Die Kühle der grossen Bäume, deren Blätter in den selben Tönen gehalten waren, wie alles hier, empfing sie. Sie hörte fremdartige Vogelrufe und es gab wunderschöne Blumen und Pflanzen mit teils riesigen, transparenten Blättern. Einige von ihnen schienen von innen heraus zu leuchten. In der Nacht (sofern es hier sowas wie eine Nacht gab), sah das bestimmt besonders schön aus. Niemals hätte Alena es für möglich gehalten, einst in einer so märchenhaften Umgebung zu landen, welche sie sonst nur in ihren Träumen hätte besuchen können. Ja… es war ein Traumland, das ihr erstaunlicherweise nicht mal so unbekannt vorkam. Aber wie war sie hergekommen? Oder träumte sie womöglich doch nur? Es fühlte sich jedenfalls sehr real an.
Schliesslich erkannte sie in der Ferne eine Lichtung. Ein seltsamer Schein ging von selbiger aus und als sie an ihren Rand trat, glaubte sie zuerst einen leuchtenden See vor sich zu sehen, in welchem wunderschöne, farbige Fische schwammen. Ab und zu sprang einer der Fische in die Höhe und schwebte eine Weile durch die Luft. Ein eindrücklicher Anblick! Doch als Alena in die Hocke ging und das Wasser berühren wollte, da fühlte es sich fest an. Es wirkte fast wie Glas, doch war trotzdem stets in Bewegung und sie sah die Fische darin so klar, als würde sie sie durch ein Aquarienglas betrachten. «Das ist einfach unglaublich,» murmelte sie vor sich hin und setzte vorsichtig einen Fuss, auf die Wasseroberfläche, die doch kein Wasser war. Sie konnte ohne jegliche Probleme darauf gehen, während die Fische rechts und links von ihr, immer mal wieder in die Höhe sprangen. Sie beobachtete das Schauspiel eine Weile ungläubig und ging weiter.
Obwohl dieser See hier so fest, war, gab es auch andere Gewässer in dieser Welt, welche ganz normal waren und von denen Alena auch trinken konnte. Es gab wunderschöne Wasserfälle, Teiche mit quakenden Fröschen und immer mal wieder, schwebten irgendwelche Wassertiere durch die Lüfte an ihr vorbei. Es war, als wäre sie in einem Meer, dass jedoch eine andere, luftigere Beschaffenheit hatte.
Als sie den gläsernen See überquert hatte, machte sie eine kurze Pause und rief erneut nach dem Fremden, welcher sie hierher gebracht hatte. Es ärgerte sie, dass sie nicht mal seinen Namen kannte und er sie hier so im Stich liess. Sie wusste ja gar nicht, was sie hier tun sollte und welche Gefahren in dieser Welt auf sie lauerten. Etwas niedergeschlagen, setzte sie sich in das weiche, hell- türkise Gras, am Rande des Glas- Sees und schaute sich hilflos um. Sie wusste gar nicht, welche Richtung sie einschlagen sollte, wusste nicht, ob es in ihrer Welt schon bald wieder Tag war, oder noch immer Nacht. Hier schien auf jeden Fall gerade Tag zu sein. Denn die bläuliche Sonne, stand schon hoch am Himmel und leuchtete sanft und doch warm zwischen den Zweigen der riesigen Bäume hindurch. Doch da waren auch Sterne. Es war darum schwer auszumachen, ob es hier überhaut Tag und Nacht, in der ihr gewohnten Weise gab.
In dem Moment als sie das dachte, wurde es urplötzlich seltsam finster! Sie schaute beunruhigt hinauf in den Himmel. Alle Wesen welche vorhin dort oben schwebten, waren auf einmal weg und auch die Sonne verschwand hinter einem eigenartigen Schattenschleier. Dieser Schleier breitete sich mehr und mehr über die ganze Welt aus. Alle Tiere verstummten, als hielte die Welt für einen Augenblick lang den Atem an, um dessen zu harren, was da auf sie zukam. Ein starker Wind kam auf, zerrte an den Bäumen, die sich ächzend darunter neigten. Die Blätter raschelten und auf einmal vernahm Alena ein gewaltiges Brüllen, dass ihr durch Mark und Bein ging. Sie geriet in Panik und brachte sich hinter einem nahe liegenden Gebüsch in Deckung. Sie versuchte etwas zu erkennen, doch das war gar nicht einfach, da Bäume und Gebüsch die Sicht versperrten.
