„Takjin!“
Mit einem Schrei rannte Junea vorwärts, so schnell sie konnte. Auf dem unebenen Bergpfad stolperte sie immer wieder über aus dem Boden ragende Steine.
Auch Mosa trieb ihr geflügeltes Pferd fluchend an und Merin blieb nicht viel anderes übrig, als Wildfang zum Galopp zu treiben, denn das Mammut drängte von hinten nach.
Merin behielt den Boden im Blick. Wenn Wildfang stolperte, konnte das katastrophale Folgen haben, denn der Weg führte nicht selten an den Rand eines steilen Abhangs. Doch das Pony kannte keine Furcht und stürmte vorwärts. Als sie Junea einholten, streckte Merin eine Hand zu ihr herunter. „Was ist denn los?“
Junea saß mit einer einzigen, schnellen Bewegung hinter ihm. „Die grauen Ritter waren bei den Toren!“
„Und?“, fragte Merin, der vergeblich versuchte, das halsbrecherische Tempo seines Pferdes zu verringern.
„Takjin ist dort! Peki auch.“
„Was?!“ Merin sah nach vorne. „Sie sind in die andere Richtung geritten. Das ist unmöglich!“
Doch die Ritter hatten die Strecke offenbar auch in irrwitzig kurzer Zeit bewältigt. Es musste einen zweiten Weg geben, der von hier aus nicht zu sehen war. Er ließ Wildfang schneller laufen. Wenn Peki in Gefahr war … sie war nur seinetwegen hier, er trug die Verantwortung für das Mädchen.
Schnaufend erreichte Wildfang, sogar noch vor dem Pegasus, eine dunkle Ebene, über der sich ein mächtiger Felsen nach außen wölbte. Hier sah Merin drei Rahmen aus dunklem Stein, umringt von farbiger Wolle und ausgefüllt mit einem seltsamen, violetten Material, einer Art sehr dünnem Vorhang vielleicht, der von einem Windhauch bewegt wurde.
Da kam ihnen auch schon Peki entgegen. „Er war in den Rahmen, und jetzt ist er weg, ich hab auf der anderen Seite nachgesehen und die Ritter sind fort und alles … alles ging so schnell!“
„Ganz ruhig.“ Merin schwang sich aus dem Sattel und fasste die Schultern des Mädchens. „Tief durchatmen. Was ist passiert?“
Peki richtete ihre Zöpfe. Danach schien sie weniger aufgelöst zu sein. Inzwischen waren alle eingetroffen und sahen sich um.
„Die Portale sind aktiviert!“, rief Mosa erstaunt aus.
„Die Ritter sind weg“, stellte Junea fest.
Peki sah Merin ängstlich an. „Wir waren ganz plötzlich hier. Zuerst sind wir über die Brücken geritten, und dann … dann waren wir in einem Nichts und alles war schwarz und … da war nichts. Dann waren wir plötzlich hier, Takjin, Jen und ich.“
„Er muss den Enderstab genutzt haben, um euch hierher zu bringen“, warf Junea ein.
Merin sah sich um. Konnte diese verrückte Erklärung stimmen? Er konnte keinen zweiten Weg zur Ebene erkennen, andererseits war das umliegende Gelände auch nicht unmöglich zu bereiten.
„Ich wusste gar nicht, dass der Stab mehr als eine Person transportieren kann“, murmelte Mosa. „Wo ist er jetzt?“
„Der Stab!“, fuhr Junea auf. „Peki, wo ist der Enderstab?“
„Das versuche ich doch, euch zu sagen!“ Peki brach vor aller Augen in Tränen aus. Hilflos kniete Merin vor ihr.
„Durchatmen, Kind“, murmelte er.
Menakurr drängte ihn zur Seite und nahm Peki in den Arm. Aleé reichte dem Kind ein Taschentuch. „Ist Takjin … geht es ihm gut?“, fragte die Zwergin zögerlich.
Peki nickte. „Glaube schon.“ Sie schniefte. „Plötzlich waren diese Ritter da. Takjin hat irgendwas gemacht mit dem Stab. Da war dieses komische Feuer in den Portalen und hat die Ritter verschlungen, aber einer hat den Stab gepackt und Takjin mit sich gerissen!“
Merin sah auf die Portale. Ihre Rahmen waren mit blauer, roter und grüner Wolle umwickelt.
„Verdammt!“, fuhr Junea auf. „Die Ritter haben den Stab!“
„Und sie haben Takjin!“, rief Peki und sprang förmlich in die Höhe. „Ich muss ihn retten!“
Sie wollte zu den Portalen laufen, aber Olar fing sie ab. „Nur nichts überstürzen! Wir müssen überlegen, wie wir vorgehen.“
Merin betrachtete die Portale genauer. Peki hatte auf das grüne Portal zulaufen wollen, also war Takjin offenbar dort. Doch das blaue Portal zog seinen Blick auf sich. Dieses Blau … waren das Fahnen aus Telion, die um den Portalrahmen geschlungen waren? Das schien unmöglich, und doch konnte Merin nicht daran zweifeln. Dieses tiefe Blau war Chirogans Lieblingsfarbe, die Farbe seines Königreichs. Merin trat an den Rahmen und strich über den weichen Stoff.
Chirogan … Die Häscher hatten ihn durch eines dieser Portale geschickte. Wie sollte er ihn jemals wiederfinden, wenn es drei Welten gab, in denen er suchen konnte? Es musste Hinweise geben, Unterlagen von Jock Teador, Pekis Vater, der das Portal gebaut hatte.
Vorsichtig streckte Merin die Hand nach dem violetten Material im Inneren des Rahmens aus. Es mochte Feuer sein, wie Peki gesagt hatte, oder sehr dünner Stoff. Irgendwie erinnerte er auch an Wasser in einem Teich, nur dass dieser See aus irgendeinem Grund waagerecht in der Luft stand. Merin berührte das Leuchten und fühlte … nichts. Es war nicht kalt oder warm, er fühlte nicht einmal ein Streicheln auf der Haut.
„Merin, warte bitte!“, rief Junea ihm zu.
Er wandte sich um. Die Gruppe hatte einen Kreis gebildet, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Merin zog die Brauen zusammen. „Nein. Ich weiß, dass du das nicht verstehst, Junea, aber ich muss jemanden retten, der mir am Herzen liegt. Tut, was ihr wollt – ich habe mit eurem Kampf nichts zu tun!“
Mit diesen Worten machte er einen Schritt und trat in das Portal hinein.
Es wurde schwarz um ihn.