Mondtänzer hob seine Pranke und machte damit eine einladende Bewegung. «Steigen sie bitte auf, werte Dame! Wir werde jetzt zusammen einen Flug unternehmen.»
Alena zögerte einen Moment, auch wenn sie dieser Gedanke reizte. «Ich weiss nicht, ob das nicht zu gefährlich ist!»
«Nur keine Sorge, alles wird gut. Ausserdem kann dir hier nicht wirklich etwas passieren. Du bist Teil dieser Welt, auch wenn du es gerade nicht mehr weisst.»
Teil dieser Welt? Dieser Gedanke stimmte Alena nachdenklich. Konnte es wirklich sein, dass Mondtänzer die Wahrheit sprach?
«Ich spreche immer die Wahrheit!» meinte der Drachen stolz und winkte die Frau erneut zu sich. «Willst du nicht endlich aufsteigen? Komm ich helfe dir!» Mondtänzer legte die Innenfläche seiner mächtige Pranke flach auf den Boden und Alena stieg etwas wacklig hinauf. Sanft umschloss die Klaue sie und Mondtänzer hob sie hinauf auf seinen Rücken. Seine Schuppen fühlten sich erstaunlich weich und elastisch an. Ähnlich wie bei einer Schlange. Alena fand mit ihren Händen Halt an den beiden Hörnern.
«Aber… bitte nicht zu schnell fliegen,» bat sie etwas unsicher.
«Nur keine Angst, du wirst dich schon bald an dein altes Wissen erinnern.»
«Was meinst du mit altem Wissen?» fragte Alena erstaunt.
«Es ist nicht das erste Mal, dass wir zusammen fliegen!»
«Wirklich? Aber ich erinnere mich gar nicht, das schon mal getan zu haben.»
«Ich weiss. Dennoch, es steckt in dir!»
«Schön wär’s ja. Aber daran zu glauben, fällt mir ziemlich schwer.»
«Und das ist eben dein Problem… Also halt dich jetzt gut fest, wir starten!»
Mit einem plötzlichen Ruck setze sich der Drachen in Bewegung. Alena schrie kurz auf, denn sie wäre beinahe vom blau- weiss schimmernden Rücken gefallen. Sie schloss ihre Augen und klammerte sich an den Hörnern fest.
Mondtänzer begann nun zu beschleunigen. Es kam Alena ein wenig vor, als würde sie in einem startenden Flugzeug sitzen, nur dass es etwas wackliger war. Noch immer wagte sie ihre Augen nicht zu öffnen. Schliesslich spürte sie ein Ziehen in ihrem Bauch und dann merkte sie, wie Mondtänzer vom Boden abhob.
Kühler Wind umwehte sie auf einmal und es wackelte auch nicht mehr so stark. Als sie sich etwas sicherer fühlte, öffnete sie vorsichtig ihre Augen; zuerst das eine, dann das andere. Doch als sie nach unten blickte, wurde ihr sogleich mulmig. Der Erdboden lag bereits weit unter ihnen und der endlose, lilablaue Himmel empfing sie!
«Oh mein Gott!» schrie sie «ich glaube mir wird schlecht!»
«Ach was!» rief Mondtänzer ihr durch den brausenden Wind zu. «Du hat das Fliegen im Blut!»
«Nein! Ganz bestimmt nicht!»
«Natürlich! Na los, erinnere dich!»
«Es gibt da aber nicht zu erinnern!» protestierte Alena.
Mondtänzer erwiderte nichts mehr. Stattdessen begab er sich ganz plötzlich in den Sturzflug!
Alena schrie wie am Spiess, als das mächtige Tier so unerwartet in die Tiefe stiess und klammerte sich so sehr an dessen Hörner fest, dass ihre Finger mit der Zeit richtig wehtaten. Sie spürte, wie die abnehmende Schwerkraft sie nach hinten drückte und ihr Körper verlor den Halt. Es ging so weit, dass sie sich nur noch allein mit ihren Händen an den Hörnern festhalten konnte, ihr ganzer, restlicher Körper war sozusagen in freiem Fall.
«Bist du wahnsinnig!» schrie sie «ich glaube du willst mich wirklich umbringen!»
Doch der Drachen lachte und rief: «Das schaffst du schon! Glaub nur an dich!»
«Aber ich… kann nicht!» Verzweiflung schwang in Alenas Stimme mit. «Lass mich sofort runter!»
«Wir sind doch bereits auf dem Weg nach unten!» entgegnete der Drachen und die Frau stellte panisch fest, wie der Erdboden immer näher rückte.
«Neiiin wir stürzen ab!»
«Ach was!» rief der Drachen. Vertrau mir!»
«Dir vertrauen!?» keifte Alena und Zorn ergriff sie. In diesem Augenblick spürte sie eine unglaubliche Entschlossenheit und auch wenn sie es selbst kaum fassen konnte, schaffte sie es irgendwie, sich an den Hörnen wieder auf den Rücken ihres Reittieres zurück zu ziehen. Sie presste ihre Beine fest zusammen und tatsächlich! Sie schaffte es den Halt nicht noch einmal zu verlieren, auch wenn der Sturzflug noch immer andauerte.
«Gut gemacht!» rief der Drachen enthusiastisch. «Ich wusste, du kannst es!» Er bremste seinen Flug ab und glitt nun mit ausgebreiteten Schwingen, voller Anmut, dicht über dem Erdboden hinweg. Alena blickte erneut nach unten und sah, wie das wunderschöne Land, mit den unzähligen glitzernden Gewässern, den lila- blauen Wäldern und Wiesen unter ihr vorbeiglitt. Es war wirklich wunderschön hier! Und auf einmal fühlte die Frau eine unglaubliche Glückseligkeit in sich aufsteigen. Sie hatte es geschafft, sie sass wieder sicher auf dem Rücken ihres Reittieres und nun konnte sie den Flug erst so richtig geniessen!
Die seltsame Schwere und Furcht, die ihr Herz in letzter Zeit, wie dunkle Ketten, umklammert gehalten hatten, fielen in diesem Moment von ihr ab und sie jauchzte laut und triumphierend.