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Kapitel 8:
Bei Nacht und Regen
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In meinen neuen Hoodie gehüllt, spaziere ich über das Gelände der Ranch. Soweit ich blicken kann ist das Gras trocken und zerrupft, wird jedoch an einigen Stellen von grünem Gras unterbrochen. Alles in allem wirkt es nicht gerade einladend, um ohne Schuhe über das Gelände zu laufen. Durch die Hitze in Kalifornien braucht die Natur mehr Wasser, um sich zu regenerieren. Selbst der Regen der letzten Tage konnte noch nicht besonders viel ausrichten.
Auf der Suche nach Joseph komme ich Schritt für Schritt auf den Stall zu. Als ich ihn erblicke, muss ich lächeln. Joseph ist gerade dabei, eines der Pferde zu bürsten. Ich beobachte ihn eine Weile, während ich immer näher auf ihn zukomme. Er geht sehr liebevoll mit dem Tier um, sodass es mir schwerfällt, in ihm dasselbe zu sehen, was Killian in ihm sieht. Joseph streichelt und tätschelt das Pferd, während er sich darum kümmert. Auch wenn Killian ihm nicht traut, bin ich sicher, dass Joseph kein schlechter Mensch ist. Würde ein schlechter Mensch ein Tier so gut behandeln? Wahrscheinlich nicht. Es fällt mir schwer zu glauben, dass jemand, der so gutmütig und hilfsbereit ist, etwas Böses im Schilde führt. Ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich von all dem hier halten soll.
Joseph scheint mich zu hören. Er dreht sich zu mir um und lächelt. „Ilaria. Was kann ich für dich tun?“, fragt er mich hilfsbereit.
„Lass dich nicht stören. Ich warte gerne, bis du Zeit hast.“
„Schon okay, ich kann reden und arbeiten“, antwortet er mir. Er tätschelt den Hals des Pferdes und bürstet es wieder.
„Ich wollte mich für das Gespräch gestern bedanken und ich wollte dich etwas fragen. Wenn du nach deiner Arbeit Zeit hättest, könntest du mir das mit dem Rosenkranz beibringen? Killian möchte heute weiterziehen, aber nicht, bevor du mir nicht geholfen hast.“
„Oh, ihr wollt abreisen?“, antwortet er, dabei sieht er wieder zu mir auf. „Ihr müsst noch nicht gehen. Ihr fallt uns nicht zur Last.“
In meiner Hoodietasche spiele ich mit den Perlen des Rosenkranzes. Es ist schwer, diese Einladung abzuschlagen. Wenn es nach mir ginge, würden wir noch bleiben, doch Killian ist so versteift darauf, die Ranch wieder zu verlassen, dass ich ihm diesen Wunsch unmöglich abschlagen kann. „Das ist sehr nett, aber ich denke, dass es wirklich Zeit wird, weiterzuziehen.“
„Und wohin wollt ihr?“, erkundigt Joseph sich.
„So genau wissen wir das noch nicht“, antworte ich ihm ehrlich.
„Ich möchte dich nicht beleidigen, aber das klingt nicht gerade nach einem gut durchdachten Plan.“
„Unser ursprünglicher Plan war es, nach Sacramento zu gehen, um dort nach Hilfe zu suchen, aber da nicht mehr besonders viele Menschen übrig sind, haben wir den Plan aufgegeben.“ Ich zucke mit den Schultern. „Wir werden wohl durch die Gegend ziehen, bis wir einen Ort gefunden haben, an dem wir bleiben können.“
„Ihr könntet ihr bleiben“, schlägt Joseph vor. „Ich verstehe aber, wenn es euch hier an der Ranch zu eng ist. Wenn ihr mehr Privatsphäre haben wollt, könntet ihr euch eines der umliegenden Häuser aussuchen und dort leben. Ihr könntet zum Essen dazustoßen und euch anschließen, wenn wir zusammen die Gegend erkunden und arbeiten.“ Joseph wechselt sein Werkzeug. Er greift nach dem Bein des Pferdes und hebt den Fuß an. Ich beobachte ihn dabei, wie er den Huf des Pferdes reinigt.
