Als ich früh morgens aufwachte, kletterten schon die ersten Sonnenstrahlen von Ilios durch mein Fenster. Wie warme goldene Fäden legten sie sich auf meiner Decke nieder. Mit verschränkten Armen betrachtete ich die trostlose Landschaft hinter dem beschlagenen Glas, die nichts außer Sand, Gestein und unseren Messgeräten zeigte. Obwohl die Sonne Wärme ausstrahlte, so strafte die Kälte des Sturms sie Lügen.
Eine pinke Strähne fiel mir vor die Augen. Für einen Moment sah die Welt fast idyllisch aus. Ich strich die Haare freudlos weg, hieß damit die Tristheit wieder ungewollt willkommen. Der Wecker neben mir zeigte an, dass es langsam Zeit wurde, sich für einen weiteren anstrengenden Tag bereit zu machen. Rauszugehen, einen neuen Abschnitt abzustecken und zu untersuchen. Völlig durchgefroren, ohne neue Ergebnisse wieder zurückzukommen. Resigniert seufzte ich. Wir fanden doch eh nichts Neues heraus, nur dass es noch mehr Sand, noch eisigere Stürme und noch mehr Nichts gab. Warum dann noch in den Sturm wagen?
Noch müde schlurfte ich in das kleine Bad, welches auf mein Drängen hin in diesen Container eingebaut worden war. Wir waren vor der endgültigen Mission schon einmal hierher geflogen, um zu überprüfen, wie die Lebensbedingungen waren. Letztendlich konnten wir nur zurückmelden, dass es keine Pflanzen und Tiere gab, soweit wir das sehen konnten. Der Planet war kahl, trist und es herrschte eisiger Wind. Als wäre das der einzige Sinn des Planeten, den die GBSG passenderweise "Namís" getauft hatte, denn es bedeutete bei uns "Die Kaltgeborene". Die GBSG war eine mächtige Organisation, welche all jenen half, die Hilfe benötigten. Wie ich damals. Nach meiner Geburt war das Geschrei groß. Man fand heraus, dass ich ein illegitimes Kind war. Vor einigen Jahren gab es einen großen Krieg zwischen Xinia und Dukarza, einem kriegerischen und unbarmherzigen Volk, welches alles für sich beanspruchen wollte, was sie noch nicht hatten. Xinia konnte sich das natürlich nicht gefallen lassen und gewann den Krieg auch. Zwar mit einigen Verlusten, aber sie schlugen die Männer, die unter dem Kommando Valdarans standen. Der klägliche Rest der dukarzischen Armee trat eilig den Rückzug an. Einige wenige verblieben, sie hatten in dem Krieg erkannt, dass die Xinianer eigentlich ein friedlebendes Volk waren und der Planet schöner und farbenfroher, als sie dachten.
Auf diese Bedingungen wurden unsere Wohncontainer ausgelegt - Wärmespeicherung und Standhaftigkeit. Der Wohnblock bestand aus vier kleinen Schlafcontainern und einem Gemeinschaftsbad - wer jedoch wollte nachts, in klirrender Kälte auf die Toilette gehen? Davon wurde man krank, und das konnten wir uns absolut nicht leisten. Deswegen wurden wir auch vor der Abreise auf alle Erreger im System geimpft und mussten sogar einen Kurs belegen, um Symptome zu erkennen und frühzeitig gegenzusteuern. Daher hatte ich knallhart zu meinem obersten Leiter Mr. Honey gesagt: "Entweder jeder Container bekommt ein eigenes kleines Bad oder wir fliegen nicht." Und da sich die GBSG das nicht leisten konnte, hatte Mr. Honey alles in die Wege geleitet. Allerdings passte der Name "Honey" absolut nicht zu ihm, er war nicht süß und allseits geliebt, er war genau das Gegenteil.
