Der Aufprall auf dem Wasser des Schlossgrabens war ebenso hart wie unangenehm, so dass Geneviève zunächst glaubte, die Besinnung zu verlieren. Doch das genaue Gegenteil war der Fall. Die beißende Kälte, die sie umfing, weckte ihre Lebensgeister. Während sie in Le ombre’s Armen auf den Grund des Grabens hinabsank, brannten ihre Lungen, zudem hatte sie das Gefühl, von eisigen Fingern berührt zu werden.
Als sie bereits befürchtete, für immer in den kalten Fluten zu versinken, spürte sie, wie sich ihr Retter kraftvoll vom schlammigen Boden abstieß und gemeinsam mit ihr an die Oberfläche glitt. Sobald ihr Kopf die Wasseroberfläche durchdrungen hatte, schnappte sie nach Luft. Während er Wasser trat, hielt er sie mit einem Arm fest umschlungen - mit dem anderen machte er Schwimmbewegungen.
„Dort unten sind die beiden!“, schrie jemand. „Ich sehe sie auftauchen.“
„Schießt!“
„Wir könnten die Frau treffen!“
„Jetzt schießt endlich!“
„Könnt Ihr schwimmen?“
„Natürlich.“
Geneviève, die in dem eiskalten Wasser ihre Finger kaum spürte, brauchte einen Moment, um seiner Forderung Folge zu leisten. Hinter ihnen verhallte allmählich das Geschrei des Feindes, und am Ende des Grabens angekommen, berührten ihre Füße endlich wieder festen Boden.
„Beeilt Euch!“
„Das versuche ich ja!“, teilte sie ihm mit.
Offensichtlich war sie ihm nicht schnell genug, denn er packte sie kurzerhand und warf sie über die Schulter.
Tränen brannten in ihren Augen, als ihr der Nachtwind, das völlig durchnässte Nachthemd an die Haut presste, was sie zum Erzittern brachte.
Verblüffend schnell wurde sie davongetragen.
„Sie sind in den Wald geflohen. Wir müssen sie finden, sonst reißt uns Adolphe die Köpfe ab. Darüber hinaus sollten wir diesen schwarz gekleideten Eindringling dingfest machen. Er hat die Hälfte unsere Leute niedergestreckt!“
Zweige und Äste rissen an ihrem Haar, während sie den Waldweg entlangeilten. Nur mit großer Mühe gelang es Geneviève, sich an ihrem Retter festzuhalten.
Als sie eine kleine Lichtung erreichten, stieß er einen leisen Pfiff aus, woraufhin es im Gebüsch raschelte. Geneviève richtete sich ein wenig auf und sah sein schwarzes Pferd herantraben. Sanft umfasste er sie, ehe er sie an seinem Körper hinabgleiten ließ.
Sie spürte eine seltsame Hitze in sich aufsteigen.
„Seid Ihr in Ordnung?“, erkundigte er sich.
„Ja“, entgegnete sie. „Mir geht es gut. Von diesem unfreiwilligen Bad im Schlossgraben einmal abgesehen.“
„Wir müssen in dieser Nacht noch etliche Kilometer zurücklegen.“
Zum Schutz vor dem kalten Nachtwind hüllte er sie in seinen Umhang.
„Das muss genügen, bis wir unser Ziel erreicht haben.“
„Wohin bringt Ihr mich?“
„Dorthin, wo Ihr in Sicherheit sein werdet.“
Er hob sie auf den Hengst, um anschließend hinter ihr aufzusitzen. Seine Arme umschlangen ihren Körper. Während er die Zügel ergriff, musste Geneviève sich eingestehen, dass seine Umarmung sie wenigstens etwas vor der nächtlichen Kälte schützte. Er drückte dem Pferd die Fersen in die Flanken, infolgedessen das, wie ein Blitz davonstob.
Die Minuten vergingen. Irgendwann war die völlig erschöpfte Geneviève in den Armen des Mannes eingeschlafen, dem sie nun zum zweiten Mal ihre Rettung verdankte. Sie bemerkte daher zunächst auch nicht, dass sie am Ziel ihrer Reise angekommen waren…
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