Ich bin kein Held.
Das wird mir immer dann besonders deutlich klar, wenn ich mich unversehens in Situationen wie dieser wiederfinde.
Vor mir liegt jetzt also die Tausendlichtergrotte oder wie das Ding noch mal hieß. Der Gestank nach Menschen ist überwältigend. Der Erdboden vor der Grotte ist aufgewühlt, überall stehen große, silberne Kisten herum und Rucksäcke und anderes Menschenzeug, das ich nicht benennen kann. Fremdartige Gerätschaften aus schwarzem Metall, zum größten Teil.
Von drinnen ertönt Lärm. Das ist aber nichts Besonderes, Menschen sind eben einfach sehr laut. Diese klingen, als ob sie mit irgendwas im Inneren der Höhle auf die Steine schlagen. Das Klängeln und Leuten ist unangenehm schrill in meinen empfindlichen Ohren.
Trotzdem schleiche ich mich vorsichtig näher. Ich habe keine große Wahl, wenn ich möglichst schnell zur Wikiothek will, um mehr über das Mondkalb herauszufinden.
Aber wie ich Capracandor und Ly bereits zu erklären versucht habe, bin ich kein guter Krieger. Ich war es mal, vor langer Zeit, doch inzwischen bin ich kein Kämpfer mehr. Und Menschen machen mir große Angst. Man kann sie einfach nicht einschätzen. Bei allen anderen Tieren weiß man, ob sie dich angreifen oder nicht, doch Menschen sind alle unterschiedlich, und außerdem ändern sie ihre Entscheidungen manchmal urplötzlich und greifen dich aus dem Hinterhalt an. Ich kannte mal eine Gruppe Hunde, die die düstere, unheimliche Seite der Zweibeiner aus nächster Nähe erlebt hatte. Und nur mit Mühe überlebt!
Alles in mir sträubt sich also, als ich auf lautlosen Pfoten den Eingang zur Grotte passiere und in die Dunkelheit dahinter eintauche.
Überall riecht es nach Menschen, darunter ist nur noch schwach eine Duftnote nach Feuchtigkeit und Schlamm zu erahnen. Und Kalkstein, wenn ich mich nicht irre.
In regelmäßigen Abständen haben die Menschen Lampen installiert. Das sind kleine Maschinen, die eine Art falsches Sonnenlicht erzeugen, für die von euch, die das nicht kennen. Was bedeutet, dass es nicht ganz so viel Schatten gibt, wie ich eigentlich dachte. Trotzdem gibt es genug schmale Seitentunnel und Nischen, in die ich mich drücken kann. So folge ich den zahlreichen Biegungen der Grotte, tiefer in den Berg hinein, dessen Gewicht ich deutlich über mir spüre. Brr! Das ist noch mal was ganz anderes als eine Höhle im Lehmboden. Die Decke zeigt zwischen den Tropfsteinen verdächtige Risse. Ob die wohl hält …?
Allen Mut zusammennehmend, wage ich mich tiefer unter die Erde. Die Luft wird feucht und stickig. Der Lärm wird immer lauter, bis ich schließlich um einen Felsen gucke und dahinter die Menschen erspähe.
Sofort husche ich zurück in den Schatten, aber die Menschen haben mich offenbar nicht bemerkt. Ich kauere mich dicht an den harten Boden und krieche wieder nach vorne.
Komisch … Die Menschen schlagen mit irgendwelchen Geräten auf den Boden ein. Andere knien im Dreck und streichen mit so komischen Dingern über die Erde, kurze Äste, die in bauschigen, fellartigen Enden auslaufen. Wieder andere gehen mit piepsenden Stöcken umher und starren auf die Erde.
Sie haben bereits ein tiefes Loch gebuddelt, dessen Ränder bunte Streifen haben, weil es durch verschiedene Erdschichten geht.
Doch noch viel beeindruckender ist die Decke der Höhle, denn dort erstrecken sich riesige Edelsteine wie funkelnde Sterne, die das Licht der Menschenlampen zurückwerfen und tausendfach brechen, sodass unzählige Regenbögen die Höhle in ein surreales Licht tauchen.
Ich glaube, ich verstehe jetzt, woher die Höhle ihren Namen hat. Sie ist auf alle Fälle ein magischer Ort, den die Menschen auf ihre plumpe Art zu vernichten drohen. Ich weiß nicht einmal, ob sie das Farbenspiel überhaupt wahrnehmen.
Jedenfalls sind die komischen, zweibeinigen Wesen dabei, das Lichtspiel in der Grotte schwer zu beschädigen, wenn nicht sogar für immer zu vernichten. Und all das nur, um eine Grube voller uralter Knochen auszuheben – mehrere davon stapeln sich bereits am Rand des Loches. Sie sind so alt, dass sie mich nicht einmal dazu verleiten, darauf herumkauen zu wollen, und das mag schon einiges heißen!
Ich verstehe also, warum Ly meine Hilfe wollte, um die Grotte zu retten. Doch bringt mich das einem tatsächlichen Plan kein Stück näher. Auf keinen Fall werde ich einfach mitten in eine Gruppe bewaffneter Menschen laufen. Es kostet mich schon die größte Überwindung, überhaupt hier zu sein.
Doch was soll ich tun?