Unsere Wohnungen waren so minimalistisch ausgestattet wie es nur ging. Überhaupt nicht modern, wie wir es von unseren Heimatplaneten kannten. Nichts schwebte, nichts suchte mir mein Outfit aus und ließ es an mir erscheinen, nichts sprach mit mir oder reagierte auf Gesten. Selbst meine Schreibkugel durfte ich nicht mitnehmen. Ich hatte empört reagiert, als man mir das mitgeteilt hatte. Als wäre das alles hier aus einer anderen Ära und als hätte man versucht, es irgendwie noch mit schwarzer Farbe zu retten, was allerdings sehr misslungen war. Wir bekamen den Altmüll von verstorbenen Welten und sollten damit zufrieden sein? Ich schnaubte abfällig. Es war, als würden wir erneut lernen müssen, wie man läuft. Keine Dekoration, keine künstlichen Blumen, kein bisschen Farbe: die Container waren kalt und ungemütlich. Jedes Licht mussten wir selbst anschalten und wieder ausmachen, die Kleider zogen sich nicht von allein an und unerträglich still war es auch.
Das alles passte zu diesem Ort, so als wäre er dafür geschaffen. Innen trist, außen trist. Erneut schlich sich ein Seufzer aus meiner Kehle und verklang leise. Das Waschbecken sah ziemlich mitgenommen aus und dennoch stützte ich mich darauf ab. Es machte zwar den Anschein, als kämnte es jeden Moment unter meiner Last auseinaderfallen, aber ich wusste um seine Stabilität. Im Spiegelbild erkannte ich mich nicht wieder. Erschrocken stellte ich fest, dass ich um Jahre gealtert und leblos aussah. Die Augenringe waren so offensichtlich wie schwarze Tinte auf weißem Papier, meine Augen stumpf und glanzlos - müde. Meine Haut zeigte mehr Falten auf, als ich in meinem Alter hätte haben sollen, auch wenn sie klein und für andere vielleicht unscheinbar waren. Man selbst sah seine Makel eher als andere. Ich sah kaputt aus, war des gleichen Ablaufs jeden Tag überdrüssig. Und doch es nützte alles nichts, ich hatte den Job angenommen und musste ihn jetzt auch erledigen. Ich ließ meinen Kopf in den Nacken fallen und atmete tief ein, wappnete mich für einen weiteren monotonen Tag.
Schnell und routiniert wusch ich mich ab, putzte mir die Zähne und frühstückte etwas, ehe ich ins Hauptquartier ging. Jenes Gebäude, welches zwei Stockwerke besaß und somit für jeden der Mitglieder genug Platz und Raum bot. Die untere Etage war größtenteils das Labor für Marissa, der Anbau und ein Teil der kleineren Räume waren Meáthews Werkstatt. Die restlichen kleinen Räume waren entweder noch leer oder für die Teambesprechungen gedacht. Die obere Etage gehörte Kiran und mir, er hatte Platz für all seine Geschichtsbücher und ich für meine Ausrüstung. Viel Platz brauchten wir aber nicht, deswegen stand hier oben auch die gesamte Crewausrüstung, denn draußen lagern konnten wir sie nicht. Wobei, könnten wir schon, sie hielt ja auch tagsüber den Extremen stand, aber das Risiko wollte ich einfach nicht eingehen, Mr. Honey würde mir den Kopf abreißen.
Die Atmosphäre draußen war bissig und so trocken, dass das Atmen schwerfiel und es im Hals kratzte. Mein Körper mochte diese Luft ganz und gar nicht. Ich war froh, als ich endlich durch den Eingang in das Hauptquartier trat und mich Wärme und Feuchtigkeit empfing. Automatisch musste ich husten und blieb vornübergebeugt stehen. Meine Brust schmerzte und mein Hals fühlte sich rissig und ausgedörrt an. Ich hasse diesen Planeten, dachte ich wütend.
Marissa hantierte munter hinter ihrem Mikroskop mit den Sandroben und ihr weißer Kittel wehte dabei geschäftig umher. Dabei drehte sie sich und trippelte von links nach rechts. Ich schüttelte den Kopf und musst trotz allem grinsen. Unsere Heilerin war eine Frohnatur, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Allerdings war das nicht wirklich schwer, denn die meisten Völker waren verbittert und gemein, gut gelaunte Xinianer oder in ihrem Fall Fibianer waren selten. Aber mit ihr fühle ich mich immer besser, denn dieser Planet mich jeden Tag ein bisschen mehr an.
