„Ihr solltet auf eure Freundin hören‟, entgegnete Neverember. Er saß noch immer auf dem Boden und sah Keeda erwartungsvoll an. Die Drow rümpfte bei seinem Blick die Nase und beugte sich leicht zu ihm hinunter. Neverember zuckte zusammen, doch es gelang ihm seine Angst weitestgehend zu verbergen.
„Erst wenn ich meine Antwort habe.‟
„Werdet ihr mich unbeschadet gehen lassen, wenn ich euch antworte?‟, fragte Nevermeber skeptisch und machte Anstalten sich zu erheben.
„Unten bleiben‟, zischte Keeda wütend, „Sagt mir die Wahrheit.‟
Neverember seufzte auf, aber schütteltet den Kopf. „Ihr werdet mich töten, ganz gleich was ich sage. Meine größte Chance zu überleben ist demnach, nicht zu antworten.‟
„Ich werde euch auch töten, wenn ihr weiterhin schweigt‟; knurrte sie und ging vor dem Lord in die Hocke. „Antwortet und ihr habt es in der Hand, wie schnell euer Tot ist.‟ Neverember schluckte schwer, doch presste entschlossen die Lippen zusammen. Keeda verdrehte die Augen. „Wie ihr wollt.‟ Sie machte einen Satz nach vorne, die Spitze ihres Dolches berührte bereits Neverembers Haut, doch da wurde sie kraftvoll zurück gerissen. Wutschnaubend sprang sie auf und taxierte Alice. Die Assassine ließ augenblicklich ihren Arm los und trat einen Schritt zurück.
„Hör auf damit Keeda‟; forderte sie und deutete auf Neverember, der sich zitternd an die Kehle griff. Ein einzelner Blutstropfen quoll aus der Schnittwunde an seinem Hals. „Ich lasse nicht zu, dass du zu einer kaltblütigen Mörderin wirst. Das bist nicht du! Kämpfe gegen diese dunkle Seite an, ich bitte dich.‟ Alice Blick wanderte zu Neverember hinab, „Ich lasse nicht zu, dass Sie einen hilflosen Tod sterben.‟
Keeda sah ebenfalls auf den Lord hinab, der sich vorsichtig aufrichtete, dabei ließ er Keeda keinen Moment aus den Augen. „Ich danke euch Alice Schattenklinge, eure Loyalität wird reich belohnt werden.‟
Alice schüttelte den Kopf, „Es ist keine Loyalität die mich ihr Leben schützen lässt. Sie haben grauenvolle Dinge getan, doch wir können ihnen nicht an allem die Schuld geben. Manches hätte keiner von uns vorhersehen können, dazu gehört auch Valindra. Wer hätte ahnen können, dass sie durch ihre Zurückweisung zu der Herrin über die Toten wird?‟
„Ich wollte immer nur das Beste für unser Land‟, stimmte Neverember ihr zu und das altbekannte, charmante Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
„Auch als ihr König Ahren ermordet habt‟, knurrte Keeda und ihre Nasenflügel bebten.
Neverembers Lächeln erstarrte und er sah prüfend zu Alice und Harbek. Er seufzte schließlich und ein selbstgefälliger Ausdruck trat in seine Augen. „Der König war schwach, er wollte vor Valindra kapitulieren und glaubte sie würde uns verschonen, doch er kannte sie nicht so, wie ich es tat. Sie neigte noch nie zu Vergebung oder Gnade. Damals, vor all den Jahren, fand ich diese Zielstrebigkeit bewundernswert. Ihr Temperament, Wille und ihre Leidenschaft waren nicht zu bändigen und als ich von ihren Machenschaften hörte, wusste ich, dass sie erst ruhen würde, wenn ich tot war. Mir blieb keine andere Wahl, als die Kapitulation zu verhindern. Sie hätte erst mich und danach ganz Neverwinter in ihrem Zorn vernichtet, aber Ahren wollte mir nicht glauben.‟ Neverember zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Ich schäme mich nicht dafür, dass ich tat, was getan werden musste und ihn mit einem dunklen Fluch, den Val mich gelehrt hatte, getötet habe. Es war notwendig, um Neverwinter zu schützen.‟
„Wohl eher, um ihr eigenes Leben zu schützen‟, fauchte Keeda aufgebracht, „Ihr habt ein Land in den Krieg gestürzt, weil es in eurem Interesse lag und habt seither jede Chance auf Frieden zerstört, aus Angst eure Macht zu verlieren.‟
„Ich wollte nicht, dass all diese schrecklichen Dinge passieren‟; gab Neverember nachdenklich zu. „Aber einiges wäre auch ohne mein Zutun geschehen. Die Orks wären ohnehin in das Turmviertel eingefallen, wie auch die Dunkelelfen. Das Böse liegt in ihrer Natur, ich habe es lediglich beschleunigt.‟
„Wegen euch sind tausende gestorben und es hat noch kein Ende. Dort draußen sterben noch immer eure Soldaten, die Orks habt ihr als lebender Schutzschild an forderst Front gestellt und niemals werden die Menschen ihren Groll gegen die Drow vergessen!‟
„Ich habe geahnt, dass ihr in eurem schwarzen Herzen noch immer Teil eures Volkes seid!‟, knurrte Neverember.