„Wäre es in Ordnung, wenn wir irgendwann in der Zukunft darauf zurückkommen?“, frage ich nach. „Ich will dir nicht das Gefühl geben, dass die Gemeinschaft eine zweite Wahl für uns ist.“
Joseph lacht. „Ach, Ilaria. Niemand wird dir oder Killian böse sein, wenn ihr zurückkommt. Die Welt ist groß. Erkundet sie, wenn ihr denkt, dass das euer Weg ist. Sollte Gott wollen, dass unsere Wege sich ein weiteres Mal kreuzen, dann wird er dafür sorgen, dass es geschieht. Ich vertraue darauf, dass ihr wisst, was das Beste für euch ist. Trotz allem bin ich natürlich trotzdem etwas enttäuscht, dass ihr nicht bleiben wollt.“ Er sieht auf und lächelt mich an. „Ich glaube, dass es dir guttun würde, länger zu bleiben und dich deinen Dämonen zu stellen, anstatt alleine vor ihnen zu fliehen.“
Seufzend meide ich Josephs Blick und betrachte das Pferd. „Damit könntest du richtig liegen.“
„Sprich doch noch einmal mit Killian. Die Welt läuft euch nicht davon. Ihr könnt in ein paar Tagen immer noch weiterziehen.“
„Ich glaube nicht, dass Killian sich dazu überreden lässt, länger zu bleiben.“
„Dann zählt deine Stimme weniger als seine?“, hakt er nach.
„Nein, das ist es nicht“, antworte ich und schüttle dabei den Kopf. „Aber manchmal liegt man falsch, auch wenn es eine eigenständige Entscheidung ist.“
„Tja, damit hast du wohl recht.“ Joseph widmet sich dem zweiten Bein des Pferdes. „Hast du Erfahrungen mit Pferden?“
„Eigentlich nur mit Seepferdchen.“
„Seepferdchen?“, fragt er nach. Er klingt verwundert.
„Sie waren meine Haustiere“, antworte ich ihm ehrlich.
„Das war bestimmt viel Arbeit. Aquarien erfordern ja viel Pflege.“
„Ja, das ist wahr. Aber wenn man seine Fische liebt, dann macht man das gerne.“ Ich trete ein wenig näher heran. Das Pferd streckt seinen Kopf zu mir. „Darf ich es streicheln?“
„Klar. Ihr Name ist übrigens Serenity.“
„Oh, hallo, Serenity. Ich bin Ilaria.“ Ich nehme meine Hand aus der Hoodietasche und strecke sie nach dem Kopf des Pferdes aus. „Du bist ja eine Hübsche.“ Vorsichtig streichle ich über die Nase des Pferdes, dann werde ich etwas mutiger und streichle über ihren Kopf. Serenity schnauft. Dank Josephs Fürsorge glänzt Serenitys braunes Fell in der Sonne. Sie ist ein ausgesprochen hübsches Pferd.
„Sie mag dich“, meint Joseph, dann tätschelt er ihren Hals. „Noch zwei Hufe, dann sind wir schon fertig.“ Während Joseph seine Arbeit erledigt, werde ich immer mutiger. Auch Serenity scheint Gefallen an mir zu finden. Sie schnuppert an meinem Haar. Kichernd drücke ich ihren riesigen Kopf zur Seite, damit sie nicht noch anfängt, an mir zu knabbern. „Hast du vielleicht Lust, sie zu reiten?“
„Ich bin noch nie auf einem Pferd geritten. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Und sie ist schon etwas einschüchternd, so groß wie sie ist.“
„Ich bin bei dir und Serenity ist auch ein braves und ruhiges Mädchen. Du musst also keine Angst haben“, spricht Joseph mir gut zu.
„Was hältst du davon, Serenity? Darf ich dich reiten?“ Das Pferd streckt ihren Kopf wieder zu mir. Sie schnuppert in mein Gesicht. Kichernd drücke ich sie von mir. „Ich glaube, dass sie nichts dagegen hat.“
Joseph sattelt das Pferd für mich. Er zeigt und erklärt mir, was er macht und ich sehe ihm aufmerksam dabei zu. Ich möchte gut vorbereitet sein, bevor ich auf das Pferd steige. Aus Sicherheitsgründen bekomme ich einen schwarzen Helm. Er soll meinen Kopf schützen, falls ich vom Pferd fallen sollte. Joseph ist sich jedoch sicher, dass mir das nicht passieren wird. Ich bin etwas eingeschüchtert davon, auf so ein großes Lebewesen zu klettern, doch Joseph zeigt mir, wie man es am besten macht.
„Du steigst in den Bügel, nimmst beim Steigen Schwung und hebst dein zweites Bein über den Sattel. Sobald du sitzt, helfe ich dir in den zweiten Bügel, wenn du das nicht alleine schaffst. Alles klar?“
„Ja, das schaffe ich“, antworte ich selbstbewusst. Ich folge Josephs Anweisungen und schon sitze ich auf dem Pferd. Da ich nun noch nervöser werde, halte ich mich am Sattel fest. Von hier oben wirkt das Pferd sogar noch größer. Joseph leitet mich an, sodass ich in den zweiten Bügel finde, dann reicht er mir die Zügel.
