***Keeda***
Mit jedem Schritt den Keeda die kleine Gruppe weiter in die Finsternis und in Richtung Küste führte, wurde der Gestank nach verfaulten Fisch und Seetang stärker, bis ihnen der Geruch Tränen in die Augen trieb.
„Wie halten die Nasher diesen Gestank aus? Kein Wunder das sie verrückt sind“, murmelte Harbek missmutig, während sie eine kurze Rast einlegten, „Oder vielleicht …“ sprach er weiter, doch verstummte augenblicklich, als Keeda ihre Hand hob und abermals nach vorne zeigte.
Es war das gleiche Gefühl wie vorhin, die Härchen an ihren Armen stellten sich auf und einen Augenblick später hörte sie das grobe Lachen. Harbek und Alice hörten es einen Augenblick später und taten es Keeda gleich, die ihre Waffe hob und sich auf einen Überraschungsangriff vorbereitete.
„Wie viele?“, flüsterte Harbek und schaute erwartungsvoll von Alice zu Keeda, die wortlos vier Finger hochhob. Der Zwerg lächelte grimmig und sprach ein leises Gebet, bevor er sein Siegel fester packte und sich das leichte Glühen darin zu einem einzigen hellen Stern zusammen zog.
Gleich darauf kamen vier Männer, Nasher, ihnen entgegen und erstarrten mitten auf dem Weg. Noch bevor sie ihre Waffen ziehen konnten, spannte Keeda ihren Bogen, hielt ihn schräg und schoss vier Pfeile gleichzeitig ab, die alle mehr oder weniger in ihr Ziel trafen.
Einer der Nasher war sofort tot, während Alice blitzschnell vorsprang und die drei Verletzten erledigte.
Harbek ließ sein Siegel sinken und warf seinen Gefährten einen wütenden Blick zu: „Wenigstens Einen hättet ihr mir übrig lassen können!“
Alice richtete sich lachend auf: „Die nächsten überlassen wir ganz dir!“ Sie warf dem Zwerg eine Kusshand zu und blickte sich suchend um. Harbek verbarg das Schmunzeln, dass sich auf seine Züge stahl schnell hinter einem missmutigen Knurren, und tat es Keeda gleich, die die Leichen in den dunklen Weggraben schleifte.
Alice hielt derweil Wache und passte auf, ob sich eine weitere Patrouille näherte.
„Weiter geht's“, schnaufte Harbek und beförderte den letzten Nasher mit einem Tritt in den Graben, doch Keeda schüttelte den Kopf. Augenblicklich hob Harbek sein Siegel und sah sich alarmiert um.
„Wie viele sind es dieses Mal?“
„Wir müssen nicht weiter. Hier ist Karzovs Versteck“, antwortete die Drow und zeigte zu einer schmalen Tür, die sich hinter verdorrten Gestrüpp an eine der Ruinenwänden verbarg.
Ohne zu Zögern übernahm Alice die Führung und nickte ihren Freunden zu, bevor sie mit einem Tritt die Tür aufbrach und mit gezückten Klingen hinein stürmte. Keeda folgte ihr mit angelegtem Pfeil, dicht hinter ihr Harbek mit erhobene, glühenden Siegel
Der Raum, der sich hinter der morschen Holztür verbarg, die unter Alice Kraft zersplitterte, war … leer. Die Menschenfrau erstarrte und blickte sich mit einer Mischung aus Verwunderung und Argwohn um, als würde sie erwarten, dass sich im nächsten Moment Nasher aus den Schatten auf sie stürzen würden. Misstrauisch schweifte ihr Blick über die staubigen Wände und die hölzernen Reste des eingestürzten Daches.
„Ich verstehe das nicht“, murmelte Keeda und drängte sich an Alice vorbei in den Raum, „Hier müsste es sein!“ Sie rief sich abermals das Bild von Alice Karte ins Gedächtnis.
