte diesem Glück nicht gerecht, aber ich habe es versucht, schätze ich.“ Ich öffne meine Augen, da entdecke ich, dass die Sorge in Endras Blick durch ein friedliches Gefühl abgelöst wurde.
„Das klingt tatsächlich sehr schön“, stimmt Endra mir mit einem sanften Lächeln zu. „Sobald er wieder aufwacht und dich fest in den Arm nehmen kann, wird das Gefühl zurückkommen, da bin ich mir sicher. Bald wird es euch beiden wieder besser gehen.“
„Ich hoffe, dass du recht hast“, antworte ich, ehe ich meine Augen wieder schließe, um mich etwas auszuruhen.
༄ ♫ ༄
Trotz meiner Müdigkeit finde ich nicht in den Schlaf. Immer wieder spüre ich drückende Schmerzen an meinem Arm und meinem Bauch. Auch mein Bein macht mir wieder zu schaffen. Ich weiß, dass meine Wunde längst verheilt ist, doch es fühlt sich an, als würde sie zurückkehren. Die Schmerzen werden immer schwerer zu ertragen. Meine Finger fühlen sich kalt und steif an. Mich zu bewegen wird immer anstrengender, selbst das Liegen fühlt sich wie eine Qual an. Vorsichtig setze ich mich auf. Dass es mir immer schlechter und schlechter geht, macht mir große Angst. Angestrengt schiebe ich meinen Ärmel hoch, um zu sehen, woher die starken Schmerzen kommen. Was ich entdecke, verschlägt mir den Atem. Der dunkelblaue, beinahe schwarze Fleck an meiner Haut bestätigt meine schlimmste Befürchtung. Unsere Verbindung wird immer brüchiger. Ich werde sterben. Killian wird sterben und ich werde ihm folgen.
„Nein, nein, nein. Nein, das kann nicht sein.“ Panisch lege ich meinen Bauch frei, auch hier finde ich dunkle Flecken auf meiner Haut. Selbst an meinen Beinen kann ich welche entdecken. Meine Atmung beschleunigt sich. Die Panik überrollt mich wie eine hohe Welle inmitten eines Sturms. Hektisch fasse ich an Killians Wange, dann rüttle ich an seiner Schulter. „Killian? Killian, nein. Du musst aufwachen. Bitte, bitte. Killian, du darfst nicht sterben, bitte. Bitte tu mir das nicht an. Tu uns das nicht an, bitte.“ Obwohl ich ihn nicht gerade sanft rüttle, reagiert er nicht. Mit zitternder Hand fasse ich an seinen Brustkorb. Ich fühle, dass sein Herz schlägt. Er atmet noch.
Als ich aufsehe, steht Miya an meinem Bett. Erst sieht sie auf meinen Liebsten, dann richtet sie ihren Blick auf mich. Sie fragt: „Was ist passiert?“ Vorsichtig legt sie ihre Finger an Killians Hals, dabei sieht sie mich weiterhin an.
Ich wische mir die Tränen von den Wangen, dann versuche ich zu erklären, was ich entdeckt habe: „Hier, das, ich will noch nicht sterben.“ Schluchzend zeige ich der Heilerin meinen Arm und meinen Bauch. „Killian hat keine Zeit mehr, du musst etwas tun, irgendwas. Bitte, bitte rette meinen Liebsten. Bitte. Egal, was es kostet, es muss irgendetwas geben, was du tun kannst, ich würde alles geben, bitte.“
„Ilaria, ich kann nicht mehr tun.“ Sie reicht mir die Hand. „Lass mich deinen Arm sehen. Vielleicht kann ich dir helfen.“
„Nein, nein das kannst du nicht. Ich sterbe, weil Killian stirbt.“ Schluchzend schnappe ich nach Luft. „Er kann nicht sterben, er ist viel zu jung, er hat doch noch gar nicht richtig gelebt. Das-Das ist nicht gerecht. Er-Er hat das nicht verdient. Killian darf nicht sterben. Es muss doch irgendetwas geben.“ Meine Tränen lassen sich nicht stoppen. Mein Herz schlägt viel zu schnell. Durch mein Schluchzen fällt es mir immer schwerer, etwas zu sagen. Ich bekomme kaum noch Luft.