„Du musst nichts weiter tun, als sitzen zu bleiben. Den Rest mache ich“, erklärt er. Joseph führt das Pferd an einer Leine. Er geht langsam und gemütlich und auch Serenity spaziert gemütlich vor sich hin. Schritt für Schritt gewöhne ich mich immer mehr an die Bewegungen des Tieres.
„Ist eigentlich ganz nett hier oben.“ Ich sehe mich um. Abby kommt uns gerade entgegen. Sie führt ebenfalls ein Pferd an einer Leine. Ich sehe ihr nach. Sie scheint es zu den anderen Pferden zu bringen, die sich draußen auf dem Feld befinden.
„Hast du schon einmal davon gehört, dass man Tiere zur Therapie einsetzen kann? Pferde sind da keine Ausnahme.“
„Therapie?“
„Ja, die Bewegung des Pferdes wirkt sich positiv auf die Gelenke des Reiters aus, das Gleichgewicht wird gefördert, man entspannt sich, man lernt, Vertrauen zu fassen, nur um ein paar Vorteile zu nennen.“
„Du willst darauf hinaus, dass mir das auch helfen kann, nicht wahr?“, frage ich geradeheraus, dabei sehe ich zu ihm hinunter.
„Das streite ich nicht ab“, antwortet er amüsiert. „Egal, wofür du dich entscheidest, ob du nun bleibst oder gehst, es ist wichtig, dass du deine Erlebnisse verarbeiten musst. Das müssen wir alle. Alles, was passiert ist, ist Teil von etwas Größerem, einem Plan, den Gott verfolgt. Vielleicht war all das hier eine Strafe dafür, wie wir mit der Welt umgegangen sind. Vielleicht haben wir Lektionen zu lernen, die wir in unseren alten Leben niemals gelernt hätten. Früher oder später werden wir es verstehen.“
„Denkst du, dass Gott sich den Menschen zeigen wird?“, frage ich nach. „Das würde viele Fragen beantworten.“
„Nun, Gott zeigt sich in vielen Dingen. Er zeigt sich im Regen nach Dürre, in Hoffnung nach Leid, in freundlichen Gesten eines Fremden, wenn man sie am wenigsten erwartet.“ Er atmet durch. „Es gibt so viele Möglichkeiten, Gott zu spüren und zu fühlen, dass er unter uns ist und solange wir ihm vertrauen, wird er uns unseren Weg zeigen.“
„Aber ist das nicht etwas kryptisch? Wenn Gott uns für irgendetwas bestrafen wollte und deswegen als eine Art Denkzettel so viele Menschen verschwunden sind, wieso sagt er uns dann nicht, was das Problem ist? Wenn er sagt, dass wir netter zueinander sein sollen, weil ihm das Leid der Welt wütend macht, dann könnte er uns das doch mitteilen.“ Joseph lacht, was mir für den Moment das Gefühl gibt, als hätte ich eine vollkommen absurde Frage gestellt. Ich streichle Serenity. Er hat zumindest Recht damit, dass es tatsächlich sehr beruhigend ist, auf einem Pferd zu sitzen.
„So einfach ist das leider nicht, Ilaria. Gott hat uns einen freien Willen geschenkt, damit wir selbst entscheiden, wie wir uns entwickeln und damit wir das tun, was wir für richtig halten“, antwortet er mir. „Das alles ist sehr kompliziert und ergibt für uns nicht immer sofort Sinn.“
„Ich verstehe. Schade, dass es nicht einfacher ist.“ Ich sehe mich um. „Aktuell ist nichts besonders einfach.“
„Tut mir leid, dass ich keine befriedigende Antwort auf deine Fragen habe.“
Ich schüttle den Kopf. „Das muss es nicht. Es ist eine komplizierte Welt. Wenn wir alle Antworten hätten, dann wäre alles ohnehin recht sinnlos, oder?“
„Da hast du wohl Recht“, stimmt er mir zu.
༄ ♫ ༄
Der Tag geht langsam zu Ende, doch Joseph findet keine Zeit mehr, um sich noch einmal mit mir zu unterhalten. Er ist damit beschäftigt, sich um die Tiere zu kümmern, außerdem versorgt er noch Alicia, die sich heute nicht besonders gut fühlt. Natürlich verstehe ich, dass ich keine Priorität habe, doch ich erinnere mich auch an Killians Worte, daran, dass sie es uns vielleicht nicht leichtmachen, die Ranch wieder zu verlassen. Mir kommt in den Sinn, dass Joseph vielleicht Zeit schinden könnte, damit wir uns an die Ranch und das Leben hier gewöhnen und unsere Pläne nicht vielleicht doch ändern. Nachdenklich sitze ich auf dem Bett und sehe das Schmuckstück in meiner Hand an. Obwohl ich nicht ganz sicher bin, wie das mit dem Beten zu dem Menschengott funktioniert, versuche ich es.
