Während des Zeitalters der Segelschifffahrt, das vom 16. bis zum 19. Jahrhundert dauerte, wurde eine große Anzahl von gelernten und ungelernten Seeleuten benötigt, um den Bedarf der Schiffe zu decken. Doch das Leben auf See war hart, und es gab viel zu wenig Freiwillige. Daher griffen viele europäische Nationen, insbesondere die britische Royal Navy, auf eine einfachere Methode der Rekrutierung zurück, nämlich auf das Shanghaien.
In der Piraterie war es üblich, schanghait zu werden. Wenn es an willigen Männern für gefährliche Jobs auf See mangelte, heuerten die Schiffseigner Pressgangs an, um Männer unter Drogen zu setzen, auszuschalten oder einfach nur Betrunkene zu entführen. Am nächsten Morgen erwachten diese mit rasenden Kopfschmerzen und einem brandneuen Job an Bord eines Schiffes.
Die Pressbanden patrouillierten in Hafengebieten auf der Suche nach Landstreichern oder arbeitslosen Matrosen und holten selbige aus Kneipen und Pensionen oder von der Straße. Es gibt Berichte über Gruppen, die in Häuser eindrangen und Männer aus ihren Betten zerrten oder den Bräutigam aus dem Hochzeitsbett, während die Braut vor Entsetzen schrie.
Eine der größten Aktionen dieser Art fand im Frühjahr 1757 in New York City statt, das damals noch unter britischer Kolonialherrschaft stand. Dreitausend britische Soldaten riegelten die Stadt ab und plünderten die Tavernen und andere Treffpunkte der Seeleute. Fast achthundert Menschen wurden dabei aufgegriffen - vierhundert von ihnen anschließend auf Schiffe gebracht.
Die amerikanische Westküste wurde bald zu einem beliebten Jagdrevier für Crimps - dem amerikanischen Pendant zu Pressbanden - und die Vorgehensweise wurde als Shanghaien bekannt, möglicherweise aus dem Grund, weil Shanghai ein häufiges Ziel der Schiffe mit den entführten Besatzungen war.
Die einfachste Methode für einen Zuhälter, ein Opfer zu schanghaien, bestand darin, es bewusstlos zu machen, oft durch Betäubung (meist Alkohol). Gleichfalls funktionierte ein Schlag auf den Kopf hervorragend. Im Anschluss daran wurde dann die Unterschrift gefälscht. War das ohnmächtige Opfer dem Kriminellen nicht bekannt, wurde einfach ein Name erfunden. Es kam nicht selten vor, dass ein unwilliger Mann auf See aufwachte und einen neuen Namen trug.
Die Crimps - so der Name der Presser - verdienten gutes Geld mit dem Schanghaien. Ein gut geführtes Geschäft konnte bis zu 9.500 Dollar pro Jahr einbringen (heute etwa 250.000 Dollar). Abgesehen von der Gebühr kassierte der Crimp im Namen der Männer, die er shanghaien ließ, zudem den zweimonatigen Vorschuss, der vor einer Reise gezahlt wurde, damit die Seeleute ihre Schulden begleichen und sich auf die Fahrt vorbereiten konnten. Es war ein sehr lukratives Unternehmen.
Das Shanghaien florierte vor allem in britischen Hafenstädten wie London und Liverpool und in den Städten der amerikanischen Westküste wie San Francisco, Portland, Astoria oder Seattle. An der Ostküste waren Städte wie New York, Boston, Philadelphia und Baltimore die vorherrschenden Jagdgebiete. Aufzeichnungen deuten darauf hin, dass Portland schließlich San Francisco in Sachen Shanghaien übertraf, obwohl Historiker behaupten, dass Portland niemals Teil dieser heimtückischen Praxis gewesen sei.
Nachdem eine Reihe von Gesetzen zur Bekämpfung der Kriminalität erlassen worden waren, begann das Shanghaien Ende des 19. Jahrhunderts nachzulassen. Zu besagten Erlassen gehörte auch die Verpflichtung, dass ein Seemann in Anwesenheit eines Bundesschifffahrtskommissars unterschreiben musste, und das Verbot, dass Seeleute Lohnvorschüsse entgegennahmen. Doch erst die Einführung der Dampfschifffahrt brachte die allumfassende Wende. Kriminelle konnten nicht mehr einfach irgendjemanden von der Straße wegholen, um ihn auf ein Schiff zu verfrachten, denn Dampfschiffe waren mehr auf Fachkräfte und ausgebildete Experten angewiesen, die eine Maschine bedienen konnten. Mit dem Seemannsgesetz von 1915 wurde das Shanghaien letztlich zu einer Straftat erklärt. Dies setzte der unfreiwilligen Rekrutierung von Männern endgültig ein Ende.