Als sie mich bemerkte, legte sie noch schnell das Präparat, an dem sie gerade arbeiten wollte, auf den Objekttisch. Anschließend kam sie mir mit einem kleinen Glas Wasser entgegen, welches ich dankbar annahm und dann erleichtert aufatmete. Ihre zu einem Zopf gebundenen langen braunen Haare wippten bei jedem Schritt von links nach rechts und wieder zurück. Sie schenkte mir eine herzliche Umarmung, ehe sie mich eine Armeslänge auf Abstand hielt und ernst musterte. Ich trank das Glas in einem Zug leer und hielt ihrem messerscharfen Blick stand. Mir rutschte das Herz in die Hose, denn dieser Blick bedeutete, dass sie sich um mich sorgte. und wenn sie in Sorge war, verflog ihre gute Laune im Nu.
Doch diesmal beließ sie es bei dem ernsten Augenkontakt, ehe der Ausdruck von ihrem Lächeln verdrängt wurde. Ich ließ mich von ihr mitziehen, hing aber vorher meine Jacke an meinen Hacken. Alles hatte ein System und jeder wusste, wo etwas hingehörte. Das war auf einem fremden Planeten mehr als wichtig, wenn die Dinge schnell erledigt werden mussten. Nicht auszudenken, was passieren würde, müssten wir in einem Notfall erstmal alle Materialien zusammensuchen. Mir schauderte es bei dem Gedanken. Ich wollte mir gar nicht erst die Folgen ausmalen. Dann zog Marissa mich hinter das Mikroskop und bedeutete mir schweigend, aber immernoch lächelnd, hindurch zu sehen. Ich konnte viele kleine Körnchen erkennen – Sand eben. Fragend zog ich eine Augenbraue hoch. Warum zeigte sie mir etwas, was ich jeden Tag auf dem Screener sah?
„Na, schau dir den Sand mal genauer an, vor die Art der Körner!" Sie deutete erneut auf den Objektträger und ihr aufgeregtes Grinsen jagte mir langsam, aber sicher, Angst ein. Misstrauisch beugte ich mich wieder nach unten und betrachtete die Partikel erneut. Sie hatten alle dieselbe symmetrische Form, dieselbe langweilige braun-gelbe Färbung und sahen stumpf aus. Nichts neues, was wollte sie mir bloß zeigen? "Fünfeckiger Sand. Und?" Ich zuckte mit den Schultern, das war nichts besonderes.
Als ich noch immer keine Antwort wusste, holte Marissa ein weiteres Präparat aus der Schublade unter dem Mikroskop und tauschte es vorsichtig gegen das aktuelle aus. Mit einem auffordernden Kopfnicken ihrerseits lehnte ich mich wieder an die Arbeitsplatte und schaute erneut durch das Okular.
Ich stutzte und plötzlich sah ich eine Veränderung, auch wenn sie an sich nicht groß war. Die Sandkörner von gestern hatten allesamt eine Fünf-Eck ähnliche Form und waren gelblich-braun - die Körner von heute waren anders. Sie hatten unterschiedliche Formen, aber immer noch diese erdähnliche Farbe. Kurz sah ich hoch, rieb mir die Augen und war verwirrt. Wie war das möglich? Jeden verdammten Tag nahmen wir Proben aus den neuen Arealen, die wir untersuchten. Noch nie hatte sich etwas an den Ergebnissen geändert. Wieso jetzt? Was war so anders an dem Ort?
„Aufgrund der Daten, die ich bisher sammeln konnte, scheint es mir höchst ungewöhnlich, dass sich etwas verändert. Ich habe aber leider noch nicht rausgefunden, was die Ursache sein könnte."