Ich lege mich hin und sehe an die Decke über mir. Meine Finger sind damit beschäftigt, die Perlen des Rosenkranzes zu befühlen und damit zu spielen. Es macht mich etwas nervös, zu einem Gott zu sprechen, weil ich das noch nie zuvorgetan habe, doch nach einem tiefen Atemzug habe ich genug Mut, um es zu versuchen.
Leise spreche ich: „Hallo Gott der Menschen. Du kennst mich nicht und wir haben nie geredet und ein Mensch bin ich eigentlich auch nicht, aber mir wurde gesagt, dass du alle Gebete erhörst und da dachte ich, dass ich es auch versuchen könnte. Ich bin Ilaria und ich habe in dieser kaputten Welt schlimme Dinge getan. Wir wurden überfallen und ich hatte Angst, dass diese Männer Killian oder mich verletzen könnten. Meine Stimme kann Wesen, also auch Menschen, verletzen und ich wusste nicht weiter, also habe ich die Männer verletzt. Einer von ihnen ist tot, da bin ich mir ganz sicher. Wie es den anderen beiden geht, weiß ich nicht, das weißt du wahrscheinlich besser als ich.“ Ich wische mir die Tränen von den Wangen. „Das schlimmste war, dass ich mich in dem Moment dabei gut gefühlt habe und das sollte ich nicht. Das alles hätte nicht passieren dürfen. Es tut mir leid, was ich getan habe und ich erkenne mich selbst kaum wieder. Das hat alles verändert. Man darf niemanden töten und trotzdem habe ich es getan.“ Ich schluchze. Es ist schwer, meine Stimme gesenkt zu halten, doch ich gebe mir große Mühe. Nachdem ich einmal tief durchgeatmet habe, spreche ich weiter. „Es tut mir so leid und ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen, aber ich weiß auch gar nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Wir müssen doch weiterleben.“ Nun bin ich so aufgelöst, dass ich nicht mehr weitersprechen kann. Ich verstecke mein Gesicht in meinen Händen und vergrabe mich in dem Kissen. „Bitte vergib mir, ich brauche Hilfe“, schluchze ich undeutlich in den Stoff.
Die Tür zu unserem Zimmer wird geschlossen, dann höre ich Schritte. Ich spüre, dass sich jemand auf das Bett setzt, also sehe ich auf. Killians Blick ist voller Mitleid, als auch er mich ansieht. Er streicht über meinen Rücken. Auf der Suche nach Trost kuschle ich mich an seinen Oberschenkel. „Hey, ist ja gut. Ich bin hier, okay?“ Killian legt seine Hand an meinen Kopf und krault mich sanft. „Willst du reden?“
„Nein, ich weiß schon, was du sagen wirst. Ich musste es tun, ich weiß, aber vielleicht hätte es ja doch eine andere Möglichkeit gegeben.“
„Tut mir leid, dass dir das so nahe geht. Ich bin für dich da, falls du doch etwas sagen willst oder nur kuscheln willst oder keine Ahnung.“ Er seufzt. „Ich bin immer da.“ Ich setze mich auf. Der Rosenkranz rutscht von meinem Bauch in meinen Schoß und ich greife danach. Killian wischt mir mit seinem Ärmel über das Gesicht. „Es hat angefangen zu regnen.“
„Dann bleiben wir?“, frage ich, worauf er nickt. Killian streckt seinen Arm aus und ich kuschle mich sofort an seine Seite. „Ich bin so verwirrt. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Vielleicht sollten wir wirklich verschwinden. Wenn euer Menschengott ohnehin nicht antwortet, macht es wahrscheinlich keinen Sinn, ihn um Vergebung zu bitten. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe.“
Killian reibt mir den Rücken. Es fühlt sich angenehm warm an. Mit sanfter Stimme spricht er: „Du fühlst dich schuldig und greifst nach jedem Strohhalm.“ Ich sehe ihn an. „Bildlich gesprochen.“ Vorsichtig wischt er mir ein weiteres Mal über die Wangen. „Es wird alles gutwerden.“
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, frage ich nach.