„Bitte beruhige dich“, spricht die Heilerin sanft. „Komm her.“ Sie tritt auf mich zu und hilft mir aus dem Bett. Sie ist vorsichtig, als sie mir die weiche Wolldecke wieder um die Schultern legt. „Versuch, dich zu beruhigen. Einfach tief einatmen und anschließend ausatmen.“ Ich nicke, doch es ist schwer, dieser Anweisung Folge zu leisten. Die Heilerin führt mich Schritt für Schritt zu dem Kamin. Sie hilft mir, mich zu setzen, dann trocknet sie meine Tränen, die leider immer wieder nachkommen. Mein Schluchzen wird etwas ruhiger, ich kann allerdings nicht aufhören zu weinen. Vorsichtig schiebt sie meinen Ärmel hoch. Im Licht des Feuers betrachtet sie meine Haut genauer. Mit ihren Fingern übt sie leichten Druck auf den dunklen Fleck aus. Schluchzend beobachte ich ihre Bewegungen. „Tut es sehr weh?“
„J-Ja, aber m-meine Finger auch. Ich kann nicht-nicht meine Finger“, schluchze ich etwas unverständlich. Die Heilerin fasst nach meiner Hand. Erst bewegt sie mein Handgelenk, ehe sie sich zu meinen Fingern vortastet. Sie ist sehr vorsichtig dabei, als sie meine Finger sanft massiert. Ihre Wärme fühlt sich angenehm an meiner eiskalten Haut an.
„Ich kann dir etwas geben, das deine Schmerzen lindert“, verspricht sie. Ich nicke leicht. „Sieh' mich an.“ Die Heilerin betrachtet mein Gesicht, dann streicht sie mir die Haare von der Schulter. „Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich tun kann. Ihr Maera unterscheidet euch sehr deutlich von uns und mir fehlt es an Wissen, um eine Lösung für deine Krankheit zu finden.“ Sie streicht über meinen Hals und meine Schulter. Mit ziemlicher Sicherheit ist meine Haut auch an dieser Stelle dunkel verfärbt. Ich fühle den Schmerz mehr als deutlich. „Während du geschlafen hast, habe ich alle Bücher gewälzt, in denen ich etwas über euch finden konnte, leider ohne großen Erfolg. Ich wünschte, ich könnte mehr tun.“
Geschlagen lasse ich meinen Kopf sinken. „Kannst du mir etwas versprechen?“
„Alles, was du möchtest.“
„Wenn-wenn wir“, gebe ich zögerlich von mir, dann schlucke ich. „Könntet ihr uns zusammen beerdigen?“ Ich schluchze. „Damit wir nicht getrennt werden?“
Die Heilerin nickt stumm, dann legt sie ihre Hand an meine und drückt sie sanft. „Ich verspreche es.“ Mit meinem Ärmel wische ich über meine Wangen. Die Heilerin steht auf und tritt in die kleine Küche, in der sie auch schon die Medizin für Killian zubereitet hat. Sie kommt nur wenig später wieder zurück und reicht mir einen Becher. Mit verschwommener Sicht betrachte ich die schwarze Flüssigkeit. Nachdem ich einmal durchgeatmet habe, trinke ich den Becher leer. Angeekelt verziehe ich das Gesicht. Die bittere Flüssigkeit schmeckt furchtbar, doch ich nehme den Geschmack in Kauf, wenn es bedeutet, dass ich meine letzten Stunden schmerzlos verbringen kann. Angewidert verziehe ich die Lippen. Den leeren Becher reiche ich wieder an die Elbin neben mir. „Du solltest dich wieder zu ihm legen. Der Trank, den ich dir gegeben habe, wird dir helfen, einzuschlafen.“
Ich nicke leicht, dann stehe ich auf. Als ich spüre, dass meine müden Beine nachgeben, kommt die Heilerin mir sofort zur Hilfe. Sie führt mich zu Killians Bett und sorgt dafür, dass ich bequem liege und wir beide gut zugedeckt sind. Bevor sie uns alleine lässt, wischt sie mit dem feuchten Tuch über Killians Gesicht, ehe sie es wieder anfeuchtet und auf seine Stirn legt.