Jeder andere Forscher würde jetzt konzentriert und mit mürrischem Gesichtsausdruck in seiner Ecke vor sich hinforschen, überlegen und experimentieren. Aber Marissa war anders, da sie nie ihre gute Laune verlor. Niemals hatte ich sie anders gesehen, weder wütend noch traurig noch frustriert. Sie war der Grund dafür, dass wir anderen noch nicht verzweifelt waren oder gar wahnsinnig. Und dabei machte uns die GBSG enormen Druck. Mr. Honey wollte endlich andere Ergebnisse, die er vorlegen konnte. Tatsächlich war das mehr als wichtig, wenn wir weiter forschen wollten. Denn keine interessanten Ergebnisse bedeuten keine Unterstützung.
„Ist schon okay, ich weiß, du gibst dein Bestes", lächelte ich die junge Frau deswegen aufmunternd an, dabei war nicht sie es, die das gebrauchen konnte.
„Ich muss den anderen Bescheid geben, in fünf Minuten treffen wir uns alle in Raum 5, ich denke, wir sollten nochmal zu dem Areal." Auch wenn das wahrscheinlich die schlechteste Idee überhaupt war, die ich in meinem ganzen Leben hatte.
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Helligkeit flutete den Raum und doch fühlte es sich dunkler als sonst an, als würde eine der Sonnen langsam untergehen. Vielleicht war dies auch so, Namís hatte nämlich drei Sonnen. Ilios ging jeden Tag auf und unter, Rana sandte für dreieinhalb Tage ihre Strahlen über den Planeten und ging genauso lange wieder unter. Einzig Sol sah man jeden Tag und jede Nacht, seit wir hier waren. Sie war mit den Stürmen das beständigste bis jetzt.Und dennoch stand sei tiefer als sonst, aber vielleicht irrte ich mich auch.
Neugierig musterte Meáthew mich, als ich als Letzte den Raum betrat, und ich sah die Fragen förmlich in seinem Kopf hin und her springen. Er war nicht wirklich ein neugieriger Mensch, aber wenn sich plötzlich etwas änderte, wollte man einfach wissen, wieso. Sein Shirt war ölverschmiert, wahrscheinlich hatte er endlich den Lüfter repariert, der zu unserer Heizung gehörte. Seit einigen Tagen war sie defekt gewesen und hatte uns keine Wärme im Bad gebracht - nur die Erkenntnis, dass warmes Wasser nicht unendlich war und schnell gefror.
Mit verschränkten Armen stand er am Fenster und brannte Löcher in die Luft, so angespannt überlegte er, was der Grund für dieses spontane Meeting sein könnte. Einzig und allein Kiran sah aus wie eh und je. Keine Falte, keine Emotion und doch zeigte mir seine überdeutliche Lässigkeit, dass auch er wissen wollte, was los war. Er konnte eben nicht alles hinter einem Pokerface verstecken, manches blitzt eben doch hindurch, egal wie bemüht man war. Das trügerisch warme Licht brach sich im silbernen Glanz seines Haares und bildete ein Funkenmeer aus abertausend Farben um ihn herum.
Ich setzte mich auf den Tisch, der am Rande des Raumes stand und strich mir nervös die Hände an der Hose ab. Mir war durchaus bewusst, was hier heute passieren würde und genau das machte mich so verflucht nervös, weil ich noch immer keine Ahnung hatte, wie ich damit umgehen sollte.
„Wie ihr wisst, untersucht Marissa die Proben, die wir tagtäglich sammeln", eröffnete ich das Gespräch angespannt. „Ihr seht die Ergebnisse jeden Tag am Screener und bisher war der Befund immer gleich." Marissa stand mit ihrem Tablet bereits vor dem kleinen Screener hier und wartete nur auf mein Zeichen, während Meáthew scheinbar schon ungeduldig wurde. Ich atmete tief ein und aus, inständig hoffend, dass er sich im Zaum halten würde. Er war wirklich ein liebenswerter Kerl, aber konnte ziemlich aufbrausend sein und das passte mir gerade gar nicht in den Kram.
