Das Rumpeln wird lauter. Schon spürte ich, wie der Boden unter meinen Pfoten bebt. Ich sehe mich erschrocken um. Was ist denn jetzt los? Und sollten Bäume so seltsam auf und ab hüpfen?
Aus der Höhle erklingen plötzlich Schreie. Ich bin nicht weit von dem Eingang entfernt und gehe hinter einem kleinen Eibenbusch in Deckung, als eine Staubwolke gefolgt von mehreren bellenden (warte … das heißt ‚husten‘, oder?) Menschen aus der Höhle dringt.
Die Staubwolke wird größer und dunkler, während die Menschen sich hingebungsvoll bellend/hustend ins Moos und in die Brennnesseln werfen.
Dann kollabiert der Eingang zur Höhle vor meinen entsetzt geweiteten Augen zu einem Haufen Geröll.
Die Staubwolke lichtet sich und das Rumpeln hört ebenfalls auf. Menschen, Geröll und ich liegen geschockt auf dem Boden.
Die Höhle ist zu! Ich meine, klar, die Menschen sind draußen, aber das war nun bestimmt nicht, was Capracandor und Ly sich erhofft hatten. Was soll ich denn jetzt nur machen, bei allen Sternen?
*
Während die Menschen traurig ihre komischen Geräte in den Armen wiegen oder sich am Kopf kratzend auf den verschütteten Höhleneingang starren, ziehe ich mich unauffällig zurück. Das mit der „guten“ Fee war ja wohl ein vollkommener Reinfall. Dabei sollte ich doch inzwischen gelernt haben, meine Wünsche vernünftig zu formulieren, ohne irgendwelchen missgünstigen Geistern Hintertürchen offen zu lassen.
Jetzt muss ich jemanden finden, der den Höhleneingang wieder aufgräbt. Jemand starkes – und diesmal habe ich echt niemanden, den ich um Hilfe fragen kann. Ifrit ist irgendwo in einer anderen Welt, Capracandor und Ly sollten hiervon am besten niemals etwas erfahren und … und das war es auch schon. Die Sternwölfe kann ich wohl kaum bitten, mir aus der Patsche zu helfen.
Wie eigentlich immer, wenn ich verwirrt bin, trotte ich einfach drauf los. Durch den Wald zu laufen hat mir noch immer geholfen, meine Gedanken zu ordnen und auf neue Ideen zu kommen. Als würde sich die Bewegung meiner Pfoten direkt auf mein Gehirn übertragen und die Getrieberädchen ein wenig in Gang bringen.
Diesmal allerdings komme ich tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes auf die Lösung: Tief in Gedanken versunken trotte ich über einen großen Hügel, der urplötzlich unter mir in Bewegung gerät.
Nun ist es für die Wenigsten nachvollziehbar, die nicht selbst einmal in dieser Situation waren, doch es ist mega gruselig, wenn der Boden direkt unter deinen Füßen plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Zuerst halte ich es für eine Art Nachbeben, doch dann wird mir plötzlich klar, dass sich nur mein Hügel bewegt – der Rest vom Wald bleibt, wie er ist.
Dann erklingt ein dumpfes Grummeln von einer tiefen, langsamen Stimme.
Inzwischen ist der Hügel so steil geworfen, dass ich einen nicht-oskarreifen Purzelbaum zurück auf ebenen Boden hinlege. (Ich fürchte, für ein YouTube-Video mit dem Titel „Wer lacht, verliert“ hätte es gereicht …)
Als ich den Blick hebe, rieselt Erde vermengt mit kleinen Fetzen Moos auf mich herab und vor mir türmt sich ein grüngraues Ungetüm auf. Beine, so dick wie Baumstämme, ein Flechtenbart und Augen wie kleine Glasperlen.
Die Haut des Wesens sieht aus wie moosüberwucherter Stein und es hat keinen für mich erkennbaren Eigengeruch, weswegen ich es auch erst jetzt bemerke. Das Wesen schnüffelt lautstark und dreht den Kopf suchend hin und her.
„Wer ist da? Kieselbart, wenn du das bist – ich schlage dir den Kopf ein!“
„Bitte keine Köpfe einschlagen, Herr Erddämon“, piepse ich. „Tut mir leid, ich wollte Sie nicht wecken.“
Der Gigant stutzt und senkt den Kopf. Sein Blick gleitet über mich hinweg – er ist blind.