„Wenn ich noch etwas tun kann, um euch etwas Gutes zu tun, musst du es nur sagen.“
„Vielen Dank“, antworte ich mit kratziger Stimme. Meine müden Augen fallen schnell zu. Ich lausche dem Herzschlag meines Liebsten. Er ist ruhig und gleichmäßig, genau wie seine Atmung. Es fühlt sich verdächtig friedlich an, beinahe so, als wäre alles in Ordnung. So, als müsste ich mir keine weiteren Sorgen machen. Die Medizin, die ich bekommen habe, hilft recht schnell, meine Schmerzen zu lindern. Obwohl sich meine Finger immer noch steif anfühlen, sind die Schmerzen deutlich leichter. Ich streiche über Killians Brustkorb. Das leise Schnarchen klingt normaler, als es sein sollte. Erfüllt von Trauer, aber auch Erleichterung durch die gelinderten Schmerzen, atme ich tief durch. Wenn das unsere letzte Nacht sein soll, dann möchte ich sie so nah wie möglich an seiner Seite verbringen. Er bekommt einen sanften Kuss auf seine Schulter. „Ich liebe dich, Killian“, flüstere ich ihm leise zu. Wenn er mir doch nur antworten könnte.
Ein rauchiger Duft steigt mir in die Nase. Ich höre die Schritte der Heilerin. Ein winziger Blick verrät mir, dass sie neben unserem Bett Räucherwerk entzündet hat. Die getrockneten Kräuter riechen nur schwach, doch der Geruch ist angenehm, irgendwie beruhigend. Wahrscheinlich soll er genau das bewirken. Erneut schließe ich meine Augen und denke an all unsere gemeinsamen Momente zurück. An die schönen, die verwirrenden, die alltäglichen und die, die ich für immer in Erinnerung behalten wollte. Daran, wie Killian mich auf der Straße gefunden hat, daran, wie er mich angesehen hat, als er zum ersten Mal meine Flosse gesehen hat. Ich erinnere mich an die lauten Geräusche, die mich so eingeschüchtert haben, an das leckere Essen und auch an die Freunde, die ich dank Killian gefunden habe. Ich sehe Killians eisblaue Augen, spüre seine Berührungen, fühle seine Küsse an meinen Lippen. All die neuen Erfahrungen, die ich in meiner Welt niemals gemacht hätte, haben mein Leben bereichert. Auch wenn Killian und ich nicht besonders viel Zeit zusammen verbracht haben, waren es die schönsten Momente meines Lebens. Momente, die ich niemals erlebt hätte, wäre ich nicht von den grünen Blitzen überrascht worden. Auch wenn ich Angst vor dem Tod habe, bin ich dankbar dafür, dass ich die Liebe spüren konnte, die Killian mir geschenkt hat.
Vorsichtig küsse ich Killians warme Haut. Als ich meine Augen öffne, überkommt mich eine weitere Erinnerung. Die Feen. Die Feen! Ich setze mich so schnell auf, als hätte mich ein Pfeil getroffen. „Die Feen“, gebe ich nun etwas lauter von mir, sodass ich nun auch die Aufmerksamkeit der Heilerin habe. „Die Feen, ihr Feenstaub.“ Ich steige etwas wackelig aus dem Bett. „In der Welt der Menschen konnte der Feenstaub seine Wunden heilen. Die Menschen aus der Menschenwelt reagieren auf den Feenstaub. Er könnte Killians Wunden heilen, wenn-wenn er geheilt ist, dann wird er wieder aufwachen.“ Ich halte mich am Bett fest und mache einige Schritte. Erst so unbeholfen, als wäre meine Flosse gerade erst getrocknet, dann werde ich jedoch etwas schneller und sicherer. Ich lasse mich nicht von meinem Körper aufhalten. Nicht, wenn es eine Chance gibt, Killians Leben zu retten. „Wo finde ich Feen?“
„Es gibt eine Lichtung, nicht weit von hier“, erklärt die Heilerin, dabei kommt sie schon auf mich zu, um mich zu stützen. „Es ist keine gute Idee, wenn du jetzt gehst. Ich schicke eine der Jägerinnen.“
„Nein, ich muss es ihnen selbst erklären. Die Feen sind zu unberechenbar. Wenn sie sehen, dass es ernst ist, dann helfen sie bestimmt, aber sie werden es nicht ernstnehmen, wenn sie es nicht mit ihren eigenen Augen sehen können.“ Ich schaffe zwei Schritte, ohne mich am Bett festhalten zu können, dann verliere ich das Gleichgewicht und sinke zu Boden. Die Heilerin sorgt dafür, dass mein Fall nicht zu hart ist. Sie kniet sich neben mich.