Ich entdecke einen Gang, der, hinter einer schmalen Felswand, um die größere Höhle herumführt. Nach einem letzten Blick auf die Menschen husche ich in den Gang und folge ihm, begleitet von dem schrecklichen Hämmern.
Am Ende des Ganges eröffnen sich mehrere größere Gänge, in denen auch ein Mensch aufrecht gehen könnte. Diese sind nur spärlich ausgeleuchtet, doch für meine Augen reicht das. Ich husche in die Schwärze und folge einem Geruch nach Feuchtigkeit und Alter.
Einige Biegungen später bleibt der Lärm hinter mir zurück und gleich darauf wird es heller. Die Kristalle in den Wänden geben ein eigenes, schwaches Licht ab, das im Schein der Menschenleuchten unsichtbar war. Wieder einmal finde ich mich im verzauberten Licht wieder. Auch Lyssa kommt hervor, um jedes Detail wie ein geistiger Schwamm aufzusaugen. Sie mag solche Leuchtdinger.
Neugierig tapse ich weiter. Sogar der Geruch wird angenehmer, weniger erdig und muffig, sondern klar und frisch. Luft, die noch nicht verunreinigt wurde.
Mehr und mehr eines goldenen Materials überzieht die Wände. Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, dass ich mich inmitten von Tunneln aus Bernstein bewege, die von vereinzelten Kristallen erleuchtet werden. Ich vergesse die Menschen für den Moment und laufe fasziniert weiter. Was für ein wunderschöner Ort!
Als ich den Kopf wieder nach vorne wende, sehe ich mich gewaltigen Zähnen gegenüber. Mit einem Japsen springe ich zurück, doch der erwartete Biss bleibt aus.
Vorsichtig wage ich es, ein Auge zu öffnen.
Das Gebiss ist noch immer vor mir, weit aufgerissen – und im Bernstein eingeschlossen. Ich atme erleichtert auf, ehe ich das gewaltige Wesen im Stein näher betrachte.
Es scheint eine Art riesige Echse zu sein. Zähne, so lang wie Bananen. Gelbe Augen und graue Haut mit dunkelgrünem Muster. Zwei kräftige, muskelbepackte Beine – oh, nein, es hat vier Beine, doch die Vorderbeine sind zwei verkümmerte Dinger, die wie Warzen mit zwei Krallen dran aussehen.
Ein Schauer läuft mir durch das Fell. Ich habe mich mal wieder ablenken lassen. Nach einem letzten misstrauischen Blick zurück – hat das Riesenvieh eben geblinzelt? – kehre ich zur der Höhle voller Menschen zurück. Ich habe hier immer noch ein großes Problem, das ich lösen muss!
*
Ich schleiche mich also wieder nach draußen und überlege, was ich jetzt tun soll. Capracandor und Ly verlassen sich – fatalerweise – auf meine Hilfe. Und ich bin ebenfalls auf die Grotte angewiesen, wenn sie meinen schnellsten Weg zur Wikiothek darstellt.
Aber wie wird man einen Haufen Menschen los?
„Du könntest sie verfluchen.“
Ich springe vor Entsetzen in die Höhe, als so plötzlich eine Stimme neben meinem Ohr erklingt. Als ich mit gebleckten Zähnen und gesträubtem Rückenfell herumwirbele, steht mir ein kleines, glitzerndes Wesen mit Schmetterlingsflügeln gegenüber. „Oder du beißt ihnen die Kehlen durch.“
„Was bist du?!“
„Ich bin die gute Fee!“ Das Wesen erinnert mich verdächtig an einen rosafarbenen Menschen mit Flügeln. Oder ist das Rosa an dieser Kreatur nur das, was die Menschen Kleidung nennen?
„Hab ich jetzt einen Wunsch frei?“
„Nö, du hast mich noch nicht gefangen!“, sagt die Fee kichernd und will schwirrend in die Höhe steigen.
Schwirrende Wesen kenne ich zur Genüge, Lyssa macht das auch. Ich mache einen Satz und erwische ihr Beinchen mit den Zähnen. Die Fee schreit auf und schlägt mit einem kleinen, pinken Stöckchen, das in einem fünfzackigen, gelben Etwas endet, auf meine Schnauze. „Au, lass mich los! Böser Hund!“
„Ch bnn knn Nd!“, nuschelte ich, während ich mir alle Mühe gebe, sie festzuhalten, ohne zu stark zuzubeißen.
„Und du hast vielleicht einen Mundgeruch!“ Die Fee wedelt mit einer Vorderpfote vor ihrer Nase. „Okay, okay, du kriegst deinen Wunsch. Lass mich nur endlich los!“
Ich spucke ihr Bein und einigen Glitzer aus. „Ich möchte, dass die Menschen aus der Höhle raus gehen und draußen bleiben.“
Die Fee zeigt ihre Zähne. „Wird gemacht, Hündchen.“
„Ich bin kein ...“, will ich erneut sagen, doch da rumpelt die Erde wie ein leerer Magen und im nächsten Moment ist die Fee bereits zwischen den Baumwipfeln davongeflitzt. Ich höre noch ihr diabolisches Kichern im Wind.
Oh-oh. Da war doch mal was von wegen „formuliere deine Wünsche immer mit Bedacht“, nicht wahr?