Den Hof hinter sich lassend, gingen unsere vier Helden, bepackt mit allen möglichen essbaren Sachen, immer bergauf. Die Huber-Bäuerin hatte ihnen den Weg zur Sennhütte genau erklärt. Dass sie sich verlaufen könnten, war nahezu unmöglich.
Inzwischen schien wieder die Sonne. Sie hatte mittlerweile alle Wolken vertrieben und brannte nun unbarmherzig auf die armen Wanderer hernieder, die immer mehr ins Schwitzen gerieten. Die Damen hatten sogar schon ihre Jacken ausgezogen.
Hin und wieder begegneten ihnen einsame Spaziergänger, aber auch ganze Gruppen, die interessiert über die wunderschönen, wenn auch manchmal steilen Bergwege zogen und alles, was nur möglich war, sehen wollten. Diese Naturfreunde, meistens Touristen, die in den großen Hotels unten im Ort nächtigten, wurden meist von einheimischen Bergführern begleitet.
Christian, der ganz am Ende des Trupps vom Huber-Hof den dreien hinterherkeuchte, war es allerdings doch ein wenig mulmig zumute, hier in dieser Einöde auf einer abgelegenen Alm übernachten zu müssen. Da er seiner Frau jedoch versprochen hatte, ab sofort alles mitzumachen, traute er sich nicht, erneut herum zu motzen, sondern ertrug die Strapazen des langen Aufstiegs auf die Alm ohne zu murren.
Anke war inzwischen mit Margit vorangegangen. Die beiden plauderten ungezwungen miteinander. Ab und an drang ihr heiteres Lachen bis an Christians Ohren.
Nach und nach fiel Christian immer weiter zurück. Der Aufstieg machte ihm schwer zu schaffen. Je höher sie kamen, desto schlimmer wurde seine Atemnot. Außerdem schwitzte er immer mehr unter der prallen Sonne.
Als Ullrich das bemerkte, wurde auch er langsamer, bis Christian ihn eingeholt hatte.
„Du hast wohl keine Erfahrung mit Bergwanderungen?“, fragte er ihn.
„Nein, gar keine. Irgendwie macht mir die Höhe zu schaffen. Ich bekomme auch immer weniger Luft, je höher wir kommen“, antwortete Christian.
„Das gibt sich wieder, wenn dein Körper sich an die Höhe gewöhnt hat“, wurde er von Ullrich beruhigt. Der rief jedoch nach den Frauen, die schon ein Stück weit vor ihnen hergingen.
Margit drehte sich um, als sie ihren Mann rufen hörte. Die beiden Frauen warteten, bis Christian und Ullrich zu ihnen gestoßen waren.
„Christian hat etwas Atemprobleme. Am besten wird wohl sein, wir teilen uns hier. Ihr könnt voraus gehen, wenn ihr möchtet. Wir kommen nach. Ich möchte ihn nicht alleine lassen“, erklärte Ullrich den Frauen.
„Wenn es dir nichts ausmacht“, sagte Anke dankbar. „Da können wir in der Hütte schon alles vorbereiten. Wenn ihr Glück habt, ist auch das Essen bereits fertig, wenn ihr ankommt.“
„Schatz, alles klar mit dir? Schaffst du das auch?“, fragte sie allerdings noch Christian. Verärgern wollte sie ihn ja nicht, vor allem jetzt, wo er wie versprochen, alles mitmachte.
„Ja, ja. Das ist schon in Ordnung“, keuchte dieser etwas außer Atem, „gehe du nur mit Margit vor.“
So gingen die beiden Frauen frohen Mutes und freudig zusammen plaudernd voran. Angst hatten sie keine. Im Gegenteil, sie genossen es, sich auch einmal alleine ohne männliche Zuhörer unterhalten zu können. Bald hörte man ihr fröhliches Lachen durch die Berge schallen.
Schneller als sie gedacht hatten, erreichten die Frauen die Sennhütte. So wie es aussah, war niemand da. Nicht einmal der Huber-Bauer war zu sehen. Der schien schon wieder auf dem Weg nach unten zu sein.
Anke schaute sich in der spärlich eingerichteten Behausung um.
„Ich glaube, wir haben hier ein kleines Problem“, stellte sie fest.
„Welches denn? Es ist doch alles da, was wir brauchen. Feuerholz, Grill, Ofen …“, erwiderte Margit. Sie sah sich ebenfalls um, doch konnte sie sich beileibe nicht vorstellen, welches Problem hier aus die zukommen sollte.
„Wir haben nur ein einzelnes Bett“, stellte Anke fest.
„Oh, auch das noch“, sagte Margit. „Und was nun?“
„Da gibt es nur eine Möglichkeit. Wir schlafen alle draußen im Heustadel“, meinte Anke. „Hier habe ich noch Decken gesichtet, die können wir ja mit benutzen. Das wird bestimmt schön gemütlich.“
„Na, danke. Im Heustadel. Ich kratze mich jetzt schon zu Tode, wenn ich nur dran denke“, lachte Ankes neue Freundin.
„Ach, so schlimm wird es schon nicht werden. Denk mal dran, wie romantisch das werden kann. Nur der Sternenhimmel über uns“, schwärmte Anke. Sie erinnerte sich an ihre Kindheit, wo sie im Sommer oft bei ihren Großeltern, die in Oberbayern wohnten, im Freien übernachtet hatte. Meist allerdings ohne die Zustimmung ihrer Großeltern, die immer mit ihr schimpften, wenn sie sich mal wieder wie ein Junge benahm und nicht wie ein wohlerzogenes Mädchen.