„Weil wir immer noch hier sind. Du und ich und unser Zelt, hm?“
„Na das klingt ja nicht besonders überzeugend.“ Killian klopft auf seine Schenkel und ich klettere in seinen Schoß. Er streicht mir die Haare aus dem Gesicht und wischt noch einmal über meine Augen. „Ich wünschte nur, dass ich es vergessen könnte. Auch dieses Gefühl. Das war nicht ich, verstehst du? Ich hätte niemals Freude daran, jemandem wehzutun. Und er kommt nie wieder zurück. Er hat keine zweite Chance, um aus seinen Fehlern zu lernen, weil ich ihn getötet habe. Das war nicht richtig.“
„Ich weiß, dass es ein schwacher Trost ist, aber Menschen lernen nicht immer aus ihren Fehlern. Schon gar nicht in Extremsituationen. Tut mir leid, dass ich dir das alles nicht abnehmen kann.“ Sanft küsst er meine Stirn. „Wir finden etwas, das dich ablenken kann.“
„Und wenn nicht?“
„Wer sieht jetzt alles schwarz und negativ, hm?“, fragt er scherzhaft, was mir tatsächlich ein winziges Lächeln entlockt. „Jetzt bin das nicht ich.“
„Ich weiß. Wir sollten aufhören, uns abzuwechseln, ich will, dass wir beide guter Dinge sind“, antworte ich ihm. „Irgendwie schaffen wir das. Hoffe ich.“
„Ja, klar.“ Killian drückt mich an sich und küsst meine Schläfe. „Fühlst du dich besser?“
„Ein wenig vielleicht.“
Killian greift nach der Kette in meiner Hand. „Willst du es noch versuchen? Joseph hat bestimmt für dich Zeit. Jetzt, da es regnet, wird er wahrscheinlich auch in seinem Zimmer herumsitzen.“ Ich schüttle den Kopf. „Wieso hast du es dir anders überlegt?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe es alleine versucht, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das überhaupt richtig gemacht habe oder ob mir euer Menschengott zuhören würde. Ich fühle mich ganz genau wie vorher. Wir machen so etwas ja auch normalerweise gar nicht, es war vielleicht ohnehin eine schlechte Idee.“ Ich lege den Rosenkranz auf den Nachttisch. „Und dir hat euer Menschengott auch nicht geholfen und du bist ein Mensch.“ Ich lehne mich an Killians Schulter. „Vielleicht hattest du von Anfang an recht und er hilft niemandem.“
„Wie hast du es dir denn vorgestellt?“, hakt Killian nach.
Ich zucke mit meiner Schulter. „Dass irgendetwas passiert, schätze ich? Vielleicht ein Licht oder ein warmes Gefühl, dass mir die Sicherheit gibt, dass alles in Ordnung ist. Ich schätze, dass ich zu viel erwartet habe. Vielleicht bin ich auch zu ungeduldig.“
Killian krault meinen Kopf. „Weißt du, was mir ein warmes Gefühl gibt? Wenn ich bei dir bin. Wenn du mich ansiehst und lächelst, dann fühle ich mich wohl. Ich kann versuchen, dich anzulächeln.“
Seine Worte bringen mich dazu, zu kichern. „Sagst du das, weil du mich aufheitern willst oder weil es wahr ist?“
„Beides.“ Ich sehe zu Killian auf. Er schenkt mir ein Lächeln, das tatsächlich etwas in mir auslöst. Ich lege beide Hände an sein Gesicht, dann küsse ich seine Lippen. Als ich wieder Abstand nehme, streichelt Killian meinen Oberschenkel. „Was hältst du davon, dass wir uns hinlegen und uns ausruhen? Ich bin noch ziemlich fertig von all dem Mist, den ich für die Ranch gemacht habe. Und morgen verschwinden wir dann.“ Mein Liebster streicht wieder durch mein Haar. „Was sagst du?“
„Das ist eine gute Idee.“
Wir machen es uns bequem. Um es noch gemütlicher zu haben, zieht Killian seine Hose aus. Er wirft sie auf seinen Rucksack, dann nimmt er mich in seine starken Arme. Ich werde geküsst und gestreichelt. Killians warme Finger an meiner Haut zu spüren, hilft mir dabei, mich ein wenig besser zu fühlen. Zu spüren, dass er da ist, um auf mich aufzupassen, lässt mich Hoffnung schöpfen. Hoffnung auf Besserung, darauf, dass alles wieder gut wird. Die Anspannung wird immer leichter.
༄ ♫ ༄
Müde sehe ich auf, als ich ein Geräusch wahrnehme. Killian schläft tief und fest. Er schnarcht leise, doch das ist nicht das, was ich gehört habe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jemand in unserem Zimmer war. Vorsichtig klettere ich über Killian, bedacht darauf, ihn nicht zu wecken. Mit vorsichtigen Schritten gehe ich durch das Zimmer. Ich trete auf Killians Hose, dann schiebe ich sie leise mit meinem Fuß zur Seite. Nachdem ich die Tür geöffnet habe, sehe ich nach draußen, doch es ist zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Leise schließe ich die Tür wieder, um Killian nicht zu wecken. Ich gehe in die Knie, um meine Jacke aufzuheben, doch ich ertaste sie nicht, als ich meinen Rucksack berühre. Ich war mir sicher, dass ich sie da abgelegt hatte. Auf der Suche nach meiner Jacke, taste ich den Boden ab.