„Was hat sich verändert?", stellte Kiran ruhig die einzig wichtige Frage. Überrascht schaute ich ihn an und war zu perplex, um zu antworten, einfach weil ich es nicht gewohnt war, dass er etwas sagte.
„Nun ja, gestern wart ihr in der Z-Sektion und die Probe von dort ist äußerst merkwürdig", übernahm die Forscherin in unserem Team. Sie deutete auf die weiße Fläche an der Wand, an der ein Abbild der mikroskopisch vergrößerten Sandkörner der letzten Tage erschien.
„So sieht der Sand aus den Proben aus, den ihr immer mitgebracht habt." Sie schenkte uns einen dankbaren Blick. Auch wenn es jeden Tag die gleichen Proben waren, so hatte sie wenigstens immer etwas zu tun. Und auch wenn sie es nicht zeigte, ist sie für diese Tatsache sehr wohl dankbar. Was sollte sie sonst auch machen, während wir draußen waren? Däumchen drehen?
Ein Tippen auf das Display ließ das Bild der aktuellen Probe erscheinen und auf alles vorbereitet beobachtete ich Meáthew genaustens. Verfolgte jede Bewegung seiner Hände und jede Regung in seinem Gesicht. Angestrengt versuchte er einen Unterschied zu finden, doch er sah ihn nicht, genau wie ich anfangs. Wir hatten einfach zu lange dieselben Ergebnisse gesehen und jetzt verschwand alles vor lauter Bäumen im Wald. Mein Blick huschte zu Kiran und in seinem Gesicht sah ich nicht eine einzige Regung, oder sie war so winzig, dass ich sie von hier aus nicht sehen konnte.
Marissa tippte erneut auf ihrem Tablet herum und ein neues Bild erschien an der Wand. Diesmal sah man beide Proben nebeneinander. Ich war überrascht, wie geduldig sie war, auch wenn es bei ihr eigentlich auf der Hand lag. Man konnte sich zu jeder Tages- und Nachtzeit bei ihr melden. Egal wann, sie war immer für einen da, also wirklich immer. In den ersten Tagen hier war ich regelmäßig bei ihr. Sie hatte mich getröstet und mir versichert, dass man sich an alles gewöhnen würde. Ihre sanfte Stimme und mütterliche Fürsorge ließen mich dann immer gleich viel besser fühlen. Sie war einfach ein wunderbarer Mensch mit einem großen Herz.
Meine Aufmerksamkeit richtete sich sofort auf unseren Techniker, als dieser laut und voller Unglauben „Das gibt es doch nicht! Bei den drei Sonnen!" rief und mit einem Mal neben seiner Kollegin stand, ihr das Tablet aus der Hand riss und es sich nah an die Augen hob. Scheinbar hatte er den Fehler jetzt auch gesehen. Seine Brauen schoben sich dicht zusammen und er sah mich geradeweg an.
„Und was bedeutet das? Gibt es also doch etwas mehr als Nichts?" Sein Blick verhieß nichts Gutes und bei meiner Mitteilung gleich würde er wahrscheinlich explodieren, wie eine Bombe aus den alten Zeiten der Menschen. Ich schloss kurz die Augen, sammelte meine Kraft, straffte meine Schultern und entgegnete seinem Blick entschlossen.
„Ich weiß es nicht, aber genau das scheint es zu bedeuten. Vielleicht sind die Sandkörner an verschiedenen Stellen des Planeten unterschiedlich. Vergiss nicht, wir haben mal gerade einen Bruchteil sichten können. Vielleicht hat das auch etwas ganz anderes zu heißen. Wir können das so nicht hundertprozentig bestimmen, nur anhand der Bilder." Mich aufrichtend nickte ich zu den Sandkörnern an der Wand. Meáthew schien zu ahnen, wohin mein Gedanke uns führen würde und trat einen Schritt zurück. In seinen Augen spiegelte sich blankes Entsetzen. Zu Recht. Sektion Z war eine Todeszone. Wir waren gestern nur mit viel Glück dem Sturm entkommen. Wobei, vielleicht hatte er uns auch entkommen lassen? Manchmal hatte ich das Gefühl, der Wind hatte seinen eigenen Willen und wenn ihm das Spiel mit uns zu langweilig wurde, ging er woanders hin.
