Als Geneviève aufblickte und erkannte, wer vor ihr stand, blieb ihr vor Überraschung der Atem weg.
„Sebastien? Du bist Der Schatten von Paris?“
„Ja. Geneviève. Ich bin der Schatten. Es war nicht einfach, diese Tatsache geheim zu halten. Nur der König sowie eine Handvoll Personen wussten davon. Es tut mir leid, dass ich es dir nicht sagen konnte. Doch wir hielten es in Anbetracht der Umstände für das Vernünftigste.“
„Er ist mein königlicher Berater, dazu einer meiner treuesten Freunde“, mischte sich der König in diesem Augenblick in das Gespräch ein. „Und ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass ihr beide die Ehe miteinander eingeht.“
„Wenn das so einfach wäre", seufzte Geneviève. "Ich bin die illegitim geborene Tochter eines Barons, der Euch betrogen hat, in dem er mit den Elsässern paktierte. Wie könnt Ihr nur ernsthaft in Erwägung ziehen, ein Mann wie Sebastien – ein Comte - würde mich heiraten wollen?“
„Mir ist es egal, wer du bist“, warf Sebastien ein. „Selbst wenn du die Tochter einer Dienstmagd wärst, würde das nichts an meinen Gefühlen ändern. Ich liebe dich schon lange. Länger als du ahnst und ich bin…"
„Lasst es gut sein, Sebastien. Das Mädchen soll endlich die Wahrheit erfahren“, meinte Louis. „Du magst illegitim geboren worden sein, aber du bist nicht die Tochter dieses Verräters. Du wurdest lediglich in seinem Haus untergebracht, weil es deinem Vater aufgrund der Unruhen im eigenen Land und den Nachwirkungen des Spanischen Erbfolgekrieges vor beinahe zwei Jahrzehnten nicht möglich war, dich zu sich zu nehmen... Du bist meine Tochter… die Tochter des Königs.“
Wie vom Donner gerührt, stand Geneviève da, konnte nicht glauben, was sie gerade hörte.
„Was…? Wieso…?“, stammelte sie.
„Deine Mutter Camille war die einzige Frau, die ich jemals wahrhaftig liebte. Bedauerlicher Weise konnte ich die Verbindung mit ihr nicht durch eine Ehe legalisieren. Aus politischen Gründen war ich gezwungen, Maria Theresia zu ehelichen, besiegelte diese Heirat nach einem langjährigen Krieg doch den Frieden zwischen Frankreich und Spanien. Ich besuchte deine Mutter und dich, so oft es mir meine Zeit erlaubte. Als Camille starb, brach mein Herz entzwei. Ich hätte dich gern zu mir genommen. Das verhinderte die Anwesenheit der Königin. Ich ließ dich daher im Palais von de Lacroix unterbringen, dem unter Androhung der Todesstrafe angewiesen wurde, niemandem ein Sterbenswörtchen zu erzählen. Das Ende der Geschichte kennst du. Er wurde letztlich wortbrüchig und wollte dich meinen Feinden übergeben.“
„Vater. Entschuldigt. Ich meine Majestät…“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Komm zu mir und lass dich in die Arme schließen.“
Das brauchte Louis nicht zweimal zu sagen. Schnell eilte sie zu ihm hinüber.
„Und nun, meine Tochter, möchte ich, dass du zu dem Mann gehst, dessen Herz schon lange für dich schlägt.“
„Aber was wird mit de Lacroix?“
„Er wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen. Macht euch darüber keine Gedanken. Sein Schloss soll das eure werden, zusammen mit einem neuen Titel, dem eines Marquis de Castlemore. Es ist das Mindeste, was ich für Sebastien tun kann, dient er mir doch ebenso treu und selbstlos wie sein Vater D’Artagnan.“
Geneviève, die aus dem Staunen nicht mehr herauskam, fragte: „Du bist der Sohn des berühmten Musketiers?“
„Ja. So ist es. Nachdem mein Vater 1673 bei der Belagerung von Maastricht fiel, kamen der König und ich überein, dass irgendjemand anders die geheimen und zu teils heiklen Missionen, die absolute Diskretion erforderten, übernehmen müsse. Das war der Zeitpunkt an dem Le ombre geboren wurde, jener Mann, der komplett in Schwarz gekleidet, im Auftrag des Königs unterwegs war. Ich sprach mit Akzent, so dass niemand auch nur im Entfernesten vermutete, ein gewisser Sebastien de Castlemore, Comte d’Artagnan, könnte sich hinter der Maske verbergen. Fortan kämpfte ich im Verborgenen für die Sache meines Königs. Doch damit ist jetzt Schluss…“
Er küsste sie - nicht drängend oder leidenschaftlich – sondern sanft und zärtlich. Ihre Hände vergruben sich in seinem Nackenhaar. Der Kuss schien kein Ende nehmen zu wollen. Geneviève hatte das Gefühl einer nahenden Ohnmacht, als sich seine Lippen schließlich von den ihren lösten. Ihre Augen öffneten sich. Benommen sah sie ihn an.
„Fällst du um, wenn ich dich loslasse?“, erkundigte er sich amüsiert.
„Das könnte passieren.“ Sie lachte und schmiegte sich enger an ihn.
„Somit dürfte wohl alles geklärt sein“, unterbrach Louis das Geplänkel der beiden.
„Beschützt meine Tochter, wie Ihr es in der Vergangenheit mit mir getan habt – und liebt sie, wie sie es verdient. Eure gemeinsame Geschichte beginnt hier und jetzt. Macht das Beste daraus. Erinnert euch immer voller Achtung der starken Blutlinien, derer ihr entstammt. Ich wünsche euch alles Glück der Welt.“
Mit diesen Worten überließ der König die beiden Liebenden sich selbst.
„Ich liebe dich, Geneviève, und das seit vielen Jahren. Allerdings durfte ich dieser Liebe bisher nicht nachgeben.“
„Ich liebe dich ebenfalls aus tiefstem Herzen, Sebastien. Du bist die große Liebe meines Lebens und mein Held.“
„Ich halte die Zukunft in meinen Armen. Ich werde dich niemals wieder gehen lassen. Du gehörst mir und das für alle Ewigkeit…“
Sein Lächeln vertiefte sich. Er vermochte die Gefühle, die er für die Frau in seinem Armen empfand, nicht mehr zurückzuhalten. Sie hatte schon vor langer Zeit sein Herz erobert. Und während sie ihren Kopf an seiner Schulter barg, versuchte Sebastien sich auszumalen, was vor ihnen lag: Eine Hochzeit. Kinder. Immerwährende Liebe.
Es war ein schöner Traum. Gemeinsam mit Geneviève würde er diesen leben.
ENDE
♔.♔.♔.♔.♔