„Du kannst kaum stehen, sei doch vernünftig“, bittet die Heilerin mich. „Wenn du den Jägerinnen nicht traust, werden sich Yulina und Endra darum kümmern.“
„Ich kann nichts unversucht lassen. Ich muss selbst mit den Feen reden. Wir haben keine Zeit mehr, um irgendetwas zu riskieren. Killian wird sterben, wenn ich mich nicht beeile.“ Ich nehme meine gesamte Kraft zusammen, um wieder aufzustehen.
„Du stures Mädchen wirst dich noch umbringen.“
Ich sehe der Heilerin in die Augen und antworte: „Dann habe ich nicht mehr viel zu verlieren.“
Die Heilerin gibt sich geschlagen und beschließt, mein Vorhaben zu unterstützen. Während ich mich einen Moment am Feuer ausruhe, um genug Kraft zu sammeln, erklärt sie den Elbinnen, was ich vorhabe, um Killian zu helfen. Ich werde nicht wie eine Schildkröte mit eingezogenem Kopf dasitzen und weinend auf den Tod warten. Nicht, wenn es auch nur den aller winzigsten Hoffnungsschimmer gibt, um Killian und auch mich zu retten. Die Entschlossenheit, für unser gemeinsames Leben zu kämpfen, verleiht mir Kraft, mich dieser Herausforderung zu stellen. Ich werde erst aufgeben, wenn mein Herz nicht mehr schlägt.
Die zwei Elbinnen und ich nehmen wieder den Wagen, mit dem sie uns schon in das Dorf gebracht haben. Eingekuschelt in eine Decke sitze ich hinten auf der Ladefläche. Endras große Wildkatze schmiegt sich an mich, um mich warm zu halten. Wir entfernen uns immer weiter von dem Dorf und auch von Killian, der immer noch in dem Bett in der Hütte der Heilerin liegt. Ihn in seinem Zustand zu transportieren, könnte ihn nur noch kranker machen. Doch ich habe einen Plan. Er ist einfach, aber doch so vielversprechend. Alles, was ich tun muss, ist eine Fee dazu zu überreden, mich zu begleiten und Killian mit ihrem Feenstaub zu bestreuen. Die Magie wird ihm helfen, sie wird ihn heilen. Was für mein Volk funktioniert, wird auch meinem Liebsten das Leben retten, da bin ich mir ganz sicher. Meine Augen werden immer schwerer. Sie weiterhin offen zu halten, ist beinahe unmöglich. Nur ein Moment. Ich sammle nur einen kurzen Moment meine Kräfte, um Killian zu retten. Ich bin bald wieder zurück, mein Liebster.