„Da bist du ja“, flüstere ich und fasse gleich in meine Tasche. Ich entzünde das Feuerzeug und damit die Kerze am Nachttisch. „Merkwürdig.“ Fragend lege ich meinen Kopf schief. Ich war mir sicher, dass ich Josephs Kette auf dem Nachttisch abgelegt habe. Da sich ein ungutes Gefühl in mir ausbreitet, sehe ich mich genauer im Zimmer um. Der Verschluss meiner Tasche ist leicht geöffnet. Ich bin jedoch sicher, dass ich sie verschlossen hatte. Das mache ich immer, wenn ich sie nicht brauche, um meine Sachen vor Ungeziefer zu schützen. Ich ringe mit mir, ob ich Killian wecken und etwas sagen sollte oder es besser wäre, bis morgen Früh zu warten, doch ich entschließe mich, es gleich anzusprechen. Ich beuge mich über das Bett und rüttle Killian sanft am Arm. „Killian. Killian, wach auf“, flüstere ich. „Ich glaube, dass jemand in unserem Zimmer war.“
„Hm? Was?“, fragt er verschlafen und verwirrt. „Was ist?“
„Jemand war in unserem Zimmer“, antworte ich ihm. „Ich glaube, dass jemand etwas in meiner Tasche gesucht hat.“ Ich deute auf den Nachttisch. „Und die Kette, die Joseph mir gegeben hat, ist auch verschwunden.“
Killian reibt sich mit beiden Händen das Gesicht, dann klatscht er leicht an seine Wangen, was ihm wohl helfen soll, schneller aufzuwachen. „Was ist passiert?“, fragt er.
„Ich bin aufgewacht“, antworte ich ihm leise. „Ich dachte, dass ich etwas gehört habe, aber ich konnte nichts sehen. Meine Tasche ist geöffnet worden und die Kette ist verschwunden.“
Killian nickt. „Fehlt etwas aus deiner Tasche?“
„Ich weiß es nicht“, antworte ich ihm und greife gleich nach meiner Tasche, um es herauszufinden. Im Kerzenschein durchsuche ich alle Fächer, doch mir fällt nichts auf. „Vielleicht wollte Joseph seine Kette wiederhaben?“
„Na ich weiß ja nicht, das hätte doch warten können.“ Killian klettert aus dem Bett, dann greift er nach seiner Hose. „Ich glaube, dass auch jemand an meinen Sachen war. Meine Hose war auf meinem Rucksack, nicht am Boden.“ Killian brummt verstimmt, dann durchsucht auch er seinen Rucksack. Ich halte die Kerze in den Händen, um ihm so gut wie möglich Licht zu spenden. In dem großen Rucksack jede Ecke abzusuchen, ist bei dem spärlichen Licht jedoch nicht so einfach. „Weißt du was, Prinzessin, wir verschwinden.“
„Jetzt?“, frage ich, dann sehe ich aus dem Fenster. „Aber es ist dunkel und es regnet.“
„Ich lasse mir etwas einfallen. Pack deine Sachen“, bittet er mich, worauf ich leicht nicke. „Zieh deine Hose aus.“
„Was?“
„Hose ausziehen. Ich muss etwas mit deinen Beinen machen, sonst muss ich dich und deine Flosse durch den Schlamm ziehen. Das geht nicht.“ Ich tue, was Killian von mir verlangt und setze mich auf das Bett. Er klebt etwas Klebeband an meine Schenkel. „Hoffentlich hält das alles irgendwie.“
Mit seinem Messer zerschneidet er eine Mülltüte und bindet und klebt einige Stücke davon an meine Haut. „Irgendwo habe ich sicher noch Pflaster.“ Killian zieht die kleine Erste-Hilfe-Tasche aus seinem Rucksack.
„Warte, was ist, wenn du sie brauchst?“, frage ich nach.