„Ihr habt Recht, ich werde immer eine Dunkelelfe sein, auch wenn ich die Traditionen und Gebräuche meines Volkes ablehne. Ich werde meinen eigenen Weg gehen, auf dem ich nach Gerechtigkeit und Freiheit strebe und niemals werde ich damit aufhören, den Ruf meiner Brüder und Schwestern zu verteidigen. Vielleicht werden sie eines Tages einsehen, dass Gnade und Mitgefühl keine Schwächen sind, doch selbst wenn sie den Weg zum Licht finden, werden sie nicht in Neverwinter oder in irgendeinem anderen Land wohlwollend aufgenommen und das ist euer Verdienst. Ihr, eure Gier nach Macht und euer Egoismus haben diese Welt zu tief geprägt, um die Wogen zu glätten.
Neverwinter hat besseres als euch verdient, einen König, keinen Lord, der tatsächlich nach dem Besten für sein Land strebt und nicht nach den eigenen Interessen handelt. Weshalb sonst, habt ihr solche Angst die Krone aufzusetzen? Ihr wisst, dass sie euch nicht als würdig anerkennen wird.‟ Keeda ballte die Hände zu Fäusten und Alice musste sie davon abhalten, sich erneut auf den Lord zu stürzen.
„Er wird nicht erneut auf den Thron zurückkehren‟, flüsterte sie ihr ins Ohr, „Dafür werden wir sorgen.‟
„Das können wir nur auf eine Art!‟, zischte Keeda zurück und wand sich in Alice festen Griff.
„Hör auf Alice, kleine Drow‟, murmelte Harbek schwach und versuchte aufzustehen. Seine Beine gaben unter ihm nach und er sackte wieder zusammen. Er fluchte leise, aber straffte seine Schultern und versuchte trotz seiner Schwäche so würdevoll wie möglich auszusehen. „Ihn zu töten, würde dich zu einer Mörderin machen. Ich weiß, im Prinzip sind wir das alle schon, aber einem Volk den Anführer zu nehmen den es verehrt, wäre äußerst unklug, vor allem für eine Drow.‟ Er hob die Hand, als Keeda ihm wütend widersprechen wollte und lächelte verschlagen, „Es gibt eine bessere Möglichkeit, die ganz Neverwinter die Augen öffnen wird.‟
Keeda erstarrte und erwiderte kurz darauf sein schmutziges Lächeln. Sie fletschte die Zähne und ließ ihren Dolch sinken. Alice ließ sie los, sobald sie die Waffe zurück in den Gürtel steckte und sah verständnislos von ihr zu Harbek. Sie hob fragend eine Braue, doch keiner von beiden antwortete. Keeda nickte dem Zwergen zu und verschwand durch die Tür zum Thronsaal.
Neverember trat nervös von einem Fuß auf den anderen und sah der Drow misstrauisch hinterher. Er blickte zu Alice und Harbek und schien seine Fluchtmöglichkeiten abzuschätzen. Harbek wäre kein Hindernis, doch Alice würde ihn ohne Anstrengungen überwältigen. Er richtete sich tapfer auf, doch der kalte Schweiß auf seiner Stirn, verriet seine Angst.
Alice sah der Drow ebenfalls verständnislos nach, aber behielt auch Neverember im Auge. Sein prüfender Blick entging ihr nicht und als Antwort legte sie ruhig eine Hand auf ihren Waffengriff. Neverember seufzte auf und sah mit gerunzelter Stirn zu Boden. Als Keeda breit grinsen in den Raum zurück kam, sah er erschrocken auf. Seine Augen weiteten sich furchtsam und er trat unwillkürlich ein paar Schritte von ihr zurück.
„Warum so ängstlich?‟, fragte Keeda hämisch und hielt den Gegenstand hoch, den sie mitgebracht hatte. Alice starrte sie verwundert an und auch auf ihr Gesicht trat ein unsicheres Lächeln. Sie ging vorsichtig der Drow entgegen und blickte skeptisch zu Harbek hinab.
„Ihr glaubt, dass ein Märchen die Lösung ist?‟ fragte sie abschätzig und blickte prüfend zu Neverember. Der Lord drückte sich mit dem Rücken an die Wand und seine Augen huschten suchend durch den Raum.
„Es ist das Beste was wir tun können‟, antwortete der Zwerg und folgte ihrem Blick. Keeda trat triumphierend auf den Lord zu.
„Wartet!‟ Eine Stimme ließ sie alle ruckartig herumfahren. Feldwebel Knox stand schnaufend in der Tür, die blutverschmierte Axt drohend erhoben. Tiefe Furchen zogen sich über seinen Brustpanzer und er funkelte sie aus seinem einen verbliebenem Augen argwöhnisch an. Er trat wachsam in den Raum und stellte sich schützend vor Neverember. Der Lord atmete erleichtert auf.
„Knox, meine rechte Hand, den Göttern sei Dank! Diese Verräter wollen mich umbringen! Ich habe Valindra getötet und diese Halunken haben meine Schwäche nach dieser Heldentat ausgenutzt, um mich zu überwältigen. Tötet sie!‟ Nevermeber zeigte fordernd auf Keeda.
Knox folgte zornig seinem Blick und machte drohend einen Schritt auf die Drow zu. Ihre Hand tastete automatisch nach ihren Waffen und auch Alice trat erwartungsvoll an ihre Seite. Sie fixierte Knox prüfend, die Augen des Feldwebels huschten zwischen ihnen hin und her und studierten ihre Haltung, ihre Waffen und Verfassung, doch dann blieben sie an Keeda Hand hängen. Er erstarrte und ließ die Axt sinken. Verwundert folgte Alice seiner Bewegung und runzelte argwöhnisch die Stirn.
„Worauf wartest du?‟, brüllte der Lord zornig, „Töte sie.‟ Knox richtete sich auf und ließ seine Waffe vollends sinken. Er deutete vorwurfsvoll auf Keeda und die goldenen Krone in ihrer Hand.
„Was geht hier vor?‟