„Du bist wohl keine so gute Kartenleserin wie gedacht, kleine Drow. Hast du dich verlaufen?“ fragte Harbek und machte sich nicht die Mühe sein hämisches Grinsen zu verbergen. So schnell, dass die Bewegung in den Augen des Zwerges verschwamm, drehte sich Keeda zu ihm um und fauchte ihn zornig an: „Ich habe mich nicht verlaufen!“
„Oh Verzeihung“, antwortete Harbek zynisch und hob abwehrend die großen Hände, „Die vielen Nasher und ihr legendärer Anführer des Bösen hier in dieses Schutthalde müssen mich verwirrt haben. Du könntest dich natürlich nie irren oder uns in eine Falle locken, Drow.“
Keedas Augen wurden groß und ihre Hand zuckte unwillkürlich zu der Stelle an ihrem Gürtel, um vergeblich nach ihrem Beil zu tasten. Es wird Zeit, dass ich mir eine neue Waffe besorge.
„Was willst du damit andeuten?“, fragte sie leise, doch ihre Stimme brodelte von unterdrückter Wut.
Harbek setzte bereits zu einer Erwiderung an, doch Alice schnitt ihm das Wort ab.
„Hört auf. Sofort! Keeda hat sich nicht geirrt, wir sind hier richtig.“ Sie funkelte den Zwergen warnend an und zeigte auf den staubigen Boden zu ihren Füßen.
„Scheint die schlechte Luft ist auch dir zu Kopf gestiegen“, murmelte Harbek leise und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Alice verdrehte genervt die Augen, und einen Moment später öffnete sich vor ihnen ein schwarzes Loch im Boden, wo sich mit einem Knirschen eine verborgene Falltür öffnete.
Harbek zuckte überrascht zurück und schaute staunend von Alice zu dem Loch und wieder zurück.
„Wie hast du das gemacht?“ fragte er fassungslos und kniete sich vorsichtig an den Rand der Öffnung.
„Ich kann euch doch nicht all meine Geheimnisse verraten“, entgegnete Alice schmunzelnd und setzte sich neben Harbek in den Staub.
„Kannst du wenigstens sagen wie tief dieser Abgrund ist und ob wir uns alle Knochen brechen wenn wir rein springen?“ erkundigte sich Keeda forschend, stellte sich hinter den Zwerg und spielte mit dem Gedanken ihm einen Tritt nach vorne zu geben, und die Frage so aufzuklären.
Alice warf einen abschätzenden Blick in die bodenlose Schwärze und zuckte mit den Achseln.
„Die Nasher machen es ja auch, es kann demnach nicht so schlimm sein.“
„Die Nasher könnten sich auch jedes Mal den Kopf aufschlagen, das wäre eine weitere Erklärung für ihren Irrsinn. Dieser Eingang sieht nicht so aus, als würde er oft benutzt werden.“, brummte Harbek und beugte sich ein Stück nach vorne.
Es würde nach einem Unfall aussehen, überlegte Keeda und dachte an die vorherige Anmerkung des Zwerges. Doch andererseits, konnte sie ihm sein Misstrauen verübeln? Ich bin nunmal eine Dunkelelfin. Kein Wunder, dass er mir nicht vertraut. Wer könnte das auch?
Alice schmunzelte und stand behutsam auf, um sich ebenfalls vorsichtig nach vorne zu beugen.
„Irgendwie müssen wir es herausfinden“, erwiderte sie und sprang ohne Vorwarnung nach vorne und die Tiefe.
„Alice!“, schrie Keeda schockiert, und ließ sich auf die Knie fallen. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor als sie die Kante der Luke fest umklammerte und der Stille lauschte, die nur durch einen dumpfen Aufschlag unterbrochen wurde.
Harbek starrte ebenfalls fassungslos in die Tiefe: „Mensch? Alles in Ordnung?“
Stille.
„Alice?“, versuchte er es erneut, doch bekam auch dieses Mal keine Antwort. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn wurden tiefer, als er sich kummervoll auf die Unterlippe biss.
„Alice, sag doch etwas!“, rief Keeda in die Tiefe und musste ihre Stimme davon abhalten zu einem hohen Kreischen auszuarten. Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf und mit jeder stillen Sekunde die verstrich, malte sie sich grauenvollere Szenarien aus.
Harbek schien diese Befürchtungen zu teilen und wechselte einen verzweifelten Blick mit Keeda.
Alice, die nicht mehr lebte …
Keedas Herz zog sich schmerzhaft zusammen und sie schrie abermals verzweifelt nach ihrer Freundin.