„Das ist jetzt wichtiger“, antwortet er, als er zu mir aufsieht. „Mach dir keine Sorgen, Prinzessin. Wir finden bestimmt mehr davon.“ Killian beklebt meine Beine mit verschiedengroßen Pflastern, dabei versucht er, meine Schuppen zu verschonen. Meine Haut sieht aus, als wären mir schlimme Dinge passiert. „Ich habe noch eine Idee. Zieh dich an und steh auf.“ Während ich mich anziehe, räumt Killian alles weg. Ich werfe die unbenutzten Kerzen, die im Zimmer verteilt stehen, ebenfalls in meine Tasche, um sie mitzunehmen. Killian zerschneidet eine weitere Mülltüte. „Zieh die an, als wäre sie ein Rock.“
„In Ordnung.“ Ich steige in die Tüte und lasse mir von Killian helfen, sie an meiner Hüfte zuzuziehen. Auch hier setzt er wieder Klebeband ein, damit alles hält. „Hoffentlich kann ich mit all dem überhaupt laufen.“
Killian küsst meine Stirn. „Das schaffst du schon, Prinzessin.“ Mein Liebster sieht sich um, während er seine Jacke anzieht und seine Kapuzen aufsetzt. „Haben wir alles?“
„Ja, schätze schon.“ Ich möchte gerade zur Tür gehen, da hält Killian mich fest. „Was ist denn?“
„Wir gehen durchs Fenster.“ Er tritt an das Fenster heran, öffnet es und legt seinen Rucksack draußen auf den Boden. Ich reiche ihm meinen Rucksack, damit er den ebenfalls draußen ablegen kann. „Ich klettere zuerst nach draußen und dann helfe ich dir.“
„Und woher wissen wir, wohin wir laufen? Wir können keine Kerzen mitnehmen und das grüne Schimmern ist auch nicht zu sehen. Es ist viel zu dunkel da draußen.“
„Komm einfach mit, bitte.“
Obwohl Killians Plan ausbaufähig ist, folge ich ihm. Er klettert aus dem Fenster. Ich gebe ihm meine Tasche, die er sich um die Schulter hängt, dann hält er schon seine Arme auf, um mir zu helfen. Durch die Mülltüte ist es nicht ganz einfach, doch ich schaffe es, ebenfalls aus dem Fenster zu klettern. Killian stützt mich und hilft mir dabei, dass meine Füße schnell wieder auf sicherem Boden stehen.
„Das ist doch verrückt“, gebe ich deprimiert von mir. „Wir können doch gar nichts sehen.“ Der Regen prasselt auf uns herab. Es ist kalt und ich fühle mich unwohl. Ein Teil von mir wünscht sich, nicht aufgewacht zu sein, ein anderer will, dass das alles aufhört.
„Hier, dein Rucksack.“ Ich bekomme nicht nur meinen Rucksack, sondern auch meine Tasche wieder. „Wir schaffen das, okay?“ Er greift nach meiner Hand und wir gehen los. Das Rascheln der Mülltüte, in die Killian mich gesteckt hat, ist mir unangenehm. Auch das Klebeband und die Pflaster fühlen sich sehr unnatürlich auf meiner Haut an. Meine Schuhe werden immer schwerer, da wir durch Matsch und Erde laufen. Die Schritte werden anstrengender. Obwohl ich große Zweifel daran habe, dass Killian weiß, wohin wir laufen, festige ich meinen Griff an seiner Hand. Der kalte Regen in meinem Gesicht fühlt sich so verwirrend vertraut an, obwohl jeder Schritt, jede Bewegung und selbst jeder Atemzug alles andere als vertraut wirken.
„Was machen wir, wenn sie uns finden?“, frage ich besorgt nach. „Einfach wegzulaufen ist ja nicht besonders nett.“
„Auf sie zielen und verschwinden?“, antwortet er fragend, was mir nun endgültig den Mut raubt. Ich will nicht, dass noch mehr Menschen verletzt werden.
„Killian, ich habe Angst.“
„Ich weiß, aber das musst du nicht. Es wird alles gut, okay?“
༄ ♫ ༄
Ich öffne meine Augen. Es ist bereits Morgen. Die Sonnenstrahlen scheinen durch die Schlitze der Holzwände. Letzte Nacht haben wir in einer Scheune Unterschlupf gefunden. Killian und ich haben auf Heu geschlafen. Müde reibe ich mir die Augen. Von Sekunde zu Sekunde erinnere ich mich an mehr Dinge, die passiert sind. Ich erinnere mich daran, dass wir die Ranch verlassen haben, dass wir in der Dunkelheit durch den Regen gelaufen sind und auch daran, dass ich im Matsch den Halt verloren habe und gefallen bin. Mein Knie schmerzt ein wenig, doch es geht mir gut.
Ich lege meine Hand an Killians Knie und rüttle ihn wach. Nach letzter Nacht und der überstürzten Flucht aus dem Fenster, habe ich nicht mehr besonders viel Einfühlungsvermögen übrig. Killian sieht auf, dann deute ich zu der riesigen Tür, durch die wir letzte Nacht gekommen sind. „Du hast gesagt, dass wir sofort weiterziehen, sobald wir wach sind.“
„Ja, klar“, antwortet er, dann reibt er sich das Gesicht. „Gib mir nur ein paar Minuten.“
Ich stehe auf und zupfe den Dreck aus meinen Haaren. Durch meinen Sturz bin ich ausgesprochen schmutzig, doch das ist unser geringstes Problem. Wir wissen nicht mehr, wo wir sind, davon bin ich überzeugt. In den letzten Wochen sind wir Straßen gefolgt. Wir hatten eine Karte, an der wir uns orientieren konnten und nun haben wir gar nichts, außer schmutzige Kleidung.