„Ich betrete diese Zone nicht mehr, auf keinen Fall!", stieß er verärgert hervor, während er mit seinen Zähne knirschte. Meine Nase kribbelte und ich rieb mir über das Gesicht. „Doch, du wirst dahin gehen, genau wie wir, Thew. Darüber gibt es keine Diskussion." Ich sah ihn streng an. Ich hasste es, den Boss raushängen zu lassen. Und sein Blick zeigte mir, dass es ihn auch verletzt hatte, als hätte ich meine Position ausgenutzt. Dabei tat ich das nicht. Wenn er nicht gehen wollte, dann sollte er meinetwegen bleiben. Die Konsequenzen kannte er allerdings ebenso gut wie ich. Seiner Wut jetzt freien Lauf lassend, schlug er auf den Tisch neben mir und ich schreckte kurz zusammen.
Der Tag gestern war hart, das wussten wir alle. Jeden Tag da raus zu gehen, Gesteinsproben zu sammeln und dem Tod entgegen zu treten war aber leider unser Job. Zwar mochte ich meine Arbeit genauso wenig wie er, aber mir war auch klar, was davon abhing. „Ich werde nicht in die Todeszone -", das letzte Wort betonte er besonders durch zusammengepresste Lippen. „- gehen und so tun, als wäre es das wert! Es ist nur Sand, nur ein paar Körnchen Sand, die anders aussehen. Na und? Was soll das schon großartig bedeuten? Außer, dass der Sand einfach nur anders aussieht. Das ist mir mein Leben nicht wert." Er sah mich an, als würde ich übertreiben. Als würde ich krampfhaft etwas suchen, dem wir nachgehen konnten, nur damit alle bei Laune blieben. Er grinste schon fast hämisch und ich war einfach nur fassungslos über sein Verhalten.
Hilfesuchend schaute ich Kiran an, aber wie immer zeigten sich keinerlei Emotionen auf seinem Gesicht und meine Schultern sackten ein wenig ab. Marissa wollte ich nicht mit reinziehen. Sie schlecht gelaunt zu sehen, war kein Punkt auf meiner To-Do-Liste. Also überlegte ich fieberhaft, was ich tun konnte, damit er sich beruhigte. Da kam mir eine Idee, die mir vielleicht um die Ohren fliegen würde, aber ich probierte sie trotzdem aus.
„Meáthew, hör auf zu diskutieren, du wirst mitgehen, Ende. Daran wird sich nichts ändern, egal was du jetzt machst. Also lass doch bitte einfach gut sein. Ich kann nichts dafür, das ist unser Job. Die GBSG ist wichtig für uns, ohne sie hätten wir ein viel schlechteres Leben. Du müsstest bei deiner Familie sein, wo du nicht sein willst, das weiß ich." Und wie die Idee mir um die Ohren flog. Ich hatte gedacht, dass es eventuell half, ihm in Erinnerung zu bringen, dass wir es machen mussten, ob wir wollten oder nicht und was wir ohne die Organisation wären. Doch stattdessen ging mein Plan nach hinten los und mir rutschte kurz das Herz in die Hose, ehe ich mich wieder zusammenriss und ausatmete.Ich hatte nichtmal gemerkt, dass ich die Luft gespannt angehalten hatte.
Sein Blick wurde eiskalt, ehe er sich mir gegenüber aufbaute. Mit seiner Kluft, den Muskeln und seiner Größe würde er mir tatsächlich Angst einjagen, würde ich ihn nicht bestens kennen. So stemmte ich meine Hände, langsam die Geduld verlierend, in die Hüfte und starrte ihn unnachgiebig an. „Nein." Das war alles was er sagte, bevor er an mir vorbei rauschte, nicht ohne mich anzurempeln. Ich seufzte und sah ihm hinterher. Was sollte ich bloß mit ihm machen?
