Du bist Karja Sturmvogel.
Gegen Abend wird es etwas ruhiger. Die Söldner haben sich untereinander ausgetauscht. Nun warten sie im Grunde darauf, dass ihr Herrscher oder Hauptmann Falur sich melden. Von diesen erhalten die fünf ihr Geld. Auch du kannst wohl auf einen Anteil hoffen, der nicht eben zu verachten ist. Etwas, wofür du daheim mehrere Kaperfahrten auf dich hättest nehmen müssen. Ganz zu schweigen davon, dass die Beute dann auch unter allen Matrosen aufgeteilt wird!
Dein Lohn ist zwar schmaler als der der fünf Söldner, doch damit kannst du leben. Du bist in dieser Gruppe kein Kapitän oder Offizier, sondern eher ein Schiffsjunge, der unterwegs aufgegabelt wurde.
Außerdem geht es dir nicht um das Gold. Du bist auf der Flucht vor der Verfolgung in deiner Heimat. Und du bist der Meinung, dass Kalynor diesen Krieg gewinnen sollte. Wenn es verlieren würde, wäre das Bündnis der Schöpfersteine bald hinfällig und die anderen Reiche würden sich gegenseitig zerfetzen. Momentan haben sie Kalynor als gemeinsamen Feind. Würden sich zwei Länder gegeneinander wenden, müssten sie fürchten, dass Kalynor diese Schwäche sofort ausnutzen und sie beide überrennen würde.
Das lässt sich nicht leugnen – Kalynor ist ein gieriges Land, das nur davon gestoppt wird, das es nun an elf fremde Grenzen stößt. Doch es hält eure Welt auch in einem empfindlichen Gleichgewicht. Würde dieses Geschwür in der Mitte der Freien Lande wegfallen, so würden sich Piraten, Dunkelelfen, Orks, Zwerge und alle anderen früher oder später gegenseitig auslöschen. Am Ende, da bist du sicher, würden die Drachen siegen und alles andere zu Asche verbrennen: Ob es das Steinrund der Druiden ist oder die Schiffe der Mondsee, die goldenen Hallen der Zwerge, die Festungen der Orks, die Pyramiden … All das wäre fort, wenn Kalynor besiegt wird. Auf eine Weise, die kaum jemand sonst zu verstehen scheint, hält das Menschenreich alle anderen Lande am Leben – obwohl sie sich gegenseitig verachten.
Du setzt deinen Humpen ab. Vielleicht hattest du auch zu viel kalynorisches Bier. Es ist stärker verwässert als der Rum der Mondsee, aber selbst dieses Bier steigt einem irgendwann zu Kopf. Da der Abend bereits fortgeschritten ist und ihr vermutlich so bald nicht mehr mit einem Besuch von Kalynors Krone rechnen müsst, solltest du wohl besser ins Bett gehen.
Während du überlegst, ob du noch gerade gehen kannst, schweift dein Blick durch die Taverne. Du siehst Arthrax in einer Ecke der Taverne, wo er ebenfalls große Mengen trinkt. Die Humpeln stapeln sich vor ihm. Eine leicht bekleidete Frau schiebt sich ziemlich auffällig auf der Sitzbank immer näher an ihn heran. Das Kleid hat einen zu großen Ausschnitt, der Rock einen tiefen Einschnitt an der Seite, ihr Haar wurde mit irgendwelchen Blüten oder Beeren knallrot gefärbt und sie trägt zu viel Farbe im Gesicht.
Ja, selbst in diesem Drecksloch gibt es Huren. Ob Arthrax sich vor diesem Beutegreifer retten kann?
Auf der anderen Seite der Schenke sitzt Aji neben Allyster. Mentor und Schüler schweigen einander an. Der Junge ist wohl immer noch sauer, weil Allyster ihm bezüglich der Schöpfersteine nie zugehört hatte. So bald wird er ihm nicht verzeihen.
Brenna hatte die richtige Idee – sie ist hochgegangen. Während du dich schwankend erhebst, hoffst du, dass die Abende deiner Gefährten nicht in einer Katastrophe enden werden.
Aber große Hoffnungen hast du nicht.
- Nicht für Arthrax‘ Abend. Lies weiter in Kapitel 12.
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- Nicht für Ajis Abend. Lies weiter in Kapitel 16.