„Ist jemand da?“, hörten sie plötzlich Ullrichs Stimme vor der Hütte. Die Männer hatten sie eingeholt und endlich auch ihr Ziel erreicht.
„Wir sind hier“, rief Margit und winkte den beiden von der Türe her zu.
Ullrich kam, mit Christian im Schlepptau herein. „Gemütlich hier“, meinte er nach einem kurzen Rundblick durch die Hütte.
Christian sagte gar nichts. Er sah erschöpft, ja richtig fertig aus.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Anke ihn besorgt.
„Ja, ja, es geht schon. Ich muss mich nur ein wenig ausruhen. Dann wird es besser“, antwortete Christian, immer noch etwas nach Luft ringend. Dass ihm die Höhe hier so zu schaffen machen könnte, daran hätte er nicht einmal im Traum gedacht. Aufatmend, es endlich geschafft zu haben, ließ er sich auf eine der Bänke fallen und streckte die Beine von sich.
„Dein Mann sieht wirklich nicht gut aus“, meinte Margit zu Anke. „Er sollte sich ein wenig ausruhen.“
„Das mache ich ja schon“, fing Christian an zu motzen, als er hörte, was Margit zu Anke sagte, was ihm von seiner Frau einen strafenden Blick einbrachte. Sofort wurde er still, erinnerte er sich doch an sein Versprechen. Er würde auch das hier überstehen und morgen frisch gestärkt wieder hinunter ins Tal wandern. Sie hatten ja Zeit genug dazu. Er streckte sich auf der Bank aus, die unter dem Fenster stand und lehnte den Kopf an die Wand. So dämmerte er einige Zeit vor sich hin, bis er sich wieder einigermaßen wohl fühlte.
Die beiden Frauen machten sich inzwischen daran, das Essen zuzubereiten. Ullrich ging ihnen helfend zur Hand. Er machte den Grill flott, den er vor der Hütte gefunden hatte. Binnen kurzer Zeit brannte dort ein kleines Feuerchen, das nur darauf wartete, leckeres Fleisch zu brutzeln.
Die Huber-Bäuerin hatte wirklich an alles gedacht. Margit fand in dem Rucksack Unmengen von Gemüse, das sie grillen konnten, Fleisch, auch frisches Brot, Butter, Marmelade, Käse und andere Köstlichkeiten. Wie ihnen schon gesagt wurde, befand sich in der Hütte ein Vorrat an allen nötigen Kräutern, um das Fleisch zu würzen.
„Der Grill ist soweit“, rief Ullrich.
Die Frauen brachten Ullrich das Fleisch hinaus und deckten inzwischen den Tisch, den sie zuvor auch nach draußen geschleppt hatten.
Später saßen sie zu Viert vor der Hütte und genossen ihre Mahlzeit. Ein fröhliches Geplauder entstand. Die beiden Paare hatten sich schnell angefreundet.
Auch Christian beteiligte sich inzwischen an dem Gespräch. Er schien sich sichtlich wohler zu fühlen. Von den vorangegangenen Strapazen des Aufstiegs war bei ihm fast nichts mehr zu bemerken.
„Eines müssen wir euch Männern noch sagen“, begann Anke, als alle aufgegessen hatten.
Sie wurde fragend angeschaut. Doch als Ullrich mit einer Gegenfrage antworten wollte, lächelte sie ihm nur zu.
„Wir müssen im Heustadel übernachten“, erklärte sie. „Wir haben hier leider nur ein einziges richtiges Bett gefunden, dafür aber Unmengen von Decken.“
„Im Heustadel?“, fragte Christian erstaunt. Sogleich dachte er daran, was ihm seine Frau in der letzten Nacht gestanden hatte. Alfons kam ihm in den Sinn. Doch irgendwie machte es ihm nichts aus, im Gegenteil.
„Ja, im Heustadel“, erwiderte Margit anstatt Anke, „spricht etwas dagegen?“
„Nein, nein“, stotterte Christian, „ich habe nur noch nie so übernachtet. Das wird bestimmt schön.“
„So ist es“, war von Anke zu hören und dann erzählte, wie sie als Kind öfters heimlich bei ihren Großeltern im Heu übernachtet hatte.
„Diesmal ist es allerdings nicht heimlich“, lachte Margit, „doch unseren Spaß werden wir bestimmt auch haben.“
„Spaß? Im Heu?“, stellte sich Ullrich dumm. Irgendwie beschlich ihn ein eigenartiges Gefühl. Er kannte seine Frau schon so lange und so gut. Er erkannte auch das geheimnisvolle Glitzern in ihren Augen.
„Na, du weißt schon“, wurde Ullrich von Margit gefoppt. „Diesen Spaß, den zwei Erwachsene miteinander haben können, oder drei, oder vier …“
Ullrich wurde rot. Seine Ahnung hatte ihn nicht getäuscht, er wusste nun, worauf seine Angebetete anspielte. Bisher ahnten Anke und Christian nicht, dass er und Margit es liebten, auch mal zu viert im Bett zugange zu sein. Wie die beiden darauf reagieren würden, daran wagte er noch nicht zu denken. Doch seine Frau schien seine Not zu erkennen.
„Das wird schon“, sagte sie nur zu ihm und blinzelte ihm zu.
Anke und Christian verstanden nur Bahnhof. Anke hatte allerdings schnell eine leise Ahnung, doch zu fragen traute sie sich nun doch nicht. Sie ließ lieber alles auf sich zukommen.
Die Vier saßen noch bis in den späten Abend vor der Hütte, plauderten und lachten gemeinsam. Irgendwann war es Zeit, sich um die Schlafmöglichkeiten zu kümmern. Die Männer übernahmen das gerne, die Frauen hatten sich ja schon um das Essen gekümmert.