William Kidd verbrachte seine letzten Tage auf Erden im Newgate Prison, wo er am Sonntag, dem 18. Mai 1701, seine Beichte ablegte, die der Gefängniskaplan mit dem Worten, „denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi erscheinen", beendete.
Kidd hoffte zu dieser Zeit noch immer auf eine Begnadigung. Die anderen, die mit ihm wegen Piraterie verurteilt worden waren, erlangten sie - mit Ausnahme eines Irens namens Darby Mullins.
Am Nachmittag des 23. Mai 1701 wurden Kidd und Mullins zusammen mit zwei Franzosen, die ebenfalls zum Tode durch Erhängen verurteilt worden waren, in zwei von Marschällen bewachten Pferdewagen aus Newgate abgeholt, angeführt vom Marschall der Admiralität und dem silbernen Ruder, dem Symbol der Admiralität.
Um fünf Uhr, bei Ebbe, erreichten sie das Hinrichtungsdock in Wapping, einige Meter unterhalb der Wapping Old Stairs, in Anwesenheit einer großen und aufgedrehten Menschenmenge. Dort befand sich der Galgen für die Piraten. Nach dem Erhängen wurden deren Leichen als mahnendes Beispiel üblicherweise an einen Pfosten am Ufer angekettet, wo sie so lange verblieben, bis drei Gezeiten über sie hinweggeflossen waren.
Kidd wandte sich vor seiner Hinrichtung an die Menge und erinnerte alle Schiffskapitäne daran, aus seinem Schicksal Lehren zu ziehen. Dann wurden die vier Männer gehängt. Kidds Seil riss. Er fiel mit der Schlinge um den Hals zu Boden, benommen zwar, aber noch am Leben. Er wurde jedoch umgehend wieder hochgezogen - und das war es dann. Sein lebloser Körper wurde geteert, in Ketten gelegt und in einem Eisenkäfig am Tilbury Point als Warnung für andere Piraten aufgehängt.
Die Grenze zwischen Seeräuberei und staatlich geförderter Freibeuterschaft war ein schmaler Grat. Er scheint jedenfalls nicht der typische, verwegene Freibeuter der bekannten Fiktion gewesen zu sein. Er hatte niemanden willkürlich ermordet und niemanden über die Planke gehen lassen, dennoch ranken sich um seine Person unzählige Legenden, die ihn zu einem bekannten Namen machten.
Der gebürtige Schotte, der aus Greenock am River Clyde stammte und der Überlieferung nach der Sohn eines presbyterianischen Pfarrers war, ging im Jahr 1689 als Freibeuter in der Karibik in die Geschichte ein. Bei ihm handelte es sich um einen mutigen Kämpfer, ein guten Seemann und offenkundig um einen Mann von einiger Präsenz. Er wurde ein Freibeuter-Kapitän in britischen Diensten, der französische Siedlungen in Westindien plündern sollte, ehelichte eine wohlhabende Frau und erwarb ein Anwesen in New York City. Kidd befand sich 1696 in London, als er zu jener schicksalhaften Reise aufbrach, die ihm zum Verhängnis werden sollte.
Im Februar verließ er Deptford mit seinem 287 Tonnen schweren und 34 Kanonen fassenden Schiff Adventure Galley - wahrscheinlich eine Kreuzung aus Segelschiff und Rudergaleere - im Auftrag der Regierung, um Piraten im Indischen Ozean zu bekämpfen. Er brauchte beinahe ein Jahr, um Madagaskar und die ostafrikanische Küste zu erreichen, und hielt es letztlich für lukrativer, selbst Pirat zu werden. Er hisste die Jolly Roger oder die französischen Farben, wie es ihm in den Kram passte, und kaperte mehrere Handelsschiffe. Als seine Mannschaft kurz vor einer Meuterei stand, schlug er in einem Wutanfall mit einem eisenbeschlagenen Eimer auf den Kanonier seines Schiffes, William Moore, ein. Moore erlitt dabei einen Schädelbruch und verstarb innerhalb der folgenden vierundzwanzig Stunden an den Folgen dieser Verletzung.
Im Januar 1698 kaperte Kidd ein wertvolles Schiff von 400 Tonnen, die Quedah Merchant, die Seide, Musselin, Zucker und Opium geladen hatte. Ein großer Teil der Ladung gehörte einem der Höflinge des Mogulkaisers, an Bord befanden sich ferner armenische Kaufleute.
Mit seiner eigenen kleinen Flottille segelte Kidd zu den Westindischen Inseln, wo er im April 1699 eintraf und feststellen musste, dass die Regierung ihn zwischenzeitlich zum Piraten erklärt hatte.
Er verließ die Quedah Merchant auf der Insel Hispaniola, wo sie entladen und anschließend verbrannt wurde, kaufte ein kleines Schiff namens Antonio und segelte nach Boston, wo er versuchte, den britischen Gouverneur, den Earl of Bellomont, davon zu überzeugen, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht der Wahrheit entsprachen. Bellomont ließ ihn daraufhin verhaften und nach England verschiffen. Dort wurde William Kidd am 16. April 1700 vor der Lords of Admiralty verhört und nach Newgate überführt. Später im Monat wurde bekannt, dass die auf Kidds Schiff gefundenen Juwelen einen Wert von 30.000 Pfund hätten (heute etwa 10 Millionen Pfund).
Nach weiteren langwierigen Ermittlungen der Admiralität wurde Kidd am 8. und 9. Mai 1701 im Old Bailey wegen Mordes an Moore sowie mehrfacher Piraterie vor Gericht gestellt und für schuldig befunden. Neun Mitglieder seiner Besatzung saßen mit ihm auf der Anklagebank.
Ob die Beweise überzeugend und der Prozess fair war, ist seit jeher umstritten. Jedenfalls wurde der Pirat William Kidd am 23. Mai 1701 in London hingerichtet.
William Kidd wurde vor allem deshalb zu einer legendären Figur, weil niemand jemals herausfand, was mit dem Rest seines Schatzes geschehen war - falls es überhaupt noch etwas zu finden gab. Sein Wert vervielfachte sich im Laufe der Zeit. Schatzsucher haben von Amerika bis zum Südchinesischen Meer nach seiner Beute gesucht - bisher ohne jeglichen Erfolg...