„Wir sammeln uns morgen früh noch einmal hier. Plant bis dahin bitte, was ihr mitnehmen wollt und bereitet euch vor. Ihr habt den Rest des Tages frei", richtete ich mein Wort an Kiran und Marissa. Letztere nickte, schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, wobei Kiran einfach rausging. Ich atmete lange aus und lehnte mich erschöpft an das Fenster. Ich mochte es nicht, wenn wir uns stritten oder ich Befehle geben musste, weil jemand seinen Job nicht kannte.
Es war als drückte mich die Last des gesamten Planeten gen Boden und ich allein kämpfte dagegen an. Von Kiran konnte ich keine Hilfe erwarten, er war niemand, der die Stimme erhob. Er beobachtete nur, analysierte alles und jeden und notierte es dann später. Es war von Anfang an klar, dass er nur mitkam, um die Geschichte festzuhalten, falls es denn eine gab. Marissa hingegen war eine so liebe Frau, dass ich sie damit nicht belasten wollte. Lieber schulterte ich das alles allein, als ihr etwas aufzubürden.
Am nächsten Morgen waren alle außer Meáthew im Raum, das Equipment stand schon bereit. Ich hatte die Hoffnung, dass er trotz des Streits gestern doch herkam und uns half. Scheinbar hatte er sich dagegen entschieden. In meinem Hals bildete sich ein Kloß. Noch nie war etwas Derartiges vorgekommen, noch nie hatte jemand seinen Job einfach nicht erledigt. Sowas hatte immer Konsequenzen und ich wollte definitiv nicht die Überbringerin sein.
Nacheinander sah ich einmal alle an und stellte erleichtert fest, dass ich nicht die Einzige war. Jeder von uns musste seinen Mut suchen, um wieder raus und in die gefährlichste Zone bisher zu gehen. Außerhalb des Hauptquartiers ging Ilios auf und Rana unter. Sol stand sehr niedrig, aber trotzdem hoffte ich inständig, dass wenigstens sie ihr Licht auch auf dem Rückweg noch über den sandigen Boden schicken und uns damit den Weg leuchten würde.
„Na dann, wollen wir?", meldete sich Marissa zu Wort. Sie war von uns allen sowieso schon am zuversichtlichsten, aber diesmal hatte sie einen unfairen Vorteil: Sie hatte die Gefahr nicht selbst erleben müssen. Von Kiran brauchte ich keine Zustimmung oder Ablehnung erwarten, er war gewappnet, gesammelt und die Ruhe selbst.
Ein zögerliches Klopfen ließ mich ruckartig herumwirbeln und beruhigt aufatmen, als ich Meáthew im Türrahmen stehen sah. In seine schwarze Montur gehüllt sah er mich mit seinen braun-goldenen Augen an und entschuldigte sich still für das gestrige Verhalten.
„Es tut mir leid, Gemma. Das war egoistisch und falsch von mir. Ich sollte an das große Ganze denken und daran, was meine Aufgabe ist." Er lächelte zaghaft und bat mich damit vor allen anderen um Verzeihung. Ich überlegte zunächst, schließlich konnte ich ihm nicht alles durchgehen lassen, nur weil er sich entschuldigte. Dennoch brauchten wir ihn hier und vor allem heute mehr denn je. Wir durften da nicht erneut unvollständig hingehen. Vor allem brauchten wir ihn, weil er sich am besten den Weg merken konnte. „Nimmst du die Entschuldigung an?"
Ich nickte ihm zu und die anderen atmeten erleichtert auf, wie ich. Dann marschierten wir aus dem Raum, die Treppe hinunter in die Forschungsabteilung, durch sie hindurch und zur Eingangstür. Jeder schnappte sich seinen Anzug, der einen vor der extrem beißenden Luft und den eisig kalten Stürmen schützen sollte. Ehe wir die Tür öffneten, musterten wir uns alle besorgt und murmelten leise ein kleines Gebet, dass wir überleben mochten.