„Ist alles in Ordnung? Wie geht es deinem Knie?“, erkundigt Killian sich. Als ich mich zu ihm umdrehe, sehe ich ihn unzufrieden an.
„Wieso mussten wir so plötzlich verschwinden. Nur wegen der Kette? Vielleicht hat er sie gebraucht.“
„Mitten in der Nacht?“
„Vielleicht konnte er nicht schlafen und wollte beten, um das zu ändern. Wir hätten doch heute danach fragen können. Ich glaube, dass es eine schlechte Idee war, so überstürzt abzureisen, Killian. Jetzt können wir nie wieder zu ihnen zurück. Was ist, wenn das unsere beste Chance auf ein gutes Leben war und wir uns das kaputt gemacht haben?“ Ich setze mich auf einen der Heuballen, dabei verschränke ich die Arme. „Das war nicht richtig. Wir haben uns nicht einmal verabschiedet.“
„Und was, wenn nicht? Wie denkst du hätten sie reagiert, wenn herausgekommen wäre, dass du eine Meerjungfrau bist? Du weißt nicht, wie diese gläubigen Menschen drauf sind. Viele von ihnen haben große Angst vor allem, was anders ist. Es reicht oft schon, dass man in einem anderen Land geboren ist, um eine Bedrohung zu sein, aber in dieser Welt? Das grüne Schimmern, das Verschwinden von Menschen, die sich vor ihren Augen aufgelöst haben und dann ist da plötzlich das Mädchen mit den großen, dunklen Augen, die sich in ein Monster verwandeln kann. Du warst da nicht sicher, Ilaria.“
„Ein Monster? Du hältst mich für ein Monster?“, frage ich verletzt nach.
„Nein. Nicht ich.“ Killian reibt sich das Gesicht. „Nein, Ilaria. Ich halte dich nicht für ein Monster, aber sie hätten es mit großer Wahrscheinlichkeit getan. Schlimmstenfalls hätten sie dir die Schuld für alles gegeben und dich zum Sündenbock gemacht. Wer weiß, was sie getan hätten.“ Er atmet tief durch. „Bitte, Ilaria, vertrau mir in dieser Sache. Das war nicht der richtige Ort für uns.“ Ich senke meinen Blick und auch meine arme werden lockerer. „Bitte sei nicht wütend auf mich. Ich wollte dich nur beschützen.“ Killian kommt auf mich zu, dann setzt er sich neben mich. Er legt seinen Arm um mich und drückt mich sanft an sich. „Tut mir leid, dass ich _Monster gesagt habe. Du bist wundervoll. Alles an dir. Ob du nun im Wasser schwimmst oder an Land neben mir sitzt.“
„Was machen wir jetzt?“, frage ich leise nach.
„Wir orientieren uns erst einmal und dann ziehen wir weiter.“ Ich nicke und wir stehen auf. „Wir wollten uns doch das grüne Licht ansehen. Das ist unser nächster Stopp, okay?“
„Ja.“
Draußen vor der Scheune wird mir schnell klar, dass wir dem grünen Licht bereits näher sind, als wir beide vermutet hätten. Das verbrannte Land, dass ich vor einigen Tagen von dem Dach aus gesehen habe, ist nicht weit. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es könnte sein, dass wir es sogar gekreuzt haben. Es ist schwer einzuschätzen, wenn man in der Dunkelheit durch die Nacht irrt.
„Toll, weit und breit absolut gar nichts“, gibt Killian nachdenklich von sich, als er die Felder und Bäume um uns herum betrachtet. „Wir hatten ziemlich viel Glück, dass wir die Scheune gefunden haben. Wir hätten fast im Regen schlafen müssen.“ Mit seinem Kopf deutet er in Richtung des grünen Lichtes, dass hinter dem verbrannten Land erstrahlt. „Was meinst du? Ist das mehr Licht, als aus den rissigen Böden? Könnte sein, dass es nur so intensiv aussieht, weil der Kontrast der schwarzen Erde doch deutlicher ist, als grüne Wälder.“
„Schwer zu sagen“, stimme ich ihm überlegend zu. „Versuchen wir es trotzdem?“
„Ja, wenn du dich fit genug fühlst“, antwortet Killian mir, worauf ich nicke.
„Einen Weg zurück gibt es ohnehin nicht mehr, oder?“