༄ ♫ ༄
„Ilaria? Ilaria, wach auf. Wir sind da.“ Ein leichtes Rütteln an meiner Schulter holt mich wieder aus meinem Schlaf. „Weiter können wir nicht fahren. Wir müssen durch den Wald. Schaffst du das?“
Ich nicke. „Ja, ganz bestimmt.“ Endra hilft mir, bis an den Rand der Ladefläche zu kommen, Yulina streckt ihre Arme nach mir und hebt mich hinunter. „Vielen Dank für eure Hilfe.“
„Und du bist sicher, dass das eine gute Idee ist?“, erkundigt Yulina sich. „Es wird nicht leicht, durch die Büsche zu kommen, wenn man kaum laufen kann.“
„Du könntest auch hierbleiben und wir holen eine der Feen für dich“, schlägt nun auch Endra vor. Sie deutet auf die Wildkatze, die auf der Ladefläche liegt. „Du bist in guten Pfoten, Feli kann auf dich aufpassen.“
„Und wenn keine der Fee mit euch mitkommen möchte?“
Die Elbinnen sehen sich an, dann zuckt Endra mit den Schultern. Yulina legt den Kopf schief, dann meint sie: „Besonders vertrauenswürdig bist du ja nicht.“
„Ich kann sie verstehen. Ich würde auch alles dafür tun, dich zu retten.“ Endra tritt an meine Seite und stützt mich, sodass wir losgehen können. Die Wirkung des Tranks mildert meine Schmerzen gut genug, sodass ich mich beinahe ohne Beschwerden bewegen kann. Mein Körper hat sich jedoch niemals müder angefühlt.
„Das ist ein überzeugendes Argument.“ Yulina greift nach der Laterne und geht voran. Noch ist es nicht so dunkel, dass wir darauf angewiesen sind, doch die Dämmerung hat längst eingesetzt, es ist also nur eine Frage der Zeit, bis es zu dunkel wird, um ohne Licht durch den Wald zu stolpern.
In der Gegenwart der Elbinnen fühle ich mich gut aufgehoben. Sie wissen genau, wohin wir gehen müssen. Wir steigen durch Büsche, zwischen Ästen und Bäumen vorbei. Dass mein Augenlicht deutlich beeinflusst ist, bemerke ich bei jedem Schritt. Es fällt mir mittlerweile schwer, alles um mich herum wahrzunehmen. Das Gefühl, dass es dem Ende zu geht, wird immer deutlicher, drückender und schwerer. Meine Hoffnung ausgerechnet in Feen zu setzen, ist eine sehr dumme und riskante Entscheidung, die ich niemals treffen würde, wenn nicht wortwörtlich das Leben von Killian auf dem Spiel stehen würde. Ich habe keine andere Wahl mehr. Der Wald um uns herum ist ruhig, aber nicht still. Um uns herum kann ich ein Rascheln der Blätter und in der Ferne auch das Heulen eines Wolfs hören. Das Leuchten einer Fee schimmert durch das Geäst. Mein Herzschlag beschleunigt sich, meine Schritte werden fester, ich bin fokussiert.
„Wir sind gleich da“, verspricht Yulina uns, als sie über ihre Schulter blickt. „Kannst du sie noch halten?“
„Ja, wir kommen schon zurecht“, antwortet Endra zuversichtlich.
Wir kommen an der Lichtung an, auf der sich tatsächlich einige Feen herumtreiben. Ich kann ihr Kichern hören. Die goldenen Lichter sind nicht nur um uns herum, sondern auch zwischen den Blättern zu sehen. Eine der Feen schwebt nur wenige Schritte von uns entfernt, fröhlich über die Lichtung, hinter ihr läuft ein Pilzling, der versucht, sie mit seinen winzigen Ärmchen zu fangen. Scheinbar spielen sie miteinander. Wenn meine Zeit nicht langsam aber sicher ablaufen würde, würde ich diesen herzerwärmenden Augenblick genießen und vielleicht sogar mit ihnen spielen. Stattdessen fühle ich allerdings nur eines, Kälte, die mich immer mehr einnimmt und es mir schwer macht, auf meinen eigenen Beinen zu stehen.
Ich sehe zu Endra, die mir aufmunternd zunickt. „Na los, frag sie.“
Nervös atme ich tief durch. Ich brauche eine Fee, nur eine einzige Fee muss sich bereiterklären, mir zu helfen. Der Feenstaub einer einzigen Fee reicht bereits aus, um meinen Liebsten wieder gesund zu machen. Es wird funktionieren, da bin ich mir sicher. Es wird funktionieren!