Sie sanken noch etwas tiefer und gleich darauf, befanden sie sich wieder in jenem Gebirge, wo Tenebris Alena und Mondtänzer angegriffen hatte.
«Mein Gott!» rief die Frau entsetzt. «Da unten ist er!»
Die Drachenmutter setzte sogleich zur Landung an und nahe über dem Boden öffnete sie ihre Klauen, sodass Alena unbeschadet hinunterspringen konnte. Sofort lief diese zu einem blauweiss- silbernen Etwas, das scheinbar vollends zerschmettert, zwischen einigen Felsen lag.
«Nein!» schrie sie «Mondtänzer!» Sie liess sich neben dem zerschundenen Körper ihres Freundes niederfallen und legte weinend die Arme um ihn. «Das darf einfach nicht wahr sein! Wie konnte Tenebris ihm nur solchen Schaden zufügen?»
Verzweifelt hob sie ihr Gesicht zu der Drachenmutter empor, welche sich zutiefst erschüttert über ihren Drachenbruder beugte.
Mondtänzers Körper schien seltsam verdreht und aus zahllosen Wunden floss Blut.
Alena bettete seinen mächtigen Kopf in ihrem Schoss und streichelte ihn verzweifelt. «Mondtänzer, Mondtänzer! Bitte! Du darfst mich nicht allein lassen.»
Auf einmal regte sich der blauweisse Drachen und gab ein leises Stöhnen von sich. Mühsam öffnete er seine Augen und blickte zu der Frau empor. «Alena… Es geht dir gut! Ich… bin so froh. Ist… Tenebris weg?»
«Jaja, er ist weg!» sprach die Frau mit erstickter Stimme.
«Lass mich ihn mir mal anschauen!» sprach die Drachenmutter mit ruhiger Stimme.
Alena nickte und trat etwas zur Seite.
Mondtänzers Augen wurden gross, als er, wie durch einen Nebel hindurch, eine strahlende Lichtgestalt, in der Form eines grazilen Drachens, vor sich erblickte.
«Drachen…mutter…?» stiess er hervor. «Aber… das kann nicht sein! Bin ich vielleicht doch schon tot?»
«Nein,» erwiderte die weissfunkelnde Drachendame. «Noch ist deine Zeit nicht gekommen, mein Sohn. Ich bin hier, um dir zu helfen!»
Mit diesen Worten streckte sie ihre Klauen aus und positionierte sie über dem zerschundenen Leib von Mondtänzer.
Gleich darauf floss goldgelbes Licht aus ihnen heraus und hüllte Mondtänzer vollends in eine wundervolle, leuchtende Aura ein. Die Schmerzen verschwanden immer mehr und der männliche Drachen, stiess einen erleichterten Seufzer aus. «Danke… grosse Mutter…» flüsterte er, «du hast mich... gerettet...!» Dann glitt er hinüber in einen heilsamen, wohligen Schlaf…
Alena, welche dem wundersamen Schauspiel tief beeindruckt zuschaute, bettete nun erneut den Kopf ihres Drachenfreundes in ihrem Schoss und streichelte ihn weiterhin sanft.
Sein Atem ging nun wieder viel ruhiger und entspannter, nicht mehr so flach, wie vorhin. Auch kehrte langsam die Wärme in seinen Körper zurück und seine Wunden schlossen sich.
«Es wird nicht mehr lange dauern und er ist wieder wie neu,» sprach die Drachenmutter zuversichtlich.
«Ich weiss nicht, wie ich dir danken soll!» sprach Alena.
«Danke dir selbst, du warst es ja schliesslich, die mich gerufen hat.»
«Ich weiss zwar noch immer nicht, wie dies genau möglich war, aber wichtig ist jetzt, in erster Linie, dass Mondtänzer wieder gesund wird.»
«Bedingungslose Liebe hat dich zu mir geführt,» sprach die Drachenmutter tiefgründig.
«Dein Talisman,» sie deutete erneut auf den Drachenanhänger, «ist ebenfalls erfüllt von dieser Liebe. Er hat deine Liebe noch verstärkt. Ich konnte darum gar nicht anders, als deinem Ruf zu folgen.»
Die Frau wusste zwar noch immer nicht genau, was die Drachenmutter meinte, aber dass der Schmuckanhänger, den ihr Stefan geschenkt hatte, von bedingungsloser Liebe erfüllt sein sollte, berührte sie sehr. Vielleicht war der Lastwagenchauffeur ja tatsächlich der Richtige für sie? Immerhin hatte sein Geschenkt dafür gesorgt, dass die Drachenmutter ihr nun zur Seite stand.
«Er ist er Richtige,» sprach diese nun. «Er hilft dir dabei, dein wahres Potential zu entfalten. Seine Liebe zu dir… scheint tatsächlich bedingungslos zu sein.»
Alenas Herz begann auf einmal heftig zu klopfen. War das wohl tatsächlich so? Aber dann konnte ja eigentlich gar nichts mehr schiefgehen.
«Welch eine kluge Schlussfolgerung, von deinem meist ziemlich vernebelten Verstand, mein Kind.» sprach die Drachenlady schmunzelnd.
Alena wollte einem Moment lang protestieren, doch dann stiess sie eine Seufzer aus. «Ja, mein Verstand war wohl in letzter Zeit schon ziemlich vernebelt,» gab sie schliesslich zerknirscht zu. «Die Lebenssituation, in der ich mich die letzten Jahre befand, trug auch nicht unbedingt zu mehr Klarheit bei.»
«Das kann sich jedoch noch heute ändern. Es liegt allein an deiner Entscheidung! Sobald du diese Entscheidung triffst, wird sich alles von selbst regeln.»
(Anmerkung: Einige Worte der Drachenmutter, sind von dem Buch "Neun Tage Unendlichkeit" von Anke Evertz inspiriert! https://www.orellfuessli.ch/shop/home/artikeldetails/A1052756191)
«So einfach ist das leider nicht.»
«Doch, eigentlich ist es viel einfacher, als du denkst. Aber ihr Menschlein neigt nun mal dazu, es euch stets schwerer, als nötig, zu machen.»
«Was weiss schon ein Drache von den Problemen der Menschen,» erwiderte Alena, etwas bissiger als geplant. «Mehr als ihr denkt. Wir sind schon seit jeher da, um euch bei eurer Entfaltung zu helfen. Nur leider gibt es nur noch sehr wenige, die an uns glauben und jene die es tun, tun es oft auf die völlig falsche Weise. Wir beinhalten jedoch eine Kraft und eine Qualität, die euch sehr viel weiterhelfen könnte. Doch dazu müsstet ihr euch, von einigen eurer uralten Dogmen und Glaubenssätze befreien und erkennen, dass wir es gut mit euch meinen.»
«Mit Ausnahme von Tenebris, natürlich,» meinte Alena mit trockenem Sarkasmus.
«Ja…, Tenebris. Leider kam er auf den falschen Pfad. Aber das heisst nicht, dass das so bleiben muss.»
«Du denkst also, er könnte sich doch wieder dem Guten zuwenden? Das glaube ich kaum. Schau nur, wie er Mondtänzer zugerichtet hat! Ich glaube eher, dass er durch und durch böse ist.»
«Da muss ich Alena zustimmen,» erklang auf einmal eine tiefe Stimme. Sie kam von Mondtänzer, der nun wieder aus seinem Genesungsschlaf erwacht war.