Und dann, glaubte sie auf einmal eine riesige, schwarze, geflügelte Silhouette über sich zu entdecken! Diese hatte sich über die Sonne geschoben und es kam Alena vor, als nähme sie nun den ganzen Himmel ein! Ihr Herz klopfte wie rasend und sie kroch noch weiter hinein ins Dickicht. Verzweifelt begann sie zu weinen. Was geschah hier nur, in welche Hölle, hatte sie dieser Fremde bloss gebracht? Sie rollte sich so klein wie möglich zusammen und hoffte einfach, dass der Spuk bald vorüber sein würde und dieses Ding da oben, sie nicht entdeckte. Ihre Gedanken drehten sich wild im Kreis und sie spürte ihren Pulsschlag bis hinauf in den Hals. Als nochmals ein lautes Brüllen erklang, zuckte sie zusammen und schluchzte noch mehr.
Sie zitterte am ganzen Körper und als sie auf einmal jemand an der Schulter berührte, stiess sie einen entsetzten Schrei aus. «Psst!» sprach eine leise Stimme. «Er darf uns nicht entdecken, sonst wird das böse enden.» Es war der Fremde, der sie vorhin hergebracht hatte. Er legte den Finger auf seine Lippen und Alena nickte stumm und mit tränenüberströmtem Gesicht. Mitleid zeichnete sich im Gesicht des jungen Mannes ab und er flüsterte: «Nur keine Angst, hier entdeckt er uns bestimmt nicht. Es wird bald vorbei sein. Er dreht nur wieder seine übliche Runde. Jeden Tag um die selbe Zeit.» Alena beherrschte sich, nicht sogleich zu fragen, wer er eigentlich war und atmete tief auf, als der Schatten endlich weiter flog und schliesslich gänzlich verschwand. Die Sonne kam erneut zum Vorschein und auch die Tiere begannen wieder lebendiger zu werden.
«Was oder wer, war das!?» platzte Alena nun mit ihrer Frage heraus. «Wir nennen ihn alle einfach Tenebris- den Finsteren,» erwiderte der Fremde. «Okay und wer bist du jetzt eigentlich?» wollte Alena wissen. «Nenn mich einfach wie du möchtest. Ich habe viele Namen.» «Wie nennt man dich üblicherweise?»
«Man nennt mich Mondtänzer, aber dieser Name ist ein wenig ungewöhnlich. Es hat wohl mit meinen Farben zu tun.» «Mit deinen Farben?» fragte Alena ein wenig verwirrt. «Ja… aber entschuldige, ich rede von den Farben, die ich habe, wenn ich meine andere Form annehme.» «Deine andere Form?» «So ist es, aber ich zeige sie dir lieber nicht, dieser riesige Schattendrache da oben, hat dir schon genug zugesetzt.» «Was soll das heissen?» Alenas Neugier war nun umso mehr angestachelt worden. «Ich habe noch eine andere Daseinsform als diese zerbrechliche, menschengleiche.» «Dann zeig sie mir! Zeig mir, wie du sonst aussiehst!» «Aber du darfst nicht erschrecken, ich werde… nun ja, ziemlich gross sein.» «Schon okay, ich weiss ja, dass du mir nichts tun wirst oder…? Allerdings hast du auch meinen Unfall verursacht,» fügte die Frau mit ironischer Stimme hinzu. Mondtänzer blickte sie einen Augenblick lang etwas beleidigt an, doch dann breitete er seine Arme aus und in einem gleissend hellen Leuchten, verwandelte er sich! Alena blickte ihn fassungslos an. Vor ihr stand ein wunderschöner, blauweisser Drache mit glitzernden Schuppen!