„Wer ist da?“, wiederholt er, diesmal freundlicher.
„Marvin, Herr Erddämon“, stelle ich mich artig vor.
Der klobige Kopf des Wesens schiebt sich näher zu mir und ich spüre einen schwachen Windzug, als er an mir schnüffelt. „Ah, ein Wolf. Ich wollte dich nicht erschrecken, aber Kieselbart, dieser Plagegeist, nervt mich nun schon den ganzen Tag.“
Es folgt eine kurze Stille. Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll.
„Das ist aber gemein von Kieselbart, Mister Erddämon“, stimme ich ihm schließlich zu.
„Ich bin doch kein Erddämon, Wölfchen.“ Das Wesen lacht donnernd, was in etwa so klingt, als würden zwei große Felsen miteinander Polka tanzen. „Ich bin ein Troll. Na ja, ein Halbtroll. Meine Mutter war ein Speckstein. Mein Vater war häufig betrunken.“
Ich schweige den Halbtroll an. Was soll man darauf denn nun erwidern? Wie kommt es eigentlich, dass alle Leute mich immer für einen kompetenten Sprachpartner halten?
„Ich heiße Verpissdich Dustein“, stellt sich der Halbtroll vor. „Meine Freunde nennen mich aber Gully.“
„Freut mich, Gully.“
Sein steinernes Gesicht hellt sich auf, als mit hörbarem Knirschen ein Lächeln darüber kriech. „So hat mich noch nie jemand genannt!“
„Hast du nicht eben gesagt, dass deine Freunde dich so nennen würden?“, ich sehe mich inzwischen nach einer Möglichkeit um, schnell zu verduften.
Gully nickt. „Aber ich hatte bisher noch nie einen Freund! Du bist der Erste!“
Ojemine. Ich muss hier weg!
Bevor ich diesen Plan aber in die Tat umsetzen kann, haben mich bereits zwei kräftige Steinhände gepackt und drücken mich an Gullys flechtenüberwucherte Brust, mein Zappeln ignorierend. „Hast du auch einen Spitznamen?“
„Viele“, ächze ich, mich windend. „Die beliebtesten sind Marviosi und Marvmellow!“
„So nennen dich deine Freunde?“ Gully setzt mich erstaunlich sanft zurück auf den Boden.
„Kommt auf die Freunde an.“ Ich lecke mir über die schmerzenden Rippen, als mir mit einiger Verzögerung klar wird, dass Gully ein erstaunlicher Glückstreffer für einen Unglückswolf wie mich ist.
„Sag mal, Gully … Freunde helfen doch einander, richtig? Ich brauche deine Hilfe, um eine Höhle auszugraben.“
„Du hast eine Höhle vergraben? Machen so was nicht nur Eichhörnchen?“
„Tjaah, ich habe aus Versehen eine Höhle vergraben.“ Das ist ja irgendwie die Wahrheit. „Könntest du sie für mich ausgraben?“
„Vorher musst du etwas für mich tun“, verlangt Gully.
Ich unterdrücke ein Stöhnen und versuche es für den Moment mal mit Geduld und Freundlichkeit. „Aber so geht das nicht bei Freunden. Die helfen einander, ohne etwas zu wollen. Dafür sind Freunde da.“
„Dann musst du mir helfen! Kieselbart hat meine Augen geklaut. Du als Freund musst sie mir wiederholen!“
„Ich als ...“, stottere ich irritiert und starre in seine milchigen Glasperlenspielaugen. Gully hat das Prinzip erstaunlich schnell kapiert und nutzt es gegen mich aus. Gemeinheit!
„Ich musste diese komischen Murmeln als Ersatz nehmen“, erklärt sich Gully. „Meine Augen sind schöne, große Bergkristalle. Hab‘ ich von meinem Vater.“
Ich hake lieber nicht nach, wie wörtlich ich diese Aussage verstehen muss. Brrr!
„Danach hilfst du mir, die Höhle auszugraben?“, fragte ich schicksalsergeben.
Gully nickt ernst. „Dafür sind Freunde doch da!“
Ich stehe seufzend auf. „Wo finde ich diesen Kieselbart?“